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Vier
ОглавлениеViele graue Herren mit Aktenköfferchen, edles Leder bei den Arrivierten, auch unterscheidbar durch die Capital oder die rosafarbene Financial Times unter dem Arm, schalteten alle möglichst kurz vor der Flugzeugtür ihre unentbehrlichen Wischtelefone noch schnell auf Flugmodus – man durfte ja keine dringende Information verpassen - und betraten mit coolem Sechsuhrmorgenvielfliegergesicht die 747, die höchstens zu einem Viertel besetzt war und die nach dem kurzen Rauf und wieder Runter dann von Frankfurt aus in weite Fernen fliegen würde. Curd träumte, ob er nicht einfach sitzenbleiben sollte. Er fand die Idee spannend, zu einem ihm unbekannten Ort getragen zu werden. Netzkarte von Sten Nadolny, eines seiner Lieblingsbücher kam ihm in den Sinn. Dr. Sarah Bietigmann unterbrach seine wohligen Gedanken und bedeutete ihm energisch, dass sie angekommen wären und jetzt aussteigen müssten.
Ein Taxi brachte sie in fünfundvierzig Minuten zum Hochhaus der DZ – Bank mit dem futuristischen Kragen in 200 Metern Höhe. Das unter dem Kragen liegende Stockwerk war wesentlich höher, was ihn an seine Vorstandsetagen erinnerte. Überall die gleiche Angeberei der Alphatierchen, dachte er. Neben dem Hochhaus zwei bräunliche Gebäude, die trotz ihrer ordentlichen Höhe neben dem Wahrzeichen unscheinbar wirkten. Sie gehörten auch der DZ – Bank. Auf seine Frage, wie viele Leute denn da beschäftigt wären, teilte ihm Dr. Bietigmann mit, es wären etwa 5500.
„Was machen die denn den ganzen Tag?“, wunderte sich Curd.
„Das ist die Zentrale. Für das Geschäft mit den Kunden gibt es die Töchter, wie die Volks- und Raiffeisenbanken.“
„Die 5500 haben mit den Kunden nichts zu tun?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Aber was machen die denn?“
„Sie verstehen das Bankgeschäft nicht, Herr Hofmann. Das werde ich ihnen jetzt auch nicht erklären. Hier müssen wir hinein.“ Jedenfalls verbraten sie mein Geld, dachte Curd noch.
Das Schild war schlicht und wirkte sehr exklusiv, wie es sich für diese Lage in Frankfurt gehörte. 'Gesellschaft für Systemstudien GmbH' – 18. Stock. Mehr war nicht zu entnehmen. Das war also wohl Emmental. Empfang und Lobby waren von internationalem Standard – Design genauso wie das Empfangspersonal. Man lud sie ein, einen Augenblick in der Lobby zu warten. Sie würden gleich abgeholt.
Der Mann, der sich vorstellte als Klaus Mohnkötter, sah eigentlich aus wie Curd, vielleicht ein paar Jahre jünger und er hatte noch Sneakers an. Er führte sie in ein Besprechungszimmer mit ein paar Bildschirmen, die vermutlich live Überwachungen zeigten.
„Hatten Sie einen guten Flug?“ Ende Smalltak, was ihm Mohnkötter sympathisch machte. „Darf ich ihnen kurz erklären, worum es geht. Wir arbeiten an einem System, ähnlich dem INDECT – Projekt der EU. Nur wir sind weiter. Da geht es darum, alle Möglichkeiten der Personenüberwachung zu integrieren. Ihre gait recognition soll dabei eine wichtige Rolle spielen.“
„Was ist denn das Ziel von INDECT?“, fragte Curd. Obwohl er das Projekt kannte, wollte er herausfinden, wie viel dieser Mohnkötter herausließ.
„INDECT heißt 'Intelligent information system supporting observation, searching and detection for security of citizens in urban environment'. Es dient zur Verbrechensbekämpfung. Damit soll 'abnormales Verhalten' im öffentlichen Raum erkannt werden. Dazu zählt – neben vielen anderen Kriterien – etwa 'zu langes Sitzen' oder 'auf dem Boden sitzen' in einem öffentlichen Verkehrsmittel oder in einem Flughafen.“
„Aha. Tolle Sache oder?“
„Vielen Dank für die Ausführungen, Herr Mohnkötter“, griff Dr. Bietigmann ein. „Aber bitte, erzählen sie uns von dem Problem, das sie mit unserem System haben.“
„Gerne, Frau Dr. Bietigmann.“ Er war offensichtlich froh über die Intervention. Man hatte ihm schon angesehen, dass er nur aus Höflichkeit und widerwillig berichtet hatte. Er war kein Profi. „Eigentlich geht es schon recht gut, außer dass wir ein paar Abstürze hatten und ihre Techniker damit ins Schwitzen kamen. Dabei waren dann auch einige Erfassungsdaten verschwunden. Aber das ist nicht so schlimm, am Anfang. Da können sie ihren Technikern sicher helfen. Die armen Jungs sind ja noch neu.“
„Das wird Herr Hofmann gleich machen. Aber sie hatten 'eigentlich' gesagt?“
„Ja genau. Das Problem ist, dass ihr System ein paarmal Leute identifiziert hat, die gleichzeitig an verschiedenen Orten waren. Und das ist meines Wissens nach dem heutigem Entwicklungsstand der Menschheit noch nicht möglich.“ Humor hatte er also, der Herr Mohnkötter.
„Ich werde mir die Daten dieser Leute gleich einmal ansehen. Vielleicht finde ich das Problem sofort.“
„Prima, Herr Hofmann“, sagte Frau Dr. Bietigmann. „Machen Sie das, ich habe mit Herrn Mohnkötter noch etwas Anderes zu besprechen.“
Curd wurde zu den eigenen Serviceleuten geführt, zeigte ihnen ein paar Tricks, die sie berücksichtigen müssten und holte dann die Daten der falsch identifizierten Personen auf den Bildschirm. Der Fehler war ihm gleich klar. War die Erfassung mit Unsicherheiten erfolgt, so interpolierte der Algorithmus die Werte mit anderen Parametern. Das führte zu einer höheren Trefferquote, aber auch zu Mehrfachidentifikationen. Dave würde das beheben können. Zufrieden suchte Curd nach seiner Begleiterin. Auf dem Flur traf er einen jungen Mann, der aussah wie ein Bulle. Curd fragte sich, wie er darauf kam, 'Bulle' zu denken und nicht 'Polizist'. Da war wohl etwas aus dem Standardrepertoire der Krimis in seinen Sprachspeicher geraten.
„Hallo“, sagte der, „auch hier?“ Curd dachte kurz über diese Begrüßung nach. Schwachsinnig sah der Bulle nicht aus, also war sie ein Hinweis darauf, dass er neu war, wie überhaupt die ganze Organisation vermutlich gerade erst gegründet worden war.
„Ich heiße Curd Hofmann.“ Damit hatte er die Frage nach seiner Zugehörigkeit zu 'Emmental' nicht beantwortet, aber bei seinem Gegenüber den Eindruck erzeugt, dass es so wäre.
„Angenehm, ich heiße Benedikt Kranz. Was machen Sie für einen Job?“
„Ich kümmere mich um die gait recognition.“ Die Antwort war gut und die Frage auch, denn jetzt konnte Curd ebenfalls fragen.
„Ah ja, dieses neue System, das bei uns integriert werden soll. Interessante Sache.“
„Und was machen sie?“
„Ich bin der Verbindungsmann zu unserem Vertrieb.“
„Gibt es denn schon Kunden?“
„Na ja, es sind erst drei. Aber so richtig arbeiten tun wir nur mit einem, dem LKA, von den beiden anderen weiß ich nicht mal deren richtige Bezeichnung, nur Arbeitsnamen.“
„Käse.“
„Was? Wieso Käse? So schlimm ist das nicht. In unserem Metier ist doch Geheimhaltung oberstes Gebot, oder?“ Er grinste dabei vielsagend und sehr sympathisch.
„Schon klar.“ Da dieser Benedikt offensichtlich noch grün hinter den Ohren war, konnte Curd nicht widerstehen, weiter zu fragen. „Ist es nicht ein bisschen riskant, solche Systeme jetzt schon einzusetzen?“
„Das wird schon. Und außerdem haben wir ja die ganze Erfahrung aus dem INDECT.“
„Welche Erfahrung? Das gibt es doch noch gar nicht im Einsatz.“
„Auf 'Blaupause' schon. Und die Ethikkommission hat es auch gut befunden.“
„Die Ethikkommission?“ Curd war überrascht.
„Ja ja, die EU hat dazu eine Ethikkommission beigestellt. Und die befand es für unbedenklich. Die Kommission stellte nämlich fest, 'dass das Projekt voll den ethischen Grundsätzen und Bestimmungen der EU entsprechen würde und durch die projektgemäße Automatisierung der Auswertung der Videobilder das Risiko des Missbrauchs der Daten geringer und dadurch letztlich die Rechte des Individuums gestärkt würden.'“
„Das ist ein Scherz, oder?“
„Kein Scherz. Darauf berufen sich auch unsere Oberen.“ Es war unklar, was Benedikts Meinung dazu war.
„Ich muss weiter, Benedikt. Vielleicht treffen wir uns ja bald wieder. Einen schönen Tag.“
„Einen schönen Tag auch, Curd.“
„Wer ist denn nun der Träger dieser Gesellschaft, ist das die Polizei oder das Land oder der Bund?“
Er stellte die Frage seiner Begleiterin beim Rückflug.
„Ich denke, es ist mehr oder weniger privat. Aber ich werde da nicht so genau hinterfragen.“
„Aber sie könnten es herausbekommen?“
„Natürlich. Aber ich tu es nicht.“
„Ich bin ein wenig beunruhigt.“
„Wieso denn das?“
„Ich habe einen Mitarbeiter getroffen und der hat erzählt, dass sie so gut wie drei 'Kunden' haben, einer davon wäre das LKA.“
„So ein verdammter Schwätzer.“
„War wohl ein ganz Neuer. Aber wie passt das zusammen? Wenn die Kunden privat sind, macht uns Emmental doch eindeutig Konkurrenz.“
„Ich werde dem nachgehen. Das verspreche ich ihnen.“ Es war deutlich zu sehen, dass Dr. Bietigmann sehr nachdenklich geworden war. Sie war zwar nur für die interne Geheimhaltung zuständig, aber was würde die nützen, wenn mit dem Know How andere Organisationen auf den Markt gingen.
Sie war schnell. Denn schon am nächsten Morgen wurde Curd zu Prof. Wienand gebeten.
Sie war natürlich da, der CFO und Josef Müller.
Wienand begann: „Sie haben in Frankfurt herumgefragt. Das ist grundsätzlich unerwünscht, aber war in diesem Falle sehr nützlich. Herr Müller ist beim Verkauf davon ausgegangen, dass unser System von denen direkt genutzt wird.“ Müller nickte dienstbeflissen. “Nun erfahren wir, dass es möglicherweise ganz anders ist und das gefällt uns gar nicht. Frau Bietigmann hat recherchiert und herausgefunden, dass die mehrere verschiedene Systeme von Siemens und anderen gekauft haben und diese integrieren wollen nach dem Modell des EU - Projekts INDECT, aber eben als private Firma. Wer der eigentliche Träger ist, haben wir bisher nicht herausbekommen. Die Spur verliert sich bei Briefkastenfirmen in der Karibik. Und das ist noch weniger gut. Wir hatten sogar die Idee, dass die Belieferung des LKA nur ein Schutzmäntelchen sein könnte, um die Seriosität zu demonstrieren. Sie verstehen?“
„Nein.“
„Dann präziser: Wenn die jemanden finden, der die lokalen Geräte nachbaut und die Datenbank selber aufzieht, schauen wir in die Röhre. Jetzt verstanden?“
„Aber die haben doch die Software gar nicht.“
Bietigmann grinste verächtlich. „Gerade sie müssten doch wissen, dass genau das über kurz oder lang geschehen kann. Wissen sie denn, ob nicht schon längst ein Trojaner in unserem System ist?“
„Sie meinen, wir sollten den Virenschutz noch verbessern?“ Alle lachten ihn aus.
„Herr Hofmann, ihr Können in allen Ehren. Aber wir brauchen Leute, die das professionell machen. Echte Cyberkrieger. Frau Bietigmann kümmert sich schon darum.“
„Und was machen wir mit der Gesellschaft für System.. äh, wie hieß sie doch gleich, 'Emmental' eben?“
„Wir schweigen und wir werden jemanden einsetzen, der sie beobachtet. Sie.“
„Ich? Wie soll ich das denn machen? Ich bin kein ausgebildeter Spion. Und überhaupt: Das ist nicht mein Ding.“
„Wird es aber sein. Sie haben Kontakt zu diesem Mitarbeiter und den werden sie weiter pflegen. Dieser Benedikt Kranz ist neu und völlig unerfahren. Und außerdem ist er korrekt wie ein Polizist.“
„Woher wissen sie seinen Namen und seine Eigenschaften?“
Bietigmann lächelte vielsagend. Curd wusste, das er keine weitere Antwort bekommen würde.
Er saß alleine unter dem Hitzeschirm einer Kastanie, dem typischen bayerischen Biergartenbaum, der sehr geschätzt wurde, weil er unter sich kein Gras wachsen ließ. Er mochte den Hirschgarten im Herzen Münchens, weil er den Blick auf Waldwiesen und eben Hirsche eröffnete und die Großstadthektik fast vollkommen unsichtbar und vor allem unhörbar machte. Das Weißbier war köstlich und die Riesenbreze frisch mit knusprigem, salzig - laugigem Rand und dem weichen Innenleben, über das nur Riesenbrezen verfügten. Die Welt war in Ordnung. Für einen kurzen Augenblick. Denn seit Tagen war Curd hauptsächlich verwirrt. Algorithmen erfinden und Softwareteile sinnvoll zusammenfügen war eine höchst komplexe Sache, die das Gehirn bis aufs Äußerste forderte, aber die Aufgabe war eindeutig und man hatte ein klares Ziel vor Augen. Sein neuer Nebenjob als Spion war genau das Gegenteil. Und das mochte er nicht. Er wusste nicht, worum es eigentlich ging, was er herausfinden sollte, was er im Falle einer Erkenntnis tun müsste und er wusste nicht, ob man ihm in seinem Unternehmen alles gesagt hatte. Er war sich nicht einmal sicher, ob es überhaupt eine Person gab, die die Zusammenhänge vollständig kannte und die dann auch seine Tätigkeit in gezielte Bahnen lenken könnte. Alles war ein undurchsichtiger, zäher, amorpher Brei. Er sehnte sich nach dem Gedankenaustausch mit einem Profi, um Klarheit zu bekommen. Aber diese Sorte von Profis waren selbst undurchsichtig. 'Ein Scheißjob', dachte er wütend.
„Was ist ein Scheißjob?“
Er drehte sich erschrocken um. Hatte er das versehentlich laut gesagt?
Er sah in geheimnisvolle, undurchdringliche Augen. Ein Blitz durchfuhr ihn von oben nach unten und er spürte genau, wie er sich in seinen Eingeweiden austobte und festsetzte.
„Darf ich mich zu ihnen setzen, schöner Mann?“
Es reichte gerade zu einer einladenden Handbewegung und einem gestammelten „Aber bitte, gerne.“
„Ich hol mir erst auch ein Weißbier. Wollen Sie noch eines?“
„Ja, bitte, gerne.“ Hatte er jetzt nur noch die Worte 'bitte' und 'gerne' zur Verfügung?
Sie kam wieder, zwei Gläser balancierend und setzte sich neben ihn.
„Prost, wie haben sie mich gefunden?“ Die Frage schien ihm ungewöhnlich bis widersinnig.
„Ich saß einfach nur hier .“
„Ich habe sie kommen sehen.“
„Oh, Entschuldigung, ich war wohl in Gedanken.“
„Bevor unsere Unterhaltung weiter ins Banale abgleitet, stelle ich mich vor. Schließlich ist es ja unser drittes Date. Ich heiße Sarah Braun, für meine Freunde nur Sarah und bei Ihnen mach' ich eine Ausnahme.“
„Angenehm, Curd Hofmann, für die Ausnahme kann ich mich erwärmen, also Curd.“
„Mit C oder mit K und mit d oder mit t?“
„In jedem Falle das Erstere.“
„Dachte ich mir schon. Curd klingt weicher als Kurt.“
„Ich höre ja gar keinen Unterschied.“
„Genau hinhören: Cuhrdh, nicht Kurtt.“
„Klingt angenehm.“ Die tiefe, weiche Stimme und ein feiner Hauch ihres Geruchs, kaum merkbar unterstrichen von einem exquisiten und perfekt ausgewählten Parfum, machte ihre Anwesenheit zu einem Gesamterlebnis seiner Sinne. Der Tastsinn war noch ausgenommen, aber er meldete bereits starken Bedarf an, insbesondere als sein visueller Sinn sich an ihren nackten Schultern und dem zarten, blonden Flaum an ihren Unterarmen delektierte. Er unterdrückte den Wunsch. Der Grat zwischen Zärtlichkeit und Grabschen war ein äußerst schmaler und Berührungen wären zu diesem Zeitpunkt noch völlig unangemessen.
„Meine Arme sind hübsch. Das weiß ich schon lange. Aber bevor wir dazu kommen, möchte ich eigentlich wissen, wer du bist, Curd.“ Sie sagte 'du' und Curd war das mehr als recht.
„Ich, wer ich?“, stotterte er etwas unbeholfen.
„Interessanter Beitrag.“
„Mein Name ist Curd Hofmann, ich bin 42, ledig, habe promoviert über den Abbildungsgrad quasi endlichdimensionaler Mannigfaltigkeiten in abzählbar unendlich parametrisierten Banachräumen, wohne in einer Zweizimmerwohnung in der Karl Theodor - Straße in Schwabing, habe einen schwarzen Einser BMW und keine Freundin, mein Hobby ist Segeln, komme aber nicht dazu.“
„Halt, halt, ich bin doch nicht von der Einwanderungsbehörde. Aber eines fehlt doch noch. Womit verdienst du dein Geld?“
„Mit Arbeiten.“
„Aha. Das ist aber ungewöhnlich. Und was und wo arbeitest du. Doch nicht in Banachräumen?“
„Ich versuche mein Wissen an Computer weiterzugeben, damit diese das tun, was ich will.“
„Ist schon gut. Willst es nicht sagen, oder? Ich rate mal: Das, was du machst ist geheim. Du machst es für eine Firma, die nicht möchte, dass andere ihr Produkt nachmachen oder das Produkt selbst ist mehr oder weniger geheim. Stimmt's? Natürlich, stimmt's. Und du darfst auch gar nichts sagen, nicht einmal nicken und deswegen insistiere ich auch gar nicht weiter, okay?“
„Wieso glaubst du, dass ich in einer Firma arbeite? Ich könnte doch auch selbstständig sein?“
„Zweizimmerwohnung, Einser BMW? Passt nicht zu selbstständig. Da müsstest du einen Fünfer oder mindestens einen X3 haben, sonst denken die Kunden, du bist nicht erfolgreich.“
„Du machst mich neugierig. Du bist Privatdetektivin, Kommissarin oder Spionin?“
„Nichts von alledem. Ich muss gar nicht arbeiten. Für niemanden. Ich habe Glück gehabt. Ich konnte Kunst an der Akademie für bildende Künste studieren, so lange ich wollte. Und ich habe lange gewollt. Meine Eltern haben gut spekuliert und mir ausreichend Immobilien hinterlassen. Ich lebe von den Mieteinnahmen. Ich habe ein Haus in Feldafing und man höre und staune ein Segelboot ebenda und ich habe noch ein Haus auf Sardinien, in dem ich aber selten bin. Ach ja, und ich bin auch 42, falls es dich interessiert. Und auch ich habe nicht das Privileg, einen festen Freund zu haben. Ehemann natürlich auch nicht.“
„Dann bist du ja eine phantastische Partie. Lass uns heiraten.“
„Okay, wann?“
„Das kommt ein bisschen plötzlich. Wie lange habe ich Bedenkzeit?“
„Wenn ich einen Besseren finde, bist du weg vom Fenster. Dein Risiko.“
Sie tranken noch ein Weißbier und danach gingen sie Arm in Arm spazieren, als ob sie sich schon lange kannten und seit Jahren gute Freunde waren. Drei Halbe Weißbier unterstützten diese Anmutung natürlich. Weißbier wirkt wie Champagner, schmeckt nur viel besser, fand Curd.
„Diese Anmutung ist großartig“, lachte er und schämte sich ein wenig, dass er dieses neue Unwort ausgesprochen hatte.
„Das ist auch so ein blödes, neues Wort. 'Vielen Dank für ihre empathische Einschätzung, Herr Korrespondent und nun wieder zeitnah zurück ins Studio, um die nachhaltige Anmutung dieses Zustands ergebnisoffen und mit sozialer Kompetenz rückhaltlos zu erörtern.' So ein Geblubbere ohne Sinn.“
„Laut Duden ist a. Anmutung erlaubt und b. bedeutet es 1. Zumutung oder 2. gefühlsmäßiges, unbestimmtes Eindruckserlebnis.“
„Bin ich jetzt die Zumutung?“
„Nein, du bist 2. aber nicht unbestimmt, sondern sehr klar und deutlich.“
„Dir geht es gerade nicht gut?“
„Wie kommst du darauf?“
„Gute Freunde sehen so etwas.“
„Stimmt. Wir sind ja gute Freunde.“
„Also?“
„Das nächste Mal, Ich muss wieder zur Arbeit.“
„Kein Problem. Dann fängt die Therapie eben später an. Jeder ist seines Glückes Schmied.“
„Hast du ein Telefon. Du weißt schon, so ein kleines, das man herumtragen kann?“
„Ich ruf dich jetzt an, dann hast du meine Nummer und kannst sie unter 'Beste Freundin' speichern.“
„Wir haben nichts gegen sie gefunden. Aber bitte seien sie vorsichtig. Sie kennen sie nicht.“
Dr.Bietigmann erschreckte Curd immer wieder. Dabei war sie einfach nur professionell. Aber diese Gläsernheit, auch seines privaten Lebens erzeugte in ihm ein starkes Unbehagen.
„Was heißt das, sie haben nichts gefunden?“
„Das heißt, sie existiert nicht – in unseren Akten natürlich. Sie ist ordentlich gemeldet, sie hat in München studiert und sie arbeitet nicht. Das alles wissen wir. Aber ansonsten ist sie einfach blütenweiß.“
„Das gilt doch für jeden normalen Menschen.“
„Oh je, sie sind ein Träumer, Herr Hofmann. Es gibt nur sehr wenige Blütenweiße. Eine Leiche hat fast jeder im Keller und wenn es sich auch bloß um ein totes Mäuschen handelt, bildlich gesprochen. Ihre neue Freundin hat aber nichts. Und angesichts ihres Jobs ist das extrem verdächtig.“
„Sie ist also verdächtig, weil kein Verdacht besteht?“
„Nicht der Geringste.“
„Sie meinen das tatsächlich ernst. Mit Verlaub, das ist pervers und auf jeden Fall Ausdruck einer pathologischen Paranoia, wenn sie gestatten.“
„Pathologisch paranoid zu sein ist unser Job. Wir leben von dieser Krankheit.“ Sie war nicht im Geringsten verärgert über Curds Ausbruch.
„Bedauernswert. Sie trauen also niemandem?“
„Natürlich nicht.“
„Und was geht sie mein Privatleben an?“
„Welches Privatleben? Sie haben keines.“
„So habe ich das aber nie gesehen.“
„Privat können sie schon tun und lassen, was sie wollen, Sie können Computerschach spielen, sie können Essen gehen, wo sie wollen. Nur wenn die Telekommunikation oder andere Menschen im Spiel sind, hört das Private auf. Und wenn sie jetzt meinen, sie können aussteigen, irren sie schon wieder. Die nächsten zehn Jahre sind sie frei vom Privatleben ihres Geschmacks.“
„Das sind wirklich gute Nachrichten.“
„Ich habe gute Nachrichten für sie. Ihr Zufallsbekannter, der Benedikt Kranz, ist eingeschleust worden, um Emmental zu überprüfen. Er ist ein Frischling, ein ehemaliger Zeitsoldat, Leutnant der Feldjäger, also der Militärpolizei und hat danach beim militärischen Abschirmdienst angeheuert.“
„Der MAD hat ihn eingeschleust? Deswegen fand ich, dass er aussah wie ein Polizist.“
„Das haben sie gleich gesehen? Na, dann hoffe ich, dass er schnell professioneller wird, sonst fliegt er auf, bevor er richtig angefangen hat. Nein, nicht der MAD hat ihn eingeschleust. Es war der Verfassungsschutz im Rahmen einer Amtshilfe.“
„Und der Verfassungsschutz hat ein Interesse daran, dass keine Gesetzeswidrigkeit bei der Erfassung der Personendaten erfolgt?“
„Blödsinn. Das ist dem Verfassungsschutz völlig gleichgültig. So etwas wäre Sache des BKA und der Staatsanwaltschaft .“
„Ich versteh nichts mehr.“
„Der Verfassungsschutz wird tätig, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung in unserem Land gefährdet ist.“
„Und was bedeutet das jetzt?“
„Na, die haben wohl einen Verdacht, dass die freiheitliche et cetera Grundordnung gefährdet sein könnte.“
„Wir sichern sie aber doch gerade, die Grundordnung.“
„Es kommt darauf an, wer das System benutzt, denken sie nicht?“
„Jetzt habe ich kapiert. Und was hat das mit mir zu tun?“
„Wir, und ich rede jetzt für unser Unternehmen, wollen natürlich nicht, dass das System in falsche Hände gerät. Außerdem haben wir uns zu den rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichtet. Ein Missbrauch würde uns teuer zu stehen bekommen.“
„Ich weiß immer noch nicht, was das mit mir zu tun hat.“
„Sie sind doch gerade nebenberuflicher Spion geworden. Die hohen Herren haben ihnen jetzt auch noch den Job gegeben, als Missbrauchsbeauftragter zu wirken.“ Zum ersten Mal lachte sie, ein wenig satanisch, fand Curd.
„Na super.“
„Freuen Sie sich, eine verantwortungsvolle Aufgabe mit vielen Kompetenzen. Sie dürfen mich zum Beispiel jederzeit kontaktieren und Fragen stellen und bekommen mehr Antworten als früher.“
„Danke vielmals. Hab ich eine Wahl?“
„Nein, natürlich nicht. Sie bringen alle Voraussetzungen mit. Ihre Intelligenz, ihre Harmlosigkeit und ihr Job als unverdächtiger Entwicklungsleiter machen sie prädestiniert dafür. Es gibt keinen Besseren.“
„Das muss ich erst einmal verdauen.“
„Nehmen sie einen Magenbitter, damit es schneller geht. Sie müssen wieder nach Frankfurt.“
„Und was soll ich da tun?“
„Na, den Kontakt vertiefen.“
„Geht's etwas präziser?“
„Wie präziser?“
„Was soll ich herausfinden?“
„Das müssen sie eben herausfinden.“
„Nettes Wortspiel. Danke.“
„Und übrigens: Sie geben nicht zu erkennen, dass sie wissen, wer Benedikt Kranz wirklich ist.“
„Was die Sache ungemein einfach macht.“
„Ist normal. Er weiß auch nichts davon, dass sie sich um den Missbrauch kümmern sollen. Er kennt sie nur als Entwicklungsleiter. Wir haben sie bei der Leitung der Gesellschaft avisiert und sie können ungehindert ein- und ausgehen. Sorgen sie dafür, dass immer wieder ein paar Fehler im System sind. Dann ist ihre Anwesenheit völlig unauffällig. Machen sie's gut. Es ist wirklich wichtig.“
Sie hinterließ einen wahrhaft, ob der Aufgabe begeisterten Curd, der seine Sarah sofort anrief und sie nach Hause einlud und bei einem äußerst angenehmen Abend ein wenig entspannte. Über seine Arbeit wurde gottlob nicht gesprochen. Die freie Künstlerin Sarah hatte kein Interesse daran und würde im übrigen die Unbillen und Demotivationsorgien der Arbeitswelt gar nicht begreifen.