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Kapitel 1:Zeitenwende 1.1Hochmut kommt vor dem Fall

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Um die NZZ braucht man sich wohl keine Sorgen zu machen: Too big to fail.2

Kurt Imhof,

Ehemaliger Medienspezialist

Silvester 1999, die Nacht der Nächte: Fast der ganze Globus fiebert dem neuen Millennium entgegen. Seit Monaten hat sich die Welt für dieses Datum gerüstet und für mögliche Krisen, wie das gefürchtete 2K-Computerproblem. Doch 2000 startet ohne Pannen. Es fallen keine Züge aus, es bleiben keine Flugzeuge am Boden kleben und auch die Geldautomaten funktionieren nach der Jahreswende reibungslos. Die Menschen, von Tokio bis Rio, sind erleichtert und lassen die Gläser klingen, obgleich das dritte Millennium eigentlich erst mit dem 1. Januar 2001 einsetzt. In diesem Trubel verstreicht am 12. Januar 2000 der 220. Geburtstag der Neuen Zürcher Zeitung recht sang- und klanglos. Chefredaktor und Ressortleiter stossen zwar diskret mit »Veuve Clicquot« – und separat dazu Mitglieder der Auslandredaktion mit Wein –, auf die Jubilarin an. Eigentlich hätte man Grund zum ausgelassenen Feiern gehabt. Die Weltwirtschaft florierte und die Börsen eilten von Rekord zu Rekord, beflügelt von Titeln der »New Economy«. Diese aus internetbasierten Startups bestehende junge Branche hatte eine Goldgräberstimmung ausgelöst. Aktien unzähliger Neugründungen kletterten auf immer neue Höchststände. Illusion, Spekulation und Manipulation waren der Motor. Die Dotcom-Blase war perfekt. Früher oder später würde sie platzen.

Die NZZ profitierte ebenfalls von diesem Boom. Am 20. September 1999 war das bislang umfangreichste Blatt aller Zeiten gedruckt und versandt worden: 76 Seiten Normalteil plus 64 Seiten einer Sonderbeilage anlässlich der »Orbit«-IT-Messe in Basel, sowie eine 28-seitige »Orbit-Stellen-Beilage«: stolze 168 Seiten. Diesen Ausstoss verglich der damalige Druckereichef mit dem Durchsatz eines Zementwerkes: 95,7 Tonnen Zeitung! Eine technische Meisterleistung, welche zudem einen satten Beitrag an den Unternehmensgewinn lieferte. Ergo hoffte man 2000 Ähnliches zustande zu bringen. Allein, dazu sollte es nicht mehr kommen. Im Frühjahr 2000 platze die Blase. Die Kurse der Stars der New Economy stürzten mit derselben Rasanz ab, mit der sie zuvor in die Höhe geschnellt waren. Es war ein Albtraum für viele Anleger, die nach anfänglichen Gewinnen die Zeche bezahlten. »Zocker, Zirkus, Dreistigkeit« titelte »Spiegel online« Jahre später ein Post-mortem-Stück zu diesem Boom.

Die »Alte Tante« tanzte damals ihren bislang letzten Tango. Mit rund 2000 Mitarbeitern erzielte die NZZ-Gruppe 2001 einen Rekordumsatz von über einer halben Milliarde Franken. Dank guter Konjunktur und sprudelnden Finanzerträgen hatte sie ihren Gewinn innert fünf Jahren auf 50 Millionen Franken anheben und damit mehr als verdoppeln können. Die Eigenmittel-Rendite erreichte 11,4 Prozent und die Eigenkapitalquote 69 Prozent. Ein Bonmot machte die Runde: Die NZZ sei die einzige Bank der Schweiz, welche sich eine Tageszeitung leiste. Entgegen dem Branchentrend gelang es auch, die Auflage auf einen Höchststand von knapp 170000 Exemplaren zu steigern. Man lebte im medialen Schlaraffenland. Ein Redaktor soll es damals sogar geschafft haben, bloss ein bis zwei Artikel pro Jahr zu verfassen – und das bei vollem Lohn. Dank prallgefüllter Kasse liess man ihn gewähren. Alles schien rund zu laufen, so dass kaum Handlungsbedarf geortet wurde, oder wie der Amerikaner sagen würde: »If it ain’t broke, don’t fix it«. Dabei waren am Horizont neue Herausforderungen bereits sichtbar, vor denen man auch an der Falkenstrasse die Augen nicht verschloss. So stand im Jahresbericht 2000 warnend zu lesen, der Wettbewerb im Raum Zürich werde sich mit der geplanten Lancierung zweier Gratiszeitungen verschärfen. Trotzdem glaubte man selbstsicher, die NZZ mit ihrer hohen publizistischen Qualität und ihrer anspruchsvollen Leserschaft werde höchstens am Rande von diesen Entwicklungen tangiert sein. Schliesslich offeriere man ein schweizweit einzigartiges Produkt, das noch lange Bestand haben werde. Nach dem Motto »content is king«.

Doch da war der Wunsch der Vater des Gedankens. Bald schon setzte ein bedrohlicher Abwärtstrend bei den Werbekunden ein. Ausserdem wanderten lukrative Rubriken-Inserate in neue und günstigere Onlineportale für Immobilien, Jobs und Autos ab. Als Reaktion auf diese Umwälzungen beteiligte sich die NZZ an Press-Web, einem Joint-Venture, mit dem Schweizer Verleger dieses Geschäft zurückerobern wollten. Das Unterfangen begann vielversprechend. Doch als Tamedia wieder aus dem Projekt ausstieg und eigene Wege ging, war absehbar, dass Press-Web scheitern würde. Die Idee, Rubrikeninserate in einen gemeinsamen Online-Topf zu werfen und so eine starke neue Marke zu kreieren, war wohl richtig, doch die dazu nötigen hohen Investitionen erwiesen sich als Stolperstein. Zwar gründeten die verbliebenen Verlage später die Plattform Swissclick, doch stand auch diese unter keinem glücklichen Stern, weil im Online-Business gilt: »The winner takes it all« – also bloss der Marktführer erfolgreich ist. Fast alle Spitzenpositionen waren aber schon besetzt. Zudem fehlte die letzte Bereitschaft der Verleger, mit Swissclick ihre eigenen Rubriken zu konkurrenzieren. Es ging allen noch zu gut – oder noch nicht schlecht genug.

Anfangs 2001 lief auch bei der NZZ noch vieles wie geschmiert. Man sass auf einem Matterhorn von Cash und Finanzanlagen und auf entsprechend hohem Ross. Das galt selbst für die Redaktion, deren hochmütige Devise lautete: Wir schreiben etwas, wovon wir glauben, dass es Leser und Leserinnen interessiert. Sollte dies nicht der Fall sein, so ist das nicht unser, sondern deren Problem. Auch hinsichtlich Enthüllungsjournalismus gab man sich blasiert: Die NZZ sei so wichtig, dass, wenn es etwas Wichtiges zu berichten gäbe, sie das sowieso als Erste erfahre. Auslandredaktor Christoph Mühlemann meinte einmal mit gelassener Überheblichkeit: »Der Leser weiss: Wenn es nicht in der NZZ steht, dann ist es auch nicht wichtig.«

Ähnlich verhielt sich der Verlag. Die Werbegelder sprudelten so munter, dass die Anzeigenabteilung es sich leisten konnte, Aufträge abzuweisen und werbewillige Kunden auf ein späteres Erscheinungsdatum zu vertrösten. Ergo brauchte man auf Anliegen der Inserenten keine grosse Rücksicht zu nehmen. Persönlich wurde mir das anlässlich einer Uhrenbeilage vom Frühjahr 2002 bewusst. Als Korrespondent für die Romandie sollte ich dazu einige Beiträge liefern. Bald schon kontaktierte mich der für die Westschweiz zuständige Annoncenverkäufer. Er bat mich, nicht nur über »obskure« Uhrenlabels zu schreiben, wie dies in der Vergangenheit oft der Fall gewesen sei, sondern auch einmal grosse Marken, durchaus auch kritisch, zu porträtieren. Diese würden für Millionen von Franken im Jahr Werbung in der Tagesausgabe schalten, ohne bisher Resonanz in den Beilagen gefunden zu haben. Das war typisch für die NZZ, darin wurzelte ihre hohe Glaubwürdigkeit.

In meiner 25-jährigen Korrespondententätigkeit war dies der einzige Kontakt mit einem Anzeigenverkäufer. Am Ende konnte ich dessem Wunsch ein Stück entgegenkommen. Widerspenstig gab sich mitunter die Redaktion, wenn es darum ging, ein Inserat auf einer rechtsliegenden Zeitungsseite zu platzieren. Diese waren ausschliesslich für redaktionelle Beiträge reserviert. In Ausnahmefällen konnte der Verlag eine Sonderbewilligung beantragen, doch wurde eine solche längst nicht immer gewährt. Und wenn ja, dann oft nur »schweren Herzens«. So wenig kundenfreundlich war der erfolgsverwöhnte Betrieb.

»Leichten Herzens« liess man dagegen die grossen Räume in Keller und Parterre des NZZ-Gebäudes über ein Jahrzehnt lang leer stehen. Dort, wo bis Ende der 1980er Jahre Druckerei und Spedition angesiedelt waren, klaffte gähnende Leere. Später wurde ein Teil dieser Flächen für das Redaktionsarchiv genutzt und der Rest für gelegentliche gesellige Anlässe, wie etwa ein Redaktionsfest, bei dem sogar die Walliser Pop-Ikone Sina auftrat. Diverse Vorschläge zur wirtschaftlichen Nutzung dieser Räumlichkeiten waren auf dem Tisch des Chefredaktors gelandet, inklusive der Idee einer zweistöckigen Einkaufsarkade nach Pariser Vorbild. Doch nichts geschah. Man wolle keine »Dessous-Läden« im Haus, hiess es von zuständiger Seite. Auf Ablehnung stiess auch ein Plan des damaligen Chefbuchhalters Edgar Hirt, der das NZZ-Gebäude anfangs der 1990er Jahre zu einem stolzen Preis an eine japanische Bank vermieten und die Redaktion an einen anderen Ort auslagern wollte. Hirt dürfte sich an der Fleet Street, der einstigen Londoner Zeitungsmeile, orientiert haben. Dort gibt es auch keine Verlage mehr, sie sind längst auf billigere Pflaster ausgewichen. Nicht so die NZZ. Diese verteidigt ihren Logenplatz seit über 100 Jahren.

Damals wie heute verbindet der bauliche Umgang mit einer der prestigeträchtigsten Lagen Zürichs den Willen des Traditionsunternehmens NZZ, sich dem breiten Publikum zu öffnen, die eigene Identität epochengerecht mit gesundem, aber nicht überheblichem Selbstbewusstsein architektonisch zu untermauern – und gleichzeitig die an dieser Lage besonders kostbare Ressource Boden möglichst wirtschaftlich zu nutzen.3

So geschwollen kommentierte 2008 Chefredaktor Spillmann die bislang letzte Totalrenovation des Gebäudes. In deren Rahmen wurden die ungenutzten Flächen in Shops und Restaurant samt Bar gewandelt und langfristig verpachtet. Die »Sonntagszeitung« schätzte 2014 den Wert des NZZ-Hauses auf mindestens 170 Millionen Franken. Seither dürften es wohl einige Millionen mehr geworden sein.

Umbruch. Die Neue Zürcher Zeitung

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