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Fischhappen Nr. 2: Krawatten-Kalle und der Totengräberschlips

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Lebensabschnittsweise reiste ich derart häufig, dass ich im Monat gerade noch drei oder vier Tage zu Hause war und jeweils hälftig in Asien und Südamerika arbeitete. Um auf Reisen immer alles zu haben, was ich benötige, erfordert ein solcher Einsatzplan logistische Meisterleistungen. Man bedenke, nur die knappe Zeit daheim zum Wäschewaschen und das viele Zeug, das man für die zahlreichen geschäftlichen Anlässe in Übersee benötigt – insbesondere wenn eine Reise auch noch den Winter auf der Südhalbkugel und den Sommer auf der Nordhalbkugel einschließt. Gerade vor einiger Zeit wartete ich am Flughafen auf meinen Abflug nach Südamerika und schrieb derweil an einer der Geschichten für diese Sammlung, als plötzlich das Blitzen des polierten Anzugschuhs meines Sitznachbarn meine Aufmerksamkeit auf sich zog und ich schlagartig einen riesigen Schreck bekam, als ich merkte, dass ich bedauerlicherweise vergessen hatte, selbige meinem Reisegepäck hinzuzufügen. Verdammt, 15 Minuten vor dem Abflug am Flughafen passende Anzugschuhe der Größe 48 zu finden, ist etwa so unwahrscheinlich wie 15 Minuten vor dem Trauungstermin in der Fußgängerzone vor dem Standesamt noch die passende Frau kennen zu lernen. Habe immerhin Schuhe der Größe 46 gefunden. Es war eine schmerzhafte Reise, aber wenigstens sah ich dabei blendend aus. Während man mit solch gelegentlichen Lücken im Koffer dann und wann einmal rechnen muss, gibt es einige Reisen, bei denen das Vergessen von Teilen des Reisegepäcks ganz besonders peinlich ist. Eine solche führte mich ins nahe gelegene Köln. Ein wichtiger potenzieller Kunde hatte mich dorthin zu einem gemeinsamen Tag eingeladen, um Möglichkeiten einer vertieften Zusammenarbeit abzugleichen. Am zweiten Tag hatten wir dort außerdem einige Termine mit weiteren Geschäftspartnern, die wir gemeinsam wahrnehmen wollten. Natürlich hatte ich vor, den Kunden möglichst zu beeindrucken und eine gute Performance aufs Parkett zu legen. Am frühen Morgen machte ich mich auf den Weg zum heimischen Flughafen für den kurzen Hüpfer an den Rhein. In der Sicherheitskontrolle wollte ich nur noch schnell meine beiden Handys durchs Röntgengerät schieben und... meine Handys? Meine Handys, verdammt! Die lagen ja noch auf dem Nachtschrank neben meinem Bett! Oh nein, was für ein peinlicher Auftritt, ausgerechnet meine Telefone liegen zu lassen. Wenn ich es nicht einmal schaffe, diese zu einem Termin in Deutschland mitzubringen, was soll der Kunde dann von meiner Eignung halten, in weit entfernten Ländern Trainings in seinem Auftrag zu organisieren? Nun musste ich erstmal versuchen, meinen Kunden überhaupt zu treffen, ohne dass wir einen Treffpunkt noch telefonisch ausmachen konnten. Mit Müh und Not gelang dies und irgendwie schien er elegant über diesen Fauxpas hinwegzusehen. Der erste Tag diente zunächst noch dem ungezwungenen Kennenlernen, aber am zweiten Tag gab es ernsthafte Termine – dann selbstverständlich auch mit Dresscode und Krawatte. An jenem Morgen wachte ich auf und stellte mit Entsetzen fest, dass ich nicht nur meine Telefone, sondern auch sämtliche Krawatten zu Hause vergessen hatte. Was für ein Ärgernis und dabei war ausgerechnet ich es, der noch am Vortag mit dem Kunden über die Krawattenpflicht bei diesem Anlass sprach. Die fehlenden Handys hatte er mir verziehen, aber wann würde ich das Maß der Peinlichkeiten überschreiten? Da gab es keine Alternative, eine Krawatte musste her, sofort! Ich hatte noch eine Stunde bis zum Treffen am Frühstückstisch, T minus 60, sozusagen. Plan A versagte, im Hotel gab es keinen Laden, in dem man eine Krawatte hätte kaufen können. Plan B versagte ebenfalls: Auch in der belebten Straße draußen vor dem Hotel war weit und breit kein Herrenausstatter zu finden. Also blieb nur eins: Ich sprang in ein Taxi. Hinterm Steuer saß ein absolutes Kölner Original: Ein korpulenter Herr in den besten Jahren mit einer tief ins Gesicht gezogenen Wollmütze fragte mich: „Na, Jung, wo sollet hinjäähn?“ Ich gab schnell eine Kurzfassung meiner Notlage zum Besten und forderte ihn auf, zum nächsten Bekleidungsgeschäft zu rasen, sofort. Weder erhielt ich eine Antwort noch schien sich das Taxi zu bewegen. Nach einer Weile raunzte er: „Jung, wie soll isch datt maachen, wo sollnwer jätzt nä Krawaatte herbekomme? Et ies halb neun morgens, da hat doch geen Jeschäft auf!“ – „ALTER, sabbel nich, gib Gas!“, lautete meine knappe Ansage und da bewegten wir uns auch endlich... von einem geschlossenen Herrenausstatter zum nächsten. In meiner Verzweiflung, es war bereits T minus 20, bat ich den Wollmützenkalli, zum Hauptbahnhof zu fahren – vielleicht würde ich dort in einem Souvenirshop eine Krawatte bekommen. Mittlerweile wäre mir auch egal gewesen, ob sie neongelb, mit einem Bild des Kölner Doms geschmückt oder von einem großen FCK - Logo geziert gewesen wäre. Aber der Hauptbahnhof war von unserem aktuellen Ort zu weit weg, die Lage aussichtslos. „Waart ma Jung, äch will da ma watt probiere“, sagte der Fahrer plötzlich, fummelte sein Handy aus der Tasche und rief offenkundig seine Frau an. Als er sie fragte, ob sie wisse, wo „seine Krawatte sei“, brach – auch ohne Telefonlautsprecher deutlich hörbar – eine wilde Schimpforgie über den Armen herein. Die Tatsache, dass er vermutlich das erste Mal seit 40 Jahren nach „seiner Krawatte“ verlangte, verleitete seine Frau wohl zu der Vermutung, dass er sich auf einen Anlass schleichen wolle, den er ihr verschwiegen hätte. Es dauerte eine Weile, bis er sie mit seiner kölschen Gelassenheit beruhigen und über den wahren Hintergrund aufklären konnte. Es war T minus 10, als wir beim Taxifahrer zu Hause vorfuhren und er mal eben nach oben marschierte. Nach kurzer Zeit kam er zurück. Er drückte mir nur kurz eine Tüte in die Hand, sprang hinters Steuer und raste zurück zum Hotel. Ich holte die Krawatte aus der Tüte und - meine Güte - was war DAS? Was sich mir offenbarte, war eine schwarze Krawatte im schmalen Schnitt der 1950er Jahre. An ihrer breitesten Stelle war sie allenfalls zwei Finger breit und man sah ihr die Erfahrung unzähliger Beerdigungen und sonstiger Anlässe, die sie schon auf dem Buckel gehabt haben musste, unmittelbar an. Selbst nicht der Schlanksten einer, sah ich mit dem Teil aus wie ein Auftragskiller von Al Capone oder der Leibkellner der Blues Brothers. Na ja, was soll’s, ich sah zwar echt ätzend aus mit dem Ding, aber irgendwie hatte ich den Wettlauf gegen die Uhr knapp gewonnen und war einigermaßen zufrieden. Mein Kunde brach übrigens in spontanes Lachen aus, als er mich mit dem Teil sah und auch die weiteren Gesprächspartner im Laufe des Tages guckten mich während der Geschäftstermine ungläubig an. Aber vielleicht hatten sie auch einfach nur eine Rechnung mit Al Capone offen und bekamen es nun bei meinem Anblick mit der Angst zu tun...

Nach dem Genuss dieser beiden kleinen Vorspeisen lade ich Sie herzlich ein auf meine Reise. Willkommen an Bord, nehmen Sie Platz, machen Sie es sich bequem, schnallen Sie sich an. Während unseres Fluges wird man sich erstklassig um Sie kümmern, lehnen Sie sich zurück und genießen Sie den Blick über die Wolken. Auch in kulinarischer Hinsicht werden Sie begeistert sein! Es gibt Fisch...

Nur noch ein letzter technischer Hinweis, bevor es losgeht: Am Ende einiger Geschichten befinden sich Hyperlinks zu Fotoalben und auch zu einigen kurzen Internetfilmen, die mit den jeweiligen Geschehnissen im Zusammenhang stehen. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Fotoalben und Filme zu öffnen: Entweder Sie installieren auf Ihrem Smartphone oder Tablet PC einen kostenlosen QR Code Scanner. Mit diesem können Sie die quadratischen Codes scannen und haben so in Sekundenschnelle Fotos und Filme vor sich. Alternativ können Sie, statt einen QR Code Scanner zu nutzen, einfach die angegebenen Internetadressen in Ihren Browser eingeben. Gerade denjenigen, die lieber lesen als Bilder anzugucken, empfehle ich, wenigstens nach der Lektüre der Geschichte „Reisen skurril: die kleinen Besonderheiten“ einen Blick in die zugehörigen Fotoalben zu werfen. Sie würden etwas verpassen, wenn Sie dies ausließen.

Probieren Sie es aus! Hier finden Sie Fotos zum ersten Fischhappen „Ohne Pass kein Spaß“:

http://www.facebook.com/media/set/?set=a.107293879427378.13045.100004402989835&type=3&l=61454734fd


Im Sturzflug nach Merkwürdistan

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