Читать книгу Der Schatz des Gregor Gropa - Frank Wündsch - Страница 8
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ОглавлениеNachdem Marius in der Bowling-Halle den Eingang verschlossen hatte, ging er Steinchen vor sich her tretend zu seiner Wohnung, betätigte im Flur den Lichtschalter und klickte ihn hektisch hin und her. Wie am gestrigen Tag und in der Woche zuvor ging Marius kein Licht auf, da ihm der Strom abgeschaltet worden war. In seiner Not hatte sich Marius der Ratschläge seines sparsamen Vaters erinnert, zeitig das Bett aufzusuchen und die Leistung des Kühlschranks zu halbieren, doch war das Elektrizitätswerk unerbittlich geblieben. Marius boxte sich vor Ärger in die linke Hand, dann ging er unter die Dusche. Wasser bekam er, noch.
Später saß er am Küchentisch und wusste nicht, was er machen sollte. Alle Arbeit war getan. In Coldsville gab es für ihn keine andere als jene, die er bisher erledigt hatte. Um neue Pläne zu schmieden, war er nicht in der Stimmung. Marius wusste, dass sich ihm lediglich zwei Alternativen boten. Entweder er ging auf Arbeitssuche nach Sydney, oder er kehrte nach Deutschland zurück.
Auf dem Hof machten sich die Hunde seiner Nachbarin bemerkbar. Die Dobermänner bellten gewöhnlich, wenn ihnen jemand unbekannt vorkam, der sich dem Haus näherte oder den sie nicht riechen konnten. Der Briefträger Dave kam jeden Tag. Marius war daran gewohnt, Briefe zu bekommen, die kein Mensch haben wollte.
Seine Nachbarin begann zu schimpfen. Die bösen Worte galten nicht ihren Hunden, sondern dem Briefträger. Der sollte die Tür seines Wagens gefälligst behutsamer schließen, der Radau störte sie beim Fernsehen, keifte sie, während ihre Dobermänner weiterhin bellten, als ob es kein morgen geben würde. Marius musste grinsen. Dave machte das Bellen der Hunde täuschend echt nach.
Marius stand auf und nahm ein Glas aus dem Schrank. Sogleich verging ihm die Heiterkeit. Er erinnerte sich der besseren Zeiten, in denen er gewohnt war, Dave ein Glas Sekt einzuschenken, wenn der Briefträger oder eines seiner Kinder Geburtstag hatte, und die durften auffallend häufig diesen Tag feiern. Marius füllte das Glas mit Leitungswasser. Dann wartete er, bis Dave bei ihm klingelte.
Er brauchte einen Moment, um darauf zu kommen, dass ohne Strom auch seine Klingel nicht funktionierte, und er ging zur Tür. Als er sie geöffnet hatte, sah er Dave mit erhobener Faust vor ihm stehen. Die Faust hatte nicht Marius gegolten, sondern der Tür, aber die war ja jetzt offen. Er streckte dem Briefträger sein Glas entgegen und versuchte zu lächeln: „Hi, Dave. Denk dir einfach da wäre Sekt drin. Oder ein gutes Bier. Aber bei der Hitze hilft eh nur Wasser.“
„Wieso funktioniert deine Klingel nicht, Marius?“
„Sie haben mir den Strom abgestellt. Aber kaltes Wasser bekomme ich weiterhin.“
Dave leerte das Glas in einem Zug. „Halleluja, das tut gut. Was hast du gesagt? Du bekommst keinen Strom mehr?“, fragte er verwundert. Dave kniff die Augen zusammen, als ob er in die Sonne schauen würde. Wie hatte sich Marius nur verändert. Früher war Dave mit ihm um die Häuser gezogen, viele waren ja nicht da und bezahlt hatte gewöhnlich der Deutsche. Marius war nicht nur wegen seines Großmutes ein guter Kumpel gewesen, bisweilen etwas zu geschwätzig, dann wieder wortkarg und melancholisch, doch gewöhnlich bei guter Stimmung und nach ein paar Drinks zu Scherzen und Streichen aufgelegt, ohne dabei dreist oder respektlos zu sein.
„Ich habe einfach kein Geld mehr“, gestand Marius und breitete vor Verlegenheit seine Arme aus.
„Verdammt. Im Sommer keinen Strom zu haben ist besonders bitter“, war Dave mitfühlend. „Die olle Adams hat Strom. Aber von ihr bekomme ich beim besten Willen kein Wasser aus dem Kühlschrank. Die Alte würde mir nicht mal Wasser aus dem Trog geben, aus dem ihre verdammten Köter saufen. Das kannst du vergessen, dass sie dir ein Verlängerungskabel reicht. Hier, die beiden Briefe sind für dich. Einer ist von deinem Vater aus Deutschland. Ja, ich hab’ hinten drauf geschaut, woher er kommt. Der ist jedenfalls keine Rechnung wie der andere Brief. Das ist schon mal was, nicht wahr?“
Marius murmelte „Na, immerhin“ und nahm die Briefe und das leere Glas an sich. Dave fehlten die Worte. Lediglich ein Satz fiel ihm ein. „Ich hoffe, dass wir uns nächste Woche wiedersehen.“
„Wenn ich Geld haben sollte, lade ich dich auf ein Bier ein“, machte Marius sich selbst Mut.
„Nein, dann lade ich dich ein.“
Marius legte die Briefe auf den Küchentisch und überlegte, welchen er zuerst öffnen sollte. Was von dem Brief vom Elektrizitätswerk zu erwarten war, konnte er mehr als erahnen. „Bezahlen Sie Ihre Rechnungen, und wir beliefern Sie mit Strom.“ So einfach konnte das Leben sein. Was ihm sein Vater schrieb, wollte er sich lieber nicht vorstellen.
Marius schüttete am Spülbecken Wasser in sein Gesicht, um die Hitze im Haus besser ertragen zu können. Dann öffnete er den einen Brief. Da stand drin, was er befürchtet hatte. Er legte die Mahnung zu den anderen und griff nach dem Brief seines Vaters. Bevor er zum Messer langte, drehte er ihn langsam zwischen den Händen. Schließlich überwand er sich und schlitzte ihn auf. Im Umschlag befand sich ein kleinerer, der auf den Boden fiel. Marius bückte sich, sah auf das in Blau gehaltene Papier, fuhr mit dem Daumen hinein und öffnete ihn.
Marius konnte seiner Überraschung kaum Ausdruck verleihen. Im Umschlag befanden sich zwei große Geldscheine. „Eintausend Euro! Vater, hab’ tausendfachen Dank!“, rief er und warf einen sehnsüchtigen Blick zur Lampe, die ihrer Verwendung beraubt nutzlos von der Decke hing.
Frohen Mutes begann Marius den Brief seines Vaters zu lesen. Seine gute Stimmung trübte sich sofort ein und sank, je mehr er davon las, ins Bodenlose. Sein Vater machte ihm bittere Vorwürfe, von Zeile zu Zeile wurden sie heftiger. Nichts sei dem Sohn gelungen, Misserfolg reihte sich an Niederlage, was er auch angepackt hatte, war ohne Erfolg geblieben. Alles Geld war zum Teufel, nicht nur das eigene Vermögen hatte Marius mit seinen Unternehmungen verpulvert, auch jenes seines Vaters hatte er damit aufgebraucht.
„Nimm diese eintausend Euro“, war in den letzten Zeilen zu lesen, wobei sich Marius wunderte, dass diese Worte in einer ihm fremden Handschrift geschrieben waren. „Verwende sie tunlichst nicht zum Abbau Deiner drängendsten Schulden, sondern steige in das nächste Flugzeug und komme so schnell Du kannst zu Deinem kranken Vater nach Deutschland. Ich leide an Krebs. Die Geschwüre haben von meinem ganzen Körper Besitz ergriffen. Wenn Du mich lebend sehen willst, so spute Dich. Sonst ist es zu spät!
P.S.: Was auch immer geschehen ist. Du bist und bleibst mein Sohn!“
Marius war wie vom Donner gerührt. Das hatte er in seinen schlimmsten Träumen nicht befürchtet. Als er noch an das Stromnetz angeschlossen war, hatte ihm sein Vater per E-Mail mitgeteilt, dass er an Magenbeschwerden litt und mit dem Essen Maß halten müsse. Den Krebs hatte er mit keinem Wort erwähnt. Und jetzt lag sein Vater im Sterben.