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DER NEUE BUND

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2. JUNI 1137

Die Magdalena war reisefertig und Gernot sowie François hatten vorbildliche Arbeit geleistet. Wasser und Nahrung für dreißig Tage wurden tief im Bauch der Kogge verstaut, und Eduardo Cortez war nun der neue Mann zu meiner Rechten und von meiner Seite nicht mehr wegzudenken. Ascanio vernahm es wohlwollend, zum Glück, und ließ er sich nicht beeindrucken, solange er die Mannschaft an Bord fest im Griff hatte und ich ihm ständig sinnvolle Befehle gab, die er dann selbstsicher weiterschrie, als ob er der eigentliche Kommandeur des Kahns wäre. Die Männer wussten jedoch Bescheid, dass ein Haupthahn über ihnen krähte. Ich amüsierte mich köstlich und mochte Ascanio mit jedem Tag mehr. Leidenschaftlich und voller Lebensfreude war er eine Inspiration für uns alle.

Anukai näherte sich, begleitet von mehreren Kanus, die von Inuvik gerudert wurden, und ich reichte ihm die Hand, um ihn an Bord zu hieven.

Auch reichte ich ihm einen Kelch unseres Weines und er nahm einen kräftigen Schluck daraus. Rauk, der sich wieder besonnen hatte und sich bei mir mehrmals entschuldigte, bekam von mir die Vergebung, die er suchte, und durfte weiterhin als Übersetzer fungieren. Ralf de Saddeleye holte das Geschenk, das ich dem alten Oberhaupt überreichen wollte. Eingewickelt in Seidenstoff steckte eines der Schwerter, die ich zuhauf in La Rochelle hatte schmieden lassen. Genau für solche Zwecke. Mit großen Augen bewunderte Anukai das Geschenk und schaute mir freudestrahlend in die Augen. Es gefiel ihm. Auch er hatte mir etwas mitgebracht und reichte mir den Lederbeutel, den ich einst in seinem Zelt in der Rechten gehalten hatte. Ich staunte nicht schlecht, dass er mir seinen Goldklumpen so selbstlos überließ. Dann sagte er ein paar Worte dazu.

„Dieses Gold stammt nicht von hier, und so rate ich Euch, nicht danach zu suchen. Doch wenn Ihr weiter westlich reist, werdet Ihr einen Wald erkennen und einen Wasserfall, der von einem Berg fällt. Es werden mehrere Tage nötig sein, um dorthin zu kommen, doch dort ist der Fluss, der unter dem Wasserfall mündet. Dort werdet Ihr mehr finden. Vergesst aber nicht, dass dieses Metall für viele den Tod bedeutet hat. Nun geht!“

Wir umarmten uns in Freundschaft und Anukai stieg hinab zu einem der Kanuten. Als sie davon ruderten, gab Ascanio selbstsicher die üblichen Kommandos und kurz danach blähte sich das Segel hoch am Wind und die Magdalena glitt davon. Wir segelten zunächst nach Süden, und am 6. Juni befahl ich, einen westlichen Kurs einzuschlagen. Ascanio, Eduardo, de Saddeleye und Richard halfen mir dabei, die Karte so genau wie möglich zu zeichnen, was teilweise als schwierig zu bezeichnen war, da Nebel und Stürme uns die Sicht raubten. Ich segelte den Kahn so nah, wie es ging, an der Küste entlang und wir sahen nur Wälder und Hügel, jedoch fanden wir diesen Berg mit dem Wasserfall nicht. Noch nicht.

Einige Tage Fahrt sollte er entfernt sein, so fasste ich mich in Geduld, die Augen stets auf die Küste gerichtet. Wir segelten langsam, da sich der Wind gelegt hatte und Untiefen unsere besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. Einer der Templer ließ einen Senkfaden in die See fallen und gab laut die Tiefenmessung von sich. Noch war der Abstand vom Kiel zum Grund sicher, doch das Wasser war hier so klar, dass man den Boden mit bloßen Augen sehen konnte. Und mir gefiel nicht, was ich sah. Ich ordnete an, mehr Abstand von der Küste zu halten.

Die Nacht brach ein und der Wind blies seine Kühle in unsere Knochen. Dankbar wickelten sich die Männer in die dicken Robbenfelle, und selbst hergestellten Mützen schützten unsere Ohren. Plötzlich hörte ich ein lautes Donnern, es war jedoch nicht das Donnern eines Gewitters oder eines Sturmes, nein, es war das Donnern eines tief fallenden Wasserfalls. Es klang, als ob ein See den Abgrund hinunterstürzen würde, jedoch sahen wir es nicht. Diese Nacht war einfach zu dunkel und der Mond blieb hinter Wolken verdeckt.

„Lasst fallen Anker!“, schrie Ascanio, nachdem ich das Zeichen gegeben hatte, die Rah einzuholen und hier anzulegen. Schwer fiel das Eisen in den tiefen Grund, und das Surren der Ankertrosse, als diese den Rumpf hinunter schleifte, gab mir das Gefühl der Sicherheit.

„Postiert die Wachen. Sobald die Sonne aufgeht, werden wir sehen, woher dieses Donnern kommt. Es kann nicht weit sein, so laut, wie es klingt!“

„Zu Befehl, mein Admiral!“, bestätigte mir Gernot, und als er sich umdrehte, um sich zum Heck zu begeben, wäre er um ein Haar mit Cortez zusammengestoßen.

„Nun, Albrecht? Werden wir uns hier die Schatullen füllen?“

„Nicht nur das, Eduardo. Sollte sich dieses Eiland als geeignet erweisen, werden wir ein kleines Ashkelon hier hinstellen. Eine Basis, von der keiner etwas wissen wird außer uns. Stell dich darauf ein, mein Bruder. Falls es uns hier an nichts mangelt, werden wir hier sehr lang residieren. Und zwar so lange, bis man uns in La Rochelle kaum noch vermissen wird.

Wir brauchen Abstand für die weitere Planung, wie wir weiter vorgehen werden. Ich denke, dieser Ort hier wäre doch das beste Versteck für all die Reliquien und alles andere!“

„Lass uns darüber entscheiden, Bruder, wenn der Morgen anbricht, ob dies der richtige Ort sein wird!“

„Du hast recht! Dieses Donnern lehrt mich das Fürchten. Es ist so laut, als ob die ganze Welt am Einstürzen wäre.“

„Es ist fürwahr ein unheimliches und beeindruckendes Geräusch. So, als ob wir das Ende der Welt erreicht hätten und nun die ganze Welt in das Universum hinabstürzte!“, sagte Cortez leise und tief in sich gekehrt.

„Jetzt fürchte ich mich noch mehr, Bruder!“

Wir lachten beide und beschlossen, einen Kelch Wein zu heben und etwas von dem salzigen Hering zu kosten.

Das karge Kerzenlicht in der Kabine gab etwas Wärme ab, und so legten wir die Robbenfelle nieder, als Richard hereintrat und eine Platte mit dem rohen Fisch absetzte. Leicht angewidert nahm sich Cortez einen Hering und steckte ihn kopfüber in seinen Schlund, darauf folgte sofort ein Schluck Wein, denn der Salzgehalt der Speise war hoch.

Richard wollte gerade wieder gehen, als Cortez ihn bat, noch zu bleiben.

„Bruder Richard, wenn Ihr erlaubt?“

Erstaunt blieb Richard stehen und drehte sich zu Cortez um, denn dieser hatte nie ein Wort mit ihm gewechselt. Ich konnte ein leichtes Verwundern in Richards Verhalten feststellen und vermutete, dass er sich keinen Reim darauf machen konnte, warum nun ich, der Admiral, der diesen Cortez früher wie Abfall behandelt hatte, jetzt hier zusammen mit diesem Delinquenten saß und Heringe und Wein vertilgte.

„Wie kann ich Euch dienen, mein Herr?“

„Ihr seid zu gütig, mein junger Freund, und das Letzte, was ich von Euch möchte, ist, dass Ihr mir dient. Nein … Euer Name ist doch Richard Cornwall, nicht wahr?“

„Ja, der bin ich!“

„Seid Ihr etwa verwandt mit Sir Robert Basil Cornwall, der rechten Hand des Königs von England?“

Richards Gesichtsfarbe änderte sich schlagartig, und ich konnte Scham in seinen Augen sehen. Die Frage, die Cortez ihm gestellt hatte, war ihm ohne Zweifel höchst unangenehm.

„Warum wollt Ihr das wissen?“

„Ihr müsst nicht drauf antworten, mein junger Freund. Verzeiht, wenn ich Euch dadurch in Verlegenheit gebracht haben sollte!“

„Sir Robert Basil Cornwall ist mein leiblicher Vater. Ich bin sein Bastard und somit habe ich keine Ansprüche, weder an Titel noch Besitz. Meine Mutter war eine Dienstmagd, die er sehr liebte. Und da seine Gattin, Lady Mary of York, keine Kinder gebären konnte, leidet die Ehe der beiden bis zum heutigen Tag. Mein Vater wollte sein Amt für mich aufgeben und Lady Mary verlassen, doch da meine Mutter an der Ruhr starb und ich ihn nicht entehren wollte, bin ich ausgerissen und in ein Franziskanerkloster eingetreten. Danach sogar in ein Kartäuserkloster, wo ich das Schweigegelübde ablegte, jedoch die Prüfung nicht bestand. Also bin ich zurück zu den Franziskanern und vertiefte mich in das Studium der Sprachen Aramäisch, Griechisch, Hebräisch, Ägyptisch und ohne Frage natürlich Latein. Ich habe mit meiner Familie abgeschlossen, und das im Guten. Ich habe ein Heim gefunden, und das ist dieser Orden. Ich bin stolz, ein Soldat Christi zu sein. Beantwortet das Eure Frage, mein Herr?“

„Das tut es in der Tat, Richard. Ich danke Euch. Seid meiner Gunst versichert und verzeiht mir, sollte ich Euch auf irgendeine Art beleidigt haben“, sagte Cortez mit weicher Stimme.

Richard verbeugte sich und verließ uns sang- und klanglos.

„Was sagt man dazu? Ich wusste das alles nicht. Aber warum ist das denn wichtig?“, fragte ich neugierig.

„Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt. Ich kenne Sir Robert. Ein Ehrenmann und sehr vermögend. Er verfügt über eine ansehnliche Flotte von Barken und versorgt England mit Waren aus dem Festland. Wenn er, Richard, keinen Kontakt mehr zu seinem Vater pflegt, so habe ich keine Bedenken. Ich denke, ich bin nur zu vorsichtig mit den Jahren geworden.“

„Ich verstehe. Du meinst, unser Richard könnte seinem Vater von unseren Reisen erzählen?“

„Nicht, wenn das, was er gerade eben gesagt hat, stimmen sollte. Ich denke, wir können ihm vertrauen. Und außerdem: Er hat den Eid abgelegt.“

„Ja, Eduardo. Dem Orden gegenüber. Nicht uns. Wir kommen nicht umhin, einige unserer Männer hier langfristig anzusiedeln, damit dieses Geheimnis nicht die Runde macht“, fügte ich besorgt an.

„Und wen willst du für die Heimreise eines Tages aussuchen?“

„Ich weiß es nicht. Ich denke, das wird die Zeit zeigen!“

„Vertraust du deinen Männern nicht, Albrecht?“

„Ich habe gelernt, keinem zu trauen. Und du bist derjenige, der mir das beigebracht hat. Schon vergessen?“

Eduardo lächelte ein gefährliches Lächeln und nahm noch einen Schluck Wein, bevor er mit dem Satz abschloss: „Ich bin müde, Bruder, und mir dreht sich der Kopf. Es ist besser, wir legen uns hin. Wer weiß schon, was der Morgen uns bringt.“

Der Morgen kam und versetzte uns in unendliches Staunen. Wie viel Glück wir hatten, hier angelegt zu haben, bewies der Anblick, der uns an diesem Tag des 10. Juni 1137 beschert wurde. Wären wir nur etwas weiter gesegelt, so hätten mächtige Eisbrocken, die da vom hohen Felsen fielen, uns und die Magdalena zermalmt wie eine Mühle das Korn. Schmelzwasser und Eisschollen brachen den Hang hinab und rissen Felsbrocken dieses Berges mit sich in die Tiefe. Es war der Rat eines Schutzengels gewesen, der mir den rettenden Hinweis übermittelt hatte, mich weiter entfernt von der Küste zu bewegen und dort anzulegen, wo wir uns jetzt befanden. Kein Wunder, dass dieser Lärm so ohrenbetäubend und furchterregend war.

Noch furchterregender war Rauks Hinweis, als er mich zur anderen Seite dieses Meeres wandte und ich noch eine Küste vor mir sah. Mir war nun klar, dass wir uns nicht mehr auf offenem Meer befanden, sondern an einem übergroßen Fluss. Es war mehr ein Strom, der sich vom Meer aus entwickelte. Dies war also der Fluss, von dem Anukai gesprochen hatte, und dies musste der Wasserfall sein, an dem Gold gefunden wurde.

„Anker lichten und den Kahn zur Mitte des Stroms treiben lassen!“, befahl ich.

„Aber Admiral, die Rahsegel sollten wir ebenfalls setzen, sonst könnten wir sonst wohin getrieben werden!“, beschwerte sich Ascanio. Er hatte recht, doch ich wollte nichts riskieren und bestand darauf, die Rahsegel erst zu setzen, wenn wir reichlich Abstand von dieser teuflischen Küste hinter uns gebracht hatten. Mein Befehl wurde ausgeführt, und als die Magdalena, dem Himmel sei Dank, genügend Abstand hinter sich gebracht hatte, wurden die Rahsegel hochgezogen und wir segelten diesen Strom hinunter, bis wir eine sichere Bucht fanden, um wieder anlegen zu können. Ein Gefühl sagte mir, dass da, wo der Wasserfall sein stürzendes Ende fand, auch viel edles Gestein hinuntergespült wurde. Den Weg dorthin würden wir zu Fuß beschreiten. Wir fanden eine Bucht und ein flaches Landstück, wo wir bequem die Beiboote absetzen konnten. Die Bucht war wie für unseren Plan gemacht. Sollten wir dort Gold oder Silber oder am besten beides finden, so würde hier eine Basis gegründet.

Die Zelte wurden aufgestellt und die Männer für einen langen Marsch zum Appell gerufen. Vierzehn Mann blieben an der Bucht zurück, darunter Ascanio, dem nun die Sicherheit der Magdalena verantwortlich anbefohlen wurde. Einundzwanzig Mann marschierten dann unter meinem Kommando landeinwärts nach Osten in Richtung Wasserfall.

Uns lief der Schweiß den Rücken hinunter, und die Stechmücken erschwerten verstärkt unser Vorhaben und unsere Fortbewegung, sodass wir die Kapuzen über unsere Köpfe zogen, was uns aber noch mehr zum Schwitzen brachte. Es ging bergauf und bergab, und der Boden unter unseren Stiefeln war rutschig und matschig. Ein strapaziöser Akt, der mehr einer Eliteübung glich. Doch dies hier war keine Übung, und wir hatten für eine solche Situation nicht die geringste Erfahrung. Wir kamen sehr langsam voran, und der Wald sang sein eigenes Lied. Kuckucke schrien ihren Ruf, und hier und dort klopfte ein Specht. Zweige und Äste bogen sich im Wind und des Öfteren hoppelte ein hasenähnliches Tier vor uns davon. Die Magdalena war schon lange nicht mehr zu sehen, und je weiter wir gingen, desto dichter und dunkler wurde der Wald.

Am Abend endlich hörten wir das Donnern. Ohne Zweifel hatten wir den Wasserfall erreicht, doch die Bäume behinderten unsere Sicht, bis plötzlich einer laut „Vorsicht!“ schrie. Ein steiler Abhang lag mit einem Mal vor unseren Füßen, der uns alle hätte zum Verhängnis werden können. Gernot und François wussten, was zu tun war, und banden dicke Seile um Baumstämme, damit wir den Abhang hinunterklettern konnten. Geraume Zeit später befanden wir uns dort, wo wir sein wollten. Bevor wir etwas suchten oder unternahmen, legten wir eine Rast ein. Das Atmen fiel uns schwer, und wir zogen uns nackt aus, damit wir in das eiskalte Wasser springen konnten, um uns vom Schweiß und von den Mücken zu befreien. Durchgestochen hatten uns die Biester.

Renaldo, der Medicus, rieb uns mit stinkendem Robbenfett ein, das wenigsten die Mücken fernhielt und den Juckreiz der Stiche erheblich linderte, das Feuer tat ein Übriges. Es war herrlich, wieder ein Bad genommen zu haben, und man fühlte sich gleich wohler und entspannter. Nichtsdestotrotz wurde es kühl und wir froren leicht an diesem Junitag, der eigenartiger sich nicht hätte entwickeln können.

Wir erlebten wahrlich jeden Tag etwas Neues und Unbekanntes. Etwas, das wir nie hätten erfahren können, wären wir in Jerusalem, Ashkelon oder in Frankreich geblieben. Rauk schnitzte sich aus einem Ast eine Art Harpune, begab sich an den Rand des Wassers und kurze Zeit später hob er stolz einen Lachs in die Höhe. Dann wieder einen und wieder einen. Unsere Mahlzeit war somit gesichert, und die Salzheringe blieben im Fass. Doch plötzlich blieb er wie vom Blitz getroffen stehen und kniete sich nieder. Er fing an, im Wasser zu wühlen, als ob er sich die Hände waschen wollte. Doch dies war nicht der Fall, denn er holte etwas heraus, das ein Lächeln in seinem Gesicht erscheinen ließ: Gold. Er hatte einen Goldklumpen gefunden. Cortez und ich sahen uns an, liefen zu Rauk hinüber und knieten uns hin, um dasselbe zu tun. Und siehe da, Anukai hatte recht.

Der ganze Fluss offenbarte uns den unentdeckten Reichtum der Natur dieses Landes. Gold, so weit das Auge reichte. Wir lachten und umarmten uns, ohne zu ahnen, dass wir aus der Ferne beobachtet wurden. So unbewohnt und verlassen dieses Fleckchen Erde erschien, so sehr sollten wir uns da getäuscht haben. Wir bemerkten unsere Beobachter nicht.

„Eduardo. Ich denke, wir haben eine neue Heimat und du hast ein neues Ashkelon entdeckt. Was meinst du?“

„In der Tat, das haben wir, Bruder. Mit diesem Gold werden wir die Heuchler Roms in die Knie zwingen können und ein neues Reich der Wahrheit gründen, Tempel und Schulen für die Wissbegierigen und die Türen zum Garten Eden für die Menschheit öffnen. Nie mehr hungern. Nie mehr Kriege. Nie mehr Unterjochung …!“ Cortez hielt sich einen dieser Klumpen nah vor das Gesicht und lächelte glücklich wie ein Kind.

Ich gratulierte Rauk zu diesem Fund, und er war mehr als erfreut zu erfahren, dass wir hier eine neue Basis gründen würden. Ja, ich hatte ihn definitiv wieder. Er ging so weit, mir zu erklären, dass er, Sven, Thiere, Enar und Lars sich dem Orden anschließen wollten. Ich sah Ralf de Saddeleye an, als er mir das übersetzte, und ich nickte. Ich würde die fünf initiieren, sobald wir zum Hauptlager zurückgekehrt waren.

Ein Eid würde über jeden Zweifel erhaben sein und Meuterei wäre dann für immer aus der Welt geschafft. Rauk und die fünf schlugen sich auf die Schulter und sichtbar stolz unterhielten sie sich in ihrer Sprache, sodass wir uns mit ihnen freuten. Wir beschlossen, hier zu übernachten und erst am nächsten Morgen zur Magdalena zurückzukehren.

Die Nacht brach ein und wieder sang der Wald sein Lied, doch diesmal klangen die Rufe verdächtig. Ja, es hätten Eulen sein können, aber so viele Eulen auf einmal waren mir unheimlich. Auch den anderen erschien das ungewöhnlich. Die Schwerter und die Armbrüste wurden präpariert und wir postierten uns weg vom Feuer, damit die Dunkelheit unsere Position nicht verriet. Das Knacken brechender Zweige verriet, dass sich Schritte näherten. Wölfe? Vielleicht. Hirsche? Wer weiß. Bären? Dafür waren die Schritte zu leicht und zu vorsichtig.

Ein Schatten verriet mir, dass es sich um einen Menschen handelte. Man sah ihn kaum. Die Tarnung war gut, aber nicht gut genug für eine Truppe gut ausgebildeter Templer, die ihr Kriegshandwerk im Heiligen Land erlernt und bewiesen hatten. Und hier an diesem Tag war ich den Haschaschinen dankbar, denn dank ihnen hatte ich mich damals zu einer perfekten menschlichen Waffe entwickelt. Eine Zeit lang geschah nichts, und auch wir rührten uns nicht. Dann wagte einer tatsächlich, sich dem Feuer zu nähern und eine der Tuniken, die dort zum Trocknen lagen, anzufassen und sich umzulegen.

Das ging nun auch mir zu weit: Ich stand von meinem Versteck auf und rannte ihm schreiend entgegen. Starr vor Schreck blieb der Mann stehen, und als er mich sah, glaubte er, einen Geist zu sehen, der seine Welt nie betreten hatte. Ein Schrei durchfuhr ihn und er rannte weg. Als ich ihn fangen wollte, hörte ich plötzlich mehrere Schritte gleichzeitig. Er war nicht allein. Er hatte Begleitung.

Sie waren schneller, und wir konnten nichts sehen in dieser Dunkelheit. Dann war da der Heimvorteil dieser Eingeborenen nicht zu vergessen.

Dies war ihr Gebiet, doch von nun an auch meines, und davon würde mich keiner abbringen.

„Was waren das für schreckerregende Kreaturen?“, rief Richard Cornwall sichtlich eingeschüchtert.

„Habt ihr ihre Gesichter gesehen?“

„Ja. So bemalen sie sich. Die Taino taten das auch!“, fügte ich hinzu.

„Die Taino?“, fragte Richard noch erregt vor Schreck.

„Eine lange Geschichte, Bruder, und du warst nicht dabei!“

Richard und manch anderer bekreuzigten sich. Mir wurde klar, dass diese Welt doch nicht groß genug war, um allein und unentdeckt sein Leben in Frieden fristen zu können. Die Frage war: Waren diese Menschen friedlich oder kriegerisch? Dies zu erfahren galt es in der kommenden Zeit. Doch zunächst hieß es, dieses Gold am nächsten Morgen wegzuschaffen und sofort mit dem Bau der Basis zu beginnen. Koste es, was es wolle.

Nach einer schlaflosen Nacht brachen wir auf und entdeckten tatsächlich einen Pfad, der es uns leicht machte, den Weg zur Magdalena wieder zu finden. Wieso wir den nicht gleich fanden, als wir uns zum Wasserfall begaben, ist mir heute noch ein Rätsel. Trotz der Last, die wir nun zusätzlich trugen, erreichten wir die Bucht am späten Nachmittag, und hocherfreut begrüßten uns die Zurückgebliebenen, denn auch sie hatten eine unruhige Nacht durchgemacht. Wilde hätten sich schreiend und mit eigenartigen Waffen der Truppe genähert, und nur durch die Angriffslust meines tapferen Hundes, den ich von Island mitgenommen hatte und der Papus hieß, wurden sie vertrieben. Ich war froh, dass keiner zu Schaden gekommen war, denn mein Hauptanliegen war, eine friedliche Lösung mit den Einheimischen zu finden. Ob es klappen würde, sei dahingestellt.

Papus bekam von mir eine große Portion Salzheringe als Belohnung. Und falls die anstehende Jagd uns Wild bescheren sollte, versprach ich ihm einen Knochen so groß wie die Magdalena selbst. Ascanio und die anderen waren überwältigt von dem Gold und wir besprachen den Bau der Basis, mit dem wir sofort nach der Besprechung begannen. Bäume wurden gefällt und Felsen weggeschafft, um das Fundament zu bilden. Die Felsen wurden von den mitgebrachten Maurern zu baufähigem Gestein verarbeitet, und das Ganze ging Tag und Nacht. Die Nordmänner wurden zur Jagd eingeteilt und waren auch am Bau der Basis beteiligt. Ja, sie wurden in den Orden initiiert und wurden somit zu Sergeanten ernannt.

Wir spürten die Wilden und fühlten sie hautnah, doch sie ließen sich nicht blicken. Tag und Nacht ging das so. Wir schufteten und schufteten und bauten einen Aquädukt nach dem Vorbild der Römer, jedoch aus Holz. Wasser war reichlich vorhanden und die Leitung des Baus übernahmen, wie sollte es anders sein, Gernot und François. Ebenso benötigten wir eine Schatzkammer, da wir jetzt förmlich in Gold schwammen.

Zwei Maurer aus der Heimat wurden dazu eingeteilt. Meister Burkhardt Weber und Ronald der Augsburger, so genannt, weil er seine Eltern nie gekannt hatte und in einem Kloster in Augsburg aufgewachsen war. Ein ausgeklügeltes System verlangte ich von ihnen, das jeden Einbruch zu einer tödlichen Falle werden ließ, und nur ich und Eduardo Cortez durften davon wissen. Sollten sie es je wagen, davon zu erzählen, würden sie der Höchststrafe ausgesetzt. Stricke und Bäume waren ja reichlich vorhanden. Mit einer leichten Verbeugung versicherten sie mir, dass sie das verstanden hatten.

Die Monate vergingen, und der Bau nahm Formen an. Es war der 13. August, als mir Eduardo plötzlich auf die Schulter klopfte und ich mich von den Zeichnungen abwendete, damit ich in die Richtung sehen konnte, in die er zeigte. Es war nun soweit. Die Einheimischen ließen sich blicken. Ein Pulk von geschmückten und gefärbten Kriegern dieser Horde, wahrscheinlich die Ältesten, wagte sich sicheren Schrittes zur Baustelle, und sie brachten Gastgeschenke mit. Ich befahl, Ruhe zu bewahren, und legte mir den Mantel so um, dass das Kreuz klar und deutlich zu sehen war. Dies war unser Symbol, wie die Gesichts- und Körperbemalung die ihrige war.

Rauk und de Saddeleye schritten an meiner Seite, und als wir uns Nasenspitze an Nasenspitze gegenüberstanden, sprach der Älteste in seiner Sprache. Doch Rauk verstand diese Sprache nicht. So weit ins Landesinnere hat sich noch kein Nordmann gewagt. Die Körpersprache des Mannes jedoch verriet mir, dass er den Frieden wollte und dass er uns willkommen hieß.

„Richard … bring mir ein Schwert … Du weißt schon … und wickle es schön ein!“

„Zu Befehl!“

In der Zwischenzeit brachten sechs seiner Krieger fünf erlegte Hirsche und legten sie mir zu Füßen. Richard kam außer Atem an und reichte mir unser Gastgeschenk, das ich dem Stammesführer mit ausgestreckten Armen überreichte. Es dauerte einige Zeit, bis er es annahm, und so machte ich eine kurze Bewegung, um ihn davon zu überzeugen, dass es ein Geschenk war. Endlich nahm er es an und bestaunte das Schwert mit glänzenden Augen. Schreiend hielt er es in die Luft, und seine Männer schrien begeistert mit. Gott sei‘s gedankt.

Nach einer langen Umarmung hatten wir einen friedlichen Nachbarn gewonnen, und die Hirsche wurden in dieser Nacht über einem großen Feuer gebraten. Es waren Hunderte von ihnen und mehr, Hirsche, Hasen, Truthähne wurden gebracht, gebraten und verzehrt. Wein gab ich nicht heraus, denn ich konnte die Folgen eines Massenbesäufnisses zu diesem Zeitpunkt nicht einschätzen. Wasser musste genügen. Eine Führung auf der Magdalena baute das Vertrauensverhältnis weiter aus, und wir wurden mit der Zeit die besten Freunde.

Allmählich nahm die Basis mehr und mehr Gestalt an, und das dank der Hilfe unserer neuen Freunde, die sich Chinooks nannten, und auch dank des unermüdlichen Einsatzes meiner Männer, die nie über Sehnsucht nach der alten Heimat klagten. Ja, wir waren offiziell die Krieger Christi und somit Mönche, die zu einem Zölibat einen Eid abgelegt hatten.

Dogmen und Pflichten durften wir hier nicht verletzen, auch wenn Cortez und ich anders dachten. Die anderen taten es nicht, und dabei wollte ich es belassen. Den Einheimischen war es gleich, und manch Frauenzimmer nutzte die verführerischen Waffen ihrer Rundungen, um den Männern den Kopf zu verdrehen. Doch die harte Arbeit lenkte sie ab, und unser Chaplain Bruder Rutherford gab alles, um den Männern das Sündigen zu verbittern.

Am 3. Oktober, genau zu meinem 35. Geburtstag, war die Basis fertiggestellt, und ein schöneres Geschenk konnte ich mir nicht wünschen. Aber Moment. War auch nicht Ashkelon damals an meinen Geburtstag fertiggestellt worden? Zufall oder ein Wink von oben, dass alles seine Richtigkeit hatte? Wer weiß.

Eines Tages, es war der 24. Oktober 1137, kam Kimey, das Oberhaupt, zu mir und versuchte, mir zu erklären, dass der Winter käme. Er zeigte gen Himmel und ich begriff, dass es als Warnung galt, uns gut auf den Winter vorzubereiten. War es wirklich schon so weit? Wie schnell die Zeit doch verging. Doch was er mir eigentlich vermitteln wollte, war, dass ich ihn zu seinem Volk begleiten sollte. Zu seinem Dorf, wenn man so will. Ich stimmte zu und beauftragte Rauk, Ralf, Gernot, Eduardo und diesmal auch Ascanio, mich zu begleiten.

Der Marsch war lang und anstrengend und wir kamen nach geschätzten drei Glasen an seinem Sitz an. Der Rauch mehrerer Feuer stieg aus Hütten, die mehr schlecht als recht aus Ästen und Fellen zusammengezimmert waren. Kinder und Frauen umgaben uns kichernd und begrüßten uns mit lauten Rufen. Dann sah ich, was Kimey mir zeigen wollte: große ausgelegte Büffelfelle. Noch größere als die, die ich bei Anukai zu sehen bekommen hatte. Das mussten riesige Tiere gewesen sein, die solche Mengen hervorbringen konnten, und dann fiel das Wort Bison. Kimey zeigte auf eines der Felle und wiederholte dieses Wort immer wieder: „Bison, Bison“.

So hieß also dieses Ungetüm von einem Tier: Bison. Dann zeigte er mir Fleisch, das an Gestellen zum Trocknen hing und einen Gestank von sich gab, sodass ich nur mit Mühe das Kotzen unterdrücken konnte. Was er aber damit sagen wollte, war: Wir müssen uns auf den Winter vorbereiten. Felle und Fleisch sollten wir lagern, sonst würden wir nicht überleben, denn Gold könne man nicht essen. Ich nickte und reichte ihm die Hand. Ich sollte also mit ihm auf die Jagd gehen. Welch selbstlose Menschlichkeit diese Einwohner eines wilden Landes doch besaßen. Es gab sie hier ebenso, wie es sie auf der Welt immer gab: Liebe.

Die Liebe, die Jesus Christus uns vermitteln wollte, gab es hier in bedingungsloser und unermesslicher Weise. Mich überkam ein Gefühl der Rührung und des Glücks. Konnte es denn sein, dass Gott hier wieder mit mir sprach? Mir zeigen wollte, dass es, wie groß die Welt auch immer war, keinen größeren Schatz, keinen größeren Reichtum gibt als die Nächstenliebe? War es das, warum ich hierher gesegelt war, um zu erfahren, dass, egal wohin der Wind uns weht, Gott in der Liebe zu finden ist, die uns durch andere gegeben wird, egal, für wie wild und schrecklich wir sie halten? Federico Pinzon erschien mir wieder im Geiste. Ich umarmte Kimey fest, und ich denke, auch er begriff, wie sehr ich mich über seine Fürsorglichkeit freute.

So gingen wir auf die Jagd, und bei Gott, ich hatte noch nie im Leben solch eine Menge Biester auf einem Haufen gesehen. Riesige, furchterregende Biester, die einem das Fürchten lehrten, wenn man sie zum ersten Mal sah, und dies war für uns das erste Mal. Kimey deutete an, Gernot solle doch den Bogen spannen und solch ein Tier erlegen. Ich drehte mich um, doch Gernot war schneller. Ein Surren pfiff durch die Luft und der Pfeil steckte in einem Bison fest. Das Tier hörte plötzlich auf zu kauen und blieb stehen. Eine kleine Ewigkeit blieb es so stehen, dann fiel es auf die Knie und kippte um wie ein Sack Bohnen.

Die anderen Tiere kauten weiter und bemerkten uns nicht. Erst als Ralf aus Versehen stolperte und auf einen Haufen Äste fiel, witterten uns die anderen Bisons und suchten das Weite. Der Boden bebte. Tausende rannten davon und nur der eine, der erlegt worden war, lag am Boden. Wir liefen dorthin, und als Gernot das Messer zückte, hielt Kimey ihn an der Hand fest und schüttelte den Kopf. Kniend legte er beide Hände auf den Kopf des Tieres und sprach eine Art Gebet, das wie eine Danksagung an den Bison klang. Wo hatte ich das schon einmal erlebt?

Ach ja. Im Heiligen Land, als Musa damals Allah um Erlaubnis bat, bevor er einer Ziege den Hals durchschnitt. Wie sehr manche Riten sich ähnelten, obwohl eine halbe Welt dazwischen lag. Als Kimey sein Gebet beendet hatte, durfte Gernot den letzten Stich ausführen, um dieses Tier ausbluten zu lassen. Kimey hatte uns damit gezeigt, dass es, egal, welcher Winter auch bevorstand, genug Nahrung und Wärme sowie Kleidung gab dank dieser Bisons, die ein Geschenk ihres obersten Gottes waren. Die Natur und Mutter Erde sowie die Sterne am Himmel, die für sie ebenso ihre Ahnen darstellten wie für die Inuvik, waren ihre Kathedrale. Das universelle Gebäude aller Gebäuden. Sie verstanden und kannten den wahren Gott, denn dieser Gott wollte keine Mauern. Mehr und mehr war ich von diesen Menschen beeindruckt, und mehr und mehr entfernte ich mich von einer Welt, die nicht verlogener sein konnte. Unsere alte, in Sünde getauchte Welt. Nein. Dieser Ort durfte niemals von Unwürdigen betreten werden. Niemals durfte die Existenz dieser Welt verraten werden. Dies hier war das letzte Paradies. Der Garten Eden. Unverdorben und unberührt und geregelt durch Harmonie und Liebe.

Cortez betrachtete mich mit einem Lächeln. „Du bist geheilt, mein Bruder. Du bist geheilt, und deine Augen haben die Erleuchtung begriffen. Wie glücklich ich bin. Lass dich umarmen!“

Und wir umarmten uns. Innerlich litt ich, da ich so blind durch diese Welt gegangen war und gesündigt hatte. Menschen hatte ich getötet und in den Tod geführt. Gefoltert und gedemütigt diejenigen, die mir helfen wollten. Verlassen und verraten die, die mich liebten und die ich zu Hause allein gelassen hatte. Vertraut denen, die Anhänger des Teufels waren und einer Organisation gedient, deren Absichten sich erst zeigten, wenn Truhen voller Gold ihre Kammern füllten. Ich schämte mich so sehr, dass ich nicht mehr wusste, ob ich das ganze Gold wieder zurück in den Fluss werfen sollte. Doch dazu war es zu spät.

Die Männer badeten in Stolz und Ruhm, und alles in seinem Namen. Er, der nie solches Gold verlangte. Nie eine Kathedrale sich wünschte und nur die Herzen der Menschen durch seine Worte erobern wollte. Nun denn. Wie gesagt, es war zu spät. Mein Plan würde weiter so ausgeführt wie vorgehabt. Doch wieder hatte ich viel gelernt an diesem Tag. Ich schenkte diesen Bison dem Stamm als Lohn für die Lektion, und nichts anderes hatte Kimey erwartet, denn nur so zeigte ich ihm, dass ich verstanden hatte.

Albrechts Chroniken IV

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