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Das Problem mit dem Nachhauseweg

Flugausfälle als höhere Gewalt einfach hinzunehmen, habe ich weitestgehend gelernt und ich ertrage mein Schicksal zumeist mit Fassung. Insbesondere wenn technische Ausfälle oder Naturkatastrophen ursächlich sind und man weder mit Sachlichkeit noch mit cholerischen Anfällen eine Änderung der Situation herbeiführen kann, bleibe ich lieber gelassen und ertrage mein Schicksal. Gerade wenn nach getaner Arbeit der Rückflug zu einem ohnehin schon viel zu kurzen Heimataufenthalt nicht pünktlich stattfinden kann, benötigt man eine gehörige Portion Selbstbeherrschung, um wenigstens äußerlich ruhig zu bleiben. Auch das Pech, welches nur mich traurig am Flughafen zurückbleiben lässt, während alle anderen Gäste an Bord des Flugzeugs glücklich abheben, knabbert zuweilen an meinem Nervenkostüm. Aufgrund negativer Erfahrungen gehe ich beispielsweise schon immer in Deckung, wenn am Gate oder im Flugzeug Passagiernamen ausgerufen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass im nächsten Moment mein eigener Name zu hören ist, liegt bei gefühlten 50 Prozent. So kam es beispielsweise vor, dass ich an Bord einer abflugbereiten Maschine nach Hause mit 180 Menschen an Bord schon in entspannter Vorfreude eingeschlafen war, als plötzlich laut über die Lautsprecheranlage des Flugzeugs die Aufforderung ertönte, dass ich mich zu erkennen geben soll. Haben die denn nicht meinen Sitzplatz in ihrem Computersystem? Na egal. Unschuldig und regelgetreu meldete ich mich und wurde zum Dank aus dem Flugzeug geworfen. Der Grund war, dass das Check-In System meinen Sitzplatz doppelt vergeben hatte und man es offenbar für wichtiger befand, den anderen Timesharing-Besitzer meines Sitzplatzes zum Ziel zu fliegen. Die Menschheit fliegt zum Mond, baut Fusionsreaktoren und führt Drohnenkriege, aber ein Check-In System an einem der größten Flughäfen der Welt kann einfach mal „aus Versehen“ einen Sitzplatz doppelt vergeben? Oh Mann, na gut, bin ich halt ausgestiegen. Das Tollste daran war, dass ich in der letzten Sitzreihe gesessen und geschlafen hatte und dass ich nun noch an 180 glücklichen abflugbereiten Fluggästen vorbei spazieren durfte. Der wahre Grund, weshalb ich derjenige war, der das Flugzeug verlassen musste, war übrigens, dass ich im Gegensatz zu dem anderen Gast nur mit Handgepäck gereist war. Es hätte viel zu lange gedauert, das aufgegebene Gepäck des anderen Gastes wieder aus dem Frachtraum des Flugzeugs zu puhlen. Statt eine Verspätung des gesamten Fluges zu riskieren, hat man lieber mich über Bord geworfen. Seit diesem Tag fliege ich ausschließlich mit aufgegebenem Gepäck, bevorzugt mit leeren kleinen Reisetaschen. Die Damen und Herren am Check-In sind dann immer ganz belustigt, wenn die Gepäckwaage ein Gewicht anzeigt, dass man auf dem innerdeutschen Postwege mit einer 55 Cent Briefmarke verschicken könnte. Einige Monate später fand ich mich in exakt derselben Situation wieder. Ich saß diesmal in der vorletzten Reihe auf dem Nachhauseflug, die Maschine war voll und abflugbereit und... mein Name wurde ausgerufen. Ich möge mich bitte zu erkennen geben. „Nö“, habe ich mir gedacht. Das letzte Mal war ich so nett, ehrlich zu antworten und wurde deshalb von Bord geworfen, diesmal mache ich es anders. Und weil mir nichts Besseres einfiel, stellte ich mich gleich schlafend. Sogar mit offenem Mund, was mir besonders eindrucksvoll erschien (nur auf den eigentlich obligatorischen Sabberfaden zwischen Mundwinkel und Hemdkragen hatte ich aus Hygienegründen verzichtet). Aber nach fünf Minuten hatten sie mich dann doch gefunden und die Flugbegleiterin „weckte“ mich mit sanften Schlägen auf die Schulter. Diesmal war die Sachlage aber anders, die Dame sagte nur: „Sie haben Ihre Bordkarte liegen lassen, hier ist sie“ – und reichte mir eine. Ich zog meine Bordkarte aus der Tasche und sagte: „Hab ich nicht, hier ist meine.“ Ein kurzer Abgleich der Aufdrucke führte zu der Erkenntnis, dass beide identisch waren, was sowohl bei der Flugbegleiterin als auch bei mir ein ratloses Stirnrunzeln verursachte. Wie auch immer. Den Schock des erneuten Ausrufens meines Namens hatte ich zwar erst eine Woche später überwunden, aber wenigstens durfte ich diesmal an Bord bleiben.

Ein anderes Mal stand ein Rückflug von Fort Myers in Florida nach Deutschland an. Ich hatte bereits meinen Koffer gepackt und aus dem Hotelzimmer ausgecheckt, als ich wegen meiner Sitzplatzreservierung kurz noch einmal das Callcenter der Fluggesellschaft anrief. Nach zehn Minuten in der Warteschleife gab mir die Dame schließlich Auskunft: „Ja, also mit Ihrer Sitzplatzreservierung ist alles in Ordnung, aber dass Ihr Flug komplett gestrichen wurde, wissen Sie schon, oder?“ Wie kann denn bitte mit der Sitzplatzreservierung alles okay sein, wenn es den Flug gar nicht mehr gibt? Das ist ja in etwa so, als würde einen die Werkstatt nach erfolgter Fahrzeuginspektion anrufen und sagen: „Die Inspektion ist erfolgreich abgeschlossen. Leider ist Ihr Fahrzeug ausgebrannt, aber Sie können die Asche jetzt abholen. Und bitte bringen Sie die neun Euro fünfzig für die Inspektion mit.“ Egal. Jedenfalls saß ich jetzt fest. Ich erhielt noch den freundlichen Rat, dass ich „versuchen könne“, mit der morgigen Maschine zu fliegen, wobei dann ca. doppelt so viele Fluggäste mitfliegen wollten, wie das Flugzeug Sitzplätze hätte. Auf die Idee, dass dieselbe Fluggesellschaft noch am gleichen Abend einen Flug vom mehr oder weniger nahen Miami nach Düsseldorf anbot, kam die Dame leider nicht. Zum Glück hatte ich dies aber noch im Hinterkopf und nach einem kurzen Blick in den Flugplan zur Bestätigung sprang ich in den Mietwagen und raste in einem Höllentempo quer von West nach Ost durch Florida. Mit glühenden Reifen kam ich schließlich am Miami International Airport an und habe es gerade noch rechtzeitig genug geschafft, um den Flieger nach Düsseldorf zu erwischen. Eigentlich Glück im Unglück, denn es waren noch Plätze frei und mein Ticket wurde problemlos akzeptiert. Im Nachhinein sollte sich die ganze Aktion allerdings doch eher als Unglück im Glück im Unglück erweisen: Heute benötigt man mit einem deutschen Pass für die Ein- und Ausreise in die USA eine ESTA - Registrierung. Damit entfällt das lästige Ausfüllen dieser grünen Einreisekarten, von denen einem früher bei der Einreise stets ein Abschnitt in den Pass getackert wurde. Bei der Ausreise war es dann die Aufgabe des Check-In Personals, diesen Schnipsel wieder herauszulösen und zur Bestätigung der Ausreise an die Behörden zu übergeben. Im Trubel der Ereignisse vergaß der Herr am Check-In in Miami dies aber offensichtlich, was ich leider erst zu Hause feststellte. Ein Kontrollanruf bei der amerikanischen Botschaft bestätigte, dass ich nun als „nicht ausgereist“ und damit als gesuchter illegaler Einwanderer in die USA geführt wurde. Der Dame der amerikanischen Botschaft war es bei dieser Gelegenheit offenbar ganz besonders wichtig, ca. 20 Mal darauf hinzuweisen, dass ich, ich, ich und verdammt noch mal nur ich dafür verantwortlich sei zu kontrollieren, dass der Check-In den grünen Schnipsel auch wirklich aus dem Pass nimmt. An die amerikanische Unsitte grenzenloser Überregulierung im alltäglichen Leben hat man sich als Tourist zwangsläufig gewöhnen müssen. „Stehen Sie auf der Rolltreppe rechts!“, „Überqueren Sie nicht die gelbe Sicherheitslinie!“ oder „Warten Sie hier, bis Ihr Name aufgerufen wird!“ Man fragt sich zwar, wie Amerikaner im Ausland überleben können, wo ihnen nicht vorgeschrieben wird, wie sie zu atmen oder sich den Hintern abzuwischen haben, aber dies sollte nun nicht meine Sorge sein. Ich wusste bereits, dass viele Amerikaner es lieben, ihre Regeln durch die Gegend zu kommandieren und dass man besser einfach tut, was sie verlangen. Mit einer Mischung aus militärischem Drill und inbrünstiger Freude hämmerte mir nun auch Frau Botschaftsmitarbeiterin ein, dass ich die Suppe selbst auszulöffeln hätte. Ich habe gelöffelt. Es war dies eine sehr aufwändige Suppe und die Hauptzutaten waren Papier und Druckerschwärze. Mannigfaltige Dokumente meines Arbeitgebers, Passkopien, Originalbordkarten und diverses weiteres Zeugs musste ich an irgendeine Adresse in den USA schicken. Ob diese Unterlagen akzeptiert werden würden oder nicht, würde ich erfahren, wenn man mich beim nächsten Versuch in die USA einreisen ließe – oder wenn man mich halt mit demselben Flugzeug wieder abschieben würde. Hat am Ende geklappt, also hat sich der ganze Aufwand wenigstens gelohnt. Geschmeckt hat die Suppe trotzdem nicht.

Wenn man seinen Flug nicht antreten kann, so ist dies möglicherweise nicht nur der Auslöser für Stress und Ärger, sondern auch eine Gelegenheit für nette Bekanntschaften. Uwe zum Beispiel hätte ich niemals kennengelernt, wenn ich nicht dieses Problem mit meinem Rückflug von Genf nach Hause gehabt hätte. Ich hatte eine Woche lang in der französischen Schweiz gearbeitet und freute mich nun auf eines dieser rar gesäten Wochenenden zu Hause. Obwohl ich schon rechtzeitig fertig war, sollte mein Flug nach Hause erst abends um 20:10 Uhr starten. So saß ich den ganzen Nachmittag und Abend recht nutzlos am Flughafen herum und freute mich umso mehr auf die Heimat. Nach einem laaaangen und laaaangweiligen Nachmittag hypnotisierte ich voller Vorfreude den Monitor mit den Abflugzeiten, wo nach und nach alle Flüge vor und nach acht Uhr abends den Hinweis „pünktlich“ oder „fünf Minuten verspätet“ erhielten. Nur mein Flug blieb jungfräulich und ohne Hinweis. Das machte mich stutzig. Gegen halb sieben rief ich die telefonische Flugauskunft meines Zielflughafens an, wo der Flug um 18:05 Uhr in Richtung Genf starten sollte. Auf meine Anfrage hin wurde mir mitgeteilt, dass das Flugzeug zwar pünktlich in Richtung Genf gestartet sei, jedoch außerplanmäßig wieder zu seinem Ausgangsort umgekehrt sei und dort gleich wieder landen werde. Genaueres wisse man nicht. Genaueres musste man auch nicht wissen, denn das kleine Einmaleins genügte bereits, um sich auszurechnen, dass ein Ersatzflugzeug nicht mehr rechtzeitig nach Genf fliegen könnte, um von dort aus noch vor der nächtlichen Schließung des Flughafens bei mir zu Hause zu landen. Mit anderen Worten: Ich war mir sicher, dass mein Flug gestrichen werden würde. Man kommt sich echt bescheuert vor, den ganzen Nachmittag auf einen Abendflug zu warten, der dann kurzfristig gestrichen wird. Aber immerhin hatte ich einen Informationsvorsprung und hastete mit diesem von meinem Warteraum zum Informationsschalter, um herauszufinden, ob ich mit meinem Ticket spontan wenigstens noch auf irgendeinen anderen Flug in Richtung Deutschland umbuchen könnte. Als einziges kam Düsseldorf in Frage. Während meiner diskussionsreichen Umbuchung wurde ein anderer Fluggast auf die Problemlage aufmerksam. Uwe wollte auch mit derselben Maschine fliegen wie ich und erfuhr erst durch mich, dass der Flug mit Sicherheit nicht mehr stattfinden würde. Spontan bildeten wir eine Schicksalsgemeinschaft und beschlossen, gemeinsam nach Düsseldorf zu fliegen und uns von dort nach Hause durchzuschlagen. Diesen Plan setzten wir genauso um und landeten zunächst um 21:30 Uhr in Düsseldorf. Es dauerte eine Weile, bis wir einen Mietwagen organisiert hatten und schließlich kamen wir endlich gegen 3 Uhr am Samstagmorgen zu Hause an. Wenn man mir einen Flug am frühen Nachmittag nach erledigter Arbeit von Genf mit Umsteigen in Frankfurt gebucht hätte, wäre ich vielleicht um 17 Uhr zu Hause gewesen. Aber irgendwie wäre es auch schade gewesen, Uwe nicht kennenzulernen. Trotzdem, das nächste Mal machen wir das einfach besser. Übrigens Uwe, falls du dies hier liest: Deine Idee, die Benzin- und Mietwagenkosten deiner Firma in Rechnung zu stellen, fand ich super. Schade nur, dass du mir niemals - wie versprochen - meinen Teil des Geldes zurück überwiesen hast. Das nächste Mal, wenn ich dich gestrandet an irgendeinem Flughafen aufgabele und dich mit meiner rettenden Idee beschenke, werde ich dich höchstens am Abschleppseil festgeknotet hinter meinem Auto her rennen lassen – den ganzen Weg bis nach Hause!

Im Sturzflug nach Merkwürdistan

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