Читать книгу Die Wiege der Damaszener - Frankae M.G. - Страница 9

Оглавление

Katharina

Leningrad, Winter 1936

„Anna, wie geht es ihnen? Wie ich sehe, ist es fast soweit“, rief eine vertraute Stimme. Anna, die gerade die Eingangstreppe der Akademie der Wissenschaften heraufstieg, sah auf.

„Natascha, das ist ja eine Überraschung, wie schön sie zu sehen. Was für ein Zufall, was tun sie hier?“, fragte sie erstaunt.

„Ich freue mich auch, sie wieder zu sehen! Ich besuchte einen alten Gelehrten. Sie waren lange nicht mehr bei uns, das fanden wir sehr schade. Wieso haben sie sich seit jener Nacht, als Michail geboren wurde, nicht mehr gemeldet?“ Natascha schaute Anna ein wenig vorwurfsvoll an.

„Es tut mir sehr leid, es gab so viel anderes zu tun. Die Vorbereitungen für die baldige Geburt und Karls Arbeit hier in der Akademie. Sie wissen doch, wir haben stets wenig Zeit füreinander“, antworte Anna und schaute schuldbewusst nach unten auf die Stufen. Sie wusste, das sie log.

„Anna! Ich kann gut verstehen, dass sie sich all die Zeit nicht gemeldet haben. Auch für mich war es nicht leicht, das Mädchen in ihren Armen sterben zu sehen. Gott alleine weiß, ich habe mein Bestes getan. Aber Anna, ich konnte sie nicht retten. Und ich denke, sie hatte das auch gewusst. Glauben sie mir, sie wollte nur das eine, dass ihr Junge lebt.“ Natascha nahm Annas Hand. „Und wissen sie, der Junge lebt jetzt bei uns und wir sind sehr glücklich darüber. Er bringt einfach Freude in unser Haus.“ Natascha lächelte.

„Das freut mich für sie und den Kleinen. Michail wird es sehr gut bei ihnen haben, davon bin ich überzeugt“, antwortete Anna noch immer verlegen.

„Sie sehen sehr gut aus und wie ich auch sehen kann, will das kleine Mädchen bald in die große Welt.“ fuhr Natascha fort.

„Glauben sie wirklich, dass es ein Mädchen wird?“ Anna blickte ungläubig.

„Ich bin Hebamme seit über fünfzehn Jahren. Vertrauen sie mir, ich kann es sehen und ich bin sicher, es wird bald soweit sein.“

„Das glaube ich allerdings auch, ich kann kaum noch sitzen und ich fühle die Bewegungen von Tag zu Tag mehr. Karl schwebt schon lange in Vorfreude, er ist aufgeregter, als ich es bin. Ich wollte ihm gerade etwas zu essen bringen.“ Anna zeigte Natascha ihren vollgepackten Korb.

„Das sieht wirklich sehr köstlich aus! Bitte, sagen sie Karl einen lieben Gruß von mir und denken sie daran, wenn sie Beistand brauchen, dann rufen sie mich, ich werde für sie da sein! Auf Wiedersehen!“, verabschiedete sich Natascha und verließ die Akademie. Anna ging langsam die Stufen hinauf. Am Ende des Ganges gelegen, öffnete sie leise die Tür des Arbeitszimmers ihres Mannes. Es war ein enger verwinkelter Raum mit kleinen vergitterten runden Fenstern, in denen die Tauben den ganzen Tag gurten und überall ihre Federn und ihren Taubendreck hinterließen. Im Schein einer alten Lampe schrieb Karl an seinen Arbeiten. Anna schloss die Tür und blieb stehen. Karl bemerkte sie nicht. Er sah müde aus, die Jahre hatten tiefe Furchen in sein Gesicht geschnitten. Sein Haar war ergraut und sein Bart glich dem Bart eines Greises. In seinem Mund dampfte die alte Pfeife seines Großvaters. Er hätte Ruhe gebraucht, Schlaf und Erholung, doch Karl nahm sich keine Zeit dafür. Anna erinnerte sich für einen Moment daran, wie männlich und stolz er einst war und sie ihn anbetete. Doch die Zeit war vergangen und aus dem umschwärmten Karl von Stein war ein älterer, in sich gekehrter Mann geworden. Es schmerzte sie ihn so zu sehen, auch wenn Anna wusste, dass es nicht wirklich seine Schuld war. Er bürdete sich nur zu viel auf, weil er zu gutmütig war, Karl schaute auf.

„Anna, mein Liebes, was machst du hier in der Akademie? Du solltest doch zu Hause bleiben und dich schonen!“, rief Karl von Stein besorgt.

„Mach dir keine Gedanken! Es geht mir gut. Ich war gerade auf dem Markt und ich dachte, ich bringe dir frisches Obst, es wird dich stärken.“

Anna streichelte ihrem Mann über die Wange.

„Das sollst du doch nicht tun! Aber danke, das ist sehr lieb von dir. Komm her und setzte dich zu mir!“

Karl schob einen leeren Stuhl neben seinen und klopfte auf den Sitz. Anna folgte dem Wunsch ihres Mannes und versuchte sich langsam zu setzten, auch wenn es für sie, in ihrem hochschwangeren Zustand, eine große Anstrengung war.

„Karl, du wirst niemals glauben, wen ich gerade in der Akademie traf, es war Natascha.“ Karl sah Anna erstaunt an.

„Natascha? Es ist eine Ewigkeit her, dass wir sie zuletzt sahen. Wie geht es ihr?“ Karls konnte ahnen, wie enttäuscht Natascha und Wassily von ihnen beiden waren. Nach jener Nacht, in der Anastasia in Annas Armen starb, hatte sich alles verändert. Es war, als hätten ihre beiden Freunde nie existiert, als wäre nie etwas gewesen. Karl wusste, dass es nicht ihre Schuld war, oder dass jene Nacht daran schuld war. Es waren die Erinnerungen an Peter, dessen Tod Anna noch immer nicht verwunden hatte. Und wenn das der einzige Weg war, den Anna gehen konnte, um mit der Angst vor ihrer Trauer um den Tod fertig zu werden, dann stand Karl ihr zur Seite, auch wenn es den Bruch einer Freundschaft bedeutete.

„Ich denke, es geht ihr sehr gut. Sie bot mir ihre Hilfe an und das ist sehr nett von ihr.“

„Ja, das ist es. Natascha ist eine gute Hebamme und eine gute Freundin, was auch immer passiert ist.“ Karl nahm seine Frau in den Arm und hielt sie lange fest.

Natascha war unterdessen nach Hause geeilt und öffnete freudig die Tür ihres Blockhauses. Wassily saß in Gedanken versunken in Raum.

„Wassily?“, rief Natascha aufgeregt. „Du wirst niemals glauben, wen ich heute in der Akademie traf. Es war Anna und sie war hochschwanger. Ich denke in ein paar Tagen wird es bei ihr soweit sein, ich freue mich für sie.“

„Du hast Anna getroffen? Wie geht es ihr?“

„Es geht ihr gut und ich glaube, sie hat sich sehr gefreut mich zu sehen, auch wenn sie es nicht zeigen konnte“, nickte Natascha mit Nachdruck.

„Sie ist schwanger?“ Wassilys Lippen formten sich zu einem Lächeln.

„Das wird Karl sehr freuen. Hoffentlich wird es ein Junge, genauso hübsch wie unser Michail“, fügte er stolz hinzu.

„Nein, ich denke es wird ein Mädchen, genauso hübsch wie ihre Mutter.“ Natascha klatschte in ihre Hände.

„Und wie ich dich kenne, hast du es Anna auch schon prophezeit.“ Wassily schaute seine Frau etwas vorwurfsvoll an.

„Ich kann nichts dafür! Es ist einfach mein Gefühl, ich bin Hebamme! Ich sehe es den Frauen nun einmal an. Anna sah sehr rosig und sehr kräftig aus, es kann nur ein Mädchen werden!“ Natascha ging in die Teestube. Wassily folgte ihr und goss beiden heißen Tee ein.

„Auch ich habe Neuigkeiten, Sergej schrieb uns.“

Natascha schaute auf.

„Sergej? Wie geht es ihm? Wo ist er und was schreibt er?“

Wassily zog einen Brief aus seiner Jacke und sah ihn glücklich an.

„Er lebt noch immer in New York City als ein angesehener Architekt. Er schreibt, das er für einen sehr reichen und berühmten Mann arbeitet und das er uns vielleicht bald besuchen wird.“ Wassily schaute freudig auf.

„Das ist wundervoll! Wann kommt er“, fragte Natascha voller Neugier.

„Sobald sein Auftrag erledigt ist. Er will zusammen mit einer Familie aus New York City zu uns kommen und ihnen Leningrad zeigen.“ Wassily trank hastig seinen Tee.

„Oh, er muss erst seinen Auftrag beenden, dann wird es wohl noch einige Zeit dauern, bevor er kommt. Aber er hat Freunde gefunden, dass ist schön!“, bemerkte Natascha wieder ruhiger.

„Ja! Er hat Freunde gefunden. Er hat es geschafft, was für ein Segen!“, lächelte Wassily.

Tage waren seit der Begegnung zwischen Natascha und Anna vergangen. Anna fühlte mehr und mehr das Ankommen des Kindes. Karl, der unmöglich der Akademie fern bleiben konnte, hatte eine Krankenschwester beauftragt, alle Vorkehrungen für die Geburt zu treffen, um Anna rechtzeitig in das neue Stadtkrankenhaus zu bringen. Anna jedoch war unsicher, sie kannte von vielen Besuchen die dortigen Zustände. Es gab zu wenige Schwestern und die Ärzte arbeiteten Tag und Nacht, manchmal ohne Schlaf. Auch die hygienischen Zustände ließen zu wünschen übrig. Natürlich hätte sie als Deutsche eine besondere Behandlung bekommen, doch sie wollte ihr Kind nicht an einem Ort wie diesen zur Welt bringen. Sie dachte an Natascha, wie liebevoll sie war und während sie durch alte Zeiten träumte, spürte sie plötzlich ein Ziehen.

„Schwester! Ich glaube es ist so weit!“ Anna hielt sich den Bauch und der ziehende Schmerz wurde stärker.

„Dann kommen sie! Wir müssen aufbrechen!“, aufgeregt griff die Schwester nach der gepackten Tasche und reichte Anna ihre Hand.

„Nein! Nein, nicht ins Krankenhaus! Das Ziehen lässt wieder nach. Gehen sie und holen sie Natascha Petrovic, die Hebamme! Ich will, dass sie mein Kind zur Welt bringt, beeilen sie sich!“ Ohne Widerrede machte sich die Schwester auf den Weg in das Viertel der alten russischen Blockhäuser. Dort angekommen, freute sich Natascha sehr, den Wunsch ihrer Freundin zu hören und sie war froh, dass Anna ihr vertraute. Auch Wassily zog sich eine Jacke an und fuhr direkt zur Akademie, Karl sollte bei der Geburt seines Kindes in der Nähe sein. Nach etwa einer Stunde kehrte die Schwester, gefolgt von Natascha zurück.

„Ich dachte schon, sie würden nicht kommen“, rief Anna, als Natascha das Schlafzimmer betrat.

„Glauben sie wirklich, ich würde sie im Stich lassen?“ Natascha säuberte Annas feuchte Stirn. „Haben sie Schmerzen?“, fragte sie sanft.

„Ja, und ich habe Angst! Ich weiß nicht, ob ich es überstehen werde. Ich bin sehr froh, dass sie an meiner Seite sind.“ Anna schaute Natascha mit ängstlichen Augen an.

„Machen sie sich keine Sorgen, sie sind gesund und kräftig. Ihr Mädchen wird auf dieser Welt sein, noch bevor sie es merken und ich bin bei ihnen. Karl und Wassily werden auch bald hier sein. Sie sind nicht alleine. Wir stehen das gemeinsam durch.“ Natascha hielt Annas Hand.

„Natascha, ich weiß ich tat ihnen Unrecht. Ich hätte mich melden sollen. Bitte! Verzeihen sie mir!“ Natascha ließ Annas Hand los und nahm sie fest in den Arm.

„Ich habe ihnen schon lange verziehen, schon lange! Und ich verstehe sie. Eines Tages werden wir darüber reden, wenn sie es möchten“, antwortete sie behutsam, dann setzten die Wehen ein.

Karl und Wassily, die unterdessen eingetroffen waren, verfolgten im Esszimmer nervös die Geburt und dann auf einmal hörten sie ihn, den krächzenden Schrei des Kindes. Wassily umarmte seinen Freund. Natascha kam heraus, sie lächelte.

„Es ist ein Mädchen, ich habe es doch gewusst! Es ist ein Mädchen! Sie heißt Katharina und Anna geht es sehr gut.“

Karl war überglücklich. Seine wunderschöne Tochter Katharina war endlich geboren. Erleichtert nahm er sie auf den Arm und setzte sich ganz nah zu seiner erschöpfte Frau.

Die Wiege der Damaszener

Подняться наверх