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Vorwort 2
ОглавлениеDies ist keine weitere Beschreibung des Holocaust, der Leiden, der Verzweiflung und des Sterbens der Juden in den Vernichtungslagern. Vielmehr geht es um die, die davongekommen sind. Der Verfasser, selbst zwischen 1926 und 1942 in Frankfurt/Oder aufgewachsen, stellte nach der Wende bei ersten Besuchen in seiner früheren Heimatstadt fest, dass dort über die Schicksale der ehemaligen jüdischen Mitbürger so gut wie nichts bekannt war. Im Rahmen der araberfreundlichen Politik der DDR war die Judenverfolgung dort tabuisiert. Die Akten der Synagoge sind verloren, im Stadtarchiv gab es nur spärliche Zeitungsnotizen oder Polizeiakten im NS-Jargon.
Mein Wunsch, den Lebensgeschichten der jüdischen Mitbürger nachzugehen, wurde geweckt durch die Frage nach dem Schicksal von Eugen Berlowitz, einem ehemaligen Klassenkameraden, der 1938 eines Tages verschwunden war. Während die Mitabiturienten des Jahrgangs 1942/43 des Frankfurter Friedrichsgymnasiums - inzwischen über ganz Deutschland verstreut - in jährlichen Treffen zusammenkamen, schien es lange aussichtlos, über den Verbleib des ehemaligen Mitschülers etwas zu erfahren. Erst das 300-jährige Jubiläum des (inzwischen aufgelösten) Gymnasiums 1994 bot unerwartet einen Ansatzpunkt. In der Jubiläumsschrift, zu der zahlreiche ehemalige Schüler Beiträge geliefert hatten, fand sich auch der Erinnerungsbericht eines anderen jüdischen Mitschülers, Zvi Aharoni, dem Sohn des Frankfurter Rechtsanwalts Heinrich Aronheim.
Als langjähriger Agent des israelischen Geheimdienstes, später Privatdetektiv, hatte Aharoni Zugriff auf Informationsquellen, die für andere nicht einfach zugänglich waren. Durch ihn erhielt ich nicht nur Nachricht über das Schicksal des Gesuchten, der den Nazis entkommen und 1992 in Schweden verstorben war. Ich bekam auch Kontakt mit weiteren ehemaligen Mitbürgern in Israel, darunter dem Bruder Eugens, Gad Berlowitz, sowie Ada Brodski, Tochter des Kinderarztes Hermann Neumark, und Heinz Wollmann, Sohn des Schneidermeisters Ignaz Wollmann.
Diesen inzwischen verstorbenen Zeitzeugen habe ich für ihre tätige Mithilfe zu danken, hielten sie doch Verbindungen zu zahlreichen ehemaligen Frankfurtern aufrecht. Deren Adressen teilten sie mit mir und unterstützten mich in jeder Weise bei der Suche. So konnte ich bei meinem nächsten Besuch in Jerusalem die Kontakte ausweiten. Die herzliche Aufnahme und Bereitschaft fast aller Angesprochenen, mir jede Auskunft zu geben, ließ bald den Plan reifen, mit allen in Israel und anderswo noch lebenden ehemaligen Mitbürgern Kontakt aufzunehmen und ihre Lebensläufe festzuhalten.
Wer sich eingehender über das Schicksal der Überlebenden informieren möchte, muss sie soweit möglich selbst aufsuchen und befragen. Zu diesen Erhebungen war es allerdings höchste Zeit, denn die hier noch zu ermittelnden Informationen wären aufgrund biologischer Fakten bald unwiderruflich verloren gegangen. Schon im Laufe der Aufarbeitung der Interviews sind inzwischen viele der Mitte der 90er Jahre noch befragten Zeitzeugen verstorben. Immerhin habe ich in Israel noch zahlreiche ehemalige Frankfurter befragen können und wurde über die oft spannenden Umstände ihrer Flucht und ihre sehr unterschiedlichen weiteren Lebensläufe unterrichtet. Dazwischen flog ich auch nach London, wo zehn weitere ehemalige Mitbürger lebten, von denen ich ebenfalls Interviews aufnehmen konnte. Außerdem erhielt ich weitere Adressen und Nachrichten über andere Mitbürger, die in aller Welt, so den USA, in Südamerika oder Australien, verstreut lebten und daher nur brieflich oder telefonisch zu erreichen waren.
Meine Recherchen stützen sich überwiegend auf Berichte der Überlebenden selbst, seltener auf die von deren Kindern. Die direkten Mitteilungen wurden meist auf Band aufgenommen, doch gab es auch Auskünfte durch telefonische Kontakte oder Übersendung von Dokumenten und Disketten. Hinzu kommen Berichte, die von Zeitzeugen schon früher verfasst oder an anderer Stelle bereits veröffentlicht wurden. Dies war vor allem bei der Anlage von „Stolpersteinen“ 2006 in Frankfurt/Oder der Fall, wobei die Zusammenarbeit mit dem hier besonders aktiven Carsten Roman Höft für beide Seiten äußerst ergiebig war.
Alle diese Recherchen erfassten natürlich nur einen Teil der seinerzeit in Frankfurt wohnenden jüdischen Mitbürger. Die aufgenommenen Gespräche sind Erinnerungen an Ereignisse, die viele Jahrzehnte zurückliegen. In Einzelheiten enthalten sie gewiss auch Irrtümer und Widersprüche. Auch waren die Erfahrungshorizonte sehr unterschiedlich. Manche der Betroffenen konnten schon kurz nach der Machtübernahme unter teilweiser Mitnahme des Vermögens, mitunter sogar des Mobiliars emigrieren. Andere erfuhren noch lange bis in die Kriegszeit hinein die sich ständig steigernden Erniedrigungen und Schikanen und retteten schließlich nur das nackte Leben. Doch sie alle waren keine passiv leidenden Opfer, sondern aktiv Handelnde, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen.
Abschließend sei hier neben den bereits Genannten all denen gedankt, die durch ihre Mitarbeit das Werk aktiv gefördert und überhaupt erst ermöglicht haben. In diesem Zusammenhang habe ich neben den befragten Überlebenden selbst vor allem Prof. Nicholas de Lange in Cambridge zu danken, der mir seine Veröffentlichung über den Gemeinderabbiner Ignaz Maybaum und eine Auswahl aus dessen Schriften zugänglich machte. Darunter auch die von Maybaums Tochter Alisa Jaffa verfasste Biographie, deren freie Verwendung sie mir dankenswerterweise ebenfalls zugestand. Ganz besonders habe ich auch Frau Ilana Michaeli, der Archivarin im Kibbuz Hasorea zu danken, die mir unbegrenzt Zugang zu den Unterlagen und Dokumenten über die Gründung und Entwicklung Hasoreas und vor allem auch über den Gründer, Hermann Gerson, und andere Persönlichkeiten gewährte. Dank schulde ich auch Andrea Morgenthaler, die mir ihren ausgezeichneten Film “Die Kinder von La Guette“ und Material über die Hilfsorganisation OSE bereitwillig überließ; und natürlich Carsten Roman Höft, der mir im Rahmen der „Stolpersteine“ ausführliche Texte zur freien Benutzung überließ. Gewidmet sei das Buch all denen, die nicht überlebt haben.
Prof. Dr. Friedrich Lotter
Kassel 2009