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1.6Flaggschiff ohne Flottenverband

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Eine NZZ als »stand alone product« hätte eine schwierige Zukunft.28

Conrad Meyer,

NZZ-Verwaltungsratspräsident (2001–2010)

Dem 2008 über der NZZ aufgezogenen Orkan stellte der Verwaltungsrat ein zweistufiges Verteidigungsdispositiv entgegen. In einem ersten Schritt galt es, die Ausgaben dem geschrumpften Ertragskleid anzupassen. In einem zweiten waren die einzelnen Teile der NZZ-Gruppe aneinander zu führen, woraus Synergien resultierten sollten. Die NZZ hatte durch Akquisitionen eine ansehnliche Medienpräsenz im Raume Zürich, in der Ostschweiz, in Bern sowie in der Zentralschweiz aufgebaut. Eine zentrale Führungsstruktur erschien ihr aber nicht opportun. Zumindest solange nicht, als alle Titel anständige Erträge abwarfen. Und das taten sie mit Ausnahme des vom Ausbluten bedrohten Berner »Bund«, dessen Erwerb vor allem VR-Präsident Bremi am Herzen gelegen haben soll. Dieses Traditionsblatt mit künstlicher Beatmung – sprich Geldströmen aus Zürich – am Leben zu bewahren, sah er als Beitrag zur Erhaltung einer liberalen Presse in der Schweiz, also als ein Stück Artenschutz. Ergo besass die NZZ-Gruppe zwar ein Flaggschiff, aber keinen Flottenverband. Die Regionalzeitungen, die man in der »Freie Presse Holding« (FPH) zusammenfasste, waren zu bedeutsam, als dass man sie einfach neben der NZZ her hätte mitbearbeiten können.

Doch danach geschah nicht viel. Einmal hatte man ein Konzept ausgearbeitet, um den »Bund« durch eine Spätausgabe der NZZ zu ersetzen. Die Zeitung sollte »Neuer Berner Bund« heissen und die »Berner Zeitung« konkurrenzieren. Der Mantel wäre von der NZZ gekommen, der Lokalteil vom »Bund«. Letztlich war in Zürich aber niemand bereit, diese Idee umzusetzen. Der Preis für die Unterlassung war hoch. Über die Jahre hinweg schlug der »Bund« mit einem kumulierten Defizit von gut 50 Millionen Franken zu Buch. Das ärgerte Zürich zwar, aber man nahm es hin. Selbst der 2002 erfolgte Zukauf der »Luzerner Zeitung« änderte wenig. Für die Akquisition dieses damals vielleicht profitabelsten Blattes der Schweiz hatte man einen stolzen Preis von über 100 Millionen Franken bezahlt; etwas das man später beim Versuch der Übernahme der »Basler Zeitung« unterliess. Enttäuscht gab Präsident Meyer im Juni 2010 bekannt, die NZZ sei im Rennen um die »BaZ« auf der Strecke geblieben. Man habe nicht über das vom VR festgelegte Preislimit hinausgehen wollen, zumal das Blatt seiner Ansicht nach keine tiefe Verankerung am Rheinknie besass. So waren im Jahre 2004 rund 2500 mit der »Basler Zeitung« unzufriedene Leser an die NZZ gelangt, diese möge in ihrer Tagesausgabe einen Baselbund schaffen – als Alternative zur BaZ.

Für Stäheli war die Zusammenführung der NZZ-Gruppe eine herausfordernde Aufgabe. Er pendelte zwischen Zürich, Bern, Luzern und St. Gallen hin und her. »Diese Gruppe ist ein Konglomerat von Einzelteilen«, erklärte er. Noch sei an keinem dieser Standorte das Bewusstsein für die Gruppe gegeben. Auf mehrere Millionen Franken bezifferte er das Sparpotenzial, das er durch Synergien in Bereichen wie Personal, IT, Finanzen und Einkauf ausschöpfen wollte. Bislang unterhielt noch jede Region ihre eigene Buchhaltung, ihr Personalbüro und ihre IT. Zum Abbau solcher Doppelspurigkeiten musste Stäheli hart durchgreifen. Bei den Regionalblättern herrschten Lokalfürsten, die nicht auf den CEO aus Zürich gewartet hatten, und die ihre Pfründe teils sehr erfolgreich verteidigten. Der in Muri bei Bern wohnhafte Stäheli packte die Zentralisierung mit Elan an. Es war nicht »Tempo Bärn«, sondern »avanti«, wie der Codename für das Projekt hiess. Und so war das neue Konstrukt bald fertig: Die NZZ-Mediengruppe mit aufgefrischtem Logo, neuem Organigramm und einer völlig veränderten Firmenkultur.

Zur Bewältigung der erweiterten Aufgaben hievte der CEO neue Kräfte in die Unternehmensleitung. Zum Entsetzen der Falkenstrasse kamen diese vorwiegend aus Luzern, St. Gallen und Bern, also von den regionalen Töchtern. So stammte der neue Finanzchef Jörg Schnyder – noch auf Empfehlung von Hugo Bütler befördert – aus der Luzerner Zeitungsgruppe. Urs Schweizer, ein enger Weggefährte Stähelis aus der Zeit der Berner Espace Media, war neu für den Druckereibereich verantwortlich. Der promovierte Finanzwirtschafter war zudem so etwas wie Stähelis »intellektuelles Gehirn«. Er dürfte in dieser Funktion viel strategische Vorarbeit für die spätere Schliessung der NZZ-Druckerei geleistet haben. Hanspeter Klauser von der Geschäftsleitung des St. Galler »Tagblatt« übernahm den Bereich »Medien Ostschweiz« und Jürg Weber, ehemaliger Leiter der »Luzerner Zeitung«, war neu für »Medien Zentralschweiz« zuständig. Mit dem Juristen Hanspeter Kellermüller, den Stäheli dem Verlegerverband ausspannte, wurde zudem die neue Stelle des Generalsekretärs besetzt. Als dann noch eine Position für Unternehmenskommunikation geschaffen und einer unbekannten, ehemaligen Luzerner Journalistin zugeschanzt wurde, machte umgehend das Wort »Reverse Takeover« die Runde. Es herrschte der Eindruck vor, das Mutterhaus werde nun von seinen Töchtern dominiert, von Töchtern, die in einer völlig anderen Kultur sozialisiert worden waren. Umgekehrt hatten diese das Gefühl von »NZZ über alles«, und dass sie mit ihren Gewinnen den schwerfälligen Luxusdampfer von der Falkenstrasse subventionierten.

Nachdem es Stäheli durch Sparen und Reorganisieren gelungen war, das wirtschaftliche Steuer herumzureissen, gab er sich selbstsicherer: »Die ›Alte Tante‹ hat das Tanzen nicht verlernt, man muss nur die richtige Musik spielen!« Allein, der Grundtenor dieser »richtigen Musik« bildete eine gefühlte Geringschätzung der Redaktion sowie ein Aufbau von Strukturen, die von den Journalisten als lähmend empfunden wurden. Man sei eine Zeitung und keine Schraubenfabrik, lästerten diese. Der CEO führte neue Stabsfunktionen ein, wie etwa das Facility Management, womit die bisherige Hauswartung im Organigramm aufgewertet wurde – mit bürokratischen Folgen, wie sich im Keller der NZZ zeigte. Dort stand sportlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen eine Garderobe samt Dusche zur freien Verfügung. Kaum war das Facility Management gebildet, gab es Vorschriften, Sitzungen und Formulare zur Nutzung dieser Anlagen. Ein »schlechter Witz« meinten die Betroffenen.

Für Polo Stäheli, so schien es, war die Redaktion vor allem ein Kostenfaktor; und überdies noch ein aufmüpfiger, oft rückwärtsgewandter und deshalb lästiger. Sukzessive wurden die an viel Freiheit gewohnten Journalisten an eine kürzere Leine genommen. Ihr Handlungsspielraum schränkte sich nicht nur durch wirtschaftliche Zwänge und durch die fortschreitende Digitalisierung ein, sondern auch durch die von Chefredaktor Spillmann initiierte Modernisierung der Zeitung mit der Devise »Layout first«. Plötzlich gab es verbindliche Längenvorgaben, in Millimetern für alle Texte, und für die Bebilderung waren drei frisch eingestellte Art Directors (AD) – davon zwei junge Damen – mit ungewohnt hoher Entscheidungsbefugnis verantwortlich. Sie mussten die ganze NZZ bebildern, obgleich sie keine Zeit hatten, die zu bebildernden Texte vorab zu lesen. Das war Aufgabe der alten Bildredaktion. Für die ADs zählte bloss das attraktivste Foto. Zwar wurde damit die Bebilderung der Zeitung insgesamt attraktiver, doch nur zum Preis hoher Konflikte mit der schreibenden Zunft. So erzürnten die ADs gleich zu Beginn das Ressort Zürich. Dieses hatte einen politisch-relevanten Artikel als Aufmacher vorgesehen. Doch die Damen pochten darauf, dass ein harmloser Beitrag zum monatlichen Pressecocktail im Zürcher Zoo an die Spitze komme, weil dieser sich eben gut bebildern liess. Das empfand die Redaktion als Affront. Von nun an hatte sie sich täglich mit den Bildverantwortlichen, bildlich gesprochen, zu duellieren. Letztere konnten diese Zweikämpfe nur gewinnen, indem sie die Unterstützung des Chefredaktors suchten und häufig auch fanden. Spillmann konnte sich erstaunlich lange mit den ADs unterhalten, wobei nie klar war, ob sein Interesse einzig der Sache oder nicht auch den Damen geschuldet war.

Inzwischen haben diese die NZZ längst wieder verlassen und das betriebliche Organigramm wurde um zusätzliche Hierarchiestufen erweitert. Anlässlich der Ernennung der langjährigen NZZ-Redaktorin Christina Neuhaus zur neuen Chefredaktorin von »NZZ Folio« im Mai 2019 zum Beispiel war im offiziellen Communiqué zu lesen, Neuhaus sei nicht nur Nicole Althaus unterstellt, welche die Gesamtleitung für die Strategie aller NZZ-Magazine innehat, sondern auch Daniel Wechlin, dem Stellvertretenden NZZ-Chefredaktor.29 Offensichtlich finden sich auch bei der Redaktion immer mehr Häuptlinge. Diese sonnen sich ebenso im Glanz der Marke NZZ wie dies die Teppichetage tut. Denn noch immer gilt: Wer mit der NZZ punkten kann, dem ist eine gewisse Ehrfurcht sicher. Deshalb stand auf Hugo Bütlers Visitenkarte noch 2019 – mehr als ein Jahrzehnt nach seinem Abschied von der Falkenstrasse: »Ehem. Chefredaktor der Neuen Zürcher Zeitung«.

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