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2.1 Geschichtliches

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Mit zunehmender Regelungsdichte und -komplexität trat die Bedeutung des Fachs Rechtsgeschichte in der juristischen Ausbildung in den Hintergrund. Dabei gibt es wenig Rechtsgebiete, welche die Bedeutung der Geschichte (und damit auch der Rechtsgeschichte) eingehender darzulegen vermögen, als es die Exportkontrollregelungen tun. Für das Verständnis der Materie als solche sind weltgeschichtliche Kenntnisse von grossem Nutzen; für das Verständnis der Güterlisten der Dual-Use Güter ist die Kenntnis ihrer geschichtlichen Entwicklung schlichtweg unerlässlich. Im vorliegenden Werk wird – aus Platzgründen – auf geschichtliche Bezüge jedoch nur soweit Bezug genommen, als sie zum Verständnis der Materie jeweils unentbehrlich sind.

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Die Exportkontrolle ist keine Erfindung der Neuzeit, soll doch das Verbot von Kaiser Marc Aurel (121–180), Waffen wie Schwerter, Schilde, Pfeile und Bogen an Barbaren zu verkaufen, die erste bekannte Exportkontrolle gewesen sein.[1] Als zweites Beispiel wird das Verbot von Papst Innozenz II. (1088–1143) aus dem Jahre 1139 erwähnt, die Armbrust zu benutzen.[2] Letzteres Beispiel ist jedoch insofern nicht richtig, weil es hier weniger um die Exportkontrolle ging als um die Ächtung eines Kriegsgerätes.[3] Diese ist von der Exportkontrolle scharf zu unterscheiden, verfolgt sie doch völlig andere Ziele.

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Unter Ächtung von Kriegsmitteln versteht man ein selbst auferlegtes Verbot oder Übereinkommen von Staaten, bestimmte Waffen oder Munition ganz generell oder zumindest in einem bestimmten Konflikt nicht zu verwenden. Die Ächtung gilt auch dann, wenn der Einsatz dieser Waffen militärisch gesehen vorteilhaft wäre.[4] Die Gründe für solche Ächtungen haben sich im Laufe der Zeit verändert. War im Mittelalter deren Ziel v.a. die Aufrechterhaltung der Standesordnung, so hielt mit dem Aufkommen des Humanismus der Gedanke Einzug, menschliches Leid zu lindern und selbst in einem bewaffneten Konflikt wenn immer möglich dieses auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Seit dem Aufkommen der Massenvernichtungswaffen ist in erster Linie die Angst vor völliger gegenseitiger Vernichtung die treibende Kraft solcher Ächtungen.

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Die Exportkontrolle von Dual-Use Gütern in ihrer heutigen Form und Ausgestaltung kann als eine Resultante verschiedener Ereignisse der Achtziger- und Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts angesehen werden. Wichtig für das Verständnis der Materie ist jedoch zu wissen, dass die Exportkontrolle von Dual-Use Gütern bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges begann und seine Wurzeln im Beginn des Kalten Krieges hatte.

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Als Vorläufer der heutigen Exportkontrolle kann und muss das Koordinationskomitee für multilaterale Exportkontrollen (CoCom)[5] angesehen werden.[6] Dieses erste Kontrollregime, welches Dual-Use Güter einschloss, war ein auf Betreiben der USA initiierter Ausschuss mit Sitz in Paris. Es wurde am 22. November 1949 gegründet und nahm seine Arbeit per 1. Januar 1950 auf; zum Zeitpunkt seiner Auflösung Ende März 1994 gehörten ihm alle NATO-Staaten (mit Ausnahme Islands) sowie Japan und Australien an. Wie auch die heutigen Kontrollregime war das CoCom ein informelles und vertraglich nicht abgesichertes Gremium. Im Zeitpunkt seiner Gründung war der Ostblock der NATO zahlenmässig weit überlegen, weshalb es die Zielsetzung der Kontrollmassnahmen des CoCom war, diese zahlenmässige militärische Überlegenheit durch einen technologischen Vorsprung zu neutralisieren. Die restriktive Ausfuhrpolitik des CoCom ging jedoch weit über den Bereich der Massenvernichtungswaffen hinaus. So war das Ziel dieser Politik nicht nur, den Technologievorsprung der CoCom-Länder zu wahren, sondern auch den Rüstungswettlauf für potentielle Feinde zu verteuern. Die Massnahmen des CoCom richteten sich des Weiteren nicht nur gegen sämtliche Mitglieder des Warschauer Paktes, sondern auch gegen die kommunistischen Regime in China, Nordkorea, Vietnam, Albanien, Kuba und die Mongolei.[7]

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Das CoCom hatte drei Hauptfunktionen:

1.Erstellung und Revision der Ausfuhrkontrolllisten:

Es gab deren drei: die Internationale Rüstungsgüterliste, die Internationale Atomenergieliste sowie die Internationale Industrieliste, in der Güter (Waren und Technologien) aufgeführt waren, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden konnten (Dual-Use Güter). Ergänzung und Revision der Listen erfolgte an den regelmässigen Treffen der technischen Experten.[8]

2.Entscheidfällung über die von den Mitgliedstaaten eingereichten Ausfuhrgesuche:

Die der Kontrolle unterstellten Güter waren – gem. ihrer strategischen Bedeutung – in drei Kategorien eingeteilt:[9]

a.Für Güter der strategisch kritischsten Kategorie war eine Ausfuhr nur möglich, wenn alle CoCom-Staaten zustimmten (Prinzip der general exception).[10]

b.Für die Ausfuhr von Gütern der zweiten Kategorie galt das Prinzip der favorable consideration; die Ausfuhr war nur erlaubt, wenn kein Mitgliedstaat des CoCom dagegen Einspruch erhob.[11]

c.Für die Ausfuhr von strategisch unproblematischeren Gütern galt das Prinzip der national discretion; es brauchte keine Ausfuhrgenehmigung des CoCom; die Notifikation der Ausfuhr genügte.[12]

3.Koordination der nationalen Exportkontrollverfahren.[13]

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Während der allgemeinen Entspannung des Ost-West-Konflikts in den Siebzigerjahren wurden die Kontrollen des CoCom verhältnismässig grosszügig gehandhabt. Erst die Invasion Afghanistans durch die Sowjetunion veranlasste den damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter zu einer restriktiveren Haltung zurückzukehren. Die Reagan-Administration war es jedoch, die nicht nur der amerikanischen Exportkontrollpolitik eine noch striktere Ausrichtung gab, sondern auch das CoCom zu einer entsprechenden Haltung veranlasste. Im Jahre 1985 begannen die USA, auch Länder, welche nicht dem CoCom angehörten, mittels wirtschaftlichen Drucks zur Einführung einer restriktiveren Politik anzuhalten.[14]

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Im CoCom selbst erfolgte dann im Januar 1988 eine grössere Weichenstellung, welche insb. folgende vier Massnahmen betraf:[15]

1.Kürzung der Güterlisten;

2.Verstärkung der Kontrollen für die verbleibenden strategisch kritischen Güter;

3.Erleichterung des Handels von CoCom-Gütern zwischen den einzelnen Mitgliedern; und

4.Harmonisierung bei gleichzeitiger Verstärkung der gültigen Zollkontrollen und -verfahren in den einzelnen CoCom-Staaten.

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Die Kürzung der Güterlisten bezog sich in erster Linie auf die Internationale Industrieliste, welche zuletzt die neun folgenden Produktkategorien umfasste:

–Hochleistungsstoffe,

–Werkstoffbearbeitung,

–Elektronik,

–Rechner,

–Telekommunikation und Informationssicherheit,

–Sensoren und Laser,

–Navigation und Avionik,

–Meeres- und Schiffstechnik sowie

–Antriebstechnik.[16]

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Die politischen und marktwirtschaftlichen Reformen in den mittel- und osteuropäischen Staaten und den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, insb. aber die Auflösung des Warschauer Paktes, führten zu einer weiteren Lockerung der CoCom-Politik, welche sich einerseits in der Kürzung der CoCom-Listen niederschlug, andererseits aber auch in einer Vereinfachung der Bewilligungsverfahren.[17]

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Im November 1992 tagte erstmals ein auf Initiative der USA geschaffenes CoCom-Cooperations-Forum (CCF). Sein Ziel war es, neue Wege der Zusammenarbeit mit den Regierungen in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion, welche zu effektiven Reformen Hand boten, zu erarbeiten. Anlässlich eines gemeinsamen Treffens stellten die Mitgliedstaaten des CoCom den bisher von den Exportkontrollen betroffenen Staaten einen schrittweisen Abbau und schliesslich die Aufhebung der Kontrollen in Aussicht. Bedingung dafür war, dass sie den zivilen Endverbrauch der vom CoCom kontrollierten Waren und Technologien garantierten und darüber hinaus selbst wirksame Exportkontrollen einführten. Die diesbzgl. Vorschläge der von den Exportkontrollen betroffenen Staaten lösten grundsätzlich positive Reaktionen aus. Das CoCom wurde schliesslich am 31. März 1994 aufgelöst, noch bevor alle davon betroffenen Staaten selbst über wirksame Exportkontrollen verfügten.[18]

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Aus neutralitätspolitischen Gründen konnte sich die Schweiz dem CoCom nie anschliessen. Im Hotz-Linder-Agreement von 1951[19] erklärte sie sich jedoch gegenüber den USA bereit, Vorkehrungen dafür zu treffen, dass ihr Territorium nicht als Drehscheibe für eine Umgehung der CoCom-Kontrollen benutzt werde. Der Bundesrat argumentierte damals, dass ein Ausnutzen der Kontrollmassnahmen die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralitätspolitik, wonach die Schweiz sich grundsätzlich nicht an Embargomassnahmen einzelner Staatengruppen beteilige, beeinträchtigt hätte. Das erklärte Ziel der Schweiz war es, ihrer Industrie den undiskriminierten Zugang zu modernster Technologie in den CoCom-Staaten und insb. in den USA zu sichern, da der Zugang zu diesen Gütern für den Erhalt der Konkurrenzfähigkeit der betroffenen schweizerischen Wirtschaftszweige von grösster Bedeutung war.[20]

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Zum Erreichen dieser Ziele wurden 1951 folgende autonome Überwachungsmassnahmen getroffen:

1.Die Einfuhr bestimmter Waren wurde der amtlichen Überwachung unterstellt, und die Wiederausfuhr solcher Waren nur mit dem Einverständnis des Lieferlandes gestattet. Damit diese Massnahme durchgesetzt werden konnte, wurden sog. Einfuhrzertifikate ausgestellt. In diesen wurde gegenüber dem Lieferland amtlich garantiert, dass die Waren in die Schweiz eingeführt und ohne Einverständnis des Lieferlandes nicht wieder exportiert würden.[21]

2.Sodann wurden Vorkehrungen getroffen, die verhindern sollten, dass handelsbeschränkende Massnahmen des einen Mächteblockes gegenüber dem anderen durch Lieferungen von Gütern schweizerischen Ursprungs unterlaufen wurden. Um dies zu erreichen, wurde die schweizerische Industrie veranlasst, sich bei der Ausfuhr von kontrollierten Waren eine gewisse Selbstbeschränkung aufzuerlegen.[22]

3.1986 wurde das Überwachungssystem um ein beschränktes Durchfuhrverbot für Listenwaren ergänzt. Dieses kontrollierte die unrechtmässige Umleitung von Transitsendungen über die Schweiz, ohne jedoch die Durchfuhrmöglichkeiten unangemessen zu erschweren.[23]

4.1991 wurde die Möglichkeit geschaffen, die Wiederausfuhr ausländischer CoCom-Güter unabhängig vom Vorliegen eines Einfuhrzertifikates zu verweigern.[24]

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Diese Massnahmen gewährleisteten den weitgehend undiskriminierten Zugang der schweizerischen Industrie zu hochsensiblen Gütern. Im Jahre 1991 wurde die Schweiz (zusammen mit Irland, Österreich und Finnland) von den USA in die Liste der Länder aufgenommen, die neben den CoCom-Staaten 90 Prozent der auf der CoCom-lndustrieliste befindlichen Güter unter einer sog. Generallizenz beziehen konnten. Das Erfordernis einer individuellen Ausfuhrlizenz und die Einreichung eines Einfuhrzertifikates waren damit obsolet geworden.[25]

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Für die geschichtliche Betrachtung der Exportkontrollregelungen sind insb. die Umstände des CoCom-Endes von grosser Bedeutung. Das CoCom wurde wie bereits erwähnt auf gemeinsamen Beschluss seiner Mitglieder per 31. März 1994 aufgelöst, da es mit der Beendigung des Ost-West-Konflikts, ausgelöst durch den Zusammenbruch der Sowjetunion, keine Aufgabe mehr hatte. Jedoch sahen die Mitglieder des CoCom bereits damals neue Probleme, u.a. in der Verfügbarkeit von Dual-Use Gütern, und beschlossen bei der Auflösung des CoCom, eine Nachfolgeorganisation zu gründen. Diese trug in der Vorbereitungsphase den Namen «New Forum» und sollte zur Vermeidung des Exports von konventionellen Rüstungsgütern und Waren oder Technologien in politisch unzuverlässige Entwicklungsländer und Schwellenländer wie Nordkorea, Irak oder Libyen dienen.[26] Das «New Forum» führte schliesslich als Nachfolgeorganisation des CoCom zur Vereinbarung von Wassenaar.[27]

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Die Umstände der Auflösung des CoCom sowie die Ende der Achtziger- resp. Anfang der Neunzigerjahre in Kraft getretenen Exportkontrollmechanismen (worauf sogleich zurückgekommen wird) zeigen deutlich auf, dass die Ost-West-Kontrollen durch Nord-Süd-Kontrollen ersetzt wurden[28], welche auch heute noch einen zentralen Inhalt der Exportkontrollen darstellen.

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Bei den in den CoCom-Listen aufgeführten Gütern, welche im Übrigen in fast allen Mitgliedstaaten in nationale Kontrolllisten umgesetzt wurden, handelte es sich weitgehend um verhältnismässig klar definierte Erzeugnisse, so etwa bestimmte Chemikalien oder ihre Vorprodukte sowie Spaltmaterial oder Ausrüstung für dessen Erzeugung. Der Anteil von Dual-Use Produkten war zwar bereits damals beträchtlich, allerdings handelte es sich um strategische Dual-Use Güter, also solche, welche mehr oder weniger unmittelbar sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden konnten.[29] Die Erkenntnis, dass v.a. die Zahl der Länder der Dritten Welt zunahm, die technisch in der Lage waren, sich ihre Massenvernichtungswaffen und die dazu erforderlichen Trägersysteme (Raketen) bereits aus Komponenten herzustellen, hat nicht nur den Kontrollbedarf für strategische Dual-Use Waren verschärft. Diese Erkenntnis hat auch dazu geführt, bereits einfache Erzeugnisse bei der Ausfuhr in bestimmte Länder zu überwachen, wenn sie für den Einsatz in proliferationsverdächtigen Projekten geeignet sind. Letztlich führte dies zum folgenden Paradigmenwechsel in der Exportkontrolle von Dual-Use Gütern: Basierte die Exportkontrolle in der Vergangenheit vorwiegend auf produktbezogenen Kontrollen, so wird sie heute auch um verwendungsbezogene Kriterien ergänzt.[30], [31]

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Der Zeitpunkt der Entstehung der Exportkontrolle für Dual-Use Güter nach heutigem Verständnis wird unterschiedlich definiert. Gemäss der Botschaft zum GKG waren es die Ereignisse im Persischen Golf im Jahre 1990 (die Besetzung Kuwaits durch den Irak unter Saddam Hussein), welche den Bundesrat veranlassten, am 12. Februar 1992 die ABC-Verordnung zu erlassen.[32] Diese Verordnung galt allerdings nur als Provisorium bis zum Inkrafttreten des GKG vom 13. Dezember 1996, welches am 1. Oktober 1997 in Kraft trat. Für Deutschland darf der 1. April 1992 als Stichtag angegeben werden, da an diesem Tag das BAFA als zentrale Genehmigungsbehörde gegründet wurde.[33] Auslöser war u.a., dass der Irak mit Hilfe von westlichen Zulieferern in Samarra eine Giftgasfabrik errichtet hatte, was 1984 aufgedeckt wurde. Der berühmte Tropfen jedoch, der das Fass schliesslich zum Überlaufen brachte und in Deutschland zur heutigen Form der Exportkontrolle führte, war der Fall Rabta. Zu Beginn des Jahres 1989 erschien in verschiedenen Medien die Meldung, deutsche Unternehmen hätten die damalige libysche Regierung von Muammar Gaddafi beim Bau einer Chemiewaffenfabrik in der etwa 85 km südlich der Hauptstadt Tripolis gelegenen Stadt Ain er Rabta unterstützt. Die New York Times bezeichnete die Anlage am 2. Januar 1989 gar als «Auschwitz-in-the-sand».[34] Obwohl offensichtlich polemisch[35] und mit dem Ziel, Deutschland mit seiner Vergangenheit aus der NS-Zeit zu diffamieren und moralisch unter Druck zu setzen, zeigte diese Massnahme Wirkung, denn die Regierung der BRD geriet unter starken internationalen Druck, ihre Exportkontrolle neu zu regeln.[36] Die Gründung des BAFA wird deshalb selbst von seinem ehemaligen Direktor, WOLFGANG DANNER, als Befreiungsschlag der Deutschen Bundesregierung bezeichnet.[37]

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