Читать книгу Der Schatz des Gregor Gropa - Frank Wündsch - Страница 14

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Nur wenig Zeit musste verstreichen, bis Marius erste Zweifel zu plagen begannen, ob er den Anforderungen seiner Arbeit gerecht werden würde. Er musste sich eingestehen, dass er einem Irrtum unterlegen war zu glauben, vieles von seinem Vater gelernt zu haben. In der Praxis jedoch blieb jede Theorie so grau wie das Fell einer Feldmaus, die frech auf einem der Beete verharrte, bis Marius einen Stein nach ihr warf.

„Das darfst du nicht, Marius“, fuhr Boris ihn streng an, „man darf Tieren nichts tun, sagt mein Großvater, und sogar der Karl ist so.“

Marius entschuldigte sich und versuchte das auszubügeln, was er beim Mulchen verpatzt hatte. Sein Vater hatte sich umsonst bemüht, dem Sohn diese Fertigkeit beizubringen. Vor dem Mulchen musste der Boden gedüngt werden, sonst würde alle Mühe vergeblich sein. Der Diener Karl hatte ihn so nebenbei zwischen Haus und Feld auf diesen wichtigen Umstand aufmerksam gemacht.

Boris begriff nicht, aus welchem Grund die zweitägige Arbeit, die er bisher geleistet hatte, schlecht gewesen sein sollte. Als Marius ihm zu verstehen gab, dass dies nicht seine Schuld gewesen war, machte er sich sofort daran, den Rindenmulch wieder einzusammeln.

Dabei gab es viel für sie zu tun, denn die Schicht hatte eine Dicke von zehn Zentimetern und lag auf drei nebeneinander liegenden, etwa fünfzehn Meter langen Beeten. Marius hatte mit dem Zollstock Maß genommen und dafür gesorgt, dass auf allen Beeten dieselbe Stärke vorherrschte. Jetzt sammelte er leise vor sich hin fluchend mit Boris den Mulch ein. Es war ein warmer Tag, sie gerieten ins Schwitzen, je höher die Sonne am wolkenlosen Himmel stieg. Am Morgen war die Luft kühl gewesen, jetzt zog Marius den Pullover über den Kopf, warf ihn auf den Rasen, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und verschnaufte für einen Moment, während Boris unverdrossen weiter arbeitete. Boris stand mit dem Rücken zu Marius, da wagte der, ein bisschen länger Atem zu schöpfen, bis er erkannte, dass er beobachtet wurde. Marius beschirmte seine Augen mit der rechten Hand, schaute, erschrak, zischte ein leises „Verdammt“ durch die Zähne und ging sofort in die Hocke, um Mulch aufzuklauben und in einen Eimer zu werfen. Herr Weigelt hatte sich auf die Terrasse schieben lassen, um ihn mit einem Fernglas bei der Arbeit beaufsichtigen zu können. Boris hatte seinen Großvater ebenfalls bemerkt und ihm begeistert zugewunken. „Hallo Opa, das macht irren Spaß, was wir hier machen. Willst du nicht mal zu uns runter kommen?“

Herr Weigelt winkte ab und ließ sich von Karl zurück in sein Haus rollen. Am nächsten Tag war von Herrn Weigelt nichts zu sehen. Marius war müde, in der Nacht zuvor hatte er schlecht geschlafen, weil er befürchtete, von Herrn Weigelt gemaßregelt oder sogleich entlassen zu werden.

Boris dagegen zeigte sich bester Laune. Der Rindenmulch hatte es ihm angetan. Immer wieder schnupperte er daran, der angenehme Duft stieg in seine Nase und ließ ihn jauchzen. „Das riecht so gut, das gibt richtig Kraft. Dir auch, Marius?“, fragte er, warf den Mulch kichernd in die Höhe und ließ ihn auf sich herabregnen. Marius blieb ihm eine Antwort schuldig. Er schätzte ab, wie lange sie brauchten, den Mulch abzutragen und kam auf den frühen Nachmittag.

Die Mittagspause verbrachten sie im Freien. Boris wollte das so. Er lief ins Haus, um Karl Bescheid zu geben. Marius durfte das nur recht sein, hoffte er auf diese Weise, Herrn Weigelt aus dem Weg gehen zu können.

Kaum hatten sie die Arbeit für die Pause unterbrochen, schaute Boris wie gebannt aus seinem gewohnten Schneidersitz heraus auf das große Eingangstor. Marius schien für ihn nicht mehr da zu sein. Der verspürte Hunger. Er sah sehnsüchtig in Richtung der Küche in der Hoffnung, die Glastür würde sich öffnen und Karl mit einem großen Tablett zu ihnen kommen, auf dem sich eine gute Mahlzeit befand. Marius hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da sprang Boris behände aus dem Mulch, rief „Das muss er sein“ und klatschte dabei begeistert in die Hände. Marius hatte einen Wagen gehört, der Motor wurde abgestellt, und der Fahrer stellte die laute Musik etwas leiser. Boris rannte zum Tor und öffnete. Marius bemerkte einen Burschen, der kaum älter als Boris war. Der Fahrer schüttelte den Kopf, während sich Boris mit der Hand gegen die Stirn schlug, „Hab’ ich glatt vergessen“ von sich gab und zum Haus rannte. Kurz darauf war er wieder im Garten. Als Boris im Laufschritt Marius passierte, wedelte er ihm grinsend mit einem Geldschein zu. Wenig später saßen beide auf dem Rasen und aßen Pizza.

Die sollte Marius gehörig im Magen liegen. Seine Augen wurden schwer, er war versucht, sich lang zu machen, traute sich aber nicht einmal, aus dem Sichtfeld der Terrasse zu verschwinden, um im Schatten der Bäume ein Nickerchen machen zu können. Im Schneidersitz, so wie Boris es zu halten pflegte, ließe sich die Pause gut aushalten, meinte Marius und kämpfte weiter gegen seine Müdigkeit an. Wenn er jetzt für ein oder zwei Momente die Augenlider senkte, konnte nicht viel passieren.

Selbst mit geschlossenen Augen fand Marius keine Ruhe. Dafür sorgte Sally. Wie aus dem Nichts tauchte sie in seinen trüben Gedanken auf und machte ihm Vorwürfe. Wie oft habe sie ihm angeboten, im Schuhgeschäft ihres Vaters in Desert Plain zu arbeiten, genauso häufig hatte er ihr Ansinnen kühl abgelehnt. „Das ist dir wohl nicht fein genug, vor anderen Menschen zu knien und ihnen an die Füße zu fassen, was?“, hatte sie damals auf ihn geschimpft. Jetzt saß Marius auf dem Rasen neben einem Haufen Mulch, und der duftete wenigstens gut.

Plötzlich vernahm er ein Räuspern. Karl stand vor ihm. Er hielt ein Tablett in der Hand. Sein Lächeln war ölig. „Herrn Weigelt fiel auf, dass Sie sich müde gearbeitet haben. Er meinte, ein Espresso könnte Ihnen nicht schaden. Wenn Sie ihn getrunken haben, und das geht ja schnell, können Sie sicher um so besser arbeiten.“

Bei den Briefen seines Vaters hatte Marius starker Nerven bedurft, wenn er sie las. Bei diesem Brief war eine Flasche Bier erforderlich, die er wie am Mittag den Espresso hinunterstürzte.

Als Marius nach Feierabend das Schreiben aus dem Briefkasten geholt hatte, glaubte er im Treppenhaus Blei in den Beinen zu fühlen und stieg mühsam Stufe für Stufe nach oben. Er legte den Brief im Wohnzimmer auf den Tisch, ging zum Kühlschrank, trank das Bier zwischen Küche und Flur, ließ dabei Öffner und Deckel achtlos auf den Teppich fallen, griff zum Öffner für Briefe und schlitzte den Umschlag auf.

Seine schlimmsten Befürchtungen sollten sich bewahrheiten. Die Mahnung der „Northern Millway Bank“ war höflich im Ton, aber unerbittlich, was die Fakten betraf. Sein Herz schlug in harten Schlägen, als er sie sah. Zahl an Zahl reihte sich aneinander, und sie wurden mit jeder Zeile größer. Zum Glück hatte er diese Schulden seinem Vater verschwiegen. Keine ruhige Minute hätte der im Krankenbett mehr gehabt.

Marius war beklommen zumute, er fühlte Druck auf der Brust und ein Würgen im Hals. Auf dem Balkon hoffte er, Linderung zu finden. Als seine Mutter noch lebte, war der Balkon reich mit Blumen geschmückt gewesen. Mit ihrem Tod waren die Blumen verschwunden. Den Vater hatten sie zu sehr an seine Frau erinnert und traurig gestimmt.

Marius angelte mit dem rechten Bein nach einem Stuhl, zog ihn her und ließ sich fallen. Draußen war es warm, am Horizont sammelten sich ein paar Wolken, die Sonne schien Marius ins Gesicht. Er schloss die Augen und sah das Grauen vor sich. Der Bankrott in Australien drohte in die nächste Pleite in Deutschland zu münden, wenn Marius die Arbeit bei Herrn Weigelt verlor. Bereits in Sydney und Coldsville hatte er alles in den Sand gesetzt, was er jemals angepackt hatte. Vielleicht würde es ihm in Deutschland mit dem Anbau von Tomaten besser ergehen.

Die Hoffnung trog, entzog sich Marius jeder Illusion. Herr Weigelt war kein Mann, der Almosen gab. Marius versuchte, einen kühlen Kopf zu bewahren, obwohl ihm die Sonne auf den Schädel brannte. Der Enkel könnte der Schlüssel für die Lösung sein. Wenn er Boris bei Laune hielt, mochte sein Großvater über manchen Mangel seiner Arbeit hinwegsehen.

Und wenn nicht? Marius war es leid. Zu viele Sorgen hatten ihn in den letzten Jahren geplagt, nichts war ihm gelungen, das Pech schien ihm wie Teer an den Stiefeln zu kleben.

Marius ging in den Schatten der Wohnung zurück. An den Wänden hingen die Bilder und Zeichnungen seiner Mutter. Sie hatte ein Talent bewiesen, das auch außerhalb der Familie für Aufsehen gesorgt hatte. Vom Vater gab es nichts zu sehen, außer einigen Fotografien. Eine Aufnahme zeigte seine Eltern beim letzten gemeinsamen Urlaub in Italien. Das Bild hatte einen festen Platz über dem Sofa gefunden. Sein Vater hatte das Mittelmeer geliebt, weil dort die Tomaten von selbst wuchsen, die Mutter wegen des Lichts und der azurblauen See. Auch in Mannheim hatte sie viele Bilder gemalt. Seiner Mutter war es nicht schwer gefallen, geeignete Motive in der Stadt zu finden. Sie hatte den Auenwald am Ufer des Rheins und die Schiffe, die auf dem Fluss verkehrten, auf die Leinwand gebracht. Die vielen Störche mit ihren Jungen auf den Nestern im Luisenpark hatte sie ebenso gemalt, wie die prächtige Jesuitenkirche nahe des Schlosses. Verlor Marius die Wohnung, verloren die Bilder seiner Mutter ihren Platz.

Marius wollte seine Sorgen mit einem zweiten Bier betäuben, verwarf den Gedanken, hastete unruhig von Zimmer zu Zimmer, fand keine Ruhe und ging wieder auf den Balkon. Die Sonne war verschwunden, graue Wolken hatten sich in Windeseile ausgebreitet und den Himmel verdüstert. Ein böiger Wind kam auf und blies Marius ins Gesicht. Er begann zu frösteln und floh vom Balkon, um ins Warme zu kommen.

Der Schatz des Gregor Gropa

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