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Fluch(t aus) der Karibik

Die Rache dafür, dass ich Henrys missglückte Rückreise von Curacao mit Spott und Häme überzog, folgte auf dem Fuße und als hätte auch das Schicksal Humor, traf es mich bei dem Versuch, – man ahnt es schon – von Curacao zurück nach Hause zu reisen. Nachdem ich einen sehr langen und anstrengenden Winter mit viel Beziehungsstress hinter mich gebracht hatte, entschloss ich mich, nochmals für zwei Wochen nach Curacao zu fliegen, um dort abermals etwas zu entspannen und meine dortigen Freunde zu besuchen. Wie das Leben manchmal so spielt, lernte ich erst kurz vor der Abreise meine neue Frau kennen. Auch die Dame meiner Träume war viel auf Reisen, so dass die Schnittmenge unserer gemeinsamen Zeit rar und kostbar war. Da der hinter mir liegende Winter aber wirklich außerordentlich dunkel, unfassbar kalt, ganz besonders lang und fürchterlich kräftezehrend war, beschloss ich, die Reise in die Karibik dennoch anzutreten, um mir die verdient geglaubte Entspannung zu genehmigen. Ich kann aus heutiger Sicht nicht sagen, dass diese Entscheidung rückblickend besonders schlau gewesen wäre. Im Gegensatz zum Wetter in Deutschland war es in der Karibik diesmal im Wesentlichen leider durchgehend bedeckt und das bisschen Entspannung, welches ich trotz mich zerfressender Sehnsucht nach der neuen Liebe genießen durfte, wurde mit der Rückreise ultimativ wieder ausradiert. Auch in diesem Fall also das Fazit, lieber dem Herzen zu folgen. Aber nun zu besagter Rückreise: Obwohl es natürlich toll war auf Curacao, fieberte ich nach zwei Wochen wirklich sehr intensiv dem Moment entgegen, an dem ich nach Hause kommen und meine neue Liebe wieder in die Arme schließen würde. Die vermeintlich

letzte Nacht auf der Insel war recht kurz, denn ich wachte zwei Stunden früher auf als sonst. Ausgeschlafen war ich noch lange nicht, aber irgendwas juckte an meinem linken Arm. Nach kurzer Fehleranalyse aus dem Augenwinkel war als Ursache auszumachen, dass mein Unterarm in dieser Nacht mit einer etwa nord-südlich ausgerichteten Trasse zu einer Ameisenautobahn umfunktioniert wurde. Das war nicht schön, aber ich war wach. Und hätte ich die kleinen Freunde auf meinem Arm nicht direkt ins Jenseits befördert, dann hätte ich ihnen für ihr Tun später sehr, sehr dankbar sein müssen.

Müde torkelte ich aus meinem Zimmer vorbei an meinen Freunden, die als praktizierende Frühaufsteher schon beim dritten Tässchen Kaffee am Tisch saßen. Schlaftrunken und noch etwas verwirrt wankte ich in Richtung Toilette dezent grüßend an beiden vorbei, die ihrerseits mit einer merkwürdigen Kombination von Begriffen antworteten. Ich hörte so etwas wie: „Vulkan, Europa, Wolke, Flughafensperrung, haste jetzt echt Pech...“. Ich kommentierte dies nicht, auch da ich dringende Gründe hatte, mein Ziel ohne Verzögerungen zu erreichen. Im mußevollen Umfeld der Toilette dachte ich dann über diese Wortfragmente nach und kam zu der Erkenntnis, dass ich die Pointe dieses Witzes nicht verstand. Nach erledigten Geschäften bat ich die beiden um Aufklärung des Rätsels. Was ich dann hörte, dürfte den meisten Lesern dieser Zeilen ein Begriff sein. Ausgerechnet am Tag meiner Rückreise – wann auch sonst – führte der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull dazu, dass aufgrund einer riesigen, aus nordwestlicher Richtung über Europa ziehenden Aschewolke ein Flughafen nach dem anderen geschlossen werden musste – ein bis dahin in der weltweiten Luftfahrtgeschichte einmaliger Vorgang. Was sich heute in den Geschichtsbüchern nachlesen lässt, erschloss sich mir in seinem vollen Ausmaß in völlig verschlafenem Zustand in der Karibik mit zermatschten Ameisen am linken Arm allerdings noch nicht und die Informationen purzelten in nur sehr kleinen Portionen über das Internet herein. Fakt war, dass zu diesem Zeitpunkt gegen 8 Uhr karibischer und 14 Uhr mitteleuropäischer Zeit die Flughäfen in England bereits geschlossen waren und man als nächstes mit einer Schließung des Amsterdamer Schipol Flughafens rechnen musste. Mein Rückflug sollte erst am Abend von Curacao starten. Zwar hatte ich schon die Info, dass das Flugzeug für meinen Rückflug Amsterdam bereits verlassen hatte und auf dem Weg nach Curacao war. Dass es von dort aber wie geplant wieder zurückfliegen würde, erschien mir mehr als fraglich. Zu diesem Zeitpunkt begann eine fürchterliche Wut in mir aufzusteigen. Ich bin ständig in der Luft und an Verspätungen und sonstige Probleme hatte ich mich schon gewöhnt. Aber wenn es jetzt einmal so aussieht, als würde ich mit einem richtig deftigen Problem konfrontiert werden und ggfs. für mehrere Tage festsitzen. Warum ausgerechnet nach der Reise, auf der ich meine neue Liebe so unfassbar vermisste? Die ganze Zeit saß ich sehr unkaribisch unter einer geschlossenen Wolkendecke und freute mich mehr als je zuvor darauf, endlich zurück nach Hause zu kommen. Ich nahm mir einen Kaffee und setzte mich für 15 Minuten alleine auf die Terrasse, um darüber nachzudenken, wie meine Situation nun eigentlich war. Meine Situationsanalyse ergab, dass mein Flug ziemlich sicher gestrichen und erst nach dem Abziehen der Wolke durchgeführt werden würde. Aber was heißt denn das? Wie lange spucken Vulkane Asche? Einen Tag, eine Woche, einen Monat oder ein Jahr? Nach dem kurzen Selbstfindungsworkshop auf der Terrasse begab ich mich auf die Suche nach Alternativen im Internet. Venezuelas Hauptstadt Caracas liegt nur einen Katzensprung von Curacao entfernt. Von dort aus ging abends noch ein Flug nach Frankfurt. Dieser war allerdings ausgebucht, so dass ich nur noch ein Wartelistenticket kaufen konnte. Von Curacao nach Caracas ging vormittags noch ein einziger Flieger, in knappen drei Stunden (den Ameisen sei Dank). Die Frage war also, ob ich mein fest gebuchtes und somit relativ sicheres Ticket nach Amsterdam verfallen lassen sollte in der Erwartung, dass dieser Flug gestrichen werden könnte und in der Hoffnung, dass ich trotz des Wartelistenplatzes von Caracas nach Frankfurt mitgenommen werden würde. Außerdem verband sich damit natürlich die Hoffnung, dass zum Zeitpunkt der Landung in Europa vielleicht Amsterdam, aber noch nicht der Flughafen Frankfurt geschlossen sein könnte. Ich hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken und wollte einfach nur nach Hause, deshalb setzte ich alles auf eine Karte und entschloss mich, dass Amsterdam-Ticket verfallen zu lassen und schnell nach Venezuela überzusetzen. Meine auf Curacao lebenden Freunde wollten ausgerechnet an diesem Tag mit derselben Maschine wie ich nach Amsterdam fliegen und entschieden sich anders als ich, es bei der alten Buchung zu belassen. In höllischer Geschwindigkeit warf ich meine Sachen in den Koffer und presste sie gewaltsam in die erforderliche Form. Während des kurzen Fluges nach Caracas merkte ich, wie wahnsinnig anstrengend dieser Vormittag schon war und es beschlich mich ein komisches Gefühl bei dem Gedanken daran, dass es nun kein Zurück mehr zu dem Amsterdam-Flug gab. In Venezuela angekommen, musste ich geschlagene acht Stunden warten. Stunden der Unsicherheit, ob man mich auf dem Flug nach Frankfurt mitnehmen würde und Unsicherheit darüber, ob der Flug aufgrund der Wolke vielleicht auch in Gänze gestrichen werden könnte. In diesem Fall würde ich plötzlich ohne Hotel oder Ansprechpartner in einem Land stehen, dessen Landessprache ich kaum spreche und das dafür bekannt ist, deutlich ruppiger zu sein als das beschauliche Karibikinselchen, auf dem ich eben noch war. Über das Internet versuchte ich mir Updates über die Vulkanwolke zu holen, aber viel ergab sich daraus nicht. Ich war erschöpft, aber durchaus etwas aufgeregt und die Wartezeit wollte und wollte nicht vergehen. Einer Offenbarung kam es da gleich, die ankommende Maschine aus Frankfurt ans Gate rollen zu sehen. Aus meiner Sicht sah alles so aus, als würde der Rückflug stattfinden. Das Gate wurde mit Personal besetzt und dann ging sogar eine Rückflugcrew an Bord. Es folgte gespanntes Warten darauf, ob das Boarding beginnen und ob ein Platz für mich frei bleiben würde. Nachdem weiterhin Minute um Minute mühsam verging, wurde bald klar, dass ich mit von der Partie war. An Bord war die Wolke kein Thema, weder in den Ansagen noch unter den Passagieren. Während des Services fragte ich eine Flugbegleiterin, woher sie den Optimismus nehmen, dass wir Frankfurt überhaupt erreichen und was passiert, wenn auch Frankfurt vor unserer Landung geschlossen werden würde. Die Dame lächelte mich an und sagte, dass alles möglich wäre, dass wir im Falle einer Schließung Frankfurts aber noch versuchen würden, in München zu landen.

Dieser Tag hatte mich mit all seinen Wirrungen ziemlich mitgenommen, so dass ich den Nachtflug nach Europa fast komplett verschlafen konnte. Geweckt wurde ich morgens von einer Ansage aus dem Cockpit: „Sehr geehrte Damen und Herren, hier spricht Ihr Kapitän. Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, dass der Flughafen Frankfurt am frühen heutigen Morgen aufgrund der Aschewolke vollständig geschlossen worden ist. Nach unseren aktuellen Informationen wird es uns noch gelingen, stattdessen in München zu landen, bevor auch dieser Flughafen aufgrund der südostwärts ziehenden Wolke geschlossen werden muss.“ Berlin, Frankfurt, München…, wo ich in Deutschland landen würde, war mir inzwischen total gleich. Ich fand es einfach nur super, dass zwischen mir und meinem Zuhause kein Ozean mehr liegen würde. Nach der Landung in München schaltete ich mein Mobiltelefon an und bekam gleich eine SMS-Nachricht von meinem Freund, der ja zeitgleich mit dem ursprünglich gebuchten Flug nach Amsterdam reisen wollte: „Schöne Grüße aus Curacao – Glückwunsch, du hast die richtige Entscheidung getroffen!“ Da an diesem Tag dutzende Langstreckenmaschinen aus dem gleichen Grund wie wir unplanmäßig in München landeten, gab es nicht genug Mitarbeiter, um uns unsere Koffer zurückzugeben. Also ging es ohne Gepäck im völlig überfüllten Zug nach Hause in Richtung Norden. Auch wenn der Zug aufgrund des Ausfalls sämtlicher Inlandsflüge brechend voll war und ich nur mit Glück einen Stehplatz ergattern konnte, war dies eine der glücklichsten Zugfahrten, die ich bisher unternommen hatte.

Tja, wer nun denkt, dass ich all dies aufgrund meiner lästerlichen Eingangsbemerkungen zu Henrys fehlgeschlagenem Rückflug von Curacao nicht besser verdient hätte, sei auf die kleine Ironie des Schicksals hingewiesen, dass kurz nach meiner Landung in München mein Telefon klingelte und Henry dran war: „So ein Mist, wir sitzen auf Barbados fest und unser Flug wurde gestrichen, hast du irgendeine Idee, was wir machen können…?“ – „Baden gehen, Henry, baden gehen – aber nicht im Chlorwasser, das gibt rote Augen!“

Nur ein knappes Jahr, nachdem der isländische Vulkan mit dem unaussprechlichen Namen den Flugverkehr auf der Nordhalbkugel lahmlegte, widerfuhr der Südhalbkugel übrigens ein ähnliches Schicksal. Der chilenische Vulkan namens Puyehue begann, Rauch und Asche zu spucken und die Wolke zog ostwärts um den ganzen Globus, bis sie sogar wieder aus Richtung Westen aus Australien in Chile ankam. Man rate, wer sich genau zu dieser Zeit in dem am schwersten betroffenen Land Argentinien aufhielt. Ich natürlich! Kaum war ich dort gelandet, schon dachte ich an einen schlechten Scherz: Alle Flughäfen des Landes seien wegen einer Aschewolke komplett gesperrt, so vermeldeten es die Nachrichten. So langsam fühlte ich mich von Asche verfolgt und mehr noch - in meiner Reisefreiheit eingeschränkt. Konnte man jetzt gar keine Reisen mehr planen, ohne ständig Sorgen haben zu müssen, dass irgendein Vulkan alles wieder durcheinander werfen würde? Diesmal hatte ich tatsächlich riesiges Glück im Unglück – immerhin hatte ich vor der Flughafenschließung gerade noch mein Ziel erreicht und konnte somit meinen geschäftlichen Verpflichtungen in Buenos Aires nachkommen. Für das folgende Wochenende hatte ich zusammen mit Kollegen einen Ausflug mit dem Flieger zu den wunderschönen Iguacu Wasserfällen im Dreiländereck Argentinien – Brasilien – Paraguay geplant. Je näher das Wochenende rückte, desto skeptischer waren wir, ob die Flughäfen dann schon wieder geöffnet wären. Und tatsächlich entschied sich erst am Freitagabend, dass die Flughäfen pünktlich zu unserem Abflug am Samstagmorgen wieder offen sein würden. Was folgte, war ein wunderbares Wochenende an einem der schönsten und größten Wasserfälle der Welt. Die Niagarafälle sind gegen Iguacu beispielsweise klein und, na ja, nicht so hübsch. Wir genossen die Natur ganz unbeschwert, denn vom Vulkan war nichts mehr zu hören. Am Sonntagabend flogen wir zurück nach Buenos Aires, wo wir noch eine Woche zu arbeiten hatten. Als wir nach der Landung im Terminal ankamen und ich auf den Ankunfts-Monitor schaute, staunte ich jedoch nicht schlecht: „Cancelled, cancelled, cancelled,...“ – in dieser Minute hatten sie den Flughafen wieder geschlossen und offenbar war unser Flugzeug eines der letzten, wenn nicht das letzte, welches in Buenos Aires noch landen durfte. Glück gehabt! Mit dem Auto hätten wir 36 Stunden benötigt und wären damit kaum pünktlich zur Arbeit erschienen – es kann also auch mal gut laufen!

Fotos zur Geschichte:

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Im Sturzflug nach Merkwürdistan

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