Читать книгу Der Heilige mit der roten Schnur - Flavius Ardelean - Страница 8

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An einem trüben Wintermorgen, irgendwo auf dem Weg zwischen Karkara und Todesbach, teilte die Spur eines einfachen Planwagens die verschneiten Felder in zwei Hälften. Die seit alters her befestigte Straße nach Adora und Visla über Alrauna und Izvorul Babei schlummerte verborgen unter dem Schnee, aber wer die Ebene kannte, wusste, in welche Richtung er gehen musste und was ringsum war, und nicht selten, ab und an, hielt ein Wanderer dort inne, wo er wusste, dass sich die Straße befände, und wartete, dass ein anderer Reisender mit einem Pferd des Wegs käme oder, wäre das Glück auf seiner Seite, gar mit zwei Pferden, um mit ihm die Ebene so schnell wie möglich zu verlassen.

Und tatsächlich ergab sich diese Möglichkeit dort in der Ebene, denn unser Reisender erkannte in der Ferne einen Wagen und den Schatten eines Menschen in langer, grauer Robe oben auf dem Bock, der hielt die Zügel in den Händen und lenkte eine erbärmliche Schindmähre, die in langen Jahren ganz abgemagert war. Der Kutscher hielt neben unserem Reisenden an und streckte ihm seine knochige Hand hin, um seinen Bruder auf dem Feld zu begrüßen.

»Wohin?«, fragte der Kutscher und sogleich bekam er Antwort.

»Alrauna.«

»Aha, Alrauna. Dorthin fahre ich auch, teurer Reisender. In den Mauern dieser Stadt habe ich eine schwere Schuld zu begleichen«, sagte er und zeigte mit den Knochen seiner Finger auf den von Lumpen und allen möglichen Stofffetzen bedeckten Haufen unter der Plane.

»Fährst du mich?«, fragte der Reisende.

»Wie sollte ich nicht, werter Reisender, wie nicht?«

Und hätte er unter seiner Kapuze nur ein Fleckchen Haut auf den Knochen gehabt, hätte sie sich in Falten gelegt, um ein Lächeln auf sein Gesicht zu zeichnen.

»Und was verlangst du als Lohn, guter Kutscher?«, fragte der Reisende, und das Skelett antwortete, es wäre hier und jetzt nicht an der Zeit für dergleichen, er sollte nur aufsteigen, bevor die Ebene noch schwieriger würde, und bis zu den Toren von Alrauna würden sie sich auch wegen des Lohns noch besprechen.

»Aber dass du mich nicht belügst, Kutscherlein, und dass du nicht mehr von mir verlangst, als ich geben kann.«

Das Skelett versicherte dem Reisenden, dass es nie mehr verlange, als ein Mensch zu geben hätte, und was es verlange, das hätte jeder Mensch.

»Es sind fünf Tage, die Pausen mitgerechnet, wenn wir uns hinlegen und schlafen«, sagte das Skelett, »aber wisse denn, lieber Reisender, ich bin ein Erzähler und ich lasse es mir gefallen, die langen Wege mit erfundenen und wahren Geschichten zu befrieden, und meine Erfindungen können die Wahrheit für einen anderen sein und umgekehrt, sodass du dich nicht ängstigen sollst, wenn du nicht mehr weißt, was was ist und wer wer, denn es ist nichts weiter als wahre Erfindung und erfundene Wahrheit.«

»Eine kleine Geschichte tut niemandem weh«, sagte der Reisende und hörte das Skelett mit den zahnfleischlosen Zähnen klappern, aber nicht vor Kälte, sondern vermutlich vor Freude. So schwieg er und lauschte ihm.

Er stieg auf den Karren neben das Skelett, warf einen Blick nach hinten und erkannte etwas in dem Haufen unter der Plane.

»Was bringst du den Brüdern in Alrauna?«, fragte er, aber das Skelett antwortete:

»Das, werter Reisender, ist nicht mehr deine Sache. Zurückzusehen ist nicht gut«, sagte es, »nichts Gutes gibt es für den Menschen hinter ihm. Halte deine Augen, oder dein eines Auge – es sei mir verziehen, ich bemerke es erst jetzt – besser auf den Weg gerichtet, und die Ohren richte auf mich, denn ich habe vor, dir eine der wichtigsten Geschichten dieser Ebene zu erzählen.«

»Welche, Kutscher?«, fragte der Reisende mit dem einen Auge.

»Ich werde dir von Alrauna erzählen, dem früheren Mandragora, damit du die Geschichte kennst, bevor du an seine Tore gelangst; wie es durch die Mühsal Derer-die-von-der-Tollkirschestammen entstand, und über den Heiligen Taush, den Schutzherren von Mandragora – wie er geboren wurde, wie er aufwuchs und wie er in die WELT hinausging, um Städte zu gründen, und bis wir die Mauern von Ferne sehen, so will ich meinen, dass du die ganze geheime und auch die sichtbare Geschichte von Mandragora und seinem Heiligen kennst. Aber vergiss nicht, lieber Reisender, die Klügeleien des einen sind die Wahrheiten des anderen und umgekehrt, und so du nicht weißt, was was ist und wer wer, so fürchte dich nicht, denn es ist nur Klügelei – also wahrhaftige Wahrheit.«

»Und der Lohn?«, fragte der Reisende wieder und bekam eine Antwort.

»Den Lohn werden wir heute Abend am Feuer aushandeln, wenn die Nacht hereinbricht. Bis dahin schweig und höre meine Geschichte.«

»Ich höre, Kutscherlein, ich höre, aber sag mir noch eine Sache, damit ich sie weiß: Woher kennst du das Leben und den Tod von Taush und die Geschichte seines Mandragora?«

»Ich kenne sie, denn mein Name ist Bartholomäus Knochenfaust, der gefürchtete Erzähler, und ich war dort. Also höre!«

Und da hub das Skelett mit der Erzählung an.

Der Heilige mit der roten Schnur

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