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2.3 SMAD-Befehle zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten und die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ vom 23. Februar 1961

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Die alliierten Truppen versuchten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine schnelle Ausbreitung von Infektionskrankheiten in den Besatzungszonen einzudämmen.99 Entsprechend trafen sie Maßnahmen, um Krankheitsanstreckungen zu verhindern. Vor allem die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten hatte bei den Alliierten eine hohe Priorität, da sie fürchteten, dass die deutschen Verwaltungen und Ärzte die immer bedrohlicher werdende Zahl an Infektionen nicht beherrschen würden. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) reagierte rasch und griff in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) rigoros durch.100 So wurde zwischen 1945 und 1946 eine dichte Folge von SMAD-Befehlen erlassen, welche die Aktivierung und Durchführung von einheitlichen Vorgehensweisen bei der Bekämpfung und Verhinderung von sexuell übertragbaren Krankheiten in der SBZ regelte. Die SMAD-Befehle zur Bekämpfung und Eindämmung von Geschlechtskrankheiten waren Übersetzungen von Regelungen aus der sowjetischen Medizinalpraxis. Diese Strategie wurde bereits bei anderen SMAD-Befehlen zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten in der SBZ angewandt, beispielsweise der Tuberkulose.101

Mit dem SMAD-Befehl Nr. 25 vom 7. August 1945 wurde die allgemein zugängliche Prophylaxe und ärztliche Hilfe für Geschlechtskranke geregelt.102 Dazu sollte einerseits ein dichtes Netz von ärztlichen Anstalten eingerichtet werden. Andererseits galt es Venerologen für diese Aufgaben heranzuziehen. Die Inhalte des SMAD-Befehls Nr. 25 bezogen sich auf Schlagworte wie: unentgeltlich, Erreichbarkeit sowie Vorbeugung und Behandlung.103 Aufgrund der mangelhaften Durchführung des SMAD-Befehls Nr. 25 in der gesamten SBZ wurde ein weiterer Befehl zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten von der SMAD erlassen. Dieser SMAD-Befehl Nr. 030, trat am 12. Februar 1946 in Kraft, wurde aber erst im Juli 1946 durch ausführende Bestimmungen der Deutschen Zentralverwaltung für das Gesundheitswesen (DZVG) ergänzt.104 Im SMAD-Befehl 030 wurde von der Einrichtung von Ambulatorien gesprochen, in denen die Behandlung von Geschlechtskrankheiten, ebenso wie in allen Krankenhäusern und Privatpraxen durchgeführt werden sollte. Dabei waren den einzelnen medizinischen Einrichtungen – Krankenhaus, Ambulatorium, Beratungsstelle und Arzt-Praxis – bestimmte Bezirke zur Behandlung, Beobachtung und prophylaktischen Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten zuzuweisen. Gleichzeitig wurde den Präsidenten der Provinzen und Länder der SBZ befohlen, ein Netz von Beratungsstellen bzw. Fürsorgestellen für Geschlechtskranke zur prophylaktischen Behandlung und Untersuchung einzurichten.105 Zugleich verfügte die DZVG, dass der Begriff „Ambulatorium“ in der SBZ nur noch für Einrichtungen verwendet werden soll, die auf Geschlechtskrankheiten spezialisiert waren. Damit gingen auch die finanziellen Abwicklungen der prophylaktischen Beratung und medizinischen Betreuung von Geschlechtskranken einher. Die Beratungs- und Behandlungsstellen für Geschlechtskranke (Ambulatorien) wurden durch Mittel der DZVG bzw. der Provinzialverwaltungen finanziert.106 Diese finanzielle Absicherung der Ambulatorien sollte die kostenlose Inanspruchnahme vor allem der prophylaktischen Maßnahmen durch die Bevölkerung dauerhaft sichern. Gleichzeitig sollte die Schwelle für die Bevölkerung reduziert werden, die Ambulatorien prophylaktisch aufzusuchen.107


Abb. 4 „Die Ambulatorien“; Aufgaben der Ambulatorien für Geschlechtskrankheiten (Plakat um 1948)

Eine besondere Stellung bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten nahm der SMAD-Befehl Nr. 273 vom 11. Dezember 1947 ein. Mit diesem SMAD-Befehl wurden zum einen die deutschen Bestimmungen des Reichsgesetzes zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten von 1927 aufgehoben.108 Zum anderen wurden Maßnahmen angeordnet, die einen flächendeckenden Aufbau von Einrichtungen zur Vorbeugung und Behandlung von Geschlechtskrankheiten, die Einführung von Landes-, Bezirks- und Kreisvenerologen, die Bildung von Sonderabteilungen an Gesundheitsämtern, den Aufbau eines Meldesystems und Berichtswesens für Geschlechtskrankheiten sowie die Durchführung von Reihenuntersuchungen u. a. bei Beschäftigten in der Lebensmittelindustrie beinhalteten. Darüber hinaus wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Isolierung von Patienten mit infektiösen Formen von Geschlechtskrankheiten, die Pflicht des Erkrankten sich behandeln zu lassen und die Festlegung vielfältiger Bestrafungsvorschriften mit dem SMAD-Befehl Nr. 273 geregelt.109 So sah beispielsweise der Paragraph 25 vor: „Mit Gefängnis bis zu einem Jahr und Geldstrafe oder einer dieser Strafen wird bestraft, wenn die betreffende Tat keine schwerere Strafe verdient: wer ein geschlechtskrankes Kinde in Pflege gibt, obwohl er weiß, oder nach den Umständen vermutet, daß es krank ist, und die Personen, die ein solches Kind zur Erziehung übernehmen, auf die Krankheit dieses Kindes nicht vorher aufmerksam gemacht hat.“110 Schließlich beinhaltete der SMAD-Befehl Nr. 273 Bestimmungen zur Eindämmung der Prostitution, Regelungen zu Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Frauen ohne Lebensunterhalt, Anordnungen zur Errichtung von Fürsorgeheimen und „Arbeitssanitätskolonien“, in denen „Insassen“ Arbeitsschulungen erhielten, Bestimmungen zu breit angelegten Aufklärungsmaßnahmen für die Bevölkerung der SBZ sowie zur Ausbildung von Venerologen und der Zuteilung äußerst knapper Medikamente.111 Die in Paragraph 23 festgelegten Maßnahmen bezogen sich beispielsweise auf die Prostitution: „Wenn jemand, der Geschlechtsverkehr mit verschiedenen treibt, auf Grund der §§ 4, 5 15 Abs. 3 oder § 22, verurteilt ist, kann das Gericht neben der Strafe auf Unterbringung in einem Arbeitshaus erkennen.“112 Die Maßnahmen, die infolge des SMAD-Befehls Nr. 273 in der SBZ eingeführt wurden, bedeuteten für die behandelnden Ärzte einerseits mehr Bürokratie und andererseits eine gewisse Handlungssicherheit durch die Vereinheitlichung der schematisch durchzuführenden Behandlungen.113

Erst Anfang der 1960er Jahre wurde der SMAD-Befehl Nr. 273 zur Bekämpfung von Geschlechtskranken durch die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“114 der DDR-Regierung außer Kraft gesetzt.115 Diese „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ trat am 23. Februar 1961 in Kraft und regelte alle zu ergreifenden Maßnahmen bei Geschlechtskrankheiten detailliert. Mit der Ersetzung der strengen Bestimmungen des SMAD-Befehls Nr. 273 durch die neue Verordnung wurden einige der rigiden Bestimmungen des SMAD-Befehls Nr. 273 liberalisiert.116 Hintergrund hierfür war einerseits der medizinische Fortschritt – seit Mitte der 1950er Jahre konnte beispielsweise die Gonorrhoe durch den Einsatz von Penicillin innerhalb von wenigen Stunden behandelt werden.117 So finden sich ab 1947 diverse Schreiben an das Jugend- und Fürsorgeamt Halle (Saale), in denen um die Kostenübernahme für die Penicillinbehandlung von Geschlechtskranken gebeten wird.118 Diese Schreiben waren meist mit Namen der Patientinnen versehen und kamen aus den Einrichtungen, in denen die Geschlechtskranken betreut wurden. Andererseits waren die Infektionsraten gesunken, sodass die allgemeine Gefährdung der Bevölkerung nicht mehr als gravierend eingeschätzt wurde. Neben diesen beiden Tatsachen konnten seit Mitte der 1950er Jahre zwei Entwicklungen festgestellt werden: Mehr und mehr Ärzte stellten die Praxis der namentlichen Meldung von Infektionsquellen bei Geschlechtskrankheiten an die Gesundheitsämter infrage. Gleichzeitig diagnostizierten Ärzte häufig eine „eitrige Hauterkrankung“, welche nicht den Gesundheitsämtern gemeldet, aber ebenfalls mit Penicillin behandelt werden musste.119 Gründe hierfür waren die Verbesserung des Patient-Arzt-Verhältnis – Schutzbedürfnis der Patienten vor beruflicher Benachteiligung und Diffamierung – sowie die Bestechlichkeit einiger Ärzte.120

In Paragraph 2 der „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ wurde festgelegt, wer als geschlechtskrank galt und somit unter die Bestimmungen der Verordnung fiel: „Geschlechtskrankheiten entsprechend dieser Verordnung sind die übertragbare (infektiöse) Syphilis (Lues venerea), die akute und die chronische Form des Trippers (Gonorrhoe), der weiche Schanker (ulcus molle) und die Frühform der venerischen Lymphknotenentzündung (Lymphopathia venerea).“121 Diese Personen wurden jedoch nicht mehr namentlich an die Gesundheitsbehörden gemeldet, wie es der SMAD-Befehl Nr. 273 vorsah. Vielmehr wurde die namentliche durch eine chiffrierte Erfassung ersetzt. In Paragraph 17 zur Meldepflicht heißt es: „Ärzte, Zahnärzte und Hebammen haben innerhalb von 48 Stunden dem Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, a) Geschlechtskranke oder krankheitsverdächtige Personen, b) Personen, die Geschlechtskranke oder Krankheitsverdächtige angesteckt haben oder die von Geschlechtskranken oder Krankheitsverdächtigen angesteckt sein können (…) unter Deckbezeichnung ohne Namensnennung zu melden.“122 Die Chiffrierung setzte sich aus den Anfangsbuchstaben des Vor- und des Zunamens sowie der Angabe des Geschlechts und des Geburtsdatums zusammen. Die Angaben wurden von den Gesundheitsämtern für statistische Auswertungen verwendet.123

Dennoch waren die geschlechtskranken Personen bzw. Krankheitsverdächtigen in Paragraph 10 verpflichtet, bei der Identifizierung von Infektionsquellen mitzuarbeiten: „(1) Der behandelnde Arzt hat den Kranken oder Krankheitsverdächtigen eingehend zu befragen, wer ihn angesteckt haben und wer von ihm angesteckt sein kann. (2) Der Kranke oder Krankheitsverdächtige ist verpflichtet, die erforderlichen Auskünfte nach bestem Wissen zu geben und bei der Feststellung jeder Person, die ihn angesteckt haben oder die von ihm angesteckt sein kann, zumutbare Hilfe zu leisten.“124 Darüber hinaus regelte der Paragraph 9 ein Verbot des Geschlechtsverkehrs durch den behandelnden Arzt: „Der Geschlechtsverkehr und geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen sind den Personen gemäß § 3 verboten. Der Geschlechtsverkehr darf erst nach Erklärung der ärztlichen Unbedenklichkeit wieder ausgeführt werden. Die Kenntnisnahme der Erklärung ist dem Arzt durch Unterschrift zu bestätigen.“125 Unter Personen gemäß Paragraph 3 wurden Kranke und Krankheitsverdächtige verstanden: „(1) Geschlechtskrank im Sinne der Verordnung sind Personen, die an einer im § 2 bezeichneten Geschlechtskrankheit leiden. (2) Krankheitsverdächtig sind Personen, a) bei denen sich Krankheitserscheinungen finden, die bei Geschlechtskrankheiten vorkommen, b) die nach den Umständen von einem Geschlechtskranken angesteckt sein oder einen anderen mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt haben können. (3) Als dringend krankheitsverdächtig gelten Personen, die a) wiederholt andere mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt haben, b) häufig wechselnden Geschlechtsverkehr haben oder häufig wechselnd geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen mit anderen Personen vornehmen.“126

Eine besondere Einwilligungspflicht zur ärztlichen Behandlung wurde nur bei bestimmten ärztlichen Eingriffen gefordert, wie Paragraph 8 vorsieht: „(1) Die Entnahme von Rückenmarkflüssigkeit, die Cystoskopie, der Ureteren-Katheterismus sowie bestimmte andere vom Ministerium für Gesundheitswesen festzulegende Eingriffe bedürfen der vorherigen Zustimmung des Patienten. Bei Minderjährigen ist die Einwilligung des Sorgeberechtigten einzuholen. (2) Lehnen Geschlechtskranke oder Krankheitsverdächtige oder die Sorgeberechtigten Minderjähriger die Vornahme von Eingriffen im Sinne des Abs. 1 ab, so sind sie verpflichtet, dies dem untersuchenden oder behandelnden Arzt schriftlich zu bestätigen.“127 Weitere Möglichkeiten für die Patienten, in eine Behandlung einzuwilligen bzw. diese abzulehnen, gab es nicht.

Stattdessen kannte die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ die zwangsweise Anordnung der Untersuchung und Behandlung bzw. die Einweisung in eine geschlossene Station. Diese Möglichkeiten wurden in Paragraph 20 geregelt und waren an ein mehrstufiges Verfahren gebunden. Erst am Ende dieses Verfahrens stand die Einweisung in eine geschlossene Abteilung: „(1) Der Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, kann die Untersuchung oder Behandlung in einer bestimmten Behandlungsstelle oder den Nachweis der Untersuchung oder der Behandlung durch einen vom Patienten zu wählenden berechtigten Arzt befristet verlangen, wenn der Geschlechtskranke oder Krankheitsverdächtige a) eine erforderliche ärztliche Anweisung nicht befolgt, b) sich der ärztlichen Untersuchung, Behandlung oder Nachuntersuchung entzieht, c) entgegen dem Verbot Geschlechtsverkehr oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen mit anderen Personen ausübt, d) der Überweisung in ein Krankenhaus nicht Folge leistet. (2) Wer sich der angeordneten Untersuchung oder Behandlung entzieht, kann vom Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, zu stationärer Untersuchung oder Behandlung untergebracht werden. (3) Wird dieser Maßnahme nicht nachgekommen, so kann durch den Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung für Geschlechtskranke verfügt werden. (4) Der Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und -Sozialwesen, hat die Unterbringung aufzuheben, sobald ihr Zweck erreicht ist. Die Voraussetzungen zur Aufhebung der Unterbringung sind vom Leiter der geschlossenen Abteilung für Geschlechtskranke und vom Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, ständig zu überprüfen.“128

Darüber hinaus kannte die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ eine Gruppe von Personen, die als „dringend krankheitsverdächtig“ galten. Nach Paragraph 3, Absatz 3, wurden hierunter Personen verstanden, die „a) wiederholt andere mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt haben, b) häufig wechselnden Geschlechtsverkehr haben oder häufig wechselnd geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen mit anderen Personen vornehmen“.129 Für diese Personen sah die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ von 1961 Sonderregelungen vor, die durchaus Anknüpfungspunkte an den SMAD-Befehl Nr. 273 von 1947 darstellten.130

Nach Paragraph 18 mussten alle dringend krankheitsverdächtigen Personen grundsätzlich namentlich dem Rat des Kreises gemeldet werden: „(1) Namentlich zu melden ist ein Geschlechtskranker oder Krankheitsverdächtiger, der a) sich trotz der Verpflichtung ärztlich nicht untersuchen oder behandeln läßt oder sich nicht der Untersuchung bzw. Behandlung bis zum Abschluß unterzieht, b) bei Beginn der Untersuchung oder Behandlung nicht angibt, von welchem Arzt er zuvor untersucht oder behandelt worden ist, c) den ärztlichen Anordnungen hinsichtlich der Untersuchung und Behandlung, der Überweisung durch eine zur Untersuchung oder Behandlung nicht berechtigte Person zu einem berechtigten Arzt oder der ärztlichen Überweisung zur stationären Behandlung nicht Folge leistet, d) sich entgegen dem Verbot des Geschlechtsverkehrs oder geschlechtsverkehrsähnlichen Handlungen nicht enthält, e) erforderliche Auskünfte über die Ansteckungsmöglichkeiten dem berechtigten Arzt nicht gibt oder vom Arzt zur Untersuchung nicht aufgefordert werden kann, f) entgegen dem Verbot Blut spendet, g) durch die berufliche Tätigkeit eine erhöhte Ansteckungsgefahr bietet, h) als dringend krankheitsverdächtig gilt.“131

Zwei weitere Paragraphen der „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ waren speziell für „dringend Krankheitsverdächtige“ vorgesehen: Paragraph 22 und 24. Der Paragraph 22 regelte Fragen zur Feststellung der Personalien und der Unterbringung in geschlossenen Abteilungen: „(1) Der Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, oder dessen Beauftragte können bei den Personen, die als dringend krankheitsverdächtig anzusehen sind (§ 3 Abs. 3), sofort die Personalien feststellen und die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung über den Gesundheitszustand verlangen. (2) Der Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, kann von dringend krankheitsverdächtigen Personen eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung von Geschlechtskrankheiten verlangen. Er kann den dringend Krankheitsverdächtigen an eine staatliche Untersuchungs- und Behandlungsstelle verweisen und diese mit der Untersuchung beauftragen. Untersuchungen zur Feststellung des Gesundheitszustandes können wiederholt verlangt werden. (3) Im Krankheitsfalle hat der Rat des Kreises, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, dringend krankheitsverdächtige Personen in einer staatlichen stationären Behandlungsstelle unterzubringen. Bei Nichtbefolgung dieser Maßnahme oder bei Verdacht, daß dieser nicht Folge geleistet wird, ist die Unterbringung in eine geschlossene Abteilung für Geschlechtskranke zu verfügen. (4) Für die Beendigung der Unterbringung gelten die Bestimmungen des § 20 Abs. 4.“132 Darüber hinaus konnten nach Paragraph 24 „dringend Krankheitsverdächtige“ in Sozialheime eingewiesen werden: „Die geeignete Betreuung dringend Krankheitsverdächtiger über 18 Jahre in Sozialheimen kann durch die Räte der Kreise, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen, mit Zustimmung der aufzunehmenden Person erfolgen. Die Unterbringung hat zum Ziel, durch erzieherische Arbeit und geregelte Lebensweise eine Besserung der Untergebrachten zu erreichen und die Rückführung in die Gesellschaft zu fördern.“133

Für die Durchsetzung der benannten Verfügungen konnte nach Paragraph 27 polizeiliche Amtshilfe angefordert werden: „(1) Werden Maßnahmen zur ordnungsmäßigen Durchführung getroffener Verfügungen a) gegen einen Kranken oder Krankheitsverdächtigen zur ärztlichen Untersuchung oder Behandlung gemäß § 20 Absätzen 1 bis 3, b) gegen eine dringend krankheitsverdächtige Person zur Feststellung der Personalien oder gegen eine andere Person zur ärztlichen Untersuchung oder Behandlung gemäß § 22 Absätzen 1 bis 3, c) gegen andere Personen zur Feststellung der Personalien oder zur ärztlichen Untersuchung nicht befolgt, können diese entsprechend durchgesetzt werden. (2) Die Organe der Deutschen Volkspolizei leisten bei der Durchführung dieser Maßnahmen Amtshilfe, wenn den Umständen nach zu erkennen ist, daß die mit der Durchführung der Maßnahmen Beauftragten mit Gewalt bedroht oder tätlich angegriffen werden könnten.“134

Im Gegensatz zum SMAD-Befehl Nr. 273, der Zuwiderhandlungen vor allem mit Gefängnis bestraft hatte, beschränkten sich die Straf- und Ordnungsstrafbestimmungen im Wesentlichen auf „Ordnungsstrafen bis zu 500 DM“.135 Lediglich die in Paragraph 29 beschriebene wissentliche Gefährdung anderer Personen, wurde mit öffentlichem Tadel oder Gefängnis bestraft: „(1) Wer Geschlechtsverkehr oder geschlechtsverkehrsähnliche Handlungen mit einer anderen Person ausübt, obwohl er weiß, daß er an einer ansteckenden Geschlechtskrankheit leidet oder mit dieser Möglichkeit rechnen muß, wird mit öffentlichem Tadel, bedingter Verurteilung oder Gefängnis bis zu 2 Jahren bestraft.“136

Die Regelungen der „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ wiesen einerseits eine neue Form des Umgangs mit Geschlechtskranken auf. Wer sich zum ersten Mal infizierte, sollte sich nicht mehr vor der Missachtung seiner Persönlichkeitsrechte durch namentliche Weiterleitung an die Behörden fürchten. Hierfür wurde die chiffrierte Weitergabe von Personendaten für die statistische Ausarbeitung in der Verordnung festgeschrieben. Gleichzeitig knüpfte die „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“ an grundsätzliche Normen des SMAD-Befehls Nr. 273 an. So konnten „dringend Krankheitsverdächtige“, also Personen, die unter dem Verdacht des häufig wechselnden Geschlechtsverkehrs standen, sofort in eine geschlossene Einrichtung gebracht werden. Und nicht nur „dringend Krankheitsverdächtige“, sondern auch alle anderen Geschlechtskranken konnten am Ende eines mehrstufigen Verfahrens in eine geschlossene Abteilung zwangseingewiesen werden.


Abb. 5 Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil II, Berlin 1961, „Verordnung zur Verhütung und Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten“


Fortsetzung von Abb. 5


Fortsetzung von Abb. 5


Fortsetzung von Abb. 5


Fortsetzung von Abb. 5

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