Читать книгу Misstrauen - Florian Mühlfried - Страница 5

Vertrauenskrisen

Оглавление

Nicht nur in der Krise des Faktischen, auch in weiteren kapitalen Krisen der Gegenwart spielt Misstrauen eine wichtige Rolle. Ausgelöst durch die internationale Bankenkrise, erodierte auch unter deutschen Sparern das Vertrauen in die Validität von Banken derart, dass im September 2008 ein Plündern der Konten nur durch die Versicherung der Bundesregierung verhindert werden konnte, für sämtliche Spareinlagen auf deutschen Banken einzustehen (was, so wurde später eingeräumt, eine Falschaussage war). Das Vertrauen in die Banken konnte also nur wiederhergestellt werden, indem der Staat seine Vertrauenswürdigkeit in die Waagschale warf. In der Bankenkrise haben aber nicht nur Sparer den Banken misstraut, sondern auch die Banken einander: Man lieh sich kein Geld mehr, und wenn, dann nur zu exorbitant hohen Zinsen. Auch hier griff der Staat wieder regulierend ein, indem er den Banken faule Kredite abnahm und günstiges Geld zur Verfügung stellte.

Doch auch das Vertrauen in den Staat selbst erodiert – so wird zumindest befürchtet. Grund hierfür sind die Enthüllungen Edward Snowdens, die die NSA-Krise ausgelöst haben. Snowden veröffentlichte als geheim klassifizierte Dokumente, die belegen, wie massiv Menschen weltweit von US-amerikanischen Geheimdiensten überwacht werden. Demnach wurden rund fünf Millionen digitaler Korrespondenzen monatlich von der US-amerikanischen Sicherheitsbehörde NSA abgefangen, Millionen Menschen als verdächtig klassifiziert und Zehntausende Computer mit NSA-Trojanern infiziert. Auch deutsche und britische Geheimdienste setzen die Spähprogramme der NSA ausgiebig ein und überwachen ihre Bürger, Politiker und Wirtschaftsunternehmen, zum Teil gegenseitig. Im Zusammenwirken deutscher, britischer und US-amerikanischer Nachrichtendienste entstand ein engmaschiges Netzwerk geheimdienstlicher Kontrolle des virtuellen Raumes, das diesen staatlicherseits zu einem rechtsfreien Raum macht. EU-Ratspräsident Jean-Claude Juncker warnt vor einer »Vertrauenskrise unserer Bürger gegenüber dem Staat«. Misstrauen wird als Gefahr mitgedacht.

Selbst die Krise, in die sich die Automobilbranche durch die Manipulation von Abgaswerten manövriert hat, wird als Vertrauenskrise verhandelt. So titelte die Volkswagen-AG Anfang Oktober 2015 in einer Anzeige: »Wir haben das wichtigste Teil unserer Autos kaputt gemacht: Ihr Vertrauen.« Mea culpa, sagt hier einer der größten Automobilkonzerne Deutschlands – schuldig, durch die gezielte Manipulation der Abgaswerte nicht nur gesetzliche Vorgaben umgangen, sondern das »Vertrauen der Kunden in unsere Fahrzeuge« beschädigt zu haben, wie es in einer anderen Anzeige heißt. Vertrauen in deutsche Produkte wird auch von der Bundesregierung als ein wesentliches Kapital betrachtet, ohne jedoch die Autokonzerne sonderlich unter Druck zu setzen.

Allen diesen Krisen ist gemeinsam, dass durch einen Rückgriff auf den Vertrauensbegriff und die implizite Beschwörung der Gefahr des Misstrauens das Zentrum der Debatte verschoben wird. Es geht nun nicht mehr primär um die Geschäfte der Banken, das Spähen der Geheimdienste oder die Manipulationen der Automobilindustrie, sondern um deren Rezeption. Durch die normative Setzung des Vertrauens – wenn nicht als Normalzustand, dann doch als unbedingte Notwendigkeit für gesellschaftliches und politisches Gemeinwesen – wird Misstrauen zum eigentlichen Problem, das zum Verschwinden gebracht werden muss.

Misstrauen

Подняться наверх