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Francesca

New York City, Sommer 1993

„Schließen sie den Vorhang!“ rief Oberärztin Claire der Notaufnahme des St. Michael Hospital in Greenwich Village Schwester Kathleen zu, die für einige Tage von Station Vier, dem Therapiezentrum für Suchtprobleme, in die Unfalleingänge versetz wurde. Der Anweisung folgend trat Kathleen an Bett Nummer Zwei und schloss den Plastikvorhang des Neuzugangs.

„Was kann ich tun?“, fragte sie die Oberärztin.

„Säubern sie das Gesicht der Kleinen, es sieht furchtbar aus!“

Wie angeordnet nahm Kathleen ein mit Desinfektionslösung getränktes Reinigungstuch und strich eine von Speichel verklebte Haarsträhne aus dem Gesicht der scheinbar jungen Frau. Gerade, als sie behutsam die Wangen säubern wollte, wich sie einen Schritt zurück.

„Oh mein Gott…“, stotterte sie, „…das ist Francesca!“

Oberärztin Claire, die angefangen hatte die Aufnahmepapiere zu studieren, blickte auf. „Sie kennen sie?“

„Sie wollte heute heiraten!“ Kathleen schien sichtlich irritiert.

„Nun, ich denke heiraten wird sie heute nicht mehr“, antwortete die Oberärztin kühl und gab Kathleen das Aufnahmeformular.

„Geben sie mir die Fakten“, forderte sie Kathleen routiniert auf. Kathleen bemühte sich um Fassung und las die notierten Daten der Aufnahmeärzte vor.

„Weibliche Weiße, zirka fünfundzwanzig Jahre alt, aufgenommen mit Atemnot, Bewusstseins- und Herzkreislaufstörung, Hautirritationen um Mund und Nase, Geruch nach Lösungsmittel, Reanimation durch Intubation bei Atmung. Die Patientin befindet sich im Tiefschlaf mit sich wiederholenden kurzzeitigen Wachzuständen.“

„Wo fand man sie?“, fragte die Oberärztin weiter und leuchtete in Francescas scheinbar leblose Augen.

„Man fand sie im Washington Square Park“, antwortete Kathleen, während die Oberärztin die Hautirritationen um Mund und Nase begutachtete.

„Sie riecht sehr stark nach Lösungsmittel. Wurde irgendetwas bei ihr gefunden?“

„Nein! Doch ich bin überzeugt das es Klebstoff war.“

Kathleen studierte noch ein zweites Mal die Aufzeichnungen.

„Klebstoff?“ Oberärztin Claire schaute auf.

„Also gut! Sie kennen das Mädchen? Dann erzählen sie! Aber bitte nur die Fakten!“ Noch immer sprach Oberärztin Claire in einem sehr kühlen Tonfall. Kathleen begann zu erklären.

„Francesca ist seit fast zwei Jahren Patientin auf Station Vier. Sie schnüffelte regelmäßig Klebstoff. Seit ihrem vierwöchigen Entzug begleiten wir sie in einer Therapie, die erfolgreich und fast zu Ende ist. Zudem hat sie sich gerade erst verlobt. Ich verstehe nicht, was passiert ist.“

„Gab es denn keinen Anhaltspunkt, dass sie eventuell rückfällig werden könnte?“, fragte Oberärztin Claire etwas nachdenklich.

„Nein! Sie war voller Vorfreude auf ihre Hochzeit.“

„Und warum hat sie geschnüffelt?“, fragte Oberärztin Claire weiter. Kathleen schaute einen Augenblick lang auf Francesca, dann begann sie zu erzählen.

„Wissen sie Claire, in all den Sitzungen mit ihr und auch in den Gesprächen mit ihrem Verlobten kristallisierte sich heraus, dass Francescas immer stärker werdendes depressives Verhalten daraus resultierte, dass sie unter den verschiedenen kulturellen Einflüssen ihrer Familie litt. Ihre Mutter und sie selbst wurden in der Sowjetunion geboren. Ihr Vater kam ums Leben, als sie noch ein Kind war. Dann verliebte sich ihre Mutter erneut in einen Freund der Familie, einen Amerikaner hier aus New York City. Für Francesca brachte das Bündnis dieser völlig unterschiedlichen Welten große Probleme mit sich. Der Umzug von Leningrad nach New York City und das sich Zurechtfinden in einem neuen System. Darüber hinaus verbrachte sie die letzten Jahre alleine, denn ihre Mutter folgte ihrem Mann für einen Job nach Frankreich. Sie blieb mit ihren Zweifeln und Ängsten hier in New York City zurück. Eines führte zum anderen und letztendlich ins Drogenmilieu. Francesca sprach oft davon, dass sie hoffte, in ihren Rauschzuständen ein Gefühl von Heimat und Liebe zu bekommen. Ich bin auch nicht sicher, ob ihre Eltern wussten, wie es um sie stand. Und dennoch, sie hatte das alles letztendlich hinter sich gelassen. Sie war clean und blickte nach vorne!“

Kathleen hielt kurz inne, dann fügte sie leise hinzu: „Sie wollte heute heiraten!“

Kathleen und Oberärztin Claire schwiegen für eine paar Sekunden, dann fuhr Oberärztin Claire fort.

„Bevorzugte sie eine bestimmte Sorte von Klebstoff?“

„Ich weiß es nicht!“, antwortete Kathleen fast unhörbar.

„Danke Schwester! Dann entfernen sie das Kleid und bringen sie es ins Labor, ich will schnellsten die Analyse! Ich schicke ihnen eine Pflegerin“, wies Oberärztin Claire Kathleen scheinbar doch mitfühlend an, unterschrieb das Aufnahmeformular und verschwand hinter dem Plastikvorhang.

Kathleen sah Francesca mit traurigen Blicken an, wie sie dalag, in ihrem wunderschönen Brautkleid aus champagnerfarbenem Seidenchiffon mit Hunderten von funkelnden Steinen wie Diamanten, die sie erstrahlen ließen. Das Kleid war ein Kunstwerk aus Meisterhand.

Kathleen erinnerte sich, wie stolz Francesca es ihr noch vor ein paar Tagen in der Therapiestunde zeigte.

„Schwester Kathleen? Entschuldigung! Ich soll ihnen hier helfen?“ Eine Pflegerin riss Kathleen aus ihren Gedanken.

„Oh, ja danke! Kommen sie her! Wir müssen ihr das Kleid ausziehen. Ich werde sie herumdrehen und sie öffnen das Kleid. Aber bitte vorsichtig! Wir wollen es nicht zerreisen!“

Die beiden Frauen arbeiteten so behutsam wie möglich und noch während sie Francescas Körper von einer Seite auf die andere drehten, erwachte sie kaum spürbar. Sie erlebte jede Berührung der Schwestern in vollem Bewusstsein. Sie wollte sich mitteilen, doch ihre Zunge bewegte sich nicht. Es fühlte sich an, als säße sie in einem Karussell, das sie geradewegs durch ihre Erinnerungen drehte.

„Nein! Nicht mein Kleid!“, stammelte Francesca nun leise.

„Hat sie etwas gesagt?“ Kathleen schaute die Pflegerin fragend an.

„Ich habe nichts gehört“, antwortete diese.

„Wir müssen sie warm halten! Schnell, holen sie ein paar Decken!“ flüsterte Kathleen leise.

Francesca lag in Trance und es war als höre sie von weitem die Stimme ihrer Mutter. Sie wollte zu ihr laufen, doch ihre nackten Füße bewegten sich nicht. Sie spürte die aufsteigende Kälte, die sich langsam ihres Körpers bemächtigte, es schmerzte. Auf einmal wurde es dunkel, dichter Nebel umhüllte sie. Sie hatte große Angst. Sie öffnete weit ihre Augen und versuchte zu deuten. Dann plötzlich sah sie einen goldenen Schimmer, einen Sonnenstrahl, eine Brücke, die über einen tiefen Abgrund führte und sie hörte eine sanfte Stimme, die rief:

„Francesca, komm zu uns, komm in die Sonne!“

Sie sah ihre wunderschöne Mutter, Katharina Petrovic Price und ihren geliebten Stiefvater Richard Price. Sie sah ihr Zuhause, sie sah ihre Vergangenheit und dann erinnerte sie sich, wie alles begann…

Die Wiege der Damaszener

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