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1.5Ein Chief Executive Officer muss her!

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Ich kann damit leben, dass man mich als Erbsenzähler sieht.25

Albert P. Stäheli,

CEO NZZ-Mediengruppe (2008–2013)

4. November 2008: Ein historisches Datum. In den USA fanden Präsidentschaftswahlen statt, aus denen Barack Obama als Sieger hervorging. Die Erwartungen an den neuen Mann im Weissen Haus, den ersten farbigen Präsidenten in der über 230-jährigen Geschichte der Vereinigten Staaten, waren gewaltig. Während die ganze Welt auf Amerika blickte, richteten die Mitarbeiter der NZZ an diesem Tag ihr Augenmerk vor allem auf eine Power-Point-Präsentation von Albert P. Stäheli, dem ersten Chief Executive Officer (CEO) in der 228-jährigen Geschichte des Blattes. Dieser hatte sein Amt kurz zuvor angetreten. In einem denkbar schwierigen Moment. Die globale Finanzkrise von 2007 war auf die Realwirtschaft übergeschwappt und hatte die Konjunktur merklich abgekühlt. Weltweit herrschte an den Börsen Panik, nachdem am 15. September 2008 die renommierte Investmentbank Lehman Brothers zusammengebrochen war. 26000Angestellte standen plötzlich in New York auf der Strasse und Milliarden von Dollars waren verloren. Das Gespenst einer neuen Grossen Depression ging um.

Die NZZ mit ihrer hohen Abhängigkeit vom Finanzplatz bekam den Abschwung heftig zu spüren. Allein die schwer angeschlagene UBS verringerte in diesen für sie katastrophalen Zeiten ihr Werbevolumen bei der NZZ um 60 Prozent. Die Erwartungen des Verwaltungsrates an Stäheli waren deshalb hoch: Die NZZ sei ein Sanierungsfall, sie verliere Geld und lebe von der Substanz, dies müsse gestoppt werden. Und so hatte der CEO bei seinem Auftritt vor versammelter Redaktion zusammen mit Chefredaktor Markus Spillmann »ungewohnt harte Eingriffe« in Aussicht zu stellen. Es war ein widriger Einstand, wobei es Stäheli zugute kam, dass er keine Bindung zur NZZ hatte, im Spätherbst seiner Karriere stand und bereit war, sich unbeliebt zu machen. Und das tat er auch, wofür er viel Missbilligung durch die Zeitungsmacher erntete. Diese konterte Stäheli mit der Bemerkung, er sei der Spitaldirektor und nicht der Chirurg. So gesehen habe er auch kein Problem damit, wenn man ihn kritisiere.

Im schwierigen zweiten Semester 2008 unternahm er alles Erdenkliche, um die wirtschaftliche Basis der NZZ-Gruppe solide zu halten. »Wenn die Inserate zurückgehen, sinken die Kosten bloss im Verhältnis eins zu zehn«, erklärte er und fügte an, dass der Rotstift abermals angesetzt werde. Es werde nicht nur zu einem Rückbau des journalistischen Angebots kommen, sondern auch zu Entlassungen. Stäheli und Spillmann liessen keinen Zweifel aufkommen, wo man sparen werde: bei der NZZ. Erstens sei der Werberückgang dort am dramatischsten und zweitens verfüge diese innerhalb der Gruppe noch immer über das grösste Budget. Das Flaggschiff werde zwei Drittel der Kostenreduktion zu schultern haben. Das restliche Drittel werde bei »NZZ am Sonntag« und bei »NZZ Online« eingespart werden. Zu den Notmassnahmen zählten das sofortige Einstellen des defizitären Ausgehmagazins »Ticket«, die Abschaffung der »Kompaktseite«, die das Wichtigste des Tages zusammenfasste, sowie die Beendigung der fachspezifischen »Dossiers«. Ausserdem werde der Blattumfang reduziert und die Doppelbesetzung auf Korrespondentenposten, wo immer möglich, aufgehoben. Davon betroffen waren Mitarbeiter in Frankreich, Grossbritannien, den Benelux-Staaten, sowie in Italien und im südlichen Afrika.

Während die Redaktion die neuen Hiobsbotschaften zu verdauen suchte, war der Chefredaktor bemüht, die Moral der Truppe zu stärken. Es bedürfe einer mentalen Umstellung, um den dringend nötigen Wandel mitzutragen. Man werde es schaffen. »Lassen Sie den Kopf nicht hängen, es gibt eine Zukunft.« – Yes we can!

Spillmann erklärte die veränderte Ausgangslage: In den 1990er Jahren habe man Geld in neue Korrespondentenposten und Beilagen investiert und die Redaktion aufgestockt. Die entstandene Struktur sei nun wegen der rückläufigen Erlöse nicht mehr finanzierbar. Man reduziere deswegen in der Breite, um die Tiefe halten zu können. Das sei eine Gratwanderung. Leser könnten das Gefühl haben, es sei ihnen etwas weggenommen worden. Rückblickend legte Stäheli dar, dass der Einbruch bei den Inseraten im September 2008 stark, im Oktober beunruhigend und im November geradezu dramatisch gewesen sei. Es herrschten extreme Umstände, die extremes Handeln erforderten. Selbst Kritiker hatten zuzugeben, dass bei derart hohem Wellengang Ballast abgeworfen werden musste. Dennoch war die Konsternation gross, als in der Folge etliche altgediente Mitarbeiter die NZZ verliessen. Vielen auf der Redaktion sass zudem noch der Schock von 2003 in den Knochen, als schon einmal eine schmerzhafte Sparrunde stattgefunden hatte und Mitarbeiter entlassen worden waren. In einem ungewöhnlichen Schritt hatten damals Redaktoren und Korrespondenten einen von Auslandredaktor Beat U. Wieser aufgesetzten Brief an Chefredaktor Bütler und an Präsident Meyer unterschrieben, in dem sie ihrer tiefen Besorgnis über den Personalabbau bei der NZZ Ausdruck verliehen:

Noch immer betrachten wir die NZZ nicht als bloss eines von vielen Produkten in unserem Unternehmen, sondern als dessen Kern. Der Erfolg unseres Blattes hängt direkt mit der im Vergleich zu anderen Zeitungen aufwendigen Berichterstattung und Kommentierung zusammen. Nach wie vor ist die NZZ eine besondere Zeitung. Würde sie zu einem gewöhnlichen Blatt, käme dies ihrem Untergang gleich. Eine Auseinandersetzung mit dieser zentralen und entscheidenden Frage, eine Rückbesinnung auf das, was die NZZ letztlich ausmacht, ist von höchster Dringlichkeit.26

Verwaltungsrat, Unternehmensführung und Ressortleiter stellten sich bereits damals auf den Standpunkt, man habe den Ehrgeiz, auch in schwierigen Zeiten ein gutes Blatt zu produzieren. Ähnlich klang es nun 2008, als es hiess, man werde allen Turbulenzen zum Trotz keine Abstriche an der Qualität zulassen. Allein, mit jeder neuen Sparrunde ging ein Stückchen Qualität flöten. Dieser Prozess verlief schleichend, wurde aber in Leserkreisen durchaus wahrgenommen. Zumal die Printausgabe kontinuierlich schrumpfte, während ihr Preis stieg. Es war eine verzwickte Situation, welche stets neue Einschnitte erforderte. Dabei fiel auf, wie sehr CEO Stäheli und VR-Präsident Meyer – zwei Zahlenmenschen, die sich schon aus der Schulzeit in Oerlikon kannten – am selben Strick zogen. Dank der Unterstützung durch den Präsidenten konnte der CEO ziemlich frei schalten und walten. Mit jedem neuen Tag spürte man auch, wie sehr er sich von seiner Ernennung zum ersten CEO der NZZ geschmeichelt fühlte. Gleichzeitig erweckte er mitunter den Eindruck, darunter zu leiden, kein Akademiker zu sein und aus einfachen Verhältnissen abzustammen. Das aber kreidete man ihm nicht an. Der langjährige Verlagsdirektor der NZZ, Fritz Huber (1973–1994) hatte seine berufliche Karriere als Setzerlehrling beim »Toggenburger« begonnen, nachdem ihm der Zugang zum erhofften Ingenieurstudium verwehrt geblieben war. Huber war ein Mann mit Ecken und Kanten. Noch als Direktor trug er ab und zu das blaue Übergewand des Druckers; voller Stolz auf das Erreichte und als Ausdruck des Understatements, das bis in die 1990er Jahre in der NZZ tonangebend war. Diesem war es auch zuzuschreiben, dass gute Leistungen selten gelobt wurden. Lob galt als ebenso verwerflich wie Kommerz. Man ist gut und man weiss es. Wäre man nicht gut, würde man nicht bei der NZZ arbeiten! Wozu also Lob? Immerhin pflegte Bütler mit einer persönlichen Weihnachtskarte Redaktionsmitarbeitern und Korrespondenten für ihre Arbeit und ihren Einsatz zu danken. Soviel Lob durfte es sein!

Als Chefredaktor führte er den Vorsitz in der Unternehmensleitung und der Verwaltungsrat regierte primär über ihn. Doch das Doppelmandat Chefredaktor und Primus inter Pares der Geschäftsleitung wurde dem ehemaligen Inlandredaktor zunehmend zur Belastung und wirkte schlicht eine Nummer zu gross für ihn. Vor allem nach der Jahrtausendwende. Deshalb begann sich der Verwaltungsrats-Präsident um Bütlers Ablösung zu bemühen und einen externen Nachfolger zu suchen. Diesen fand er in Polo Stäheli. Mit ihm an der Spitze war es um das Primat der Publizistik geschehen. Von nun an war der CEO der Herr im Haus. Oder wie es der spätere Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod einmal so zutreffend auf Französisch ausdrückte: »Il n’y a qu’un soleil!« Es gibt nur eine Sonne – und die war der CEO. Dieser schaffte den Turnaround innert zweier Jahre, so dass die NZZ-Gruppe 2010 einen respektablen Gewinn von 35,5 Millionen Franken vorlegen und VR-Präsident Meyer ohne Gesichtsverlust, aber noch vor Ablauf seines Mandats, abtreten konnte. Stäheli veränderte viel. Unter seiner Ägide fanden zweimal jährlich Informations-Veranstaltungen zum Geschäftsgang und zu den neusten Projekten statt, bei denen Mitarbeitern ziemlich reiner Wein eingeschenkt und Gelegenheit zu kritischen Fragen geboten wurde. So etwas hatte es zuvor bei der NZZ gar nie gegeben, oder nur bei gravierenden Massnahmen, wie dem Stellenabbau von 2002 / 2003.

Trotzdem: Die Kluft zwischen Teppichetage – der Begriff hielt erst mit Stäheli Einzug – und Redaktion wuchs. Der CEO goss Öl ins Feuer, als er die Einführung von Boni ankündigte, just zu einer Zeit, als in der Schweiz eine Abzockerinitiative lanciert war. Sehr zum Ärger der Journalisten gab er zudem bekannt, dass nur die Kader der NZZ in den Genuss von Boni gelangen würden. Es sei primär diesen, zu denen ab sofort auch die Ressortleiter zählten, zu verdanken, wenn es der Firma gut ginge. Für die übrige Redaktion, die leer ausging, kam diese Rechtfertigung einer Ohrfeige gleich. Allerdings gab es in der NZZ schon immer eine Trennung zwischen Häuptlingen und Indianern. So hatte Hugo Bütler nach einem guten Geschäftsjahr in den 1990er Jahren die Pensionskassen der Ressortleiter mit einmaligen Zuschüssen alimentiert. Auch er nahm in Kauf, dass die übrigen Redaktoren und die Korrespondenten das Nachsehen hatten. Noch viel früher zeigte sich die Kluft zwischen »denen da oben« und »denen da unten« vor allem an Status und Habitus. Als Roger Bernheim, der langjährige Auslandkorrespondent als junger Redaktor in den 1950er Jahren dem damaligen Auslandchef Albert Müller etwas mit den Worten »Hier ist mein Artikel« vorlegte, soll dieser geantwortet haben: »Herr Bernheim, Artikel schreibe ich. Sie schreiben Berichte!«27

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