Читать книгу Der Heilige mit der roten Schnur - Flavius Ardelean - Страница 15
ОглавлениеAber die Weisheit und die Melancholie in den Augen des Jungen waren schwer, nur schwer erträglich für seine Mutter, die ein paar Tage lang ihrem Kind nicht in die Augen sehen konnte, wenn sie ihm die Stirn küsste oder ihn fest im Arm hielt. Ich bin sicher, du willst erfahren, welches Wunder der kleine Taush von seiner einsamen Pilgerschaft mitbrachte, ich werde dich also nicht zu lange warten lassen. Seine Mutter sah zu allererst es ihn vollbringen, während sie auf der Treppe vor dem Haus saß und ihre Beine, Arme und ihren Rücken ausruhte, dabei an Taush dachte und an ihren Mann und an alles, was war, und alles, was sein würde, da sah sie ein dickes Insekt aus dem Flug auf der Schulter des kleinen Taush landen, und es berührte sein rechtes Ohr mit seinen Fühlern. Taush ließ sein kindliches Spiel sein und die Frau sah wieder seine Augen, tief wie Wasser und weise wie der Himmel. Der Junge stand auf und ging durch das Tor auf die Straße und von dort ging er durch die verwinkelten Gassen von Gaisterştat. Die Frau erhob sich eilig und folgte ihm aus Angst, das Kind würde wieder davonlaufen, denn Tränen hatte sie wohl keine mehr zum Vergießen. Aber Taush verließ die Festung nicht, sondern hielt vor dem Haus des Bäckermeisters Bruit, der drei Töchter und drei Söhne hatte, ging ins Haus, ohne an die Tür zu klopfen, und stieg hinauf in das Zimmer des Hausherrn. Seine Mutter eilte ihm nach und ging ebenfalls in das Haus und bat nach allen Seiten um Entschuldigung bei denen, die in den Zimmern und Fluren beieinanderstanden, und versprach, eilends ihren Jungen aus dem Haus der fremden Leute zu holen. Aber als sie oben ankam, fand sie den kleinen Taush am Bett des Bäckers. Der war ganz weiß und fröstelte und war eingehüllt in Decken, als sollten sie seine Eingeweide im Gleichgewicht halten, als läge er also im Sterben.
Die Frau schämte sich und zerrte an Taush und fragte, was er glaubte, im Haus eines Kranken zu schaffen zu haben, dass er ihm die Ruhe vor der Ruhe störe. Taush antwortete nicht, wir wissen ja, er sprach noch nicht, auch mit sieben nicht, sondern er zog nur sein Hemd aus und fing an, mit den Fingern in seinem Bauchnabel zu wühlen. Die Familie des Moribunden betrachtete ihn verwundert und verängstigt, die Frau schämte sich noch mehr, aber noch bevor einer etwas sagte oder tat, begann Taush eine rote Schnur aus seinem Nabel zu ziehen, fast einen Meter dicker nasser Schnur holte er heraus und wickelte sie um seine Faust, dann schnitt er die Schnur ab und steckte das lose Ende zurück in den Nabel. Seine Mutter hielt sich die Hände vor den Mund vor Verwunderung, und die Menschen begannen alle zu flüstern, dass dies, ja, dieser Junge musste der kleine Taush sein, nicht wahr?, der Heilige von Gaisterştat.
Taush wickelte die Schnur ab und um das rechte Handgelenk des Bäckers. Dann zog er sein Hemd wieder an und ging an der Hand seiner Mutter aus dem Haus. Warum er das getan hat, fragst du mich? Ach, viele fragten sich das in jenen Tagen, die dem Tod des Bäckers folgten, und viele dachten darüber nach. Ich weiß es und ich kann es dir sagen, wenn du willst, denn ich weiß es geradewegs von ihm, er hat es mir aus heiterem Himmel einmal gesagt, dass nämlich zu ordnen, wie ein Mensch ins Jenseits geht, wichtiger sei als das Heilen. Und die Menschen aus Gaisterştat begannen zu ahnen, dass der kleine Taush dies tat und dass es gut sein musste, denn was hatte der kleine Heilige in der Stadt Gaisterştat jemals an Schlechtem getan? Sobald also ein Mensch zu Bett sank und alle seine Glieder vom Gefühl des Todes durchdrungen waren, schickten die Leute nach Taush und meist fanden sie ihn auch schon auf dem Weg zu ihnen mit einem Schmetterling in der Hand oder einer Fliege auf den Lippen. Er kam, entkleidete sich und spann die rote Schnur aus dem Nabel, das Siegel der rechten Hand, damit jeder Geist an jeder Zollstelle wüsste, dass der kleine Taush, der große Heilige, demjenigen die letzten Stunden liebkost hatte.