Читать книгу Die Söhne des Scheiks - Franz Kandolf - Страница 10
5. Ein frohes Wiedersehen
ОглавлениеWir brachen auf, voran der Scheik, ich und Dojan. Ich hatte die anderen angewiesen, langsam mit den Pferden zu folgen und auf jeden Fall nicht hinaus auf die Lichtung zu treten, sondern am Waldrand unter den Bäumen anzuhalten. Zwar traute ich dem Scheik, aber ich wusste nicht mit Bestimmtheit, wie sich seine Leute zu uns stellen würden, wenn sie erfuhren, dass wir gekommen seien, sie von ihren Gefangenen zu befreien, und zwar ohne Lösegeld.
Wir waren noch nicht ganz unten am Bach, da legte der Scheik die Hand auf meinen Arm.
„Chodih, ich habe eine große Bitte.“
„Sage sie!“
„Du würdest mir einen bedeutenden Gefallen erweisen, wenn du meinen Leuten gegenüber nichts davon erwähntest, auf welche Weise unser Zusammentreffen stattgefunden hat.“
„Zugestanden! Es kann mir nichts daran liegen, dich vor deinen Kriegern zu beschämen.“
„Ich danke dir. Du kannst auf meine Erkenntlichkeit rechnen. Bu kalmeta ta tschiu taksir nakem – um dich zu ehren, werde ich nichts sparen.“
Auf der anderen Seite des Bachs angekommen, führte ich den Scheik nicht den gleichen Weg, den ich wenige Stunden vorher eingeschlagen hatte, sondern das Bachufer entlang. Die Gefährten dagegen nahmen unter Führung Karas die Richtung nach dem Zelt des Scheiks.
Da wir kein Gewicht darauf legten, unbemerkt zu bleiben, musste uns der Posten, der am oberen Ausgang des Talkessels stand, kommen hören. Ein lautes „Kié – wer ist’s?“, scholl uns plötzlich entgegen.
„Ich bin’s, Dahaf. Es ist alles in Ordnung.“
Trotzdem machte der Posten große Augen, als er sah, dass der Scheik nicht allein kam, sondern von einem Mann begleitet wurde, den er noch nicht gesehen hatte.
Im Osten färbte sich der Himmel, als wir auf die Lichtung traten, auf der noch immer alles in tiefem Schlaf lag. Da stieß der Scheik einen gellenden Pfiff aus, dem die Worte folgten:
„Ro dehole – der Tag bricht an! Auf, ihr Langschläfer, ihr Faulpelze und Taugenichtse! Wollt ihr gleich munter werden, ihr Tagediebe, ihr unnützen Brotesser!“
Ich verstand den Scheik wohl. Er hatte unter meinen Händen eine keineswegs hervorragende Rolle gespielt und wollte mir jetzt unter der Blume sagen, dass er nicht der unbedeutende Kerl sei, für den ich ihn vielleicht hielt. Ich kümmerte mich nicht weiter um ihn, sondern trat zu einer Gruppe, bei der ich zwei Personen bemerkte, die an Händen und Füßen gefesselt waren. Dabei zog ich den Zipfel meines Haik so über die Augen, dass ich von Lindsay nicht sogleich erkannt werden konnte.
Ja, da lag er, der ehrenwerte Master David Lindsay, genauso gekleidet, wie ich ihn vor nun mehr als zwanzig Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, graugewürfelt vom hohen Zylinderhut angefangen bis zu den Gamaschen herunter. Ich hätte ihn an der Kleidung allein unter Tausenden erkannt, selbst wenn ich sein Gesicht nicht gesehen hätte, mit der wunderbar beweglichen Nase, die heute noch die Spuren der mächtigen Aleppobeule trug, von der sie damals verunziert worden war.
„Good morning, Master David! Wie ist Euch Eure Reise durch Australien bekommen?“, begrüßte ich ihn auf Englisch.
Der Gefragte wendete mir mit einem Ruck sein Gesicht zu, in dem eine große Veränderung vor sich ging. Sein Mund nahm die mir so bekannte Form des Trapezes an, und während sein Geist in der Erinnerung forschte, wo er meine Stimme schon einmal gehört haben könnte, suchte seine Nase mit. Sie pendelte von einer Seite zur anderen, und zwar mit einer Raschheit und Behändigkeit, als ob sie es gar nicht erwarten könne, die Lösung des Rätsels zu finden.
Da fiel sein Blick auf den Hund, der mir auf dem Fuß gefolgt war. Das Trapez fiel mit einem hörbaren Klapps zusammen, während die Nase eine überraschte Schwenkung nach oben vollführte, und jetzt endlich entflohen die ersten Worte dem Gehege seiner Zähne.
„Wonderful! Dojan, wie er leibt und lebt! No, kann’s nicht sein – ist ja längst tot – Bagdad – Birs Nimrud – Räuber! – Kann also nicht Dojan sein – oder doch – er wedelt mit dem Schweif – sehe es deutlich – scheint also den Namen zu kennen – heißt vielleicht selber so! Incomprehensible! Ganz und gar unbegreiflich!“
„Wenn’s euch beliebt, Master, so lasst den Hund Hund sein und beschäftigt Euch ein wenig mit mir! Wer war denn damals der Herr jenes Dojan, den Ihr so gut in Erinnerung habt?“
„Herr? Weiß noch sehr gut! War ein Deutscher! Großartiger Kerl! Hat mir aus mancher Klemme – aber wer seid Ihr? Ihr wisst von meiner Reise nach Australien! Seid Ihr am Ende gar – Heighday! Ihr seid es selber, Master Kara! Kann gar nicht anders sein!“
„Nun, lange genug habt Ihr gebraucht!“, lachte ich, indem ich meinen Haik zurückschob. „Beim Hund ging es schneller!“
Da tat Lindsay einen gewaltigen Seufzer, von dem ich heute noch nicht weiß, ob er der Erleichterung oder der Freude, mich wiederzusehen, entsprang. Er wollte auf die Füße, sank aber sofort wieder auf den Boden zurück, denn er hatte ganz vergessen, dass er gefesselt war. Ich beugte mich nieder und nahm ihm die Riemen ab, wobei mir die umstehenden Kurden erstaunt zusahen. Doch enthielten sie sich jeder Äußerung, da sie aus der Haltung ihres Scheiks, der dabei stand, erkennen mussten, dass er mit meiner Handlungsweise einverstanden sei.
Als sich Lindsay frei fühlte, schlang er seine Arme um mich und versuchte an der Stelle meines Bartwalds, wo er meinen Mund vermutete, einen Kuss anzubringen, dem ich nur durch eine rasche Wendung meines Hauptes entging. Damit war den Gefühlen des Herzens genug getan und der Verstand trat wieder in seine Rechte.
„Master, wie kommt Ihr gerade hierher?“, erkundigte sich Lindsay.
„Das ist eine lange Geschichte, die ich Euch später erzählen werde.“
„Well. Kann also warten! Aber woher wusstest Ihr von mir?“
„Durch Euren kurdischen Führer, der uns auf der Flucht in die Arme lief. Von ihm haben wir alles erfahren.“
„Sehr gut! Ausgezeichnet! War ein ungeheures Glück! Soll aber auch ein anständiges Bakschisch bekommen. Zahle gut, sehr gut! Wo ist er?“
„Bei den anderen dort hinten unter den Bäumen.“
„Bei den anderen? Wer ist noch bei Euch?“
„Ihr werdet staunen. Zuerst Hadschi Halef Omar, der Scheik der Haddedihn…“
„Hal…“ Nur diese eine Silbe brachte der Lord hervor.
„Ferner Kara Ben Halef, sein Sohn, der freilich noch klein war, als Ihr ihn das letzte Mal saht.“36
„Kara? Well! Lieber, kleiner Kerl!“
„Und schließlich Omar Ben Sadek, den Ihr ja auch von früher her kennt.“
„Omar? Yes. Weiß noch sehr gut! Braver Kamerad!“
„Wir kamen gerade zur rechten Zeit, um Euch aus einer sehr unangenehmen Lage zu befreien.“
„Yes. Schauderhafte Lage! Schrecklich unbequem! Bin Euch sehr verbunden. Wie habt Ihr das Kunststück fertiggebracht?“
„Es war nicht so schwer. Ich habe nur den Scheik ein wenig gefangen genommen.“
„Well, verstehe! Gefangennahme – Austausch – Befreiung! Feines Abenteuer! Nicht mit Geld zu bezahlen! Beneide Euch fast darum.“
„Nun, ich denke, Ihr könntet mit Eurem Abenteuer auch zufrieden sein“, lachte ich.
„Bin ich auch. War nur nicht so unterhaltend wie das Eure. Grober Kerl, der Scheik, nicht?“
„War nicht so schlimm! Wir sind schließlich ganz gute Freunde geworden.“
„Freunde? Dieser schmutzige Kerl und Ihr? Fie! Horrible! Schauderhaft!“
„Ihr habt übrigens Eure Befreiung nicht nur mir und meinen Gefährten zu verdanken, sondern auch noch einer anderen Person.“
„Wem noch? Sagt es schnell! Werde Bakschisch geben.“
„Diese Person braucht Euer Geld nicht. Sie ist auch eine alte Bekannte von Euch, nämlich Marah Durimeh.“
„Wer? Ah, weiß es noch! Alte Kurdenkönigin oder so etwas! Nicht?“
„Ja.“
Ich gab nur diese kurze Antwort, weil meine Aufmerksamkeit durch einen anderen Umstand in Anspruch genommen wurde. Der Mitgefangene Lindsays war unterdessen auf einen Wink des Scheiks ebenfalls von seinen Fesseln befreit worden. Es war ein junger Mann mit angenehmen Gesichtszügen, dem man den Perser auf zwanzig Schritte Entfernung ansah. Gerade jetzt hatte ich zu ihm hingesehen und glaubte zu bemerken, dass es bei der Nennung Marah Durimehs wie eine gewaltige Überraschung über seine Züge ging. Kannte er sie vielleicht? Und stand seine jetzige Reise irgendwie zu ihr in Beziehung?
Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Der Perser sah, dass ich ihn beobachtete. Er erhob sich und legte die Rechte grüßend an die Brust.
„Mir, mi newahet kjerdem tura – Emir, ich mache dir meine Verbeugung.“
„Mi scheker kjerdem tura – ich danke dir“, erwiderte ich höflich, und zwar ebenfalls auf Persisch.
„Pahawani! Puradarem tu – du bist ein Held! Ich bin dein Bruder.“
„Wafaldarem tu – ich bin dein Freund. Es macht mir Freude, dass ich dir einen Dienst erweisen konnte.“
„Bi jahnäm – bei meiner Seele! Meine Dankbarkeit hat keine Grenzen.“
„Ich bitte dich, mach keine Umstände, die unter uns überflüssig sind!“
Der Scheik wandte sich jetzt an mich.
„Chodih, seid meine Gäste, du und die Deinigen, solange wir uns in diesem Lager aufhalten. Leider müssen wir bald aufbrechen, denn wir haben heute noch einen weiten Weg vor uns. Ser sere men at – ihr seid mir willkommen.“
Damit schritt er uns voran auf sein Zelt zu. Ich folgte mit den bisherigen Gefangenen. In der Nähe des Waldes angekommen rief ich die wartenden Gefährten durch einen Pfiff herbei, und sie traten unter den Bäumen mit den Pferden hervor.
Ich unterlasse es, die Szene des Wiedersehens zwischen Lindsay und den drei Haddedihn zu beschreiben; ich begnüge mich zu erwähnen, dass auch der Dumbeli-Kurde sein redliches Teil von der überquellenden Freude des Lords erhielt, und zwar in klingender Münze.
Noch größer aber war das Erstaunen des Scheiks beim Anblick unserer Rassepferde. Er fiel von einem Ausdruck des Entzückens in den anderen. Schließlich richtete er die Bemerkung an mich: „Herr, ich weiß nicht, ob es die gleichen Tiere waren, die Scheik Melef vor Jahren zu besitzen wünschte, wie du sagtest. Aber wenn sie diesen hier glichen, wundert es mich nicht. Und ich sage dir, wäret ihr nicht meine Freunde, sere men – bei meinem Haupt, ihr würdet eure Pferde niemals mehr zu sehen bekommen.“
Da kam wieder einmal die Räubernatur des Kurden im Scheik zum Durchbruch. Halef hatte die letzten Worte vernommen und konnte es nicht über sich gewinnen, ruhig zu bleiben. Obgleich ihm einerseits das Lob des Scheiks schmeichelte, ärgerte er sich doch über die unverhüllte Raubgier, die aus seinen Worten sprach.
„Was fällt dir ein, Demal Khan? Diese Tiere sind nichts für dich, denn sie würden keinen anderen als ihren Besitzer tragen. Sie sind Radschi pak, reinstes Blut, wie du wohl selbst schon erkannt haben wirst. Diese Bakarrastute, die meinem Sohn Kara gehört, war die Lieblingsstute des Großscherifs von Mekka, den Allah tausend Jahre leben lasse! Er schenkte sie meinem Sohn, weil dieser ihm das Leben gerettet hatte.“37
„Ser babe men – beim Haupt meines Vaters! Ist das wahr?“
Halef blickte ihn fast verächtlich an. „So hast du die Geschichte von der Heldentat, die ihren Weg bereits um den ganzen Erdball gemacht hat, noch gar nicht vernommen?“
„Nein.“
Der Hadschi machte eine Bewegung mit der Hand, als ob er sagen wollte: ‚Hier ist Hopfen und Malz verloren.‘ Dann fuhr er fort: „Betrachte ferner diesen Rapphengst, der den Namen Assil Ben Rih führt, weil er es an Schnelligkeit mit dem Wind aufzunehmen vermag. Der Sultan von Dschermanistan hat ihn diesem Emir, der dich seiner Freundschaft würdigt, verehrt, weil er durch ihn von der Cholera geheilt wurde, nachdem ihn alle Ärzte aufgegeben hatten.“
„Dschermanistan? Von diesem Land habe ich noch nichts gehört.“
„Das begreife ich nicht. Bei uns Haddedihn erzählt jedes Kind davon.“
„Der Mensch kann nicht alles wissen. Wahrscheinlich ist dieses Land sehr weit von hier entfernt.“
„Das will ich meinen. Soll ich dir den Weg dorthin beschreiben?“
„Ich bitte dich darum.“
„So höre!“
Der Kleine räusperte sich unternehmend, bevor er begann: „Wenn du von Kurdistan hundert Tage gegen Mitternacht reitest, kommst du an ein großes Meer mit Namen Tuna38. Auf diesem musst du abermals hundert Tage und hundert Nächte in großen Kähnen, in denen Platz für mehrere tausend Menschen ist, fahren, bis du zum Lande Betsch39 gelangst. Durch dieses musst du zweihundert Tage auf dem Dschemmel40 reiten, dann kommst du an das große Meer Tschin u matschin41. Die Fahrt durch dieses dauert dreihundert Tage und Nächte. Nach dieser Zeit bist du endlich an der Küste von Dschermanistan, das eine einzige große Oase mit vielen Millionen Bewohnern ist.“
„Chodeh scogolemen – Gott stehe mir bei! So groß ist die Welt?“
„Pah! Sie ist in Wirklichkeit noch hundertmal größer.“
Da hatte Halef ja die reinste babylonische Verwirrung angerichtet.
Ich musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht laut hinauszuplatzen, während der Kurde den Worten des Kleinen mit einer wahren Andacht lauschte. Dieser warf mir, als er geendet hatte, einen Blick zu, der besagen sollte: Siehst du, wie schön ich mir das alles gemerkt habe! Es ist nur gut, dass Lindsay und der Perser, der auf mich den Eindruck eines gebildeten Mannes machte, nicht Kurdisch verstanden. Sie wären sonst am Ende irre geworden an seinem Verstand.
„Dieser unvergleichliche Renner“, fuhr Halef fort, „gehört mir, und ich habe ihn vom Kaiser von Ostralia42 zur Besiegelung unseres letzten Bündnisvertrags erhalten. Du hast wohl auch von diesem Land nicht gehört?“
„Nie.“
„Das ist zu beklagen. Doch diesmal will ich es mir ersparen, dich mit meinen Kenntnissen zu bereichern. Der Topf deines Gedächtnisses könnte sonst überfließen.“
Der wirkliche Grund war natürlich der, dass seine eigenen Kenntnisse in der Länder- und Völkerkunde mit den Namen erschöpft war, die er vorher so heillos durcheinandergebracht hatte.
„Sieh dir nun noch diesen Schecken an! Er gehörte ursprünglich dem furchtbarsten Räuber der ganzen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dieser Held hier, Omar Ben Sadek, hat ihn erbeutet, nachdem er vierzehn Tage und vierzehn Nächte ununterbrochen mit dem Räuber gekämpft hatte.“
„Vierzehn Tage und Nächte!“, staunte der Scheik. „Und ununterbrochen? Wann hat er denn da gegessen und geschlafen?“
„Hernach, nachdem er den Räuber getötet, geköpft, gevierteilt und schließlich verbrannt hatte. Dann gab er sich ganze vierzehn Tage und Nächte dem Essen und Schlafen hin. So lange währte es, bis er wieder zu seiner vollen Körperkraft gekommen war.“
Wenn der gute Omar gewusst hätte, welche Heldentat Halef ihm soeben aufgebunden hatte! Der Kurde freilich nahm alles mit dem Glauben hin, den der unverfälschte Orientale seinen Märchen entgegenbringt.
„Begreifst du nun“, endete Halef seine Strafrede, „dass diese unvergleichlichen Tiere nicht für dich bestimmt sind? Und dass der Wunsch, auch nur eines von ihnen zu rauben, ein unverzeihliches Verbrechen ist? Viele haben schon versucht, sich dieser Tiere mit Gewalt oder mit List zu bemächtigen, aber alle sind eines entsetzlichen Todes gestorben. Allah bewahre dich vor einem solchen Schicksal und schenke deinem Herzen Zufriedenheit und Genügsamkeit!“
Der Scheik gab keine Antwort, ob aus Verlegenheit oder weil er sich von der Rede Halefs überwältigt fühlte, war nicht zu entscheiden. Er änderte den Gesprächsstoff, indem er uns zum Frühstück einlud. Dieses wurde, da sich das Zelt als zu klein für alle Gäste erwies, im Freien eingenommen. Den Umständen gemäß bekamen wir natürlich kalte Kost vorgesetzt, nämlich getrocknete Maulbeeren, Brot, in Asche gerösteten Kürbis und Wasser. Nach dem Essen gab der Scheik den Befehl, das Eigentum der früheren Gefangenen herbeizubringen. Da die Verteilung noch nicht vorgenommen worden war, war dieser Befehl schnell ausgeführt. Es fehlte, wie sich bei der Untersuchung ergab, nicht das Geringste. Dass auch der Dumbeli-Kurde sein Pferd und seine wenigen Habseligkeiten zurückerhielt, bedarf wohl kaum einer besonderen Erwähnung.
Mit welchen Gefühlen die Kurden die Sachen wieder hergaben, die sie bereits als sichere Beute betrachtet hatten, vermochte ich nicht zu sagen. Ebenso wenig, wie sich der Scheik später seinen Leuten gegenüber rechtfertigen würde. Ich hätte dabei sein mögen, als er sich dieser gewiss nicht leichten Aufgabe entledigte. Denn dass er von mir aus dem Lager geholt worden war, wollte und durfte er ihnen doch nicht bekennen. Und ob die anderen etwas von dem geheimen Losungswort des ‚guten Dschinns‘ erfahren durften, bezweifelte ich.
Als der Scheik von uns die Erklärung erhalten hatte, dass wir keine Forderung mehr an ihn zu stellen hätten, gab er den Befehl zum Aufbruch. Im Nu waren die Pferde gesattelt und bepackt und der Zug setzte sich talaufwärts an uns vorbei in Bewegung. Der Anführer blieb bei uns zurück, bis der letzte seiner Leute hinter der nächsten Krümmung verschwunden war, dann nahm er von uns Abschied.
„Unsere Wege trennen sich hier. Wir ziehen gen Mittag. Wohin geht ihr von hier aus?“
„Gerade gegen Sonnenaufgang.“
Der Scheik schüttelte bedenklich den Kopf. „Du beabsichtigst doch hoffentlich nicht, von dieser Seite aus über die Grenze zu gehen?“
„Warum nicht? Nach meiner Karte führt von hier aus ein Pass über das Zagrosgebirge.“
„Das wohl, aber was für einer! Ich kenne ihn, aber ich glaube nicht, dass in den letzten zwanzig Jahren auch nur ein Mensch diesen Übergang benutzt hat. Er ist unglaublich steinig und steil.“
„Hm! Welchen Übergang schlägst du vor?“
„Jeden anderen von denen, die mehr nach Mitternacht liegen. Wenn ihr diesem Wasser bis zu seiner Mündung folgt und dann nach Sonnenaufgang abbiegt, stehen euch mehrere Wege offen, die besser gangbar sind.“
„Aber dann kommen wir doch in das Gebiet der Deri, vor denen du uns gewarnt hast.“
„Sei unbesorgt! Ihr werdet in dieser Richtung auf nur wenige Menschen treffen. Die Dörfer der Deri sind weiter nördlich zu suchen.“
„Ich danke dir. Wir werden jedenfalls deinem Rat folgen.“
„Ihr werdet gut daran tun. Chodeh dauleta ta mazen b’ket – Gott vermehre deinen Reichtum!“
Der Scheik reichte jedem von uns die Rechte, dann ritt er den anderen nach und wir waren wieder allein und auf uns selbst angewiesen.
Das Nächste, was wir jetzt taten, war, dass wir das magere Frühstück der Kurden mit Hilfe unserer eigenen Vorräte ergänzten. Während des Essens nahm ich Lindsay ins Gebet, wobei ich Englisch sprach für den Fall, dass Dinge zur Sprache kamen, von denen die anderen nichts zu wissen brauchten.
„Nun, Master“, begann ich, „wie ich höre, seid Ihr wieder auf Euren alten Sparren verfallen. Glaubte, Ihr hättet ihn längst überwunden.“
„Wie meint Ihr das?“
„Die Fowling-bulls scheinen wieder in Eurem Hirn zu spuken, wie ich aus den Ausgrabungen schließe, die Ihr jetzt wieder vornehmt.“
Es glitt etwas wie Verlegenheit über das Gesicht des Lords.
„Fowling-bulls? No. Habe das längst hinter mir.“
„Aber wonach habt Ihr dann hier gegraben?“
Er wollte nicht recht mit der Sprache heraus, schien aber schließlich doch einzusehen, dass er mir vertrauen könne.
„Werde es Euch sagen. Aber Ihr müsst darüber schweigen.“
„Wenn Ihr es verlangt, gern.“
„Yes. Will nicht haben, dass von der Sache gesprochen wird.“
„Ist vielleicht ein Geheimnis dabei?“
„Wie man es nimmt. Jedenfalls soll die Geschichte nicht unter die Leute kommen. Ihr wollt also wissen, wonach ich grabe? Nach Gold.“
„Nach – – Gold?“
„Yes. Habe auf meiner letzten Reise durch Australien Gold gefunden. Durch Zufall! Gibt aber trotzdem Leute, die mich seitdem als Sachverständigen für Goldvorkommen betrachten.“
„Gold! Lord David Lindsay ist unter die Goldsucher gegangen! Mir unbegreiflich!“
Das Unbehagen in den Zügen des Engländers vertiefte sich.
„Suche natürlich nicht für mich. Habe genug von diesem Zeug, brauche es also nicht. Bin Lord David Lindsay. Yes.“
„Dann sucht Ihr also zum Vorteil anderer als ihr Beauftragter und Angestellter?“
„Angestellter! Fie! Grässliches Wort! Lord Lindsay und angestellt! Möchte Euch wegen dieses Wortes am liebsten einen Boxhieb auf die Nase versetzen, dass sie aussieht wie die meinige vor zwanzig Jahren, als sich diese schreckliche Aleppobeule darauf sesshaft machte.“
„Master, wenn ich Euch Unrecht getan haben sollte, bin ich gern bereit, zur Sühne mit Euch zu boxen.“
„No. Nicht boxen! Kann Euch nämlich nicht ganz Unrecht geben.“
„So habt Ihr diese Reise nur zu dem Zweck unternommen, um Gold zu suchen?“
„No. Nicht deswegen. Wäre auch so nach Kurdistan gegangen. Erinnerungen von früher her auffrischen und so! Dachte gar nicht an Gold.“
„Wie seid Ihr dann auf diesen glänzenden Einfall gekommen?“
„No. Nicht ich, sondern der Präsident der Bank von England. Yes.“
Ich war überrascht. „Der Präsident der Bank von England hat Euch beauftragt, in Kurdistan nach Gold zu suchen?“
„Nicht beauftragt – schreckliches Wort das! – sondern nur gebeten.“
„Aber ich verstehe nicht – drückt Euch doch deutlicher aus! Habe noch nie gehört, dass in Kurdistan Gold gefunden wurde.“
„Ich auch nicht. Muss aber trotzdem vorhanden sein. Werdet es gleich begreifen.“
„Da bin ich wirklich begierig.“
Der Engländer war mit dem Essen fertig geworden und zündete sich nun seine Pfeife an.
„Well! Es war also in London einige Tage vor meiner Abreise nach Kurdistan. Erhielt eines Morgens Besuch, nämlich den des Präsidenten der Bank von England. Erzählte mir eine merkwürdige Geschichte. Die osmanische Bank in Bagdad bietet seit längerer Zeit der dortigen Zweigstelle der englischen Bank ganz erhebliche Mengen Gold an. Nicht gemünztes Gold, sondern in Barren. Könnt Ihr Euch denken, Master, was das zur Folge haben kann?“
„Das ist nicht schwer zu erraten. Wenn der Markt mit Gold überschwemmt wird, dann muss der Kurs des Goldes sinken. Aber um solche Mengen kann es sich doch nicht handeln.“
„Fehlgeschossen, Master! Es sind wirklich außerordentliche Mengen.“
„Hm! So hat es sich also schon auf der Börse fühlbar gemacht?“
„Noch nicht! Wird aber bald soweit sein.“
„Und die Herkunft des Metalls?“
„Selbstverständlich sind Nachforschungen angestellt worden. Man ist die osmanische Bank um Aufschluss angegangen. Der Bescheid ist aber sehr dürftig ausgefallen. Die Bank konnte oder wollte nichts verraten.“
„Das Letztere scheint mir wahrscheinlicher. Ich vermute, dass die Bank bei dem ganzen Handel ein vorzügliches Geschäft macht. Es wird nicht in ihrem Vorteil liegen, den Namen ihres Kunden preiszugeben, der für sie buchstäblich Gold wert ist.“
„Well! Mögt in diesem Punkt Recht haben. Aber die Bank von England kann sich damit nicht zufrieden geben.“
„Natürlich nicht!“, lächelte ich. „Wenn das Pfund zu wackeln beginnt! Denkt Euch doch nur, was das heißt! Das genügt sogar, um einen ehrenwerten Lord von Altengland auf die Beine zu bringen.“
„Spottet nicht! Was geht Lord Lindsay das Pfund an! Will meinem Land einen Dienst erweisen. Das ist alles.“
„Das ist edel gedacht von Euch“, lenkte ich ein. Ich musste vorsichtig sein, denn Lindsay war im Punkt der Ehre sehr empfindlich. „Erzählt weiter! Wir sind bei Eurem Besuch in London stehengeblieben.“
„Alright! Sagte schon, dass die Nachforschungen zu keinem sicheren Ergebnis geführt hatten. Nur eines schien festzustehen: Alle Spuren wiesen in das Innere von Kurdistan. Dort musste die Quelle des Goldstroms sein. Und der Präsident bat mich nun, hört Master, bat mich, auf meiner Reise ein Auge auf die bewusste Angelegenheit zu haben.“
„Und was dann, wenn es Euch wirklich gelingen sollte, die Spuren bis zum Ende zu verfolgen? Dann wird England kommen und in irgendeiner Form die Hand auf die Entdeckung legen, die Ihr gemacht habt. Meint Ihr nicht auch?“
„Hm!“, brummte Lindsay nachdenklich.
„Die Geschichte gefällt mir nicht. Ich würde mich an Eurer Stelle nicht damit befassen.“
„Warum nicht?“
„Weil ich nicht den Spion für andere Leute abgeben möchte“, erklärte ich aufrichtig.
Lindsay nahm die Pfeife aus dem Mund und starrte mich eine Weile sprachlos an. Dann warf er sie weg und sprang auf.
„Ist das Euer Ernst, Master?“, fragte er zornig.
„Ja, mein völliger Ernst.“
„Well, so boxen wir uns. Steht auf, Master! Ich will Euch lehren, einen Lord aus Altengland einen Spion zu schimpfen. Ich, David Lindsay, ein Spion! Werde Euch den Spion austreiben.“
„Bleibt doch sitzen, Sir, und hört mich ruhig an, bis ich fertig bin! Nachher wollen wir boxen, wenn Ihr dann noch darauf versessen seid.“
Die Gefährten sahen uns verwundert an. Sie hatten kein Wort unseres Gesprächs verstanden, mussten aber aus der zornigen Miene des Lords schließen, dass dieser gegen mich aufgebracht war. Selbst Dojan, der wie gewöhnlich neben mir lag, ließ ein unwilliges Knurren hören.
„Solange warte ich nicht“, rief Lindsay kampflustig.
„Ihr müsst doch wohl warten, wenn ich nicht eher will. Also hört mich lieber bis zum Schluss an! Angenommen, Ihr hättet in Eurem Park von Lindsay Castle einen großen Schatz vergraben. Von Zeit zu Zeit macht Ihr einen kleinen Teil davon zu Geld. Das setzt Ihr mehrere Jahre fort, so lange, bis Ihr Verdacht erregt. Eines Tages findet Ihr auf Eurem Gebiet einen Menschen. Er hat es nicht auf Käfer und Schmetterlinge oder auf seltene Pflanzen und Blumen abgesehen, sondern stochert da und dort im Boden herum. Mit einem Wort, er will Euren Schatz finden. Was würdet Ihr sagen? Und vor allem, was würdet Ihr tun?“
„Hm!“
„Angenommen ferner, er würde Euch auf Eure Frage zur Antwort geben, dass er Euch keineswegs berauben wolle. Er wolle nur in Erfahrung bringen, wo der Schatz liegt. Würdet Ihr Euch damit zufriedengeben?“
„Hm!“
„Oder würdet Ihr den Mann nicht einfach am Kragen fassen und vor die Grenze Eures Besitztums befördern?“
„Hm!“, erklang es nun zum dritten Mal.
„Könnt Ihr einem solchen Menschen einen anderen Namen geben als den eines Spions?“
Da nahm Lindsay die Pfeife wieder auf, die er eben weggeworfen hatte, und ließ sich auf seinem früheren Platz nieder.
„Wollt Ihr auch jetzt noch mit mir boxen, Master? Ich stehe zur Verfügung.“
„Hört auf, Master!“, bat er im kläglichen Ton. „Das ist eine armselige Geschichte, eine ganz armselige Geschichte!“
Seine Unterlippe sank tiefer und immer tiefer herab, und die Spitze seiner Nase hatte ihre Farbe verloren.
Er tat mir leid. Er war ein seelenguter Mensch, aber es fehlte ihm die nötige Menschenkenntnis, wodurch er sich bereits wiederholt in Ungelegenheiten gebracht hatte. Ich musste ihm helfen und seine geschwundenen Lebensgeister wieder wachrufen.
„Hört mich an, Master! Wer sagt Euch denn, dass Ihr Eurem Vaterland mit Eurem Vorhaben wirklich einen so weltbewegenden Dienst erweist, wie Ihr meint? Wer sagt Euch überhaupt, dass ein solcher notwendig ist? Glaubt Ihr denn, es liegt in der Absicht des geheimnisvollen Besitzers der Goldmine, oder was es sonst sein mag, den Wert des Goldes herabzudrücken?“
„Hm!“
„Dadurch würde er doch sich selbst schädigen, vorausgesetzt, dass er nicht über unerschöpfliche Goldschätze verfügt. Und wir haben einstweilen noch keine Veranlassung, ihn für so unklug zu halten.“
„Hm!“, machte Lindsay abermals.
„Bis jetzt ist eine merkbare Beeinflussung des Geldmarkts noch nicht eingetreten. Ein wirklicher Grund zum Einschreiten besteht also noch gar nicht. Seht Ihr das nicht ein?“
Seine Nasenspitze hatte allmählich wieder ihre gewohnte Farbe angenommen und schnellte bei meinen letzten Worten befriedigt in die Höhe.
„Ihr habt Recht, Master, und ich könnte mir selber einen gewaltigen Nasenstüber versetzen.“
„Lasst das lieber sein, Sir!“, tröstete ich ihn. „Eure Nase hat noch genug von der Aleppobeule. Sie könnte diese neue Belastungsprobe vielleicht nicht mehr ertragen. Es schickt sich auch nicht für einen Lord.“
„Lasst den Lord beiseite, Master, wenn es Euch gefällig ist! Komme mir vor wie ein Schulknabe, der Prügel erhalten hat. Und Ihr, Master, Ihr habt sie mir gegeben! Bin Euch aber dankbar dafür und verspreche Euch, dass ich dieser Sache keinen einzigen Gedanken mehr schenken werde. Bin David Lindsay und habe es nicht nötig, verstanden?“
Damit war der Friede wiederhergestellt. Ich hatte gesehen, dass ich noch in der alten Weise mit ihm verkehren konnte wie vor Jahren, und das war notwendig, wenn wir, wie es den Anschein hatte, noch länger beisammen sein sollten. Ich stellte eine diesbezügliche Frage und Lindsay gab auch sofort die erwartete Antwort.
„Master, wenn Ihr nichts dagegen habt, bleibe ich bei Euch. Die Aufgabe, die ich mir selber gestellt habe, kann mir gestohlen bleiben, und im Übrigen ist es mir gleich, wohin Ihr mich führt. Wenn ich nur bei Euch bleiben darf!“
Was wollte ich machen? Lindsay war ein schätzenswerter, lieber Kamerad, und es freute mich aufrichtig, ihm so unerwartet begegnet zu sein. Freilich hatte er die Gewohnheit, manches beim verkehrten Ende anzufassen, aber seine sonstigen guten Eigenschaften machten diesen Fehler, wofür er nichts konnte, quitt.
Bei der Erzählung des Lords von den Goldangeboten war mir blitzartig ein Gedanke gekommen. Marah Durimeh war mir eingefallen. Ich wusste von früher her, dass sie reich war, und was ich zuletzt vom ‚guten Dschinn‘ vernommen hatte, ließ auf außerordentliche Geldmittel schließen. Wie nun, wenn sie zu den Goldsendungen in irgendeiner Beziehung stand? Ich hatte diesen Gedanken zuerst als abwegig und allzu waghalsig von mir gewiesen, aber er kehrte immer wieder zurück. Und was mir zuerst fast als wahnsinnig vorgekommen war, erschien mir schließlich in einem Licht, das eine gewisse Möglichkeit nicht ausschloss. Freilich hätte ich von diesem Gedanken mit keinem meiner Gefährten reden mögen, weil er mir als zu gewagt erschien.
Ich teilte den Freunden mit, dass sich Lindsay uns anschließen werde, was bei ihnen große Freude auslöste. Sogar bei Halef. Ich erwähne das besonders, weil der Kleine in dieser Beziehung ein wenig sehr Ich-Mensch war. Als es auf unserer letzten Reise nach Persien aussah, als ob Lindsay der Dritte im Bunde werden solle, war er fast eifersüchtig auf ihn. Und sein Jubel war groß, als der Engländer schließlich gegen seinen Willen von uns getrennt wurde.43 Damals waren indes andere Verhältnisse. Halef und ich hatten damit gerechnet, dass wir die ganze Reise allein machen würden, und die Anwesenheit eines dritten Kameraden hätte dieses traute Zusammensein zu zweit gestört und wäre als lästig empfunden worden. Diesmal aber hatte Halef den ‚Besitz meiner Person‘ von Anfang an nicht für sich allein gehabt, sondern ihn mit seinem Sohn und Omar Ben Sadek teilen müssen. Und da empfand er es letzten Endes nicht so schmerzlich, wenn sich uns schließlich noch ein Vierter oder gar ein Fünfter und Sechster anschlossen.
Es blieb tatsächlich nicht bei dem Vierten. Als nämlich der Perser sah, dass ich nicht mehr mit dem Engländer sprach, wendete er sich an mich.
„Emir, darf ich fragen, welches das Ziel eurer Reise ist?“
„Warum nicht? Wir gehen an den Urmia-See.“
„Und dann?“
„Das ist noch unbestimmt.“
Ich gab diese Antwort, weil ich tatsächlich nicht wusste, wo ich Marah Durimeh finden würde. Der Perser ging eine Weile mit sich zu Rate, dann hob er wie unter einem festen Entschluss den Kopf.
„Emir, würdest du es als Unbescheidenheit von mir auffassen, wenn ich dich bäte, mich bis zum Urmia-See mitzunehmen?“
„Hm! War es denn deine Absicht, dorthin zu gehen?“
„Eigentlich nicht. Aber auf einen kleinen Umweg kommt es mir nicht an. Ich habe eingesehen, dass es unmöglich ist, allein durch Kurdistan zu reisen.“
„Und welches ist das eigentliche Ziel deines Ritts?“
„Verzeih, Emir, wenn ich darüber Schweigen bewahren muss. Ich bitte dich, das nicht falsch aufzufassen. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich habe meine Gründe, die du, wenn du sie wüsstest, selber billigen würdest.“
Da kam es wie eine Eingebung über mich. Ich erinnerte mich, wie der Perser überrascht zusammengefahren war, als der Name Marah Durimeh fiel. Natürlich gab es verschiedene Möglichkeiten der Erklärung für diesen Umstand. Aber in diesem Augenblick gab es für mich nur eine Erklärung.
„Du brauchst das Ziel deiner Reise nicht zu verheimlichen, denn ich kenne es.“
„Das ist nicht möglich.“
„Du willst Marah Durimeh aufsuchen.“
Es war heraus. Wir hatten Arabisch gesprochen und meine Behauptung erregte daher bei meinen Gefährten großes Staunen.
„Maschallâh! Bist du allwissend, Emir?“, fuhr der Perser auf.
„Nein“, wehrte ich ab, „aber ich habe Augen im Kopf und verstehe es, Schlüsse zu ziehen. Habe ich das Richtige getroffen?“
„Sage zuerst, ob auch du Marah Durimeh kennst?“
„Und ob! Sie ist mir eine mütterliche Freundin geworden und ihr Bild steht vor mir wie das einer Heiligen, obgleich ich ihr nur dreimal in meinem Leben begegnet bin.“
„Angenommen, ich kenne diese Frau, würdest du mich dann bis zum Urmia-See mitnehmen?“
„Ich würde es als eine Ehre betrachten, die du mir erweist.“
„Kuwajjis – vortrefflich! Ich gebe gerne zu, dass ich diese außerordentliche Frau sehr gut kenne. Frage mich aber nicht um weitere Einzelheiten. Mein Mund muss verschlossen bleiben, denn ich habe ein heiliges Gelöbnis abgelegt.“
„Sage mir nur das eine, wo du Marah Durimeh treffen willst?“
„Hat sie dir ihren Wohnort nicht selber mitgeteilt?“
„Leider nein.“
Ich sagte so, obgleich die Möglichkeit bestand, dass der Brief, den mir Marah Durimeh geschrieben hatte, die Angabe ihres Aufenthaltsorts enthalten hatte.
„Dann muss ich auch über diesen Punkt schweigen. Willst du sie vielleicht selber besuchen?“
„Es ist möglich, wenn es Zeit und Umstände gestatten“, erwiderte ich nun ebenfalls zurückhaltend.
Halef, Kara und Omar sahen mich erstaunt an. Sie konnten mein Verhalten nicht begreifen, da sie doch genauso gut wie ich selber wussten, dass das eigentliche Ziel unserer Reise Marah Durimeh galt.
Aber ich war einigermaßen ärgerlich. Das muss ich gestehen, wenngleich es mir nicht zur Ehre gereicht. Nachdem ich mich vergeblich da und dort nach Marah Durimeh erkundigt hatte, hoffte ich diesmal bestimmt, das Gewünschte zu erfahren. Wir hatten dem Perser einen nicht unwichtigen Dienst erwiesen, und wenn ich auch nicht der Mann bin, der einem anderen seine Leistungen an den Fingern vorrechnet, so glaubte ich immerhin, der Perser würde mir Vertrauen entgegenbringen. Vielleicht hätte es nur der Anwendung des Amuletts bedurft, von dem ich annahm, dass es der Perser ebenfalls kannte, und ich hätte auf diese Weise vielleicht alles aus ihm herausfragen können, was er selber wusste. Aber es war wie ein Trotz über mich gekommen. Wenn der Mann Geheimnisse vor mir haben zu müssen glaubte, so brauchte ich ihm die meinigen ebenso wenig auf die Nase zu binden. Er wollte mir den Aufenthaltsort Marah Durimehs nicht verraten. Nun gut! Ich fühlte mich Manns genug, ihn ohne fremde Hilfe aufzuspüren.
So empfand ich damals. Und doch hatte der Perser eigentlich nichts gesagt, was mich berechtigt hätte, meinen Stolz herauszukehren. So sage ich jetzt, da mich der Billigkeitssinn zwingt, es zuzugeben. Aber damals gab ich mir leider zu wenig Rechenschaft darüber.
So schwieg ich denn und erwähnte nichts von dem Brief Marah Durimehs, nichts von dem Amulett, das sie mir gegeben hatte.
Hätte ich doch in dieser Stunde meinem Stolz nicht nachgegeben! Vielleicht – – vielleicht wäre alles anders geworden.