Читать книгу Umbruch. Die Neue Zürcher Zeitung - Friedemann Bartu - Страница 7
1.2Das Schicksalsjahr 2001
ОглавлениеMit der Swissair verabschiedete sich der freisinnig-militärische Machtblock, der das Land regiert, gefördert und erstickt hatte.4
Constantin Seibt,
Redaktor Tages-Anzeiger
Am 2. Oktober 2001 brach in der Schweiz eine Welt zusammen: »Aus finanziellen Gründen ist die Swissair nicht mehr in der Lage, ihre Flüge durchzuführen«, erklang es am Flughafen Zürich, dem damaligen Zeitgeist zuliebe und mit einem Aufwand von 800000 Franken in »Unique Zurich Airport« umbenannt. Die Hiobsbotschaft löste eine Schockwelle aus, schliesslich war die Swissair nicht irgendeine Fluggesellschaft. Sie war die fliegende Botschafterin der Schweiz. Die Heckflosse mit dem Schweizerkreuz stand für Sicherheit, Solidität und Service – für Schweizer Qualität eben. Dass diese Ikone untergehen würde, war bis anhin unvorstellbar. Den Todesstoss versetzte ihr der islamistische Anschlag vom 11. September auf die Twin Towers des World Trade Center in New York. Dieses »Pearl Harbor des 21. Jahrhunderts« stürzte die Welt in eine tiefe Rezession. Über Nacht breitete sich Angst vor dem Fliegen aus, was der bereits angezählten Swissair den K.-o.-Schlag verpasste. Zudem trug eine sich als wenig kompetent erweisende Schweizer Wirtschafts- und Politelite mit zum Debakel bei. Die beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse standen am Pranger, da sie es verpassten, der ums Überleben kämpfenden Airline dringend benötigten Sauerstoff in Form von Liquiditätsspritzen zu verabreichen. Und so wurde 2001 das Vokabular der Schweizer um ein gewichtiges Wort reicher: Grounding.
Die Art und Weise, wie die »Sanierung« umgesetzt wurde und wie ein unsägliches Chaos angerichtet worden ist, spottet jeder Beschreibung. Sie wird gewiss kein Lob und sicher nicht einmal Verständnis ernten, sondern wohl nur begreifliche Empörung und Wut. Diese Emotionsausbrüche werden sich zunächst gegen die beiden Finanzinstitute richten, aber dann auch gegen die Banken insgesamt, gegen die Unternehmenswelt und gegen die Marktwirtschaft.5
So wetterte die NZZ. Für das Blatt waren Konjunktureinbruch und Swissair-Grounding eine schwere Bürde. Es kam zu einem dramatischen Werberückgang, besonders bei den Stelleninseraten. Dazu gesellte sich eine miserable Börsenverfassung, so dass die NZZ-Gruppe 2001 nur noch eine schwarze Null erzielte, gegenüber einem Plus von 50 Millionen Franken zuvor. Es war ein radikaler Absturz, der auch im Folgejahr anhielt. Bis dann waren gegenüber dem Jahr 2000 Inserate und Annoncen im Umfang von 40 Millionen Franken weggebrochen. 2002 schloss deshalb mit einem rekordhohen Verlust von 50 Millionen Franken. Die Party hatte ein jähes Ende genommen. Hals über Kopf wurden mehr als 80 Stellen abgebaut – über natürliche Fluktuationen, ordentliche und vorzeitige Pensionierungen sowie über die Reduktion von Arbeitspensen. Dennoch: 27 Mitarbeitern wurde gekündigt. Es war die wohl schwärzeste Stunde für Hugo Bütler, der den NZZ-Dampfer bis dahin durch vorwiegend ruhige Gewässer hatte (mit)steuern können.
Die Swissair-Krise brachte auch die NZZ-Redaktion in die Bredouille. Eric Honegger, der VR-Präsident der SAir Group, präsidierte nämlich seit 1999 ebenfalls den NZZ-Verwaltungsrat. In dieser Doppelrolle hatte er sich in einem Interview mit der Zeitung vom März 2001 zuversichtlich zur Zukunft der Swissair geäussert. Damit setzte sich die NZZ aber dem Vorwurf aus, ihrem Präsidenten ein Gefälligkeitsinterview gewährt zu haben, zumal sie es unterliess, auf Honeggers Position an der NZZ-Spitze hinzuweisen. Diese Sicht teilte auch Christoph Blocher:
Eigentümlich waren die milden, schonungsvollen Analysen des Wirtschaftsblattes »Neue Zürcher Zeitung«. Der gegenwärtige Verwaltungsratspräsident der NZZ heisst Eric Honegger und ist dank seinem Vorgänger Ueli Bremi (FDP) dorthin gelangt. Selbstverständlich werden die NZZ Redaktoren umgehend beteuern, der Verwaltungsrat habe noch nie Einfluss auf die journalistische Arbeit genommen. Dies dürfte stimmen. Wirksamer als Befehle wirken in solchen Fällen der vorauseilende Gehorsam und die politische Korrektheit, die mehr mit Politik als mit Korrektheit zu tun hat.6
In der Folge ging die NZZ-Redaktion auf Distanz zu ihrem zuvor durchaus geschätzten Präsidenten und legte ihm nahe, das imageschädigende Seilziehen um seine Abgangsentschädigung rasch zu beenden. Worum ging es? Als Sohn des FDP-Bundesrates Fritz Honegger war Eric bereits in jungen Jahren vieles zugefallen. Mit 41 Jahren sass er in der Zürcher Regierung. Er war bemüht, die ihm anvertrauten und unvertrauten Dossiers möglichst gut zu verwalten. Denn er wusste, dass politische Gegner ihm Fallgruben bauten. Als er nach drei erfolgreichen Perioden keine weiteren Aufstiegschancen sah, trat er aus der Politik zurück. Obwohl der promovierte Historiker »einen Beruf im engeren Sinne nie gelernt hatte«, wurde er von der Wirtschaft mit Mandaten überhäuft; was ihm schmeichelte. So zog er in den Verwaltungsrat von UBS und Plakatgesellschaft ein, übernahm das Präsidium von Möbel Pfister und NZZ – und schliesslich auch das der SAir Group, der Muttergesellschaft der Swissair. In deren 32-köpfigen Verwaltungsrat hatte er als Vertreter des Kantons Zürich bereits seit 1993 Einsitz. Wer es in diesen exklusiven Klub schaffte, sei im »Olymp der Schweizer Wirtschaft« angelangt, soll der langjährige Swissair-Präsident Armin Baltensweiler gesagt haben. Er drückte aus, wie sich diese handverlesene Runde anfühlte: Die Götter des helvetischen Olymps waren scheinbar unfehlbar und widersprachen sich selten. Sie bildeten eine eingeschworene Seilschaft, zumindest solange alles gut ging. Eric Honegger fühlte sich wohl an deren Seilen. Der damalige »Tages-Anzeiger«-Redaktor Constantin Seibt nahm diese Seilschaften aber kritisch ins Visier:
Karrieren verliefen langsam; Neuankömmlinge wurden in Klubs, Unternehmen, Militär, FDP-Sektionen beschnüffelt. Am Ende rochen alle gleich. Doch wer einmal im Kreis aufgenommen war, hatte nichts zu befürchten. Das Denken übernahm im Zweifelsfall die NZZ. Es war eine stille Welt von sehr erfolgreichen, sehr respektierten Leuten: die Schweiz der Hochkonjunktur. Sie schien auf Ewigkeit gebaut.7
Für Honegger endete diese »Ewigkeit« abrupt. Er, der an der Harvard Business School eine Schnellbleiche in Management absolviert hatte, konnte sich zwei Jahre als Wirtschaftskapitän halten. Dann kam der Fall. Sein Karrieregrab schaufelte er, als er 2001 das Amt des CEO der Swissair zusätzlich übernahm. Dieses Doppelmandat erwies sich als Himmelfahrtskommando. Die Airline befand sich arg in Schieflage und Honegger gelang es nicht, das Ruder herumzureissen; genauso wenig wie es seinem Vorgänger gelungen war, und wie es auch sein Nachfolger nicht schaffen würde. Ergo wurde der FDP-Mann nach nur sechs Wochen im März 2001 wieder abgesetzt, notabene von denselben Leuten, die ihm zuvor die Steigbügel gehalten hatten. Aus unverständlichen Gründen bestand er auf der Erfüllung seines mehrjährigen Arbeitsvertrages und einer Lohnfortzahlung von 2,2 Millionen Franken. Damit wurde er bei Volk und Medien zum Buhmann. Es war Wirtschaftsredaktor Beat Brenner und nicht etwa der Chef des Wirtschaftsressorts, Gerhard Schwarz, der in dieser Angelegenheit Stellung bezog und Honegger in einem ausgewogenen Artikel zum Einlenken aufrief:
Ob vertraglich so festgeschrieben oder nicht, für eine breitere Öffentlichkeit bleibt schwer nachvollziehbar, dass nach knapp einjähriger Präsidialzeit Lohnzahlungen bis Vertragsende 2005 fällig werden sollen. In dieser ausserordentlichen Lage wäre Honegger zweifellos wohl beraten, wenn er rasch, am besten noch vor der Generalversammlung der SAir Group vom 25. April, eine Kompromisslösung finden könnte.8
Kurz vor der SAir-Generalversammlung bot Honegger Hand für einen Kompromiss. Anderthalb Monate später trat er auch vom Verwaltungsrat der NZZ zurück; nicht zuletzt auch auf Drängen der Redaktion, für die er schlicht nicht mehr haltbar war. Sein Kollege Hannes Goetz, der FDP-Mann, der lange zusammen mit Honegger im Swissair-Verwaltungsrat sass, konnte dagegen seinen Platz im NZZ-VR retten; zumindest für ein weiteres Jahr. Neuer Präsident wurde der bisherige Vize, Conrad Meyer, Ordinarius für Rechnungswesen an der Universität Zürich. Dieser übernahm das Ruder in einem denkbar schwierigen Moment. Er ahnte nicht, in welchem Umfang ihn das Amt belasten, fordern und letztlich auch überfordern würde. Kaum hatte er auf dem Präsidentenstuhl Platz genommen, ging die Krise los. Plötzlich blies Meyer ein steifer Wind ins Gesicht. Er stehe an der Spitze der »besten Zeitung mit den schlechtesten Strukturen«, spotteten Kritiker.
Sechs Jahre verstrichen, bis der Fall Swissair juristisch aufgearbeitet wurde. Der Prozess von 2007 zeigte, wie hochkomplex die Zustände bei der Airline waren. Wirklich Belastendes kam nicht zu Tage, so dass alle Angeklagten freigesprochen wurden. So gerechtfertigt dieses Urteil aus juristischer Sicht gewesen sein mag, so sehr hinterliess es einen bitteren Nachgeschmack; besonders der Umstand, dass das Gericht den Angeklagten Prozessentschädigungen in Millionenhöhe zusprach. Dies führte zu tiefen Kratzern am Lack der Wirtschaftselite und der mit ihr verbandelten Freisinnigen Partei.
Der abgesetzte Honegger setzte sich mittlerweile ins österreichische Burgenland ab. Dort baute er sich eine neue Existenz als Gastgeber mit eigener Pension auf. Seine Erfahrungen brachte er in Buchform heraus. Dessen Schlüsselkapitel heisse »Gutgläubig bis zum Schluss«, schrieb der damalige NZZ-Inlandchef Matthias Saxer in seiner Rezension. Es offenbare einen von den Werten der Konsenspolitik und der Milizarmee geprägten Menschen, der in einer ihm wesensfremden Managerwelt vergeblich ein Mindestmass an Loyalität, Vertrauen und Kollegialität suchte. Mit NZZ-typischer Zurückhaltung fügte Saxer Kritik an: Der unbefangene Leser frage sich, warum sich die Managerkaste Mandate in den grossen Verwaltungsräten ohne Einspruch von Aktionären so lange nach eigenem Gusto übers Kreuz zuhalten konnte. Wesentlich härter ging Constantin Seibt mit Honegger ins Gericht:
Der Rauswurf bei der SAir Group, der als Abgangsentschädigung mit einem Jahreslohn und 480000 Franken verbunden war, (…) ist Honeggers Trauma. Es schmerzt ihn (…) dass sein Hinauswurf von keiner menschlichen Regung seiner ehemaligen Verwaltungsratskollegen begleitet war, schreibt Honegger, der zuvor – wohl ebenso ohne menschliche Regung – Philippe Bruggisser entlassen hatte. Honeggers Perspektive ist die eines egozentrischen Popanzes, der alles richtig gemacht hat, dem jegliche Selbstkritik abgeht und der in seinem Buch vor allem seine Gefühle schildern und Mitleid heischen will. Dass neben ihm unzählige Swissair-Angestellte ihren Job verloren, Leute, die nicht wie er auf das Netzwerk des Rotary Club und des Militärs sowie auf die finanzielle Absicherung durch Verwaltungsratsmandate zählen konnten – dazu fällt Honegger kein Wort ein.9
Nicht minder kritisch klang es von rechts: Die Swissair-Krise gab Christoph Blocher Gelegenheit für eine Attacke auf den Freisinn. In einem Artikel im »Tages-Anzeiger« – eingefädelt, wie es hiess, vom damaligen Inlandredaktor Markus Somm – stellte der SVP-Nationalrat die für ihn rhetorische Frage »Gesundet der Freisinn mit der Swissair?« und lieferte die Antwort gleich mit:
Die bestürzenden Ereignisse der letzten Wochen zeigen drastisch die Folgen einer unheilvollen Verfilzung. Das Problem Swissair ist zugleich – und vielleicht noch mehr – ein Problem Freisinn. Die verheerenden Auswirkungen einer unernsten Auffassung von Wirtschaft wie von Politik lassen sich heute nicht mehr beschönigen und bedürfen der schonungslosen Kritik (…) Man wird nicht darum herumkommen, Namen von Schweizer Firmen, Managern und Politikern zu nennen, deren kläglicher Leistungsausweis allzu lange bengalisch beleuchtet wurde, heute aber als gewaltiger Scherbenhaufen für jedermann sichtbar zu Tage tritt. (…) Die Swissair wird seit Jahren praktisch ausnahmslos von Freisinnigen geleitet. Schon der freisinnige Hannes Goetz stand für die verfehlte und vom Verwaltungsrat mitgetragene »Hunter-Strategie«.10
Schweres Geschütz fuhr Blocher auch gegen den SAir-Präsidenten auf, wobei er gewissentlich verschwieg, dass die von ihm und der SVP mit Verve geforderte und an der Urne erfolgte Ablehnung des EWR-Vertrages ein zentraler Auslöser der Krise bei der Swissair war:
Eric Honegger – von Beruf Historiker, später Verbands- und Parteisekretär und schliesslich vollamtlicher Politiker – sass sieben Jahre im Ausschuss des Verwaltungsrats. Er verfügte noch in seinem 54. Lebensjahr über keinerlei Erfahrung, geschweige denn einen Leistungsausweis im freien Markt, und hatte in seinem Leben noch nie einen Bleistift verkaufen müssen. Dennoch machten ihn seine freisinnigen Freunde zum Verwaltungsratspräsidenten der SAir Group, wo er die katastrophalen Fehlentscheide des Managements seit Jahren mitträgt.11
Eric Honegger ist an der Falkenstrasse bis heute präsent. Sein Konterfei hängt mit dem anderer ehemaliger Präsidenten im ehrwürdigen Komiteezimmer im zweiten Stock des NZZ-Gebäudes – ein holzgetäfelter, historischer Raum, der wie kein zweiter Tradition und Geschichte dieses Hauses atmet.