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Früh übt sich: den Zivildienst zum Flugticket gemacht

Als sich das Ende der Schulzeit näherte, war mir noch nicht ganz klar, wie ich meine Begeisterung für Reisen und Fliegerei langfristig in einem erfüllten Berufsleben umsetzen könnte. Ich setzte zunächst auf ein Studium in der Hoffnung, dass mich währenddessen der Blitz der Erleuchtung treffen möge. Zunächst stand aber die Wehrpflicht an. Ich hatte mal gehört, dass man am Flughafen seinen Zivildienst verrichten könne, was für mich natürlich mehr als verlockend war. Meine Bewerbung war erfolgreich und so lagen nun 13 Monate täglicher Kerosinduft auf dem Flughafen vor mir. 90 Prozent meiner dortigen Tätigkeit machte die Beförderung gehbehinderter Fluggäste vom Check-In bis ins Flugzeug und umgekehrt aus, so dass stets ein hautnaher Umgang mit Flugzeugen gewährleistet war. Natürlich wäre diese Geschichte ohne einen richtigen Bad Guy zu einfach und zu schön gewesen. Diesen fanden wir in Form unserer Vorgesetzten, der altgedienten Schwester Marie. Sie kombinierte die äußere Erscheinung von Miss Marple mit den Charakterzügen eines Diktators und dem Charme von Dr. Evil. Für eine passende Ausbildung ihrer Schutzbefohlenen sorgte sie hingegen nicht. Die eigentliche Hauptaufgabe von uns Zivis war nämlich nicht das Schieben und Tragen von Fluggästen. In Ermangelung eines diensthabenden Arztes waren wir insbesondere auch als Ersthelfer vor Ort verantwortlich für die Erstversorgung bis zum Erscheinen des Notarztes. So mancher Zivi hatte im Laufe seiner kurzen Amtszeit mindestens einen Todesfall zu beklagen, wo seine Erste-Hilfe-Maßnahmen ohne Erfolg blieben. Dieser Kelch ging zum Glück an mir vorbei, denn statt der erforderlichen Ersthelferausbildung schickte man mich auf ein zweiwöchiges Altenpflegeseminar. So desinfizierte ich dutzenden Verletzten die offenen Wunden mit Sagrotan Spray und wunderte mich jedes Mal, warum sie nach meiner Behandlung noch größere Schmerzen hatten als vorher. Irgendwann informierte mich dann ein Patient, dass man dieses Zeug eher zum Desinfizieren von Toiletten verwendet, nicht aber für Wunden. Statt mir eine vernünftige Ausbildung angedeihen zu lassen, kleidete man mich wenigstens so, dass ich aussah wie ein Notarzt. Einige Zivis hatten dieses Outfit erhalten, das „gute Outfit“ genannt, während andere sich mit einer merkwürdig geschnittenen Jacke in Leuchtorange begnügen mussten, das „miese Outfit“ genannt. Gemeinsam mit meinem Zivi-Kollegen Henry, welcher vermutlich als „mieser Zivi“ eingestuft wurde und daher nur das miese Outfit erhielt, ging ich einmal eine Flugzeugtreppe hinauf und als letzte Gäste des soeben gelandeten Fluges kamen uns noch ein Vater und sein kleiner Sohn entgegen: „Du Papa, was wollen denn der Arzt und der Müllmann im Flugzeug?“, fragte der Kleine und brachte die Uniform-Problematik damit zu meiner großen Erheiterung auf einen Nenner. Das Hauptbestreben von uns Zivildienstleistenden war - neben der Verrichtung unserer Trage-und-Schiebe-Arbeit - das Erreichen eines ausgeglichenen Karmas und möglichst viel Erholung von all dem Stress, wobei wir auch den besonderen Touch Luftfahrt bei alledem genießen wollten. Entsprechend ergaben sich während der Dienstzeit zwei Haupterholungzentren, in denen wir uns vor allzu viel Arbeit und vor allem dem stets gefürchteten Zugriff von Miss Marple, alias Dr. Evil, entziehen konnten: Der erste Ort war die alte und schon lange verschlossene Erste-Hilfe-Wache in den Kellergewölben eines alten, längst stillgelegten Gebäudes. Ältere Zivi-Generationen hatten mutig die Verantwortung für unser Wohlbefinden übernommen und die „verlorenen“ Zugangsschlüssel für das Gebäude und die Wache an uns vererbt. In der alten Wache ergab sich die Erholung zwangsläufig, denn hier funktionierten unsere Funkgeräte nicht und Dr. Evil konnte nach uns krähen, wie sie wollte, wir hörten sie einfach nicht – verdammte Technik. Im Sommer bot sich hingegen die „Vorfeld Beachclub“ -Variante an. Hierbei stellt man den Kleinbus quasi direkt zwischen den rollenden Flugzeugen auf dem Vorfeld ab, unmittelbar neben der Landebahn. Beim Einparken ist zu beachten, dass das Heck in Richtung Sonnenuntergang auszurichten ist. Dieses wird dann hydraulisch herabgelassen und die Rampe auf das Vorfeld ausgefahren. Auf dieser Rampe verteilt man noch einige Wolldecken, um sich anschließend bequem darauf zu betten. Die Gesichter der Piloten aus den in zehn, 15 Metern vorbeirollenden Flugzeugen werde ich wohl nie vergessen. Wenn uns nicht nach Erholung zumute war, so bot das Vorfeld stets auch touristische Highlights, wie etwa die Kanzlermaschine Boeing 707 „Konrad Adenauer“, welche einmal vor Ort zu Gast war. Noch am Anfang meiner Zivi-Laufbahn, konnte ich es kaum erwarten, mir diesen Flieger von innen anzuschauen. Ich parkte unseren Bulli an der Gangway und hastete heraus. Mein erfahrener Zivi-Kollege rief mir noch laut hinterher: „Aber sag‘ denen um Gottes willen nicht, dass du…“ und schon war ich weg. Oben an der Flugzeugtür sagte ich dem wachhabenden Soldaten: „Hallo, ich bin hier Zivi und würde mir total gern mal euer Flugzeug anschauen, darf ich?“ „Hm, ein Wehrdienstverweigerer also, ja?“, entgegnete mir der Mann und plötzlich verstand ich, welchen Rat mir mein Kollege noch mit auf den Weg geben wollte. „Na ja, na gut, du darfst trotzdem mal reingucken“, frotzelte der Herr nach erstaunlich langem Nachdenken und ließ mich doch noch eintreten. Es ist aber nicht so, dass wir nicht auch mal gearbeitet hätten. Richtig ins Zeug haben wir uns für unsere Kunden so manches Mal gelegt, etwas zu sehr zuweilen. Einmal sollte ich eine alte Dame von einem landenden Flugzeug abholen und zu ihrem Anschlussflug bringen. Bei diesem handelte es sich um die Island-Maschine, die nur einmal täglich flog. Als ich die Umsteigezeit der Dame sah, traute ich meinen Augen nicht. Vom Aufsetzen ihres ankommenden Fluges bis zum Abheben ihres Anschlussfluges nach Island hatte sie gerade einmal 20 Minuten Zeit, in der sie von der Pass- bis zur Sicherheitskontrolle alles durchlaufen musste. Dieses Timing war selbst für einen Athleten kaum zu schaffen. Aber versuchen wollte ich es wenigstens. Natürlich waren die Parkpositionen beider Flugzeuge maximal weit auseinander an exakt den entgegen gesetzten Fluggastbrücken. Ich holte die Dame ab, drückte sie in den Rollstuhl und rannte so mit ihr über den Flughafen, als gäb’s keinen Morgen mehr. Alle halfen mit und unsere Chancen standen vielleicht gar nicht so schlecht. Schließlich kamen wir am Gate ihres Anschlussfluges an und alle warteten nur noch auf uns. Ich rannte die Fluggastbrücke zum Flieger herunter und an der offenen Flugzeugtür warteten schon die Flugbegleiter auf uns. Zeit zu bremsen. Leider verschärfte sich aber genau im Moment dieser Erkenntnis der Abwärts-Winkel der Fluggastbrücke und trotz einer starken Bremsung verlor die Dame vor mir im Rollstuhl kaum an Geschwindigkeit. Die dann folgende Vollbremsung entglitt jedoch leider meiner Kontrolle. Der Stuhl bremste nun, doch ich verlor bei dem Manöver die Bodenhaftung und… hob ab. In einem sauberen Bogen flog ich über den Rollstuhl, welcher zeitgleich die alte Dame wie ein Schildkrötenpanzer unter sich begrub. Nach unsanfter Landung bremste ich mit dem Kinn und kam schließlich zehn Zentimeter vor der Flugzeugtür zum Stillstand. Mit einem Video von diesem Stunt hätten die Dame und ich Luftfahrtgeschichte geschrieben, aber leider war die Videoüberwachung damals noch nicht soweit. Stille erfüllte den Raum, bis einer der Flughafenmitarbeiter anfing, böseste Schimpftiraden über mich zu ergießen, dass er mich verklagen wolle und anzeigen und überhaupt und sowieso. Der älteren Dame ging es zum Glück gut und genauso wie die Flugbegleiter war sie trotz des kleinen Malheurs überglücklich, dass sie doch noch am selben Tag nach Island weiter reisen konnte.

Im Sturzflug nach Merkwürdistan

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