Читать книгу Am Ende kackt die Ente! - Frank Buschmann - Страница 10

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MITTE DER 90ER fing alles an. Im Februar 1995 brachen wir mit unserer Kohorte vom DSF in Richtung USA auf. Wir ­waren neu in diesem Business, hatten keine Ahnung, was NBA-Berichterstattung vor Ort bedeutete. Todd Kobrin, unser Produzent, kannte sich natürlich in den USA gut aus – er war Amerikaner – und hatte auch einige ganz gute Kontakte zu amerikanischen TV-Sendern. Aber der Rest?

Traten wir wie seriöse Journalisten auf, im Anzug, mit der gebotenen Distanz, immer darauf bedacht, alles richtig zu machen und bloß nichts Falsches zu sagen? Ehrlich gesagt, nein. Im Nachhinein betrachtet, waren wir eher wie eine Horde Touristen unterwegs, die sich einen Lebenstraum erfüllten Basketball live zu übertragen.

Unser Ziel 1995 war das All-Star Weekend, gewisser­maßen das Branchentreffen im Basketball, bei dem sich die Besten der Besten präsentieren. Es fand in Phoenix, Arizona statt. Zunächst mal war das schön, weil wir aus der Winterkälte Deutschlands in die Sonne Arizonas kamen. Ja, das ­fanden wir natürlich auch großartig. Zweitens hatten wir für die Produktion – eine Live-Übertragung plus eine Magazin-Sendung, die die Atmosphäre drum herum einfangen sollte – ­satte elf Tage vor Ort Zeit. Heute würde man für beides, ei­ne Live-Übertragung und ein Magazin, höchstens vier, fünf Tage veranschlagen.

Drittens flogen wir Business Class. Mitte der 90er-Jahre wurde in der damaligen Kirch-Gruppe, also auch beim DSF, noch nicht so sehr auf die Kosten geachtet. Heutzutage würde es da sicherlich erhebliche Diskussionen geben. Man kann auch drüber diskutieren, ob das nötig war. Aber in der Regel sind Fernsehproduktionen keine Erholungsreisen. Man kommt an und muss direkt loslegen. Daher finde ich, man soll möglichst bequem reisen, um möglichst ausgeruht an­zukommen. In vielen Sendern werden jetzt einige Damen und Herren schmunzeln.

Viertens wohnten wir wie im Paradies. Die Unterkunft, die uns die NBA gebucht hatte, war nämlich das Camel Back Inn in Scottsdale in der Nähe von Phoenix, eines der beliebtesten Golf-Hotels überhaupt (natürlich versuchte ich hier auch Golf zu spielen, mit der Betonung auf versuchte). Jeder hatte ein eigenes Pueblo, ein Appartement mit ungefähr 60 Quadratmetern.

Ich erzähle das alles hier nicht, um irgendwie auf die ­Kacke zu hauen. Wir wussten ja selber nicht, wie uns geschah. Wir trafen die besten Basketballer der Welt, durften die Stadt für eine Magazinsendung erkunden, residierten in einer Luxusherberge mit einem Frühstücks-Buffet, das auf einem Steg in den Pool reingebaut war … Na bitte!

Der DSF hat dann später auch die NBA-Saison 1995/96 übertragen. Aber wenn man ganz ehrlich ist, US-amerikanischer Basketball führte immer noch eher eine Nischenexistenz, trotz der Olympischen Spielen in Barcelona 1992. Das Dream Team hatte schon etwas ins Rollen gebracht. Spieler wie Michael Jordan, der dreimal in Folge mit den Chicago-Bulls den NBA-Titel geholt hatte, hatten den Sport auch hierzulande langsam populärer gemacht. Aber dann war Jordan aus persönlichen Gründen überraschend zurückgetreten und der sich abzeichnende Boom schien schon wieder beendet. Nun, zur Saison 1995/96 war Jordan zurückgekommen, und wir wollten das übertragen. Natürlich flogen wir nicht zu ­jedem Spiel extra rüber. Das wäre ein bisschen teuer und ein bisschen aufwändig geworden. Aber: Wir übertrugen die Spiele. Zu nachtschlafender Zeit aus unserer Kellerkammer in Unterföhring. Es war ein Anfang.

Ein Jahr später, 1996, wieder All-Star Weekend, diesmal in San Antonio im Süden von Texas. Auch nicht das schlechteste Ziel. Aufgabe der Magazin-Sendung war wieder, die Besonderheiten der Umgebung darzustellen. Weil ich als Kind Reiten gelernt hatte, kamen wir auf die Idee, dass ich mich mit Cowboyhut, wie sich das in Texas gehört, auf ein Rodeo-Pferd setzen und vom Sattel aus moderieren sollte: Die eine Hand am Hut bzw. Mikro, die andere am Zügel. Der Besitzer der Ranch gab mir ein Pferd, das angeblich lammfromm war: »Der reagiert auf nichts, der bleibt einfach stehen«. Na, Pustekuchen! Der Gaul wurde immer nervöser, ich hatte zunehmend Mühe, mich oben zu halten, musste meine Moderation mehrfach unterbrechen, hohoho, hohoho, hohoho. Das hat das Vieh aber überhaupt nicht beeindruckt. Auch alles, was ich mit den Schenkeln und an den Zügeln fabrizierte, war ihm völlig egal. Unser Kameramann hielt die ganze Zeit drauf. Noch heute ist auf YouTube zu erkennen, wie der Gaul plötzlich durchgeht. Man sieht Pferd und Reiter bald nur noch von hinten, hört kurz, wie ich irgendwelche Brunftschreie ausstoße, dann Ende der Aufnahme. Ich darf an dieser Stelle aufdecken, wie die ganze Geschichte ausging: Das Pferd raste volles Tempo auf einen Parkplatz, auf einen unge­fähr 1,50 Meter hohen Zaun zu und hob ab, setzte aus vollem Galopp volle Lotte drüber weg, mitsamt dem Reiter drauf. Nur Fliegen ist schöner. Nach der weniger schönen Landung schaffte ich es irgendwie, mich seitlich vom Pferd fallen zu lassen. Das hört sich jetzt vielleicht ganz lustig an. Aber ich musste wie in einem Dick-und-Doof-Film so schnell es ging neben dem Pferd her trippeln, bis ich schließlich gegen ein Auto knallte. Der blaue Fleck an meiner Hüfte war das Größte, was ich an blauen Flecken je gesehen hatte. Gottseidank war dem Pferd nichts passiert. Das war leicht am Zaun entlang geschrappt und hatte nur eine kleine Schürfwunde. Wir bekamen einen Verweis und durften das Gelände nicht mehr betreten. Wollten wir auch nicht. Ich schon mal gar nicht. Ins Gefängnis kam ich aber auch nicht. Hätte noch gefehlt, dass ich angezeigt worden wäre. Da muss man ja in den USA – in Texas! – immer ein bisschen vorsichtig sein.

Bei nämlichem All-Star Weekend 96 sollte ein Planet-Hollywood-Café eingeweiht werden, mit einigen NBA-Spielern als Special Guests – es waren übrigens nicht immer nur die aktiven Spieler, die fürs All-Star-Spiel nominiert wurden, sondern auch Ehemalige. Wir hatten dafür eine Einladung. Aber vor dem Café stand eine riesige Schlange, ungefähr zweitausend Leute. Wenn wir uns da angestellt hätten, wären wir erst am nächsten Nachmittag reingekommen. Wir waren sauer, immerhin war angeblich Charles Barkley da drin. Aber zum Glück hatten wir ja Todd Kobrin. Der fand ­einen Weg – (den fand er eigentlich immer). Die Location lag direkt am Fluss und hatte einen Eingang von der Wasser­seite aus, wo Touristenboote anlegen konnten. So ein Boot organisierte Todd, sodass wir sozusagen auf dem Seeweg zum Ziel gelangten, gerade noch rechtzeitig, um mit Sam Cassell und Charles Barkley an der Bar ein Kaltgetränk zu uns zu nehmen. Das Leben war schön.

Und sollte es vorerst auch bleiben. Die Finalserie 1996 stand an. Es spielten die Chicago Bulls mit Michael Jordan, Scottie Pippen, Dennis Rodman und Co. gegen die Seattle SuperSonics – u. a. mit Detlef Schrempf, dem deutschen ­Superstar. Ja, was konnte es denn Besseres geben! Täglich, stündlich und minütlich lag ich meinem Programmdirektor in den Ohren, diese Serie live vor Ort zu übertragen. Wir wollten diese Finals unbedingt machen, wollten das Duell Detlef Schrempf gegen Michael Jordan ins Deutsche Fern­sehen bringen. Das war unser Traum.

Uns war doch völlig egal, ob das nach deutscher Zeit mitten in der Nacht war! Das interessierte uns nicht. Ganz schön egoistisch. Aber im Nachhinein zeigte sich, das ganze Schülerschaften von zwölf- bis achtzehnjährigen sich die Nächte um die Ohren schlugen, um diese Duelle zu sehen.

Aber der Reihe nach. Eigentlich hatten wir die Reise schon abgehakt, der Programmdirektor war aus Kostengründen dagegen: »Ne, das können wir nicht machen, das interessiert nicht genug Leute, also vergesst das mal mit eurer Reise in die USA«. Enttäuscht flog ich ab in den Sommer­urlaub, auf die griechische Insel Santorini. Enttäuscht ist kein Ausdruck: Die Halsschlagader war dick wie ein Gartenschlauch, weil ich nicht verstehen konnte, warum man für dieses sporthistorische Ereignis mit erstmals deutscher Beteiligung sowie der Ikone des Basketballs schlechthin nicht genügend Interesse aufbrachte.

Gerade hatte ich mich mit meinem Schicksal arrangiert, saß in einer Strandbar in Perissa auf dem schönen Santorini, als das Telefon klingelte. Es war der Programm­direktor des DSF persönlich. Jetzt wollte er doch! »Du musst nach Seattle, ihr fliegt rüber, wir machen ab Spiel drei die ­Serie weiter …« Die NBA Finals liefen nämlich schon, die ­ersten beiden ­Spiele in Chicago hatten wir verpasst. Aber Schwamm drüber. Natürlich brach ich meinen Urlaub ab – machte ich doch gerne! –, flog kurz nach Hause, Tasche packen, dann weiter Richtung Seattle.

Die Bulls waren haushoher Favorit und kamen mit einer satten 2:0-Führung nach Seattle. Ich fühlte mich wie ein Kind an Weihnachten, als ich am Spielfeldrand stand, neben all den US-Experten. Das war das Aller-, Allergrößte. Vor den Spielen stießen der Kommentatorenkollege Michael Körner und ich immer mit einem kleinen Budweiser an. Das wurde so unser Ritual. Uns war klar, dass wir das in der Form gemeinsam nicht wieder erleben würden.

Wir waren der festen Überzeugung, wir fliegen nach ­Seattle, die Bulls fahren zwei weitere Siege ein, dann ist das Thema erledigt. Der Modus ist ja Best of Seven. Bei vier gewonnenen Spielen ist man durch. Aber wunderbarerweise kam Seattle doch noch mal zurück. Die SuperSonics, angeführt von Gary Payton und Shawn Kemp, aber auch Detlef Schrempf spielte eine gute Rolle, gewannen zwei von drei Heimspielen. Das hatten wir nicht zu hoffen gewagt. Wir durften also nach Chicago zu Spiel 6! In das alte, sagen­umwobene Chicago Stadium der Bulls …

Wir hatten übrigens damals noch nicht die Möglichkeiten, uns so vorzubereiten, wie das heute der Fall ist, wo man alle Infos via Internet sofort abrufen kann. Man musste Gespräche führen, Leute aus dem Umfeld der Teams interviewen, zu den Trainings-Sessions gehen, musste versuchen, Informationsquellen aufzutun und irgendetwas mitzubekommen. Aber die Amerikaner bauten goldene Brücken. Man konnte durchaus mit den Jungs reden, vor und nach dem Spiel. Das war für deutsche Medien, für deutsche Zuschauer ein Weltwunder, nämlich nach den Spielen einen Blick in die Kabine der Spieler werfen zu dürfen, ein Interview mit Detlef Schrempf zu erleben, bei dem ihn nur ein Handtuch um die Lenden und über dem Tattoo auf seiner Schulter (weil er das nicht zeigen wollte) bedeckte. Die Bulls machten übrigens den Sack in Spiel 6 daheim zu. Nicht zuletzt dank Michael Jordan, der in der Saison und natürlich in den Finals ein ­überragendes Comeback feierte.

Wir spürten, da braute sich was zusammen. In Fach­kreisen kam ein kleiner Hype auf. Wir hatten bis zu 300 000 Zuschauer, die sich nachts von drei bis sechs NBA Finals, Schrempf gegen Jordan, anschauten. Eine traumhafte ­Quote! Der Programmdirektor des DSF konnte hinterher nicht sagen, es war eine Fehlentscheidung, die Jungs da rüber zu schicken.

Aus heutiger Sicht würde ich als Reporter vieles anders machen, zum Beispiel eine andere Frisur tragen. Aber nein, alles Quatsch, wahrscheinlich würde ich alles wieder genauso machen.

Als ich während der Finalserie in Seattle einmal für einen Beitrag morgens am Fischmarkt stand und mir links und rechts die Fische am Kopf vorbeiflogen, hatte ich mir keine großen Gedanken gemacht, ob das interessant sein könnte oder nicht. Das war Pionier-Arbeit im Fernsehen. Wir probierten einfach Dinge aus. Fliegende Fische um den Kopf des Moderators herumschwirrend, der die Sportart, die er liebte, nach Deutschland transportierte – ich glaube, man sah uns unsere Begeisterung an und schaute uns einfach ­gerne beim begeistert-sein zu.

Mittlerweile ist man nicht mehr allein, wenn man sich als Basketballfan outet. Sportler aus anderen Sparten sind plötzlich bekennende Basketballfans, Freddy Bobic und Matthias Hagner vom VfB Stuttgart, Bastian Schweinsteiger und Thomas Müller vom FC Bayern. 2000, als die Los Angeles Lakers gegen Indiana NBA-Champion wurden, hatten wir Hasan Salihamidzic als Co-Kommentator dabei. Er dachte, er sei in Hollywood. War ja auch nicht so weit entfernt. Erstaunlich, dass jemand, der das Championsleague-Finale gespielt hat, von dem, was er da erlebte, so geplättet war. Nach dem Spiel kam es vor dem Staples Center in Los Angeles zu Randale zwischen Polizeibeamten und Fans; der eine oder andere TV-Übertragungswagen wurde umgekippt. Wir harrten noch Stunden nach Spielende in der Halle aus, bevor wir unseren Mut zusammen- und Salihamidzic in unsere Mitte nahmen und uns stieren Blicks durch die Menge in Richtung ­Hotel Downtown Los Angeles wagten. Willkommen in Holly­wood … Es ist aber alles gut gegangen. Brazzo Salihamidzic und ich schmunzeln heute noch, wenn wir über diese Geschichte sprechen, aber damals hatten wir die Hosen ganz schön voll.

Am Ende kackt die Ente!

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