Читать книгу Germania 1943 - Eine Fiktion - Frank Hille - Страница 7
Moskau, 1951
ОглавлениеGlücklicherweise war das Wetter nicht typisch für einen Moskauer Wintertag, an dem Schneeschwaden durch die Stadt zogen und Eiseskälte herrschte. Zur Freude des Mannes in der dunkelblauen Uniform strahlte der Himmel und so würde es auch möglich sein, die Formationen des neuesten Strahljägers gut beobachten zu können. Da der Mann die Routen der Landfahrzeuge zum Roten Platz jedes Jahr neu festlegte um möglichen Angreifern jegliche Zeit zur Vorbereitung eines Anschlags zu nehmen, musste er natürlich die Abmaße und Gewichte der Panzer und anderen Fahrzeuge kennen um eine geeignete Strecke auswählen zu können. So wusste er auch, dass bei der diesjährigen Parade ein gänzlich neuer Panzertyp gezeigt werden würde. Im ständigen Wechsel der Anfahrstrecke zum Paradeort sah er einen Garanten dafür, dass es für einen Gegner unmöglich wäre, sich in der dann schwer bewachten Sicherheitszone in Stellung zu bringen, zumal den sich in Gefechtsbereitschaft befindlichen Truppen erst um 4 Uhr früh bekanntgegeben wurde, wo sie Aufstellung zu nehmen hatten. Da zur Nachrichtenübermittlung und zum Empfang Kleinrechner zum Einsatz kamen und darauf kryptographische Programme für die Verschlüsselung sorgten war es ausgeschlossen, dass diese Informationen der Gegenseite bekannt worden. Gleiches galt für die Befehle an die Sicherungseinheiten. Diese Spezialtruppen bestanden aus Pionieren, Scharfschützen und in Zivil gekleidete Nahkämpfer. Die Pioniere würden binnen kürzester Frist sämtliche Zugänge zu den Sammelpunkten der Truppen wie Gully Deckel, U-Bahnzugänge und anderes verschweißen oder abriegeln, die Scharfschützen sich an genau festgelegten Positionen in Deckung legen und vor allem die Fenster der umliegenden Häuser beobachten. Da es unmöglich war, die gesamte Strecke der sich aufstellenden Bodentruppen zu sperren kam den Nahkämpfern die Aufgabe zu, sich unter die Bevölkerung zu mischen und nach verdächtigen Personen Ausschau zu halten. Der Mann war der Meinung, dass die Ausgangspositionen der Truppen damit ausreichend geschützt waren.
Was er nicht ändern konnte war die Tatsache, dass die Fahrzeuge und Truppen dann wie üblich über den Roten Platz paradieren würden. So gesehen lag der Schwerpunkt der Sicherheitsmaßnahmen eindeutig in diesem Bereich. Da dieser jedoch hermetisch abgeriegelt war und nur von ausgewählten Personen mit Zugangskarten betreten werden durfte sah er dort keinen Gefährdungsschwerpunkt. Dennoch wurden jedes Jahr alle denkbaren Vorkehrungen getroffen.
„Na, nervös“ hatte ihn der Oberkommandierende der östlichen Militärzone zur letzten Besprechung drei Tage vor der Parade gefragt.
„Ein wenig schon“ hatte der Mann geantwortet „es ist doch schon eine andere Situation, wenn der Generalissimus persönlich anwesend ist. Sie wissen doch auch, dass der Untergrund sich immer noch nicht mit den Verhältnissen abgefunden hat. Das, was der Generalissimus in den letzten Jahren veranlasst hat, haben viele dieser Leute heute immer noch nicht akzeptiert. Besonders sein Edikt aus dem vorigen Jahr dürfte dafür gesorgt haben, dass es zu noch mehr Ablehnung seiner Politik beim Untergrund gekommen ist. Auch wenn diese Leute nicht offen Widerstand wagen dürfen wir diese Gefahr keineswegs unterschätzen. Für mich steht fest, dass sich auch einige unentdeckt als Maulwürfe in unseren eigenen Reihen befinden. Wer weiß, was in den weit entfernten und von uns nur schwach kontrollierten Gebieten ganz im tiefen Osten noch so vor sich geht. Der Raum um unsere Militärbasen und Marinestützpunkte dort ist zwar gut abgedeckt, aber meinen Sie, dass man die gesamte Taiga nach Widerständlern durchforsten kann?“
„Aber mein Lieber“ war die Antwort gewesen „wo gibt es das denn nicht, dass es Widerstand gegen die Herrschenden gibt? Wir reden hier über einen riesigen von uns beherrschten Völkerraum. Glauben Sie, alle diese Leute sind auf unserer Linie?“
„Wohl kaum. Aber ich bezweifele, dass der Sicherheitsdienst in der Lage ist, diese enorme Menschenmenge so zu überwachen, dass unliebsame Überraschungen ausbleiben.“
„Da stimme ich Ihnen zu, aber wir sind mit der Einführung der Personenkarten schon ein ganzes Stück vorangekommen. Unsere eigenen Leute sind von dieser Maßnahme ausgenommen, aber ich halte das für einen riesigen Fehler, denn man kann nicht davon ausgehen, dass es in einem großen Millionenvolk keine schwarzen Schafe gibt. Aber der Generalissimus hat das ausdrücklich so festgelegt. Dennoch haben wir zumindest jetzt schon die Möglichkeit, eine Vielzahl von Daten auszuwerten. Wenn unsere Rechner noch schneller werden wird es bald die Möglichkeit geben, bestimmte Voraussagen treffen zu können. Glauben Sie mir, in wenigen Jahren wird es möglich sein Personenprofile anzulegen. Nicht umsonst müssen sich die Leute ja monatlich bei der Behörde melden und wenn sie sich eine Fahrkarte für Bus, Straßenbahn oder Eisenbahn, für ein Schiff oder ein Flugzeug kaufen, werden die Daten ihrer Personenkarte registriert. Erinnern Sie sich noch an den Anschlag in der Nähe von Warschau im vorigen Jahr, als ein Autobahnkontrollposten in die Luft gejagt wurde und kurz darauf noch einer? Damals haben unsere Ermittler mühevoll recherchieren müssen und sind lange im Dunklen getappt bis einer auf die Idee gekommen war, den Busverkehr über diese Strecke mit Polizisten in Zivil als vermeintliche Reisende im Fahrzeug beobachten zu lassen. Es war schon erstaunlich, was dann herauskam. Diese Kontrollposten haben ja angeschlossene Restaurants, da die Busse ja an bestimmten Orten gründlich auf Sprengstoff, Waffen, Rauschgift und andere Sachen untersucht werden müssen und die Leute können dort etwas essen und bis zur Weiterfahrt warten. Das dauert im Regelfall so um die 30 Minuten. Jedenfalls wurden zwei Verdächtigte identifiziert die angaben, über das Wochenende nach Gdansk zu Verwandten reisen zu wollen. Diese Männer hatten aber schon am Wochenende zuvor diese Strecke genommen. Wahrscheinlich waren sie dabei die Verhältnisse an den Kontrollposten zu erkunden, und als sie diese Tour das dritte Mal unternahmen hat man sie festgenommen. Bei beiden wurden in der Kleidung jeweils drei kleine Stangen Plastiksprengstoff und Zündkapseln mit Zeitzündern gefunden. Leider haben wir es seit Kriegsende noch nicht geschafft, überall ausreichende Sicherheitsvorkehrungen zu schaffen und so war es für die Terroristen ein Leichtes, den Sprengstoff in der Wartezeit am Kontrollposten anzubringen. Es war ganz einfach. Man verlässt das Restaurant und tut so, als wolle man sich die Beine vertreten oder eine Zigarette rauchen oder macht ein bisschen Gymnastik wegen dem langen Sitzen und bringt die Sprengladungen an. Das dauert eine Minute. Was will ich damit sagen? Wir brauchen dringend schnellere Rechner mit größerer Kapazität und dann werden wir diese mit den Bewegungsdaten der Leute füttern. So wird zu erkennen sein, wie sich die Personen bewegen, und wenn jemand beispielsweise sehr oft zum Beispiel von Moskau nach Paris ohne erkennbaren und plausiblen Grund reist wird ein bestimmtes Muster sichtbar. Die Sicherheitsdienste vor Ort werden informiert werden und dann die Observation übernehmen. Ja, ich weiß, wir werden es nie ganz verhindern können, dass in unserem gewaltigen Völkerraum Terroristen zuschlagen werden, aber wir werden es zukünftig noch mehr eindämmen können. Und wissen Sie was ich schon deutlich vor mir sehe? Wenn wir noch mehr Daten haben können wir Risikogruppen besser herausfiltern, also Leute, die schon einmal auffällig geworden sind. Aber ich wiederhole: wir sind auf einem guten Weg, denn im kommenden Monat wird unsere neue Fabrik für Kleinrechner in Minsk ihre Arbeit aufnehmen.“
Der Mann in der dunkelblauen Uniform dachte über diese Worte nach. Natürlich war abzusehen gewesen, dass es nicht gelingen würde, alle Menschen vom Kurs der Regierung zu überzeugen. Einige würden darunter sein, die sie mit allen Mitteln bekämpfen würden. Nicht offen, sondern verdeckt.
Und genau darin lag für ihn eine unkalkulierbare Gefahr.