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Luftkrieg über China. Gerhard Neumann

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Gerhard Neumann, Herman The German (Autobiographie), Neuauflage Bloomington 2004.


Gerhard Neumann wurde im Oktober 1917 in eine wohlhabende Frankfurter Unternehmerfamilie geboren. Sein Vater, Siegfried Neumann, besaß die „Norddeut­sche Bettfedernfabrik“ in der Gubener Straße, wo jetzt noch (2009) auf den Backsteingebäuden die verblichene Aufschrift zu lesen ist. Beide Eltern entstammten jüdischen Familien, praktizierten jedoch ihr Judentum nicht. Der Vater hatte sich gleich zu Beginn des ersten Weltkrieges freiwillig zum Mili­tär­dienst gemeldet. Die Erziehung im Elternhaus war streng preußisch.

Von 1927 bis 1933 besuchte Neumann das Friedrichsgymnasium in der Gubener Straße nahe der väterlichen Fabrik. Er baute Radios, unternahm ausgedehnte Touren mit seinem Faltboot und flog mit 15 Jahren Segelflugzeuge im Rahmen eines Sportprogramms – eine unbeschwerte Kindheit in der Weimarer Republik. Nach bestandenem Einjährigenexamen ging er zu dem Automechaniker Alfred Schroth in der Dammvorstadt in die Lehre. Dieser Mann besaß nur eine winzige Werkstatt, war jedoch ein wahrer Meister im Umgang mit Metall, Motoren und Schweißtechnik. Es sollte sich erweisen, dass Neumann diesen Lehrjahren nicht nur viel für seine spätere Laufbahn verdankte, sondern möglicherweise auch sein Leben.

1935 legte Neumann das Gesellenexamen ab und besuchte eine der renommiertesten technischen Schulen Deutschlands, die Ingenieurschule Mittweida in Sachsen. Er und zwei andere Juden durften dort studieren, weil ihre Väter Frontsoldaten gewesen waren. Selbst spürte Neumann zu dieser Zeit noch kaum etwas vom Antisemitismus. Schulfreunde und Lehrlingskollegen fanden nichts dabei, das Neumannsche Haus mitunter auch in brauner oder schwarzer Uniform zu besuchen. SS-Leute brachten ihre Wagen zur Reparatur in jüdische Werkstätten, und in Frankfurt fanden öffentliche Boxturniere zwischen dem örtlichen Verein und dem jüdischen Boxclub „Maccabi“ statt.

Mit der Pogromnacht 1938 änderte sich das. Neumann wurde klar, dass es für einen jüdischen Ingenieur in Deutschland keine Zukunft gab. Er erfuhr, dass die chinesische Nationalregierung deutsche Techniker suchte. Inzwischen waren allerdings die Japaner in China eingefallen und hatten die Küstenregionen besetzt. Der neue chinesische Regierungssitz Chongqing im Landesinneren war schwierig zu erreichen. Unter Mühen bekam Neumann die nötigen Transitvisen für 16 Länder zusammen. Im Mai 1939 flog er von London aus in acht Tagen über Marseille, Tunis, Alexandria, Beirut, Basra, Karachi, Kalkutta, Bangkok und Saigon nach Hongkong. Doch dort saß er fest.

Alle Verbindungen nach Nationalchina waren auf japanischen Druck hin gekappt worden. Inzwischen brach der Krieg auch in Europa aus. Wie alle Deutschen in Hongkong wurde Neumann von den Briten interniert. Doch im Juni 1940 erreichte er durch ein glückliches Zusammentreffen mit einem US-Manager eine Freistellung. Seine neue Arbeitsstelle war Kunming, Hauptstadt der Südwestprovinz Yunnan, und sein neuer Arbeitgeber der amerikanische Chefberater Oberst Lee Chen­nault.

Neumann erledigte verschiedene Aufträge für die Amerikaner und eröffnete dann in Kunming eine Autowerkstatt. Sie lief hervorragend. Doch ein ruhiges Leben als Automechaniker in der chinesischen Provinz war ihm nicht beschieden. Am 9. Dezember 1941 griffen die Japaner Pearl Harbour an. Ein US-Jagdgeschwader wurde noch im Dezember nach China verlegt und Chennault unterstellt – die „Flying Tigers“. Neumann wurde als Flugzeugingenieur rekrutiert. Er war nun Sergeant der US-Army, zugleich staatenlos, „feindlicher Ausländer“ und ohne Pass.

Nach anfänglichen Erfolgen gegen die japanischen Bombergeschwader sahen sich die US-Piloten mit den neuen Zero-Jägern konfrontiert. Sie waren den amerikanischen Kampfflugzeugen überlegen. Ein Luftkampf mit einer Zero bedeutete oft das Todesurteil für den US-Piloten. Neumann, der mittlerweile als Chefingenieur die Flugzeugwartung mit 60 Mitarbeitern leitete, ließ Trümmerteile von abgestürzten Zero-Jägern aus ganz China zusammentragen. Es gelang ihm, die Teile zu einer flugfähigen Maschine zusammenzubauen und ihre Stärken und Schwächen zu testen. Die Zero war durch ihre Leichtbauweise extrem wendig, aber auch verwundbar. Ein einziger Treffer genügte oft zum Abschuss. Die Konsequenz war, Luftkämpfen fortan auszuweichen und das Flugzeug stattdessen aus weiter Entfernung im Sturzflug zu beschießen. Diese neue Taktik wendete das Blatt im Luftkrieg über China. Durch seinen Beitrag zum Erfolg und durch weitere Aktionen – so spionierte er, als chinesischer Kuli verkleidet, feindliche Flugfelder aus - wurde Neumann als "Herman the German" zur Legende unter den US-Piloten.

Nichtsdestotrotz bedurfte es eines Sondergesetzes durch den US-Kongress und der Unterschrift durch Präsident Truman, um ihm nach dem Krieg die Einbürgerung in den Vereinigten Staaten und den Erwerb einer Flugzeugmechanikerlizenz zu ermöglichen. Nach einem Aufenthalt in Shanghai und einer abenteuerlichen Rückreise durch halb Asien mit einem alten Militärjeep begann Neumann, inzwischen mit einer Amerikanerin verheiratet, eine neue Karriere als Triebwerkskonstrukteur bei General Electric in Massachusetts.

Zu diesem Zeitpunkt war GE einer der ersten Hersteller von Strahltriebwerken. Neumann stieg schnell in der Karriereleiter auf. Seine erste patentierte Erfindung waren verstellbare Leitschaufeln, die die Leistung der Triebwerke erhöhten und gleichzeitig den Kraftstoffverbrauch senkten. In der Folge entwickelte er, nun Leiter des Geschäftsbereichs Strahl­triebwerke, das Atomtriebwerk X-39 und das konventionelle Triebwerk J-79. Letzteres brach bei seiner Erprobung 1954 fünf Höhen- und Geschwindigkeitsrekorde und war für Jahrzehnte das zuverlässigste militärische Triebwerk, das auch von den anderen NATO-Streitkräften, Israel und Japan eingesetzt wurde.

1961 übernahm Neumann den gesamten Geschäftsbereich Flugantriebe und wurde 1963 schließlich Vizepräsident des GE-Konzerns. Er behielt diese Position bis zu seiner Pensionierung 1980. 1986 wurde er in der National Aviation Hall of Fame neben Charles Lindbergh und Neil Armstrong verewigt, 1987 mit der Ehrendoktorwürde seiner früheren Hochschule Mittweida ausgezeichnet. Das Luftfahrtmuseum im bayerischen Niederalteich wurde ihm zu Ehren Gerhard-Neumann-Museum benannt.

Erstmals sah er Frankfurt 1976 wieder. Sowohl die Fabrik seines Vaters in der Gubener Straße wie auch die elterliche Villa und sogar die Autowerkstatt seines ehemaligen Meisters Schroth hatten den Krieg überstanden. 1981 lud ihn die Volksrepublik China zu einem Besuch an den Stätten seiner Tätigkeit bei den Flying Tigers ein. So schloss sich der Kreis. Am 2. November 1997 ist Gerhard Neumann an Knochenmarkleukämie verstorben.



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