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2.1 Die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Halle (Saale)
ОглавлениеNach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden von verschiedenen Ämtern der Stadt Halle (Saale) zwei Probleme bei der Verwaltung von Geschlechtskranken beschrieben: Zum einen die Betreuung und Unterbringung geschlechtskranker Personen und zum anderen der rasante Anstieg der Geschlechtskrankheiten im Allgemeinen. Vor allem die Kriminalpolizei thematisierte die Frage der Betreuung und Notwendigkeit der Unterbringung, wie unter anderem aus einer Anfrage vom 15. Oktober 1945 an den Oberbürgermeister bzw. das Jugend- und Fürsorge-Amt Halle (Saale) hervorgeht: „Es ist in letzter Zeit wiederholt vorgekommen, daß die von der Polizei erfaßten weiblichen minderjährigen Herumtreiber nach Entlassung aus dem Gefängnis, dem Gesundheitsamt überstellt, beim Vorliegen einer Geschlechtskrankheit dem Polizeigefängnis von dem Verw. Sekretär U. M. (Abk., d. A.) wieder zugeführt wurden mit der Begründung, daß keine Möglichkeit einer stationären Behandlung in einem Krankenhaus gegeben sei. Ich bitte für die Unterbringungsmöglichkeit Sorge zu tragen, da die rechtlichen Voraussetzungen für eine Wiedereinweisung ins Polizeigefängnis in den erwähnten Fällen nicht gegeben sind.“32
Das zweite Problem, der generelle Anstieg der geschlechtskranken Personen in Halle (Saale), wurde unter anderem vom Jugend- und Fürsorgeamt Halle (Saale) thematisiert. So heißt es in einem Vermerk vom 9. Februar 1946, dass sich die Folgen der letzten Kriegsjahre stark auf dem Gebiet der Gefährdeten-Fürsorge auswirken würden. „Die Statistik der Monate Juni – Nov. 1945 65 Fälle, im Vergleich zu den Zahlen vom 1. 12. 45 – 1. 2. 46 133 Fälle, entrollt ein trauriges Bild.“33 Besondere Aufmerksamkeit von Seiten des Jugend- und Fürsorgeamts galt jenen Frauen, bei denen der „Verdacht wechselnden Männerverkehrs und der Geschlechtskrankheit besteht (…). Nur diese schweren Fälle der Gefährdeten-Fürsorge werden statistisch erfasst“.34 Aus der Statistik geht eine Verdoppelung, in einigen Altersgruppen sogar eine Verdreifachung, der mit Geschlechtskrankheiten registrierten Personen hervor:35
1.6. – 30. 11. 1945 | 1. 12. 1945 – 31. 1. 1946 | |
unter 16 Jahre | 7 | 20 |
16 – 18 Jahre | 17 | 32 |
19 – 21 Jahre | 35 | 60 |
über 21 Jahre | 6 | 21 |
Gesamt | 65 | 133 |
Tab. 1 Registrierte Personen mit Geschlechtskrankheiten nach Alter
Von den 133 geschlechtskranken Personen waren 61 aus Halle (Saale) und 72 Personen von auswärts. Damit wurde ein weiteres Problem für die Verwaltung von Halle (Saale) sichtbar: die Flüchtlinge. „Der Flüchtlingsstrom, der sich auch über unsere Stadt ergossen hat, ließ viele alleinstehende Frauen und Jugendliche zurück, die oft obdachlos umherirren und damit der Verwahrlosung preisgegeben sind. Beängstigend ist die Zahl der Geschlechtskrankheiten, darunter leider auch der Jugendlichen. Es sind verschiedentlich Kranke von 13 und 14 Jahren dabei“,36 so der Vermerk des Jugend- und Fürsorgeamts vom 9. Februar 1946.
Für die Betreuung und medizinische Versorgung der geschlechtskranken Mädchen und Frauen gab es im Februar 1946 mehrere Einrichtungen. Zum einen war bereits Ende November 1945 eine Station für geschlechtskranke Frauen in der Christian-Thomasius-Schule in Halle (Saale) eingerichtet worden.37 Hier waren im Februar 1946 über 100 Kranke aufgenommen worden. Zum anderen „waren die geschlechtskranken Frauen in den Borsdofer Anstalten bei Leipzig untergebracht“.38 Daneben wurde die „Betreuung gefährdeter Mädchen (…), sofern es sich um ortsansässige handelt, von den Familienfürsorgerinnen mit durchgeführt. Im Übrigen von der Spezialabteilung für pflegeamtliche Arbeit, die zugleich auch die im Krankenhaus befindlichen geschlechtskranken Mädchen befürsorgt“.39 Schließlich konnten geschlechtskranke Frauen und Kinder in der „Hautklinik betreut“40 werden. Dennoch reichten die existierenden Betreuungs- und Versorgungsstrukturen nicht aus, um die rasant steigende Anzahl von Geschlechtskranken zu behandeln. Die Kapazitäten in der Christian-Thomasius-Schule waren fast vollständig ausgeschöpft. Gleichzeitig musste das Jugend- und Fürsorgeamt feststellten, dass durch „die Reiseschwierigkeiten und die starke Zunahme der Geschlechtskrankheiten (…) die Borsdorfer Anstalten nicht weiter belegt werden“41 konnten.
Was mit den Geschlechtskranken aus Halle (Saale) und den geschlechtskranken Flüchtlingen geschehen sollte und wie sie künftig untergebracht bzw. medizinisch versorgt werden sollten, diskutierten unter anderem das Kriminalamt, das Gesundheitsamt und das Jugend- und Fürsorgeamt. Das Kriminalamt von Halle (Saale) schlug am 6. Mai 1947 die „Einrichtung von Arbeitslagern für Verbreiter von Geschlechtskrankheiten“ vor.42 Dazu sollten „zahlenmässige Meldungen über Personen, welche häufig wechselnden Geschlechtsverkehr haben bezw. Verbreiter von Geschlechtskrankheiten oder Herumtreiber sind“43 an das Kriminalamt gemeldet werden. Und weiter heißt es: „Zunächst sollen nur Fälle gemeldet werden, die eine Unterbringung in ein Lager rechtfertigen. Also solche Personen, die in sittlicher Hinsicht übelbeleumdet, unverbesserlich oder mehrfach geschlechtskrank waren.“ Ziel sei „eine Ausmerzung der Elemente, welche eine grosse Gefahr für unsere Volksgesundheit bedeuten, planmässig“44 durchzuführen. Hierzu seien künftig umfangreiche Absprachen mit den Gesundheitsämtern, Straßenbeauftragten und den Frauenausschüssen notwendig.
Das Gesundheitsamt von Halle (Saale) plädierte für eine intensive Zusammenarbeit mit der Polizei von Halle (Saale) bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten. Geschlechtskranke sollten durch die Polizei den Fachkrankenhäusern und gesonderten Beobachtungsstellen in Halle (Saale) zugeführt und medizinisch versorgt werden. In einem Vortrag zum Thema „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“45 führte der Medizinalrat Dr. L. am 26. Mai 1948 im Polizeipräsidium von Halle (Saale) aus, dass die „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ unter „Zuhilfenahme der Polizeiorgane“46 durchgeführt werden müsse.
„Ein Hand in Hand arbeiten mit Gesundheitsamt“ so Medizinalrat L. weiter „wäre ein zu erstrebender Zustand. In Halle wäre dieser Zustand fast erreicht. Bei Razzien und Polizeistreifen in Halle wäre Vorbildliches geleistet. (…) Durch Polizeistreifen werden besonders auswärtige Personen dem Gesundheitsamt zugeführt. (…) Eine Beobachtungsstation im Fachkrankenhaus II ist zur Unterstützung der Ambulatorien eingerichtet.“47 In die entsprechenden Ambulatorien48 würden alle durch Polizeistreife Aufgegriffenen eingeliefert und nach der Untersuchung unter anderem an Beobachtungsstationen, Heime oder Lager weitergeleitet.
Das Jugend- und Fürsorgeamt von Halle (Saale) betonte den Aspekt der Erziehung bzw. der Erziehungsarbeit, der im Zusammenhang mit der Betreuung geschlechtskranker Mädchen und Frauen notwendig sei. Bereits 1946 hatte das Jugend- und Fürsorgeamt auf die Borsdorfer Anstalten bei Leipzig und die dort praktizierte erzieherische Betreuung der Geschlechtskranken hingewiesen. In den Borsdorfer Anstalten „waren sie unter Aufsicht in Erziehungsarbeit geschulter Schwestern und konnten, soweit es die ärztliche Behandlung erlaubte, in den Arbeitsprozess der Anstalt eingegliedert werden“.49 Diese Kombination aus Erziehung und Arbeit sollte vor allem dem Zweck dienen, die Mädchen und Frauen zu beschäftigen, denn das „tatenlose herumsitzen der Jugendlichen gibt viele Gelegenheit zu schädlichen Anknüpfungen. Die schlechten Elemente gewinnen damit leicht Einfluß auf die Neulinge“.50 Um negative Einflüsse besser einschränken zu können, sollten Beschäftigungsstunden stattfinden, die ehrenamtliche Kräfte leiteten.
Diese drei Strategien wurden von den genannten Ämtern diskutiert und teilweise von den einzelnen Ämtern in Halle (Saale) praktiziert. So kooperierten das Kriminal- und das Gesundheitsamt miteinander. Die Polizeistreifen lieferten alle Aufgegriffenen in die Ambulatorien ein.51 Nach der Untersuchung wurden die Mädchen und Frauen unter anderem in das Arbeitslager Schönebeck52 weitergeleitet, wie es aus einem Schreiben des Oberregierungsrats vom 27. November 1947 hervorgeht. Das Gesundheitsamt von Halle (Saale) soll „angeregt werden, nicht nur solche Mädchen nach Schönebeck zu überweisen, die bereits zum 4. male im Fachkrankenhaus zur Ausheilung untergebracht sind, sondern das die Unterbringung in Schönebeck auch bei anderen Momenten der Verwahrlosung in Betracht gezogen wird“.53
Unterstützung erhielten das Kriminal- und das Gesundheitsamt von der Fürsorgeerziehungsbehörde der Landesregierung Sachsen-Anhalt. In einem Schreiben vom 17. September 1947 an den Rat der Stadt Halle (Saale) geht es um „Geschlechtskranke weibliche Pflegezöglinge“.54 Darin heißt es: „Seit einem Jahr wird hier die Beobachtung gemacht, daß verschiedene Jugendämter geschlechtskranke Mädchen, die fast 18 Jahre sind, zur Fürsorgeerziehung überweisen. In der Regel ist das Vorleben dieser Jugendlichen einer Prostituierten gleich zu betrachten. Daß damit das Erziehungsniveau in unseren Erziehungsheimen auf keinen beachtlichen Stand gebracht und gehalten werden kann, liegt klar auf der Hand. Die Zunahme der Prostitution und in Verbindung damit der Geschlechtskrankheiten wird hervorgerufen durch den infolge der Verschiebung der moralischen Begriffe leichtfertigeren Lebenswandel der Jugend, bei dem es sich nach den hiesigen Beobachtungen um entgeltliche Prostitution und um häufig wechselnden Geschlechtsverkehr handelt. Da aber in den Erziehungsheimen im Vordergrund die pädagogische Aufgabe steht und, in Anbetracht der charakterlichen Entwicklung dieser Jugendlichen kein erzieherischer Einfluß mehr verzeichnet werden kann, muß die Frage der Unterbringung in andere Wege geleistet werden.“55 Noch deutlicher wurde Oberregierungsrat R. von der Landesregierung in einem Vortrag zum Thema „Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“, den er am 27. Mai 1948 im Polizeipräsidium von Halle (Saale) hielt.56 In seinem Vortrag sprach er sich für die weitere Unterbringung von Geschlechtskranken im „Arbeitslager in Schönebeck“57 aus. Das Lager werde „von Frauen und Mädchen beschickt, die bestimmte Voraussetzungen (mehrmalige Erkrankung an Lues und Go und unsoliden Lebenswandel) mitbringen. (…) Bei Neueinweisungen bleiben die Frauen und Mädchen 6 Monate im Lager. Bei Wiedereinweisungen auf unbestimmte Zeit. Beschäftigungsmäßig werden sie mit Garten- und Landarbeit, Küchendienst, Hausarbeit und Beschäftigung in der Weberei und Schneidereiwerkstatt eingesetzt, die gleichzeitig als Umschulung oder Anlernung gewertet wird“.58
Im Gegensatz dazu entschied das Jugend- und Fürsorgeamt Halle (Saale) über die Mädchen, welche „von der weiblichen Polizei aufgegriffenen“ und „dem Jugendamt zur Verfügung gestellt“ wurden, „von Fall zu Fall“.59 War eine Unterbringung in einem Heim notwendig, „so würden die abends Aufgegriffenen in der Regel dem Frauen- und Mädchenzufluchtheim, Weidenplan 5, zugewiesen, Jugendliche in einer kleinen Abteilung des Jugend- und Fürsorgeamtes, sofern sie nicht völlig verwahrlost seien, aufgenommen“.60 Gleichzeitig versuchte das Jugend- und Fürsorgeamt weitere Möglichkeiten für die Unterbringung und Betreuung von geschlechtskranken Mädchen zu organisieren. So geht aus einem Vermerk vom 19. März 1947 hervor, dass es im stärkeren Umfang als bisher notwendig sei, weitere Einrichtungen verfügbar zu halten.61 Das bereits erwähnte Frauen- und Mädchenzufluchtsheim am Weidenplan 5 war in der Trägerschaft der Evangelischen Stadtmission. Hier hatte die Stadt Halle (Saale) selbst die „Abteilung für leicht gefährdete jugendliche Mädchen“62 geschaffen. Diesen Kontakt versuchte das Jugend- und Fürsorgeamt nun auszubauen. In einem Vermerk dazu heißt es: „Der Leiter der Stadtmission hat sich bereit erklärt, ein Heim mit 20 Plätzen für das Jugend- und Fürsorgeamt bereitzuhalten. Für dieses Heim ist eine in der Gefährdetenfürsorge erfahrene Leiterin zu berufen und die Betreuung nach den Weisungen des Jugend- und Fürsorgeamtes zu übernehmen, unter der Voraussetzung, daß die Belegung der 20 Plätze vom Jugend- und Fürsorgeamt garantiert wird.“63 Die Stadtmission sei jedoch nicht bereit, „das Heim als geschlossenes Heim zu halten, d. h. keinen Ausgang zu gewähren“.64 Alle weiteren Aufgaben, beispielsweise die Zuführung der Mädchen an das Arbeitsamt oder zum Amtsarzt, die Aufsicht über die zugeführten Mädchen sowie das Hindern der Mädchen an einer Flucht aus dem Heim, könnten von der Evangelischen Stadtmission übernommen werden.65 Der Plan zum Ausbau der Kooperation zwischen der Stadt Halle (Saale) und der Evangelischen Stadtmission wurde im Mai 1947 umgesetzt: „Unter Bezugnahme auf die bisherigen Besprechungen mit Herrn Pastor F. (Abk., d. A.) und auf dessen Teilnahme an der Sitzung des Ausschusses für das öffentliche Fürsorgewesen am 23. 3. 1947 teilen wir ihnen mit, daß inzwischen der Rat der Stadt Halle dem auf Anregung des Jugend- und Fürsorgeamtes gemachten Angebot der Stadtmission auf Einrichtung eines Übergangsheimes für gefährdete Frauen und Mädchen mit insgesamt 20 Plätzen zugestimmt hat.“66 Mit der Einrichtung dieses Übergangsheims für gefährdete Frauen und Mädchen durch das Jugend- und Fürsorgeamt konnte Ende der 1940er Jahre eine weitere Alternative zum Arbeitslager in Schönebeck geschaffen werden.
Eine Verwaltungsvorschrift mit Kriterien für die Einweisung in ein Übergangsheim oder in das Arbeitslager ist nicht bekannt. Vermutlich entschieden die verschiedenen Ämter bzw. Personen auf Grundlage der individuellen Krankengeschichte eines als gefährdet eingestuften Mädchens, bzw. einer als gefährdet eingestuften Frau. Sehr wahrscheinlich wurde diejenige, die sich zum ersten Mal mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt hatte, nach der medizinischen Versorgung in den Ambulatorien in ein Übergangsheim eingewiesen. Diejenige hingegen, die mehrmals nacheinander mit einer Geschlechtskrankheit registriert wurde, kam wahrscheinlich in das Arbeitslager in Schönebeck.67