Читать книгу Krimi Jahresband 2020 - 11 Spannungsromane in einem Band! - Frank Rehfeld - Страница 43
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ОглавлениеDie Maschine landete pünktlich.
Bount hatte während des Flugs versucht, sich seinen Klienten vorzustellen. Als er James Stanley gegenüberstand, stellte er fest, dass seine Erwartungen von der Wirklichkeit nicht wesentlich abwichen. Der Rancher mochte ungefähr fünfundfünfzig Jahre alt sein. Sein Haar war schlohweiß, sein Gesicht von der Sonne gegerbt. Ein Paar tiefschwarze Augen musterten den Detektiv. In ihnen spiegelte sich Unruhe. Der Mann wirkte gebrechlich, doch als er mit ausgestreckter Hand auf Bount zuging, strafte er diesen Eindruck Lügen. Er bewegte sich sicher und zielstrebig. Als Geschäftspartner war er bestimmt nicht zu unterschätzen.
„Ich bin so froh, Mister Reiniger“, sagte er zur Begrüßung, „dass Sie gekommen sind. Sie glauben gar nicht, was in der Zwischenzeit alles passiert ist. Ich fürchte, ich werde noch verrückt.“
„Wieder ein Mordanschlag?“, fragte Bount.
Der Rancher schüttelte den Kopf.
„Das nicht. Dafür habe ich das Haus voller Leute, die ich überhaupt nicht kenne. Es ist sogar eine Miss Taylor darunter, die mich beerben will. Sie behauptet, ich sei ein Vetter ihres verstorbenen Vaters. Außerdem konnte sie ein notarielles Schreiben vorweisen, aus dem hervorgeht, dass ich unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen bin. Ist das nicht beängstigend? Irgendjemand tut so, als wäre ich bereits tot. Auch ein Geistlicher wurde bestellt. Und ein Arzt für den Totenschein. Von den anderen Leuten will ich gar nicht erst reden. Keiner von denen ist mir bekannt.“
„Nun gut“, meinte Bount. „Der Irrtum ist aufgeklärt. Sie leben zum Glück noch. Also haben Ihre ungebetenen Gäste keinen Grund, länger zu bleiben.“
Der Rancher lachte freudlos.
„Wenn das so einfach wäre. Diese Geier wittern Geld. Der Verdacht wurde laut, dass ich gar nicht der richtige James Stanley bin und nur dessen Rolle spiele, um mich in den Besitz seiner Ranch zu bringen.“
„Was aber nicht stimmt.“
„Na, hören Sie! Ich kann Ihnen meine ganze Lebensgeschichte erzählen. Meine Nachbarn kennen mich und können meine Identität bestätigen. Außerdem besitze ich eindeutige Dokumente. Ich glaube aber nicht, dass diese Beweisführung erforderlich ist. Diese Menschen wissen sehr genau, dass ich nicht geschickt genug wäre, die Rolle eines Schwindlers und Betrügers zu spielen. Einer von ihnen ist hergekommen, mich umzubringen. Davon bin ich mehr denn je überzeugt.“
Bount wischte sich mit einem Tuch den Schweiß aus dem Nacken. Die Mittagshitze New Mexicos machte ihm zu schaffen.
„Keine Sorge, Mister Reiniger“, tröstete James Stanley. „Wir bleiben nicht in dieser fürchterlichen Gegend. Ich habe nur aus Sicherheitsgründen diesen neutralen Treffpunkt gewählt. Niemand sollte wissen, dass Sie kommen. Sonst hätte der Killer wahrscheinlich sein Vorhaben sofort in die Tat umgesetzt. Wir fliegen in zwanzig Minuten weiter. Kommen Sie!“
James Stanley war während des folgenden Fluges nervös und machte Bount immer wieder auf einen der Mitreisenden aufmerksam, von dem er sich beobachtet fühlte.
Bount war wachsam. Er fand die Verdachtsmomente aber nicht bestätigt. Er war schon auf die seltsamen Gäste des Ranchers gespannt. Mehr und mehr setzte sich nämlich bei ihm die Vermutung durch, dass Stanley lediglich an einer Art Verfolgungswahn litt.
Der Flug führte sie nach Norden. Sie landeten in Rapid City im Staate South Dakota.
Stanleys Chevrolet wartete auf dem Parkplatz. Sie fuhren in nordöstlicher Richtung, durchquerten fruchtbares Weideland und kamen an eindrucksvollen Rinderherden vorbei. Die Höhen der Black Hill Mountains ließen sie hinter sich. Die Gegend wurde immer einsamer. Schließlich begegnete ihnen kaum noch ein anderes Fahrzeug.
„Verstehen Sie nun, warum ich verkaufe?“, fragte James Stanley. „Ich werde älter und besitze keine Verwandten, die sich um mich kümmern könnten. Ich muss unter Menschen. Vielleicht werde ich nach Kalifornien gehen.“
„Und diese Tochter Ihres Vetters?“, meinte Bount.
Der Rancher wurde zornig.
„Alles Schwindel! Ich habe nie einen Vetter gehabt. Und es existiert auch kein Testament zugunsten dieses Mädchens. Sie ist eine raffinierte Betrügerin.“
Sie trafen am frühen Abend auf der Ranch ein. Gegenüber dem Trubel von Manhattan hatte Bount den Eindruck, sich hier in einem Sanatorium zu befinden. Nicht ein einziger Mensch war zu sehen. Niemand erschien, um den Hausherrn zu begrüßen.
„Ich habe bereits das ganze Personal entlassen“, erklärte Stanley. „Lediglich eine Haushälterin versorgt noch das Haus. Und dann ist da noch Jim für die gröberen anfallenden Arbeiten. Der Käufer meiner Herden hat auch die Cowboys übernommen. Ich brauche sie ja nicht mehr.“
„Als Schutz wären sie jetzt durchaus von Nutzen gewesen“, fand Bount.
„Ja, ja, da haben Sie recht. Aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt doch nicht ahnen. Kommen Sie ins Haus! Ich stelle Sie meinen nicht eingeladenen Gästen vor.“
Sie waren übereingekommen, dass Bount als Kaufinteressent für die Ranch auftreten sollte. Dadurch erhielt er gleichzeitig ein Motiv, sich überall genau umsehen zu können.
Die Vorstellung klappte nicht so recht. Fast alle Gäste hatten sich in ihre Zimmer zurückgezogen oder durchstreiften das Gelände außerhalb der Ranchgebäude. Lediglich Reverend Pool, ein Mann von mindestens sechzig Jahren, tauchte auf und strahlte, als sähe er in Bount einen alten Freund.
„Sie wollen also dieses Stück von Gottes Erde kaufen, junger Mann? Daran tun Sie recht. Ich hoffe nur, dass Sie sich nicht mit der Absicht tragen, hier ein Ferienzentrum mit hässlichen Betonklötzen zu errichten. Dieses Land darf nicht vergewaltigt werden.“
„Da kann ich Sie beruhigen, Reverend“, sagte Bount. „Ich werde hier nichts verändern, falls ich mich zum Kauf entschließe.“
Pool war erleichtert. Zumindest gab er sich den Anschein.
Bount wechselte noch ein paar belanglose Worte mit dem Geistlichen und erfuhr, dass dieser aus Illinois stammte. Ein Eilbrief hatte ihn an das Sterbelager James Stanleys nach Springfield gebeten. Dort war er von Jim in Empfang genommen worden, der den Auftrag hatte, ihn hierher zur Ranch zu bringen.
„Von mir hatte er diesen Auftrag nicht“, sagte der Rancher, als er Bount sein Zimmer zeigte. „Jim ist zwar ein ausgezeichneter Arbeiter, aber ein bisschen schwer von Begriff. Es ist mir noch nicht gelungen, von ihm herauszubekommen, auf wessen Wunsch er nach Springfield gefahren ist.“
„Ich unterhalte mich leidenschaftlich gerne mit Menschen, die schwer von Begriff sind“, behauptete Bount. „Wo finde ich denn diesen Jim?“
„Wahrscheinlich hackt er drüben bei den Schuppen Holz“, vermutete Stanley. „Geben Sie Acht! Leuten gegenüber, die er nicht kennt, ist er manchmal misstrauisch und ziemlich aggressiv.“
Bount verließ das Wohnhaus und wandte sich den Schuppen zu. Er brauchte nicht lange zu suchen, denn das Krachen der Holzscheite wies ihm den Weg.
Jim erwies sich als riesiger Neger, der die Axt schwang, als handelte es sich um ein Plastikspielzeug. Sein Oberkörper war nackt. Dicke Muskelstränge bedeckten Brust und Rücken. Seine bizepsbepackten Arme hätten jeden Bodybuilder vor Neid erblassen lassen.
Als Bount sich ihm näherte, hob er nur flüchtig seinen braunen Wollkopf und zeigte zwei Reihen blitzend weißer Zähne. Dann wandte er sich gleich wieder seiner Arbeit zu und spaltete mit kräftigem Hieb einen Kloben, der in zwei Hälften davonprellte und um ein Haar Bount gegen die Kniescheibe donnerte.
Bount versuchte sein Glück mit geschickten Fragen, doch der Schwarze beachtete ihn überhaupt nicht. Mit wahrer Verbissenheit schlug er auf das Holz ein. Seine Kraft war beängstigend. Bount hatte keine Angst, und er nahm sich auch vor, aus Jim die Wahrheit herauszuholen, sobald dieser die Axt beiseite legte. Im Moment interessierte ihn aber etwas ganz anderes.
Er hatte einen Mann ins Haus gehen sehen, den er zu kennen glaubte. Mit ihm verbanden sich jedoch keine sehr erfreulichen Erinnerungen. Es handelte sich um Strother Lynch, einen Halunken, dem Bount ein paar Monate Gefängnis verschafft hatte.
Strother Lynch hatte den Privatdetektiv seither so ins Herz geschlossen, dass er geschworen hatte, ihn umzubringen, falls es der Zufall wollte, dass sie sich jemals wieder trafen. Dieser Zufall war nun eingetreten.
Strother Lynch verschwand rasch im Haus und suchte sein Zimmer auf. Er verschloss hinter sich die Tür und trat ans Fenster.
Tatsächlich! Er hatte sich also nicht getäuscht. Dieser Kerl, der da drüben bei dem Schwarzen stand, war kein anderer als Bount Reiniger, der Schnüffler. Der Mann mit den gelblichen Haaren und den katzenhaften Bewegungen verbarg sich hinter dem Vorhang. Er ballte seine Hände.
Was hatte dieser Schuft hier verloren? Suchte er ihn schon wieder? Wollte er ihm wieder etwas anhängen, wofür er büßen sollte?
Strother Lynch hatte gelernt, die amerikanischen Gefängnisse zu hassen. Er hasste jeden, der ihn wieder hineinbringen wollte. Reiniger würde das nicht schaffen. Diesmal nicht. Dafür würde er schon sorgen.
Er sah, wie der Detektiv das Haus betrat. Suchend blickte er sich im Zimmer um. Wenn der Bursche bei ihm aufkreuzte, sollte er sein blaues Wunder erleben. Er war jünger als Reiniger und deshalb vermutlich auch schneller.
Als es an der Tür klopfte, zuckte er zusammen, obwohl er damit gerechnet hatte.
„Verschwinden Sie!“, schrie er. „Gehen Sie mir aus dem Weg! Einen besseren Rat kann ich Ihnen nicht geben.“
Er ergriff einen Stuhl und stellte sich damit neben die Tür. Sobald Reiniger gewaltsam eindrang, sollte er erleben, wie gut es tat, wenn man ein aus Büffelhörnern gefertigtes Sitzmöbel über den Schädel gezogen bekam.
Es wurde ungeduldig an der Tür gerüttelt.
„So machen Sie doch auf, Mister Lynch. Ich habe Ihnen doch nichts getan. Ich suche Mister Stanley. Ist er bei Ihnen?“
„Der Teufel soll Sie holen, Reiniger. Machen Sie, dass Sie wegkommen! Oder Sie bereuen es.“
„Sorry! Sie haben meinen Namen nicht richtig behalten. Ich heiße nicht Reiniger, sondern Caan. Ich bin der Doc. Erinnern Sie sich denn nicht?“
Strother Lynch ließ grinsend den schweren Stuhl sinken. Doc Caan! Das war natürlich etwas anderes. Gegen den für seine Begriffe leicht vertrottelten Mediziner hatte er nichts.
Er drehte den Schlüssel herum und öffnete die Tür. Es war tatsächlich der Arzt. Seine Miene drückte Ratlosigkeit aus, als er sich erkundigte: „Warum schließen Sie sich denn ein, Mister Lynch? Glauben Sie etwa auch an diesen angeblichen Killer, den uns Mister Stanley einreden möchte?“
Lynchs Augen wurden eng.
„Warum sehen Sie mich denn dabei so merkwürdig an?“, fauchte er. „Ich bin kein Mörder.“
Doc Caan hob beschwichtigend die Hand.
„Sie sind mir keine Rechenschaft schuldig. Wenn mir auch, mit Verlaub gesagt, der Grund Ihrer Anwesenheit auf dieser Ranch sehr fragwürdig erscheint. Aber das ist nicht meine Angelegenheit. Solange Mister Stanley Sie duldet, wird es schon seine Richtigkeit haben.“
Die Augen des Jüngeren blitzten böse, als er konterte: „Und Sie? Können Sie mir vielleicht einen vernünftigen Grund nennen, warum Sie noch immer hier sind? Mister Stanley braucht keinen Totenschein. Warum reisen Sie nicht endlich wieder ab?“
Der Arzt verzog gekränkt sein Gesicht.
„Soll ich etwa laufen? Was glauben Sie, warum ich den Rancher suche? Ich will von ihm verlangen, dass er mich zum Flughafen bringen lässt.“
„Dann lassen Sie sich nicht aufhalten. Meistens hält er sich neben dem Kamin auf, obwohl darin gar kein Feuer brennt.“
Der Doc bedankte sich für den Tipp und wollte sich zurückziehen. Strother Lynch hielt ihn am Arm fest.
„Wissen Sie, was der Detektiv aus New York hier will?“
Doc Caan nahm seine randlose Brille ab und putzte sie umständlich. Danach setzte er sie wieder auf die Nase und meinte: „Detektiv? Ich habe keine Ahnung. Ist ein Detektiv eingetroffen?“
„Er heißt Reiniger. Ich kenne ihn flüchtig. Ich meine, ich habe schon von ihm gehört. Was sucht er hier?“
„Vermutlich Stanleys Mörder.“
„Blödsinn!“
Der Doc warf Lynch einen zweifelnden Blick zu, als ob dieser nicht ganz richtig im Kopf wäre. Dann entfernte er sich.
Strother Lynch trat noch einmal ans Fenster, aber Reiniger war nicht mehr zu sehen. Auch Jim hatte die Axt beiseite gelegt und war verschwunden.
Lynch kratzte sich unschlüssig am Kopf. Dann verließ auch er das Zimmer.