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Fliegen per Anhalter oder der Freak vom Bahnhof Zoo

Hohe Sicherheitsstandards im Luftverkehr sind wichtig und wenn man es damit nicht übertreibt, die Grundlage dafür, dass das Fliegen heute nicht nur eine günstige und schnelle, sondern auch eine sorglose Fortbewegungsmethode ist. Daher ist es zwar schade, aber muss zu verschmerzen sein, dass alle Abläufe an Bord und an Flughäfen inzwischen so stark strukturiert und kanalisiert sind, dass viele Kleinigkeiten, die früher die Faszination des Fliegens und des „Umfelds Flughafen“ ausgemacht haben, inzwischen leider abhanden gekommen sind. Erinnere man sich nur daran, dass es früher auf Urlaubsflügen das Normalste der Welt war, dass die Kinder während des Fluges einmal ins Cockpit gucken durften. Ich weiß von Pilotenkarrieren, die in der kindlichen Begeisterung für solche Momente ihren Ursprung hatten. Auch beobachtete ich damals so manchen Vater, der den vermeintlichen Wunsch seines Sohns nach einem Cockpitbesuch mit so viel Überzeugung vertrat, dass es eher der Papa als der vorgeschobene Sohn war, der gern einmal ins Cockpit gucken wollte: „Mein Sohn möchte unbedingt mal ins Cockpit gucken. Es wäre ganz große Klasse, wenn Sie das irgendwie möglich machen könnten“, hörte ich einmal einen Vater zur Stewardess sagen, als er während des Fluges nach vorn zur Flugzeugtür gegangen war. Noch bevor die Flugbegleiterin antworten konnte, sagte der Kleine aber: „Papa, ich hab dir doch gesagt, dass mir das egal ist. Können wir bitte wieder nach hinten zu Mama gehen?“ Leider sind Cockpitbesuche während des Fluges heute aus Sicherheitsgründen passé. Zu Zeiten, als ich damit begann, meiner Flieger- und Reisebegeisterung nachzugehen, waren die Dinge aber zum Glück noch viel entspannter. Der berühmte einohrige Rennfahrer Niki Lauda hat im Laufe der Zeit mehrere Fluggesellschaften gegründet und geführt. Als er mit seiner damaligen Fluggesellschaft Lauda Air die Langstreckenmaschine Boeing 777 als neues Flaggschiff in die Flotte aufnahm, präsentierte er sein Schmuckstück zunächst auf einer kleinen Europatournee. Dabei steuerte er sein Prestigeobjekt höchst persönlich als Flugkapitän, und wie der Zufall es so wollte, hatte ich an dem Vormittag, an dem die neue Maschine landen sollte, natürlich etwas dringendes Dienstliches auf dem Vorfeld des Flughafens zu erledigen. Und wo ich schon mal dort war, konnte ich mir ja auch gleich das neue Flugzeug von innen und außen genau ansehen. Als mich dann eine der Flugbegleiterinnen einlud, doch einfach an Bord zu bleiben und das Flugzeug auf dem Rückweg nach Wien live zu erleben, dachte ich zunächst, dass ich mich verhört hätte. Phantastisch, dass eine derart flexible und freundliche Geste damals noch möglich gewesen war. Leicht kann man sich meinen Seelenschmerz vorstellen, den ich durchmachte, weil ich dieses großzügige Angebot aufgrund von Zeitzwängen leider ablehnen musste. Andererseits merkte ich bei dieser Gelegenheit natürlich, dass es offenbar noch mehr Möglichkeiten für besondere Luftfahrterlebnisse geben könnte, als ich bislang gedacht hatte.

Ein paar Monate später befand ich mich wiederum mit einem Fahrzeug auf dem Vorfeld des Flughafens. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich dabei eine ganze Weile eine wunderschöne klassische Maschine vom Typ Boeing 727-100F, welche gerade in der Abenddämmerung für ihren nächtlichen Einsatz als Paketflieger vorbereitet wurde. Dieses in den 1960er Jahren gebaute Schmuckstück gab es weltweit nur noch in wenigen Exemplaren im Einsatz und ließ mein Fliegerherz höher schlagen. Spontan erinnerte ich mich an die unverhoffte Mitfluggelegenheit bei Niki Lauda. Da fasste ich mir ein Herz und fuhr hinüber zu der alten Boeing. Meine Kameratasche hatte ich als Standardausrüstung sowieso immer dabei, so dass ich hoffte, wenigstens ein paar gute Bilder machen zu können. Ich stellte mein Fahrzeug ab, stieg die Drahttreppe empor und marschierte schnurstracks ins Cockpit, wo die Piloten bereits mit ihren Flugvorbereitungen befasst waren. Alsbald nutzte ich eine kleine Gesprächspause, um mich kurz vorzustellen. Dabei outete ich mich als Flugzeugliebhaber und setzte einfach alles auf eine Karte, indem ich fragte, ob ich nicht gleich mitfliegen dürfe. Die Antwort des Kapitäns war knapp und überraschend: „Kannst du, wenn du innerhalb der nächsten 15 Minuten deine Karre aus dem Weg fährst. Solange die nämlich im Weg steht, fliegen wir nirgendwo hin.“ WHOW! So saß ich 15 Minuten später plötzlich im Cockpit dieses Klassikers und rollte durch die inzwischen angebrochene Nacht zur Startbahn. Nach Berlin-Schönefeld, weiter nach Brüssel und dann wieder zurück zum Ausgangsort mit Landung am frühen nächsten Morgen sollte es gehen. Ich genoss jede Sekunde des kurzen Fluges nach Berlin. Jedes Geräusch, das Kreischen der Triebwerke, das Blinken der uralten Cockpitinstrumente, es war einfach die Erfüllung meiner Träume. Und es war auch gut, dass ich jede Sekunde dieses kurzen ersten Streckenabschnitts genoss, denn es sollte unerwartet der letzte bleiben: „Sorry, Flugplanänderung“, sagte der Kapitän. Er fuhr fort: „Unsere Crew fliegt ab Brüssel weiter nach Porto und dort bleiben wir dann im Hotel. Ich kann dich an die neue Crew übergeben, die dieses Flugzeug wieder nach Hause fliegt, aber ich habe keine Ahnung, ob die dich mitnehmen.“ Ohne Reisepass und Geld mitten in einer Arbeitswoche in Brüssel stranden? Diese Idee erschien mir nicht so günstig, da war wohl das mitternächtliche Berlin das geringere Übel. Ein Flughafenmitarbeiter war so nett, mich vom dortigen Frachtgelände des Flughafens zu schmuggeln, was sich überraschend aufwändig und schwierig gestaltete. Ich musste den Beifahrersitz ganz flach machen und mich darauf unter einer Decke verstecken. Beim Durchfahren der Flughafenschranke bemerkte mich der Wachmann dennoch im letzten Moment, aber der Fahrer gab einfach Gas und weg waren wir. Nachdem wir das geschafft hatten, setzte er mich nach einer Stunde Fahrt am Bahnhof Zoo ab und dort stand ich nun: Nachts um zwei, allein mit meiner Kameratasche und voll bester Eindrücke. Allerdings fuhren zu dieser Stunde keine Züge und wenn in der Entfernung mal ein Mensch vorbei schlich, handelte es sich nicht um die Sorte, mit der man unbedingt ein Pläuschchen anfangen wollte. Der zielstrebige Marsch in Richtung Bahnhofsmission zur Überbrückung der Wartezeit bis zur Abfahrt des ersten Zuges nach Hause erschien mir als die konsequente Lösung. Ich hatte zwar nicht den Eindruck, dass die dort diensthabenden Zivis mir die Geschichte meiner Anreise wirklich glaubten, aber jedenfalls verlebten wir einige unterhaltsame Stunden mit starkem Kaffee, bis ich schließlich in den ersten Zug nach Hause stieg und mich vom dortigen Hauptbahnhof wieder direkt ins Büro begeben konnte. In diesem Fall hatte ich mit meiner Spontaneität sicherlich auch ein gewisses Risiko einkalkuliert, dass die Reise einen anderen Verlauf als den geplanten nimmt.

Einen weiteren Flug in einem Frachtflugzeug durfte ich viele Jahre später genießen. Diesmal ging es sogar in einem Frachtjumbo auf Reisen, einer Boeing 747-400F. Vor dem Flug von Frankfurt nach Peking traf ich die freundliche Crew in deren Hotel und von dort aus ging es mit lediglich einer kurzen Unterbrechung für einen Sicherheitscheck direkt weiter zum Flieger. Keine nervigen Warteräume, kein Herumstehen im Passagierbus – so einfach kann die Welt sein. Über eine klapprige Drahttreppe kletterten wir hinauf in den Flieger, dessen gesamtes Hauptdeck bereits mit riesigen Frachtcontainern gefüllt war. Über eine weitere Klappertreppe im Inneren des Flugzeugs gelangte man ins Oberdeck. Dort angekommen, erwartete mich eine mit Business Class Sesseln voll ausgestattete Passagierkabine und so nahm ich dort als einziger Fluggast an Bord eines riesigen Jumbos Platz. Der chinesische Kopilot war sichtlich erheitert, als er vor dem Start aus dem Cockpit zu mir kam, um mir die ansonsten von Flugbegleitern durchgeführte Sicherheitsdemonstration angedeihen zu lassen: „Did you ever have to leave the upper deck of a Boeing 747 by using the emergency slides? No? Okay, in this case you use the right emergency exit and we pilots will use the left one, ha, ha, ha.“ Anschließend führte er mich in die Küche, um mich darauf hinzuweisen, dass diese bis zum Rand mit Getränken und Leckereien befüllt sei und ich mich doch bitte einfach selbst bedienen möge. „So soll es sein“, dachte ich mir, freute mich aber hauptsächlich darauf, während dieses Nachtflugs möglichst viel Schlaf zu bekommen. Noch bevor das Flugzeug sich in Richtung Landebahn bewegte, hörte ich schließlich völlig unerwartet eine Kabinendurchsage: „Ladies and Gentlemen, this is your Captain speaking. Before we will take off I would now like to give you some information regarding your flight.“ Ladies? Ich bin allenfalls ein Gentleman im Singular, denn außer der Cockpitcrew und meiner Wenigkeit war ja schließlich keine Menschenseele an Bord. Ich war mir nicht sicher, ob der Kapitän es vielleicht genoss, statt Frachtcontainern endlich auch mal einen Menschen an Bord zu haben, für den man eine Ansage machen konnte, oder ob er nur mir einen Gefallen tun wollte. Sei’s drum, die sich ergebende Szene war niedlich und bereitete mir Freude. Die nächtliche Reise war einfach nur entspannt – wann kommt man schon mal in den Genuss, ohne das Schreien mitreisender Kinder oder das Schnarchen des Nebenmanns im „eigenen“ Jumbo durch die Gegend zu fliegen? Wie erwähnt, hatten auch die Piloten ihre Freude daran. Die im Passagierverkehr übliche Cockpittür gibt es hier nicht, sondern stattdessen nur einen Vorhang. Die Piloten luden mich ein, so oft nach vorne zu kommen, wie ich wolle und sei es nur für ein kleines Pläuschchen. Nach der Landung stürzte der Kopilot freudig aus dem Cockpit und rief mir scherzhaft zu: „Surprisingly we have all survived!“

Fotos zur Geschichte:

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Im Sturzflug nach Merkwürdistan

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