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Modernes und altes Wushu

Eine Geschichte des Niedergangs

Das wushu erfreut sich heute einer so großen Popularität wie nie zuvor. Das gilt auch für China. Paradoxerweise schrumpfen gleichzeitig die Zuschauerzahlen bei den Wushu-Wettkämpfen. Mittlerweile sind dabei mehr Sportler als Zuschauer anwesend. Selbst das chinesische Volk lehnt das moderne wushu großenteils ab. Das war früher undenkbar. Einst drängten sich die Leute in den Hallen auf den Zuschauerplätzen, nur um einen Meister des wushu bei der Ausübung seiner Techniken zu sehen. In den 50er und 60er Jahren waren die Veranstaltungen ausverkauft, wenn dort alte chinesische Meister ihre Fähigkeiten demonstrierten. Die Frage ist, wie lange es noch Menschen geben wird, die den Unterschied erkennen und die Qualität einer echten Kunst zu würdigen wissen.

Ich möchte hier noch ein wenig auf den Verfall des wushu eingehen. Schleichende Veränderungen sind in der Regel schwer wahrnehmbar. Aber wenn man mitten im Geschehen steht, das Neue und das Alte kennengelernt hat und dann die letzten Jahre in einem gedanklichen Zeitraffer vorüberfliegen lässt, dann wird dieser Verfall sehr greifbar.

Während meiner Zeit in China konnte ich mit einigen der besten Sportler trainieren, alles Profis im wushu und im sanda. Das nanquan (Südfaust), das ich dort übte, ist im heutigen wushu das Beste. Üblicherweise ging das so vor sich: Ich zog durch die Straßen von Wuhan und trainierte früh bei Meister Tian Chuanqing (田传青) traditionelles zuibaxian (Boxen der acht betrunkenen Unsterblichen). Danach erhielt ich bei Meister Li die nächste Lektion. Im staatlichen Wushu-Verband folgte eine weitere Runde und abends, hinterm Restaurant, noch eine Einheit. So lernte ich gleichzeitig das Alte und das Neue kennen.

Ich will den Unterschied zwischen der heutigen Ausführung der Techniken und dem ursprünglichen Sinn des wushu anhand des Beispiels der Bewegungsfolge xuan feng jiao (旋风脚) darstellen. Das ist ein Drehsprung in der Luft. Die ursprüngliche Technik ist, wenn man sie beherrscht, ohne Frage kampftauglich. Meister Chen Chongxi (陈重昔) erklärte die eigentliche Bedeutung und Anwendung sehr gut: »Als Vorbereitung schlägt man zwei schnelle Handkanten, während man in den Gegner hineingeht. Dann sinkt man in eine leichte Hocke und springt mit einer Drehung den Gegner an. Dabei versucht man, ihn am Hinterkopf zu treffen, was tödlich sein kann. Bei größerem Abstand trifft man mit dem Fuß, bei enger Distanz trifft man mit dem Knie. Ein kleinerer Kämpfer kann diese Technik an einem größeren Gegner einsetzen.«

Im heutigen wushu sieht diese Technik dagegen etwa so aus: Man läuft ohne irgendwelche Vorbereitung mit vier Schritten an, springt ab, dreht sich möglichst zweimal in der Luft und landet in einem theatralischen Stand. Ohne zu wackeln, versteht sich, sonst gibt es Punktabzug. Jeder Gegner würde sich über einen derartig leichtsinnigen Angriff freuen. Während man bei der klassischen Variante das eine Knie eng an den Körper zieht, um eine dynamische Kraft aufzubauen – worauf es nun einmal ankommt –, springt man bei der modernen Version ohne Eigenschutz wie ein Eiskunstläufer in die Höhe. Dieser Vergleich ist durchaus angebracht, da man in beiden Fällen ein ähnliches Ziel hat: Ästhetik. Der Kraftaufbau und die Kraftübertragung, der Sinn der Technik und deren Nutzen werden beim »neuen« wushu vollkommen ignoriert. Speziell bei dieser Technik geht es nur noch um den Sprung. Die Techniken zwischendurch sind erfundene Verzierungen.

Auch in anderen Kampfkünsten wurden Technik verändert, weil man meinte, man müsse sie der modernen Zeit anpassen. Im Karate gibt es beispielsweise die Technik age uke (jpn. 上げ受け), einen Block, der das Gesicht abdecken soll. Heute wird diese Technik weit weg vom Kopf ausgeführt (Foto 4). Warum? Das weiß keiner so genau. Tatsache ist, dass die analoge Technik in ziemlich vielen chinesischen Kampfkünsten enthalten ist, so z. B. im baji (八極拳), im tanglang und im tongbei (通背拳). Hier wird die Technik jedoch eng und knapp am Kopf ausgeführt und die Bewegung wird nicht so langgezogen. Gegnerische Attacken zum Kopf können so kurz und knapp abgewehrt werden (Fotos 5 bis 8).


Foto 4: So wird der age uke heute auf stereotype Weise in vielen Stilen des Karate oder des wushu trainiert.


Foto 5


Foto 6

Fotos 5 und 6: Tatsächlich lässt man den gegnerischen Angriff abgleiten. Die Technik funktioniert wie ein Keil, den man in den Angriff hineinsetzt und an dem man die Kraft ableitet.

Wu

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