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Kapitel 2

Angefangen hatte alles mit einer Demo gegen Fahrpreiserhöhungen. Wie so oft war ich samstags lieber auf eine Demo gegangen als zur Schule. So richtig wichtig waren mir die Demos eigentlich nicht, aber sie fanden meistens samstags statt, wenn ich eigentlich Unterricht gehabt hätte. Und da wir davon befreit wurden, wenn wir schriftlich begründen konnten, warum wir zur Demo wollten, war ich fast jeden Samstag dabei. Die paar Sätze hatte ich schnell herunter geschrieben, und alles war besser als Schule. Außerdem war es für mich auch immer ein bisschen ein Abenteuer, wenn es zu Ausschreitungen mit der Polizei oder Skinheads kam. Das waren meine Räuber- und Gendarm-Spiele. So richtig ernst genommen habe ich das alles nicht. Auch wenn wir auf einer Demo eine Grüne Minna umwarfen oder mit Wasserwerfern zusammen getrieben wurden, war das für mich alles hauptsächlich Spaß.

Ich war 15 und wollte etwas erleben. Und so marschierte ich mit Frauke, meiner besten Freundin, und ein paar Freunden aus der Schule mitten zwischen den Linksautonomen. Wir riefen Parolen, sangen Protestlieder und hatten einfach nur Spaß. Der Frühling hatte gerade begonnen, es war einigermaßen warm, die Sonne schien. Da machte so ein Marsch durch die Innenstadt doch deutlich mehr Spaß als in der Schule zu sitzen.

Am Ende der Demo fand noch eine Kundgebung auf dem Kerstenplatz statt. Auch dort riefen wir unsere Parolen, die sich noch nicht einmal unbedingt gegen die geplante Fahrpreiserhöhung richteten. Hauptsache Protest. Wir sangen, ich knutschte ein bisschen mit Frauke, ein Joint ging herum. Es war ein richtig gelungener Tag. Am Ende der Kundgebung stieg eine Frau aufs Podium und sagte: "Ich wollte Euch noch sagen, dass ein paar von uns heute Nacht eine Villa in der Reichsgrafenstraße besetzt haben. Es wäre schön, wenn Ihr nach der Demo noch dahin fahren könntet. Vermutlich wird die Polizei versuchen, das Gebäude zu räumen. Je mehr Leute dort sein werden, desto besser."

Ich guckte Frauke an. Keine Frage, da waren wir natürlich dabei. Torsten und Kurt wollten auch noch mit. So stiegen wir vier in die Schwebebahn und fuhren nach Barmen. Natürlich bezahlten wir nicht, ebenso wenig wie die anderen Demonstranten, die mit uns einstiegen. Wir hatten ja gerade erst gegen die Fahrpreise protestiert und waren eh alle der Meinung, dass der ÖPNV kostenlos sein müsste. Dafür könnten dann die Bonzen mit ihren dicken Autos bezahlen. Unterwegs stiegen zwei Kontrolleure ein und fragten nach den Fahrkarten. Der erste von uns, der kontrolliert wurde und keinen Fahrschein hatte, sollte seinen Ausweis zeigen, doch dann rief schon der nächste Demonstrant, dass er keine Fahrkarte hätte. Sämtliche Demonstranten, die in der Bahn waren, umringten die Kontrolleure und riefen: "Ich habe nicht bezahlt." Erst versuchten die Kontrolleure noch, uns aus der Bahn zu werfen, doch dann bekamen sie Angst und stiegen selber an der nächsten Haltestelle aus. Wir lachten alle und jubelten über unseren kleinen Sieg.

Am Werth stiegen wir aus und liefen zu dem besetzten Haus. Es war schon von weitem zu erkennen, weil Laken aus den Fenstern hingen mit Sprüchen wie: Dieses Haus ist instand besetzt. Bei dem Haus handelte es sich um eine Gründerzeitvilla, die schon lange leer gestanden hatte. Die Villa hatte einen großen parkähnlichen Garten, der von einem kleinen Zaun mit Tor geschützt wurde. Das Tor war aufgebrochen worden, so dass wir einfach durch den Garten zum Eingang der Villa laufen konnten. In der Villa war es richtig gemütlich. In der Küche stand ein Riesen-Topf mit Nudeln auf dem Herd, in den Zimmern hatten die Leute überall Matratzen verteilt. Eine Stereoanlage hatte Lautsprecher in fast allen Räumen, aus denen die Ton Steine Scherben tönten.

Die Villa selber war wunderschön mit großen Zimmern und hohen Decken. An den Wänden und Decken waren Stuckverzierungen, alles war in Pastelltönen gestrichen. Aber es sah auch alles ein bisschen herunter gekommen aus. Eigentlich schade, dass so lange keiner hier gewohnt hatte. Das Haus hatte zu einer Brauerei gehört, die selber vor ein paar Jahren abgerissen worden war. Jetzt gab es Pläne, auf den Grundstücken neue Hochhäuser zu errichten. Aber das würden wir mit allen Kräften versuchen zu verhindern.

Die meisten Leute in der Villa waren deutlich älter als wir. Wir liefen durch die Zimmer, bis wir in einen großen Raum kamen, in dem ein paar Leute auf dem Boden saßen, die am ehesten unser Alter hatten. Wir setzten uns dazu.

Die ganze Zeit war so viel passiert, dass ich gar nicht zum Nachdenken gekommen war. Doch jetzt, wo ein bisschen Ruhe einkehrte, spürte ich auf einmal die ganze Aufregung und bekam auch langsam Angst. Eigentlich hatte ich ja längst zu Hause sein sollen. Und dann hatte die Frau auf der Kundgebung davon gesprochen, dass die Polizei das Haus räumen wollte. Den anderen ging es genauso. Wir fingen an darüber nachzudenken, was mit uns passieren würde, wenn die Polizei uns festnehmen würde. Die Älteren waren ja alle ganz cool gewesen, aber wir kriegten doch so richtig Angst und beschlossen, lieber nach Hause zu gehen.

Doch es war gar nicht mehr so einfach, aus dem Haus heraus zu kommen. Inzwischen hatte die Polizei das gesamte Grundstück umstellt und ließ niemand heraus oder hinein. Wir versuchten, hinten durch den Garten zum Zaun zu kommen. Doch gerade, als wir über den Zaun kletterten, wurden wir von zwei Polizisten angehalten. Zum Glück sahen wir alle noch ziemlich jung aus, deswegen sagte ich ganz dreist: "Wir sind erst 13 und unsere Eltern warten auf uns." Das war den Polizisten dann vermutlich zuviel Ärger, deswegen sagten sie nur zu uns: "Macht, dass Ihr nach Hause kommt, Ihr habt hier wirklich nichts zu suchen." Während wir weg liefen, hörten ich noch, wie der eine zum anderen sagte: "Wenn das mein Sohn wäre, dem würde ich ordentlich den Hintern versohlen."

Tja, meine Eltern waren zum Glück gegen körperliche Gewalt und gingen auch sonst ganz locker damit um, als ich ihnen von der Hausbesetzung erzählte. Ihr einziger Kommentar war, dass ich mich nicht erwischen lassen sollte.

Wo die ganze Aktion eigentlich ganz glimpflich verlaufen war, beschlossen Frauke und ich, am nächsten Tag zu dem Haus zurück zu kehren und zu gucken, ob es geräumt worden wäre.

Als wir dort ankamen, waren alle damit beschäftigt, eine Gartenparty vorzubereiten und wir kamen gerade richtig, um Tische und Essen nach draußen zu tragen. Das Wetter war immer noch besonders schön und warm, und wir saßen unter den Bäumen auf Decken oder im Gras, tranken billigen Rotwein und aßen Baguette dazu. Ein Mann spielte Gitarre und wir sangen alle deutsche Volkslieder mit unseren eigenen Texten, die sich hauptsächlich gegen den Staat und die Parteien richteten. Ein Joint ging herum und ich ließ ihn zum ersten Mal im Leben nicht vorbei gehen, sondern zog auch daran. Es war eine richtig schöne freundschaftliche Atmosphäre. Ich fühlte mich leicht und glücklich und genoss mein Leben.

Frauke lag bei mir im Arm. Zwischendurch küssten wir uns.

Verdamp lang her

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