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1. Misstrauen gegen das Misstrauen* Postfaktizität
ОглавлениеWenn es etwas gibt, das Wutbürger und Trump-Wähler gleichermaßen an- und umtreibt, dann ist es Misstrauen. Dieses Misstrauen gilt politischen Eliten, etablierten Medien und wissenschaftlichen Experten, die als Mainstream verortet werden. Nicht nur, dass sich Pegidisten und Trumpisten von diesem Mainstream nicht mehr repräsentiert fühlen; sie stellen dessen Wahrhaftigkeit in Frage. Wahrhaftigkeit konstituiert sich über den Rückbezug auf Fakten als objektiv geprüfte Sachverhalte. In ihrem Systemmisstrauen werden diese Fakten von den Protestwählern allerdings nicht mehr anerkannt, da den Experten ja grundsätzlich jede Objektivität und damit jede Legitimität abgesprochen wird.
Durch die westweit erhebliche Zunahme expertenfeindlicher Bewegungen etabliert sich eine politische Konstitution, die als »postfaktisch« bezeichnet wird. Mit diesem Begriff, von der Gesellschaft für deutsche Sprache 2016 zum Unwort des Jahres gewählt, wird eine Haltung bezeichnet, die sich durch wachsendes Misstrauen gegenüber von etablierten Institutionen angebotenen Fakten kennzeichnet. In dieser Misstrauenswelt positionieren sich Politiker, die sich außerhalb des Establishments verorten, als Heilsbringer. Trump beispielsweise verspricht, »Abgründe des Misstrauens« durch »Brücken der Möglichkeiten« zu überwinden.
Im Zentrum der Krise des Faktischen steht somit das Phänomen Misstrauen. Um die Krise zu überwinden, so könnte man folgern, muss dieses Misstrauen überwunden werden. Tatsächlich ist der Appell, bürgerliches Vertrauen zurückzugewinnen, zu einem politischen Schlachtruf geworden. Misstrauen ist inzwischen Inbegriff für falsches Bewusstsein, das vernünftiges und letztlich alternativloses Regieren verhindert. Selbst herrschaftskritische und protestaffine Linke rufen dazu auf, in postfaktischen Zeiten eine »Anti-Mainstream-Rhetorik« aufzugeben, um den Schulterschluss mit Wutbürgern tunlichst zu vermeiden.