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4. Sittenwidrige Lohnabreden

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Die Sittenwidrigkeitsrechtsprechung des BAG zu § 138 BGB bleibt neben dem Mindestlohngesetz weiterhin anwendbar.72 Der Mindestlohn bildet eine abstrakte, grundsätzlich nicht dispositive Lohnuntergrenze, während § 138 BGB auf das konkrete Missverhältnis von Entlohnung und Arbeitsleistung abstellt.

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Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, inwieweit eine unter dem gesetzlichen Mindestlohn liegende Vergütung sittenkonform ist. Das MiLoG selbst lässt in den §§ 22 und 24 Ausnahmen von der Mindestlohnpflicht zu, sodass der Gesetzgeber Entlohnungen unter der mindestlohnrechtlichen Grenze von gegenwärtig brutto 9,19 EUR nicht per se als rechtswidrig erachtet haben kann. Wendet man die üblichen Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 138 BGB73 an, liegt die regelmäßige Annahme einer Sittenwidrigkeitsgrenze im Niedriglohnsektor bei 2/3 des Mindestlohns nahe.74 Teile der Literatur stellen dagegen mit dem Argument des Würdeschutzes unter Bezugnahme auf § 24 Abs. 2 MiLoG auf eine höhere 75 %-Grenze ab.75 Andere fordern, unter Rückgriff auf das Berufsbildungsrecht, sogar die Etablierung einer 80 %-Schwelle.76 Wird die Sittenwidrigkeitsgrenze unterschritten, ist die Lohnabrede nach § 138 BGB unwirksam, mit der Folge, dass dem Arbeitnehmer gemäß § 612 BGB nicht nur der Mindestlohn, sondern die übliche Vergütung zusteht.77 Diese wird häufig über dem Mindestlohnniveau liegen und die Höhe des Tariflohns erreichen.

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Auch über dem gesetzlichen Mindestlohn liegende Entlohnungen können weiterhin sittenwidrig sein, soweit ein auffälliges Missverhältnis zwischen Vergütung und Arbeitsleistung vorliegt.78 Es gilt die Drittellösung der höchstrichterlichen Rechtsprechung,79 wobei außerhalb des Niedriglohnsektors nicht auf den Mindestlohn, sondern auf die in der jeweiligen Branche üblichen Löhne abzustellen ist. Diese entsprechen der tariflichen Vergütung, wenn mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer in einem bestimmten Wirtschaftsgebiet tarifgebunden sind oder die tarifgebundenen Arbeitgeber im Vergleichsgebiet mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer beschäftigen.80

11 Erfk-Preis, § 611 BGB Rn. 34 ff. 12 Lakies, § 1 MiLoG Rn. 2. 13 Viethen, NZA-Beil. 2014, 143, 144. 14 Diese sind als Teilnehmer an Maßnahmen der Arbeitsförderung keine Arbeitnehmer, vgl. § 16d Abs. 7 Satz 2 SGB II. 15 Jedoch besteht ein gewisser Schutz nach dem Heimarbeitsgesetz, vgl. §§ 4, 18 ff. HAG. 16 LAG Schleswig-Holstein 11.1.2016, 1 Sa 224/15, NZA-RR 2016, 291. 17 MASIG-Maschmann, 432 Rn. 9. 18 Zu Personen die in Behindertenwerkstätten beschäftigt sind: SJD, Rn. 86. 19 Bei derartig zahlreichen Ausnahmen von einem „allgemeinen“ Mindestlohn zu sprechen, entbehrt freilich nicht einer gewissen Ironie. Monierend diesbezüglich auch: Preis, in Ausschuss-Drs. 18(11)156, S. 81. 20 Zur Darlegungs- und Beweislast: Thüsing, § 22 MiLoG Rn. 8. 21 Vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 42. 22 Vertiefend: Lakies, § 22 MiLoG Rn. 33 ff.; Thüsing, § 22 MiLoG Rn. 19 ff. 23 Vgl. hierzu: Düwell/Schubert, § 22 MiLoG Rn. 50. 24 BT-Drs. 18/1558, S. 42. 25 Vgl. Pfeifer/Walden/Wenzelmann, BWP 2/2014, 48 ff. 26 Die Nichtgewährung des Mindestlohns an Jugendliche könnte einen Verstoß gegen Art. 3 GG darstellen. Siehe hierzu: Däubler, NJW 2014, 1924, 1925; SJD, Rn. 177; Thüsing, § 22 MiLoG Rn. 43; Ulber, ArbuR 2014, 404, 406; a.A. Barczak, RdA 2014, 290, 298. 27 In Betracht kommt eine mögliche Altersdiskriminierung nach Art. 6 Abs. 1 der RL 2000/78/EG vom 27.11.2000, ABl. 2000 L 303/16. Vertiefend: Brors, NZA 2014, 938, 941; ErfK-Franzen, § 22 MiLoG Rn. 5. 28 Vgl. zum Begriff: § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, § 2 Satz 1 BUrlG, § 5 Abs. 1 BetrVG. 29 SJD, Rn. 183. 30 ErfK-Franzen, § 22 MiLoG Rn. 3. 31 Vgl. BAG 24.9.2002, 5 AZB 12/02, MDR 2003, 156. 32 Vgl. ErfK.-Koch, § 5 ArbGG Rn. 3. 33 BT-Drs. 18/2010, S. 15. 34 BT-Drs. 18/1558, S. 43. 35 Vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 43. 36 Siehe dazu: § 3 Nr. 26 EStG. 37 Thüsing, § 22 MiLoG Rn. 48. 38 Vgl. Plagemann/Plagemann/Hesse, NJW 2015, 439, 444. 39 Siehe https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2015/zukunft-vertragsamateuregesichert.html (Stand: 31.1.2019). 40 Kritisch zu dieser Ausnahme: Düwell/Schubert, § 22 MiLoG Rn. 72, die treffend bemerken, dass die Norm einen Anreiz bietet, nicht länger als sechs Monate einzustellen („Drehtüreffekt“). Um dies zu vermeiden, müsse die Regelung als „arbeitsplatzbezogen“ angesehen werden. 41 BT-Drs. 18/1558, S. 43; dazu auch: Eichenhofer, ArbuR 2014, 450. 42 Es müssen alle Voraussetzungen des § 16 SGB III erfüllt sein. 43 Düwell/Schubert, § 22 MiLoG Rn. 66. 44 SJD, Rn. 198. 45 Vgl. MASIG-Maschmann, 432 Rn. 15; teilweise wird bereits eine Vergütung von weniger als 75 % bzw. 80 % des Mindestlohns als sittenwidrig erachtet, vgl. SJD, Rn. 155. 46 Forst, Zesar 2015, 205, 206; Hohnstein, NJW 2015, 1844, 1846; Sittard, NZA 2015, 78, 79; zum Spezialfall der 24-Stunden-Pflegekräfte in Privathaushalten siehe: Brors/Böning, NZA 2015, 846 ff. 47 Ausführlich hierzu: MASIG-Maschmann, 432 Rn. 7. 48 Pressemitteilung der EU-Kommission vom 19.5.2015: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5003_de.htm (Stand: 31.1.2019). 49 Presseerklärung des BMAS v. 30.1.2015: http://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2015/2015-01-30-interismloesung-ml-im-reinen-lkw-transitverkehr.html (Stand: 31.1.2019). Bereits jetzt existieren für Transitfahrten zahlreiche Erleichterungen hinsichtlich der in den §§ 16 ff. MiLoG geregelten Melde- und Dokumentationspflichten, vgl. § 1 MiLoMeldVO v. 26.11.2014, BGBl. I 2014, S. 1825 und § 1 MiLoAufzVO v. 26.11.2014, BGBl. I 2014, S. 1824. 50 Riechert/Nimmerjahn, § 20 MiLoG Rn. 17a; a.A. Thüsing, § 1 MiLoG Rn. 74, der für eine unionsrechtskonforme Reduktion der §§ 1, 20 MiLoG plädiert. 51 Thüsing, § 1 MiLoG Rn. 75. 52 Eine synoptische Darstellung hierzu findet sich bei Lakies, Einl. Rn. 125. 53 AEntG, BGBl. I 2009, S. 799. 54 AÜG, BGBl. I 1995, S. 158. 55 Siehe dazu: http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/mindestloehne-gesamtuebersicht.pdf?_blob=publicationFile&v=7 (Stand: 31.1.2019). 56 BGBl. I 1969, S. 1323. 57 ErfK-Franzen, § 1 MiLoG Rn. 21; Lembke, NZA 2015, 70, 72. 58 Kritisch dazu schon beim AEntG: Löwisch, RdA 2009, 215, 220 f.; Thüsing, ZfA 2008, 590 ff. 59 Der vergaberechtliche Mindestlohn beträgt gegenwärtig: 8,50 EUR in BaWü, Berlin, Brandenburg, Hamburg, MeckVorpom, Niedersachsen, Saarland; 8,70 EUR in Rheinland-Pfalz; 8,80 EUR in Bremen; 8,85 EUR in NRW; 9,18 EUR in Schleswig-Holstein. In Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen existiert kein landesspezifisch festgesetztes Mindestentgelt. Vertiefend: http://abst-mv.de/pdf/Mindestentgeltregelungen_2015-01-30.pdf (Stand: 31.1.2019). 60 Vgl. BVerfG 11.7.2006, 1 BvL 4/00, NJW 2007, 51, 52. 61 Die Norm regelt eine zeitlich begrenzte Tarifdispositivität der grundsätzlich verbindlichen Mindestlohnhöhe nach § 1 Abs. 2 MiLoG. 62 Der Wortlaut der Norm könnte zunächst dazu verleiten, auch nach § 5 TVG für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge als einschlägig anzusehen. Dies trifft jedoch nicht zu, da die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 TVG den nur für Deutschland geltenden Wirkbereich eines Tarifvertrages nicht erweitern kann, sodass Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, die im deutschen Inland keinen Betrieb haben, nicht erfasst werden. § 3 Satz 1 AEntG enthält die diesbezüglich erforderliche Erweiterung zu § 5 Abs. 4 TVG. Vertiefend: Düwell/Schubert, § 24 MiLoG, Rn. 8 mit einer Übersicht zu den AEntG-Übergangsmindestlöhnen in Rn. 17 ff. 63 BGBl. I 2016, S. 2530. 64 Art. 15 Abs. 2 Tarifautonomiestärkungsgesetz (BGBl. I 2014, S. 1348, 1360). 65 BT-Drs. 18/1558, S. 43. 66 Kritisch zu dieser Ausnahme: Düwell/Schubert, § 24 MiLoG Rn. 33 ff. Flankierend gilt die Mindestlohnaufzeichnungsverordnung (BGBl. I 2014, S. 1824), die Vereinfachungen der Aufzeichnungspflicht für mobile Tätigkeiten vorsieht, vgl. § 1 Abs. 1 MiLoAufzV. 67 Dieser beträgt für andere Arbeitnehmer als Zeitungszusteller ab dem 1.1.2017 grundsätzlich bereits brutto 8,84 EUR. 68 Art. 15 Abs. 2 Tarifautonomiestärkungsgesetz (BGBl. I 2014, S. 1348, 1360). 69 BT-Drs. 18/2010 (neu), S. 25. 70 Vgl. Sperling, ZUM 2015, 793, 794; Schweibert/Leßmann, DB 2014, 1866, 1868. 71 Bayreuther, NZA 2014, 865, 872; zu damit im Zusammenhang stehenden potenziellen Umgehungsstrategien des § 24 Abs. 2 MiLoG: Düwell/Schubert, § 24 MiLoG Rn. 73. 72 Erfk-Franzen, § 1 MiLoG Rn. 1; Bayreuther, NZA 2014, 865, 866; Forst/Degen, DB 2015, 863 ff.; vgl. auch BAG 18.11.2015, 5 AZR 814/14, NJW 2016, 2359. 73 BAG 22.4.2009, 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837. 74 Stets sind bei der Bestimmung des auffälligen Missverhältnisses die konkreten Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, vgl. BAG 22.4.2009, 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837, 838. 75 SJD, Rn. 155; kritisch dazu: Thüsing, § 138 BGB Rn. 12, der zu Recht moniert, dass es mit der Natur einer Ausnahmeregelung nur schwer vereinbar sei, sie in analoger Anwendung heranzuziehen. 76 Düwell/Schubert, Einl. Rn. 70. 77 Viethen, NZA-Beil. 2014, 143, 146; differenzierend: Forst/Degen, DB 2015, 863 ff. 78 Däubler, NJW 2014, 1924, 1927; siehe hierzu auch: MüKoBGB-Armbrüster, § 138 BGB Rn. 144 ff. 79 Vgl. BAG 22.4.2009, 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837. 80 BAG 22.4.2009, 5 AZR 436/08, NZA 2009, 837.

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