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II. Anwendungsbereich 1. Persönlicher Anwendungsbereich a) Arbeitnehmer
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Gemäß §§ 1, 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG gilt das Gesetz grundsätzlich für alle Arbeitnehmer, die in Deutschland beschäftigt werden. Maßgeblich ist der generelle Arbeitnehmerbegriff.11 Die Dauer des Arbeitsverhältnisses, dessen Befristung oder Ausgestaltung als geringfügiges Beschäftigungsverhältnis nach § 8 SGB IV spielen für die Anwendbarkeit des MiLoG keine Rolle.12 Arbeitnehmerähnliche Selbstständige haben dagegen, soweit keine bloße Scheinselbstständigkeit besteht, keinen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns.13 Ebenfalls nicht erfasst werden sogenannte „1-Euro-Jobber“,14 Beamte, Soldaten, i.d.R. Heimarbeiter15 sowie nach § 136 Abs. 1 SGB IX Beschäftigte in einer Behindertenwerkstatt.16 Für Rentner, Studenten, Schüler und Hausfrauen gelten keine Besonderheiten.17 Entscheidungserhebliches Differenzierungskriterium ist stets die Statusfrage der Arbeitnehmereigenschaft.18
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§ 22 MiLoG schränkt den Mindestlohnanspruch für zahlreiche Personengruppen ein. Die dort verwendete Systematik ist uneinheitlich:19 Während in Absatz 1 der Anwendungsbereich positiv festgelegt wird, benennen die Absätze 2–4 Ausnahmen für bestimme Personengruppen, wobei die Regelungen des Absatzes 3 rein deklaratorischer Natur sind.
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Für Praktikanten statuiert das MiLoG in § 22 Abs. 1 ein Regel-Ausnahme-Schema.20 So gelten all diejenigen, die unter die Legaldefinition des Praktikumsverhältnisses in § 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG fallen, als mindestlohnberechtigte Arbeitnehmer. Mittels dieser Fiktion soll der in der Praxis nicht unübliche Missbrauch durch Scheinpraktika erschwert werden.21 Da Praktikanten als Arbeitnehmer anzusehen sind, muss für die Anwendbarkeit des Mindestlohngesetzes nicht untersucht werden, ob ein Praktikums- oder Arbeitsverhältnis vorliegt. Vielmehr entfällt die zunächst für alle Praktikanten bestehende Mindestlohnpflicht erst dann, wenn einer der vier in § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG enumerierten Ausnahmetatbestände eingreift. Zu diesen gehören Pflicht- und freiwillige Orientierungs- sowie berufs- oder hochschulbegleitende Praktika, genauso wie Einstiegsqualifizierungen oder Berufsbildungsvorbereitungen.22
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Minderjährige ohne abgeschlossene Berufsausbildung gelten nicht als Arbeitnehmer i.S.d. Mindestlohngesetzes, § 22 Abs. 2 MiLoG. Sie können bis auf die Sittenwidrigkeitsgrenze zurückfallen, die zumindest 2/3 des Mindestlohnstundensatzes zu betragen hat (s. Rn. 17).23 Der Gesetzgeber möchte mit dieser Ausnahme die nachhaltige Integration noch nicht volljähriger Personen in den Arbeitsmarkt fördern. Der Mindestlohn soll keinen falschen Anreiz setzen, auf die Absolvierung einer Berufsausbildung zu verzichten und stattdessen einer Tätigkeit nachzugehen, die bereits mit dem vollen Mindestlohnsatz vergütet wird.24 Ob Jugendliche hierdurch wirklich zur Aufnahme und Durchführung einer Berufsausbildung motiviert werden, ist empirisch nicht belegt.25 Dem Arbeitgeber jedenfalls ist anzuraten, den Mindestlohn dennoch auszuzahlen, da gravierende Bedenken bezüglich der Verfassungsmäßigkeit26 und Unionrechtskonformität27 der Regelung bestehen.
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Auch an zur Berufsausbildung Beschäftigte28 ist der Mindestlohn nicht zu entrichten, § 22 Abs. 3 MiLoG. Da diese bereits keine Arbeitnehmer sind, hat die Vorschrift nur klarstellenden Charakter. Sie gilt unabhängig vom Lebensalter29 und umfasst regelmäßig auch Ausbildungsverhältnisse im Rahmen eines dualen Studiengangs.30 Unter die Norm fallen dabei all diejenigen, die aufgrund eines privatrechtlichen Rechtsverhältnisses auf betrieblicher Ebene, bei bestehendem Weisungsrecht des Ausbildenden, Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt erhalten.31 Dazu gehören neben den Auszubildenden nach dem BBiG auch Anlernlinge und Umschüler.32 Personen, die unter den engeren Anwendungsbereich des BBiG fallen, ist nach § 17 Abs. 1 BBiG eine angemessene Vergütung zu gewähren, soweit nicht die Regelungen eines Tarifvertrages vorgehen. Die übrigen „Azubis“ schützt nur § 138 BGB (s. Rn. 16 ff.).
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Der Mindestlohn gilt nicht für ehrenamtliche Tätigkeiten, § 22 Abs. 3 MiLoG. Davon ist bei allen Dienstleistungen auszugehen, die nicht von der Erwartung einer adäquaten finanziellen Gegenleistung, sondern vom Willen, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, getragen werden.33 Auch diese Vorschrift ist eher klarstellender Natur, da durch die Ausübung (unentgeltlicher) ehrenamtlicher Tätigkeit grundsätzlich kein Arbeitsverhältnis begründet wird.34 Ihr können insbesondere Freiwilligendienste i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d EStG,35 aber auch freiwillige Helfer beim THW, beim BRK oder bei der Feuerwehr, die regelmäßig nicht mehr als eine Aufwandsentschädigung36 erhalten, unterfallen. Nicht abschließend geklärt ist die Behandlung von nicht professionellen Sportlern. Entscheidend ist hierbei, inwieweit ein, über das sich bereits aus der Vereinsmitgliedschaft ergebendes hinausgehendes, Weisungsrecht des Vereins besteht, sowie die Frage, ob der Sport an sich oder der Anreiz einer Vergütung im Vordergrund steht.37 Hilfreich erscheint auch die von den Sozialversicherungsträgern vorgenommene Differenzierung: Nach dieser liegt bei Vertragsamateuren, soweit eine Vergütung stattfindet, grundsätzlich ein Beschäftigungsverhältnis vor; bei Amateursportlern ist ein solches nur in den eher seltenen Fällen gegeben, in denen das monatliche Entgelt 200 EUR erreicht.38 Die undifferenzierte Ansicht des BMAS,39 das Vertragsamateure generell nicht dem MiLoG unterordnen will, ist dogmatisch schwer zu halten.
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Gegenüber Arbeitnehmern, die unmittelbar vor der Beschäftigung langzeitarbeitslos i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB III waren, besteht in den ersten sechs Monaten der Beschäftigung keine Pflicht zur Entrichtung des Mindestlohns, § 22 Abs. 4 Satz 1 MiLoG.40 Hierdurch soll diesen der Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtert werden.41 Als langzeitarbeitslos gelten diejenigen Personen, die seit mindestens einem Jahr nicht in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehen,42 §§ 16, 18 SGB III. Unmittelbarkeit erfordert, dass zwischen Langzeitarbeitslosigkeit und Arbeitsaufnahme keine zeitliche Lücke oder sonstige Beschäftigung stehen darf,43 die Arbeitslosigkeit also durch das Arbeitsverhältnis beendet werden muss. Eine Offenbarungspflicht des Bewerbers besteht nicht; der Arbeitgeber darf jedoch nach der Langzeitarbeitslosigkeit fragen.44 Die Lohnuntergrenze in den ersten sechs Monaten wird durch die Sittenwidrigkeit gezogen, sodass mindestens 2/3 des Mindestlohns zu zahlen sind (s. Rn. 16 ff.).45