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2.2 Lokalrazzien, Erziehung der „Asozialen“ und die Einrichtung einer Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskrankheiten in der Kleinen Klausstraße 16

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Anfang der 1950er Jahre wurden einige Änderungen im Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale) diskutiert und schließlich umgesetzt. Zu diesen Veränderungen gehörte einerseits, dass die „durchgeführten Grossrazzien auf Geschlechtskranke (…) aufgehoben und durch gezielte Lokalkontrollen ersetzt“68 wurden. Andererseits setzte sich eine neue Auffassung über Geschlechtskranke durch: Diese seien keine Prostituierten, sondern „Asoziale“, die erzogen werden müssten. Unterstrichen wurde hierbei die Auffassung, „daß unser fortschrittlich demokratischer Staat verpflichtet ist, alle Menschen zu erziehen, zum Schutze der gesunden Gemeinschaft besondere Fürsorge für die Gefährdeten zuwenden muß“.69 Darüber hinaus wurde mit dem Bauantrag (1949) und dem Bauschein (1950) für eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für Geschlechtskranke in der Kleinen Klausstraße 16 die Grundlage für die geschlossene Venerologische Station in Halle (Saale) gelegt. Die neuen Lokalkontrollen, welche die bisher üblichen Großrazzien ablösten, wurden durch Mitarbeiter der Kreisgeschlechtskranken-Aufsicht in Begleitung von Volkspolizisten durchgeführt.70 Für diese mehrfach wöchentlich stattfindenden „nächtlichen Kontrollen“71 erhielten die Mitarbeiter eine Aufwandsentschädigung. Dieses System der nächtlichen Lokalkontrollen wurde in den folgenden Jahren ausgebaut. So findet sich ein Schreiben vom 26. Februar 1953, in dem die gezielten Kontrollen dargestellt werden. Zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten seien laufend nächtliche Lokalkontrollen und -streifen im Stadtgebiet erforderlich, um die „HwG.-treibenden Personen zu erfassen und der entsprechenden Untersuchung zuzuführen. (…) Sie werden von den Gesundheitsaufsehern der Dienststelle zum Teil mit Amtshilfe der Kripo, Abt. KC 4, durchgeführt“.72 Nach der Registrierung wurden die aufgegriffenen Personen den medizinischen Versorgungseinrichtungen übergeben.


Abb. 1 Geschlechtskrankheiten drohen! Kennt ihr euch überhaupt? (Plakat um 1947)

Parallel zur Umstellung von Groß- auf Lokalrazzien änderte sich auch die Vorstellung von geschlechtskranken Mädchen und Frauen in der Verwaltung von Halle (Saale); von der Prostituierten zur „Asozialen“. Mit diesem Wandel deutete sich eine Umstellung im Umgang mit Geschlechtskranken an. Bis Ende der 1940er Jahre wurden geschlechtskranke Frauen mehr oder weniger als Prostituierte betrachtet, die sich aus der wirtschaftlichen Not heraus und infolge des Zweiten Weltkriegs prostituierten: „Wir wissen, daß in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch große wirtschaftliche Maß- und Notstände überwunden werden mußten. Die Not in der Ernährungslage bestimmte haltschwache und triebhafte Frauen, sich durch hemmungsloses Ausleben wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.“73 So heißt es in einer Vorlage für die Stadtverwaltung von Halle (Saale). Diese Frauen galt es zu registrieren, medizinisch zu versorgen und teilweise zu internieren.

Diese Perspektive, geschlechtskranke Frauen als Prostituierte zu betrachten, war in den verschiedenen Ämtern der Stadtverwaltung Halle (Saale) traditionell verankert. Bis Ende der 1940er Jahre existierte in der Kleinen Nikolaistraße ein bekanntes Rotlichtviertel, wie sich ein Zeitzeuge aus Halle (Saale) erinnert: Zu der damaligen Zeit war es dort „recht anrüchig, also alleine ging man da nicht rein. Ich musste einmal da rein. Jetzt lachen Sie nicht. Ich habe Zimmermann gelernt und eines Tages sagt der Geselle zu mir, so 1948, war im zweiten Lehrjahr, pack mal das Werkzeug ein, das und das, wir müssen morgen früh gleich in die Kleine Nikolaistraße, dort ist irgendwie, in Garagen ist eingebrochen worden, wir müssen das wieder dicht machen. Naja, da komme ich als 16-Jähriger nun da lang, naja man musste ja, durchgezogen sind wir ja schon mal als junge Kerle, aber in der Gruppe, es war ja ein bisschen gefährlich. So, naja, da hingen so ein paar Damen aus dem Fenster und das war so kurz vor 7 (…) und denn war da auch ein Gemüsegroßhändler und da kauften die Damen ein und naja, ich habe geguckt, die waren ja wirklich leicht angezogen“.74 Eine Anspielung auf diese Geschichte rund um die Kleine Nikolaistraße findet sich in der Oleariusstraße, Ecke Große Klausstraße in Halle (Saale) in einem Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955). Es wurde 1988 gemalt und 2002 überarbeitet bzw. erneuert und zeigt unter anderem Szenen, die auf die Straßenprostitution in Halle (Saale) anspielen (Abb. 2).

Im August 1951 schien dieser Teil der Geschichte für einige Mitarbeiter der Stadtverwaltung Halle (Saale) überwunden. So heißt es in der Vorlage für die Stadtverwaltung: Heute spielten die „wirtschaftlichen Sorgen (…) keine entscheidende Rolle mehr und trotzdem hat das Problem zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheit zum Schutze der gesunden Volksgemeinschaft noch keine befriedigende Lösung gefunden“.75 Weil es bisher zu keiner entscheidenden Wende bei der Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten gekommen sei, dachte man über neue Ansätze zur Verbesserung der Situation nach. In diesem Zusammenhang wurde einerseits vorgeschlagen, neue gesetzliche Bestimmungen zu erlassen. Andererseits ging es um eine besondere Fürsorge für die Gefährdeten, die Erziehung. So heißt es in der Vorlage für die Stadtverwaltung beispielsweise, dass die Wiedereingliederung der Gefährdeten „in das gesellschaftliche Leben (…) nur bei intensiver, geduldiger Beeinflussung durch geschulte moderne Pädagogen in geschlossenen Anstalten versucht werden (kann). Bestimmung des Menschen ist, nützliche Arbeit zu leisten. Dieser Urinstinkt ist bei den gefährdeten Menschen durch das maßlose Trieblieben überwuchert. Er muß freigelegt, gestärkt oder überhaupt erst einmal geweckt werden. Darum muß die nützliche Arbeit besonders im Mittelpunkt der Heimerziehung Gefährdeter stehen“.76


Abb. 2 Wandbild von Hans-Joachim Triebsch (* 1955) von 1988/​2002 (Ausschnitt aus Wandbild, 2014)

Infolge dieses Wandels wird es nicht mehr um Prostituierte gehen, die sich aus wirtschaftlicher Not prostituierten, sondern um die sogenannten „Asozialen“77: „Es ist in Zahlen nachweisbar, daß ein bestimmter Teil von Frauen und Mädchen in den letzten 2 Jahren bis zu 10mal lang- und kurzfristiger stationärer Behandlung benötigten. Dabei sei aufgezeigt, in welchem Maße die Volksgemeinschaft durch das ungezügelte Triebleben asozialer Elemente gefährdet und belastet ist. Sie entziehen nicht nur dem Aufbau ihre Kräfte, sondern verursachen hohe Kosten, finanzielle Mittel, die wiederum dem Aufbau der Wirtschaft entzogen werden.“78 Für diese „triebhaften“, „asozialen“ und geschlechtskranken Mädchen und Frauen galt es, so sieht es das Diskussionspapier für die Stadtverwaltung vor, geschlossene Einrichtungen zu schaffen, in denen ihnen der Willen zu nützlicher Arbeit anerzogen werden sollte. Als pädagogische Grundlage für die Erziehung der gefährdeten Mädchen und Frauen sollten die Schriften des sowjetischen Schriftstellers Anton Semjonowitsch Makarenko (1888 – 1939) dienen.79 Im Diskussionspapier heißt es: „In seinem ‚Pädagogischen Poem. Der Weg ins Leben‘ schildert er (Makarenko, d. A.) die Erfolge seiner Erziehungsarbeit bei Jugendlichen, die verwahrlost sind. Unsere Zeit sieht den Sinn des Lebens im Einsatz für eine allgemeine, gleichmäßige Höherentwicklung der Gesellschaft und könnte auf dieser Grundlage das Problem der Gefährdetenbetreuung und im Großen gesehen das der Bekämpfung der Geschlechtskrankheit lösen.“80 Dieses Diskussionspapier beschreibt den grundsätzlichen Wandel im künftigen Umgang mit Geschlechtskranken in Halle (Saale): Nicht Arbeitslager, sondern geschlossene Einrichtungen für Gefährdete und deren pädagogische Unterweisungen stellten nunmehr das Maß der Dinge dar.

Eine solche Einrichtung war die geschlossene Venerologische Station der Poliklinik Mitte in Halle (Saale). Bevor diese geschlossene Station im Jahr 1961 eröffnete wurde, sollte an gleicher Stelle, in der Kleinen Klausstraße 16, eine Beobachtungs- und Fürsorgestelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen eingerichtet werden. Die Institution der Beobachtungsstation für geschlechtskranke Mädchen und Frauen war in Halle (Saale) nicht neu. Eine Beobachtungsstation war bereits 1947 zur Unterstützung der Ambulatorien eingerichtet worden. Dorthin wurden viele durch die Polizeistreifen aufgegriffenen Mädchen und Frauen zur Untersuchung eingeliefert, wie Medizinalrat L. in seinem Vortrag im Polizeipräsidium von Halle (Saale) ausführte.81 Im Herbst 1949 liefen die Planungen für eine weitere Beobachtungsstelle für geschlechtskranke Mädchen und Frauen.

Die Aufgaben dieser Beobachtungs- und Fürsorgestelle wurden in einer Sitzung des Ausschusses für das Sozialwesen am 24. August 1951 wie folgt umrissen: „In der Beobachtungsstation werden die Frauen und Mädchen beraten, die nach Entlassung aus stationärer Behandlung keinen festen Wohnsitz haben, in das Zufluchtsheim gegeben, bis sie durch Aufnahme von Arbeit in gesicherte Verhältnisse kommen. Das Zufluchtsheim ist heute noch das einzige Heim, das für diesen Notstand im Stadtgebiet Halle vorhanden ist.“82 Besonders Jugendliche waren zeitweise unter Aufsicht der Beoachtungsstation und hatten dort extra eingerichtete Räume für die Zeit ihres Aufenthalts: „Werden dort Jugendliche, also unter 18-jährige behandelt oder bekannt, muss von den genannten Abteilungen festgestellt werden, ob eine Aufnahme der Jugendlichen nach Entlassung aus der B-Station im elterlichen Haushalt möglich oder wünschenswert ist.“83 Andernfalls konnten die Jugendlichen in Durchgangsheimen untergebracht werden, bevor sie anderen erzieherischen Einrichtungen, beispielsweise Erziehungsheimen, zugeführt wurden. Um entscheiden zu können, wohin der Facharzt der Beobachtungsstation die Jugendlichen entließ, hatte er ein „Interesse daran, über die Lebensverhältnisse der Behandelten und über ihren Ruf näheres zu erfahren“.84 Teilweise wünschten auch die Patienten eine Rücksprache, um die Betreuung ihrer Kinder während ihres Krankenhausaufenthaltes zu regeln. In solchen Fällen wurde über die Abteilung eine Heimerziehung und/​oder Heimunterbringung veranlasst.

Von der Beobachtungsstation für geschlechtskranke Mädchen und Frauen in der Kleinen Klausstraße 16 existiert ein Bauplan vom 7. Juli 1949. Dieser war dem eingangs erwähnten Bauantrag85 des Rats der Stadt Halle (Saale) vom 14. August 1949 an die Landesregierung Sachsen-Anhalt beigelegt.86 Aus dem Bauplan geht hervor, dass ein „Fachkrankenhaus“ und „eine Beobachtungsstelle im Mittelflügel an der Gr.-Nikolai-Str.“ errichtet werden sollten. Außerdem geht aus dem Bauplan hervor, dass beide Einrichtungen räumlich miteinander verbunden werden sollten ((Abb. 3).

Im linken Seitenflügel waren eine Schwesternwohnung, eine Wäschekammer, ein Röntgen- und ein Umspann-Raum einerseits sowie ein Schlafraum für Jugendliche, ein Schlafraum für Patienten, eine Teeküche, ein Waschraum und eine Toilette für die Schwestern bzw. ein Waschraum und Toiletten für die Patienten vorgesehen. Im rechten Seitenflügel waren ein Zimmer, ein Wohnraum und eine Küche geplant. Der Mittelflügel an der Großen Nikolaistraße war von links nach rechts wie folgt aufgebaut: Einem großen Schlaf-Saal mit vier Fenstern zur Großen Nikolaistraße und einem Fenster zum Innenhof folgte ein etwas kleinerer Tagesraum mit drei Fenstern zur Großen Nikolaistraße und drei Fenstern zum Innenhof. Der anschließende Behandlungsraum, das folgende Arztzimmer und das Aufnahmebüro hatten jeweils ein Fenster zum Innenhof. Diese drei Räume waren durch einen Flur miteinander verbunden, der vom Tagesraum (links) bis zum Pförtner im Treppenhaus (rechts) reichte.87


Abb. 3 Bauplan für das Grundstück Kleine Klausstraße 16 „Fachkrankenhaus und Beobachtungsstelle im Mittelflügel an der Gr.-Nikolai-Str.“ (1949)

Für die Umsetzung des Bauantrags waren ursprünglich 9.224 DM88 geplant, die sich bis zur Baugenehmigung auf 9.660 DM89 erhöhten. Diese Kostensteigerung war das Ergebnis einer Reihe von Auflagen: Eine Notleiter für die Schwesternwohnung oder ein Notausgang zwischen der Schwesternwohnung und dem Schlafraum der Jugendlichen gehörten ebenso zu den Auflagen90 wie die Einrichtung von Waschgelegenheiten im Arzt- und Behandlungsraum oder eines Fensters in der Toilette des Schwesternpersonals, das unmittelbar ins Freie führen sollte.91 Trotz diverser Schreiben hinsichtlich der Notwendigkeit und Dringlichkeit zur Einrichtung der Beobachtungsstelle92 und der Baugenehmigung vom 27. Juni 195093 gingen die Bauarbeiten kaum voran. Der Grund hierfür dürfte vor allem im Fehlen von notwendigen finanziellen Mitteln gelegen haben, wie aus einem Schreiben des Dezernats Gesundheits- und Sozialwesen vom 20. Juni 1951 an die Landesregierung Sachsen-Anhalt hervorgeht.94 In diesem Schreiben geht es um die Verwendung eingesparter Haushaltsmittel des Landes Sachsen-Anhalt, die auf Ministerratsbeschluss vom 25. Mai 1951 für notwendige „Reparaturen auf dem Gebiete der Volksbildung und des Gesundheitswesens“ verwendet werden sollen.95 Für den Ausbau des Grundstücks Kleine Klausstraße 16 wurde nun ein Bedarf von 40.000 DM veranschlagt: „Zur Unterbringung der Geschlechtskrankenfürsorgestelle der Stadt Halle, die zurzeit im Gebäude Schmeerstr. 1 untergebracht ist (…) soll das Grundstück Kl. Klausstr. 16 ausgebaut werden. Der Ausbau soll bereits seit April 1950 erfolgen. Die Zurverfügungstellung der Mittel ist jedoch vom Ministerium der Gesundheitswesen bisher immer verzögert worden, obwohl die Auswahl des Objektes und die Zweckmäßigkeit der Herausnahme der Geschlechtskrankenfürsorgestelle aus dem eigentlichen Gesundheitsamt anerkannt worden ist.“96 Statt der beantragten 40.000 DM wurden am 10. August 1951 30.000 DM außerplanmäßig für die Instandsetzungs- und Ausbauarbeiten auf dem Grundstück Kleine Klausstraße 16 zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln war nun der Ausbau des Grundstückes gesichert.97 Wann die Bauarbeiten in der Kleinen Klausstraße 16 abgeschlossen wurden, ist nicht bekannt. Spätestens im Juni 1952 muss die Geschlechtskrankenfürsorgestelle von der Schmeerstraße 1 in die Kleine Klausstraße 16 umgezogen sein, da nun die Schreiben der Geschlechtskrankenfürsorgestelle mit der Adresse Kleine Klausstraße 16 versehen waren.98

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