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HÖLLENFAHRT NACH SÜDEN

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So sehr ich auch die Männer drängte, die Basis zu leeren und nur das Nötigste mitzunehmen, so sehr entwickelte sich das zu einer fast unmöglichen und dramatischen Angelegenheit. Die Arbeiten, die in der Basis steckten, und der Schweiß, den die Männer vergossen hatten, um diese, ja, nennen wie es mal Heimat, zu bauen, machte uns alle sentimental und traurig. Es war mit so viel Liebe und Raffinesse gebaut worden. Allein die eingebauten Fallen der Schatzkammer waren ein geniales Zusammenspiel von Physik, Mechanik, Baukunst, Mathematik und ja, auch Liebe. Wir waren alle stolz auf dieses sehr kleine Neu-Ashkelon, und nun mussten wir es verlassen auf die Gefahr hin, dass es von irgendwelchen Wilden zerstört werden konnte. Tausendmal lieber hätte ich es den Chinook überlassen, hätten wir andere Gründe gesehen, diesen Ort zu verlassen. Doch mit nur einundzwanzig Mann gegen Hunderte zu kämpfen ergab in meinen Augen keinen Sinn. Die Magdalena hätten wir geopfert und auch all das Gold, was wir mitnehmen konnten, sowie die Felle, das Holz und die Samen von Kräutern und Gewächsen.

Bis zum letzten Mann die Stellung zu halten galt hier nicht. Denn hier ging es nicht um Ihn. Nicht um Jesus Christus, der alles andere gewollt hätte, als hier und heute ein sinnloses Blutbad anzurichten. Die Erfahrungen, die Schriften und Dokumente, die wir mitgebracht hatten, um sie endlich in Ruhe studieren zu können, wären für immer verloren gewesen. Nicht zu vergessen die Opfer, die das Dorf in Island hatte bringen müssen wegen Eriks Massaker. Sie alle wären umsonst gestorben.

Es war inzwischen der 17. März 1138. Vier Tage waren vergangen, nachdem uns Gernot den Bericht erstattet hatte, und endlich konnten alle Mann die Beiboote belegen und zur Magdalena rudern. Wir alle blickten zurück, und manche Träne floss. Egal, welcher Winter uns das Leben hier erschwert hatte, wir waren kurz davor gewesen, hier eine gute Gemeinschaft aufzubauen mit all den Annehmlichkeiten, die zum Überleben genügten.

Jetzt hörten wir es auch: Trommeln und Schreie. Sie waren im Anmarsch, und unser Abzug hätte keinen halben Tag länger dauern dürfen. Wir sahen sie nicht, aber wir hörten sie. Auch die Vögel und die Tiere bevorzugten die Flucht, denn Tausende von Krähen, Reihern, Kormoranen und andere, die wir nie vorher zu Gesicht bekommen hatten, flogen aufgeregt und protestierend davon. Als wir alle an Bord waren und das letzte Beiboot auf dem Deck verzurrt war, gab ich Ascanio das Zeichen. Seine Kommandos wurden sofort ausgeführt und wir nahmen Kurs gen Osten. Ein Glasen später konnte wir schwarzen Rauch aufsteigen sehen. Sie hatten die Basis erreicht. Noch in der einbrechenden Nacht konnten wir das Feuer von Weitem sehen: Klein-Ashkelon gab es nicht mehr. Eduardo legte seine rechte Hand auf meine Schulter, als ich meinen Blick dorthin richtete, wo ich einst in Vergessenheit geraten wollte. Doch das hatte ich anscheinend nicht allein zu entscheiden.

„Schau nicht zurück, mein Bruder! Schaue nach vorne! Ich weiß, wie schmerzhaft es für dich sein muss, doch andere Aufgaben stehen vor dir und du wirst es eines Tages verstehen!“

Ich nickte nur kurz und begab mich zum Ruder, wo Ascanio, zusammen mit einem Sergeanten die Pinne hielt.

„Wir fahren so lange nach Osten, bis wir das offene Meer erreichen und dann zwei Tage nach Süden, ohne die Küste ganz aus den Augen zu verlieren. Alles wird rationiert vom heutigen Tag an. Der Proviant muss zwanzig bis dreißig Tage reichen. Haben wir uns verstanden, Ascanio?“

„Ja, mein Admiral. Voll und ganz!“

„Richard, du führst Buch über all die Ereignisse seit La Rochelle?“

„Und weit davor, mein Admiral!“

„Dieses Logbuch bringst du mir jeden Abend zur Ansicht in die Kabine, und an jedem Morgen lässt du es dir von mir wieder aushändigen. Sollte etwas während der Aufbewahrungszeit geschehen, so hast du das entweder zu merken oder getrennt Notiz zu schreiben und diese dann zum späteren Zeitpunkt einzutragen!“

„Zu Befehl, mein Admiral!“

„Ralf de Saddeleye, ich mache dich persönlich für die genaue Aufzeichnung der Karte verantwortlich. Auch diese ist mir dann jede Nacht zur Aufbewahrung zu überbringen … Ihr alle, wie ihr dasteht und mit mir segelt, schwört bei eurem Leben und dem eurer Familien, dass ihr nie ein Wort über all das hier verlieren werdet. Kein Wort über dieses Land, über diese Fahrt, über diese Fracht, über das, was noch vor uns liegt. Ihr seid für mich die Tapfersten der Tapfersten. Die Männer, die bei dieser Mission gefallen sind, werden unvergessen bleiben. Somit kläre ich euch hier auf diesem Kahn, auf dieser Magdalena auf: Diese Reise ist eine streng geheime Reise. Ihr habt schon in La Rochelle einen Eid darauf geschworen, doch hier müsst ihr noch einen leisten, denn die Umstände haben sich grundsätzlich geändert. Doch zunächst will ich von euch noch eines wissen, denn Einige von euch sind schon einmal mit mir gesegelt und sind durch Höhen und Tiefen mit mir gefahren und andere nicht. Auch unter den Gefallenen waren einige, die ich noch in guter Erinnerung von den letzten Fahrten in meinem Herzen trage.

Deswegen werde ich euch die Frage nur einmal stellen: Wer will sein Leben hier nicht weiter einsetzen und für mich seinen Dienst leisten? Wer hat genug davon, weiter von zu Hause weg zu sein und vielleicht seine Heimat nie wiederzusehen? Wer verflucht mich in diesem Moment und würde mir am liebsten seinen Dolch in mein Herzen rammen? WER VON EUCH?“

„WIR SEGELN FÜR DICH IN DEN TOD ADMIRAL!“, schrie einer.

„BIS ANS ENDE DER WELT UND WEITER!“ ein anderer.

„WIR HABEN NUR NOCH UNS UND DIESES LEID VERBINDET. WIR GEHÖREN DIR, ADMIRAL!“

Alle schrien und hoben dabei ihre Schwerter, Dolche, Schrubber und was auch immer sie in der Hand hielten. Auch Eduardo hob seine Hand und ich sah, dass er es ernst meinte.

„Dann werde ich euch jetzt von unserer wahren Mission berichten und jeder, der hier seinen Eid leistet, wird nach Hause als reicher Mann zurückkehren!“

„Aber wir sind Templer Herr!“, rief ein Sergeant.

„Ja, das sind wir, mein junger Freund. Doch was ihr nicht wisst: Es gibt einen Orden im Orden, und von diesem wissen nur die Allerwenigsten. Sie haben ewige Verschwiegenheit geschworen und unterliegen einem Eid, den auch ihr nun ablegen müsst. Auch werden wir wahrscheinlich La Rochelle nie wiedersehen, doch dafür werden wir frei und unabhängig sein und Männer, die sich keinem Oberhaupt jemals wieder unterordnen müssen außer mir, versteht sich. Ihr braucht nur diesen Eid abzulegen!“

Ich konnte am Rande sehen, wie Eduardo nicht ganz glücklich darüber war, dass wir La Rochelle vielleicht nie wieder sehen würden, doch das würde ich ihm später erklären.

„Was immer du auch befiehlst, Admiral!“, schrien alle.

„So kniet euch nieder und sprecht mir nach. Nennt euren Namen dabei. Ich … schwöre und gelobe, diesen heiligen Eid nie zu brechen, dem Admiral Treue und Gehorsam zu leisten und nie das gesagte Wort in diesem Bund an fremde Ohren zu richten, nicht einmal an den Orden und seine Obersten. Ich schwöre weiterhin, im Falle meines Todes meine Güter und das durch meinen Dienst angelegte Vermögen diesem Bund zu überlassen, damit dieser weiterhin blüht und gedeiht. Wir gehören von nun an dieser Bruderschaft an und sind somit lebenslänglich an diesen Eid gebunden!“

Ich überzeugte mich davon, dass auch jeder seinen Eid abgeleistet hatte. Auch Eduardo Cortez tat es, ebenso Ascanio, Ralf de Saddeleye, Richard Cornwall und unser Chaplain Bruder Rutherford. Um das Ganze noch zu verfestigen, ließ ich eine Schrift dieses Eides aufsetzen und darin jeden Einzelnen mit seinem Blut neben seinem Namen und seinem Daumenabdruck verewigen.

Ich hatte sie in meinem Bann. Sie gehörten dem Templerbund nur noch sporadisch an. Der Albrechtinerbund, so würde ich diese Gemeinschaft nennen, würde sich nun mit den Katharern vereinen und das Geplante so durchsetzen, dass nicht einmal der Orden das mitbekommen würde.

„Und nun, Bruder Rutherford, lasst uns dieses Ereignis mit einem Dankesgebet an den Allmächtigen besiegeln und ihm danken für diesen Tag und die uns entgegengebrachte Liebe.

Rutherford sah mich lange an und ich hätte nur zu gerne gewusst, was er in diesem Moment dachte. Sein Blick zeigte Schuldgefühle und Verrat gegenüber dem Orden. Doch Eid ist Eid, und nun war es zu spät, mein lieber Bruder und Anhänger der Kirche.

„So sprecht mir nach, meine lieben Söhne. Oh Herr, segne uns und bewahre uns vor Schaden und Sturm. Gib unserem Admiral all deine Kraft und deine himmlische Weisheit, uns zu führen durch unbekanntes Meer und lasse uns das Gute niemals aus den Augen verlieren. Denn dies tun wir um deinetwillen und um deine Wahrheit zu wahren. Amen!“

„Gut gesprochen, Bruder! Zurück an die Arbeit, Männer! Wir holen uns Federico Pinzon. Am Zwanzigsten werden wir nach Süden steuern!“

„Hoch lebe der Admiral!“, schrie man zum Schluss, und ein Gefühl der Erhabenheit ergriff mich. Ja, denn jeder Schaden, den man mir zufügte, würde mich härter und größer machen. Jeder Fall, den ich durch Dritte erlitt, würde mich höher aufsteigen lassen. Unsere Basis war inzwischen zu Schutt und Asche verbrannt, doch der Gedenkstein mit den Namen der Gefallenen nicht. Seid versichert, meine Brüder, ihr seid nicht umsonst gestorben und eure Namen werden in meinem Herzen brennen wie all die anderen Namen derer, die für mich starben. Mein Ziel war klar. In Vergessenheit konnte ich nicht geraten. So bliebt nur der Weg der Macht und des Reichtums. In Spanien oder in den neuen Gebieten, die im Westen Spaniens entstanden. An den Portugalen würde ich mich niederlassen und eines Tages wieder nach Viermünden reiten, und wenn das Jahre dauern würde. Ich würde sie wiedersehen und ich würde Nadine um Vergebung bitten. Vielleicht würde ich dann auch meinen Sohn mit zu mir nehmen, wenn alles so geschähe, wie ich es wollte. Noch war ich jung, auch wenn mir die Knochen schmerzten und mich der Geist plagte.

Ich hatte genug geopfert und genug für den Orden geleistet, als dass ich mich der Gleichgültigkeit hingeben und eine Belustigung darstellen wollte. Wo du auch immer stecken solltest, Hugue de Payns, Himmel oder Hölle, dein Plan war nicht aufgegangen. Und solltest du wirklich an dir selbst Verrat begangen haben, indem du dich dem Papst untergeordnet hast, so würde ich es wieder in die richtige Richtung biegen. Verlass dich drauf. Ich hatte genug vom Versagen, von Komplotten, von Verrat. Ich wollte keinem mehr dienen, nur noch mir selbst. Die Katharer sollten ihre Knochen und ihren Plunder bekommen, ich aber meine Familie, mein Ansehen und meinen Wohlstand. Und jeder Kahn, der sich hier blicken lassen sollte und nicht meine Flagge trug, würde in die Tiefe versenkt.

Die Winde standen günstig, die See war uns gut gesonnen und die Fracht gab mir die Gewissheit, dass alles seine Richtigkeit hatte. Es war inzwischen der 21. März und die Magdalena segelte südwärts der Sonne entgegen. Pinzon, wir kommen und ich kann dir nur raten, noch am Leben zu sein, damit sich diese Fahrt nicht als Zeitverschwendung erweist. Eduardo Cortez sagte kein Wort, doch ich konnte seine Gedanken lesen. Er war verunsichert. Würde ich Jacques und Gilles die Freiheit wiedergeben? Würde ich mein Versprechen halten und mir die Reliquien aus Paris aushändigen lassen?

Ja, dieses Versprechen würde ich einhalten und bei nächster Gelegenheit Cortez mit einer Depesche nach Paris schicken, um den Großmeister zu bitten, ihm die Gefangenen zu übergeben und ebenso die Reliquien, sollten wir diese Reise überleben. Ich hoffte nur, dass Robert de Craon noch der Großmeister war, dessen Wertschätzung ich ebenso sicher war wie der Gondamers, mein bester Freund und Compagnon der ersten Stunde. Wie sehr vermisste ich ihn.

Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie es in Paris, im Heiligen Land, in La Rochelle oder in Rom zuging. Keine Ahnung von den ständigen Angriffen der Sarazenen, von dem Bedarf an Soldaten, die sich für den Vatikan und nicht für Yeshua, den Zimmermann aus Nazareth, abschlachten ließen. Für die Intrigen im Orden und im Königshaus. Für die Zwietracht, die sich zwischen den Johanniterorden und den Templern ausbreitete. Für die Unsummen, die dieser Krieg kostete und gleichzeitig dem Orden einbrachte. Mehr und mehr Spenden, Beitritte adliger Abenteurer, Landgewinnung durch Schenkung, der Bau von Klöstern und Kathedralen für die Unterschlagung gestohlener Gelder. All das lief weit von uns und unserer Nussschale ab, die auf und ab schwankte auf dem Meer, das mit jedem Tag blauer wurde.

Wir waren frei und unbelastet. Den Bauch des Kahnes voller Schätze, und alles, was wir brauchten, war eine neue Heimat, eine neue Identität und den Tag, an dem wir wieder nach Osten segeln durften.

Regenschauer überraschten uns an diesem Morgen des 27. März 1138, doch die See blieb beständig. Kein Sturm war zu sehen, nur ein paar Wolken hier und dort. Das Astrolabium konnte wir in diesen Tagen des Öfteren präzise benutzen, sodass unsere Karte immer besser und verständlicher wurde. Die Randnotizen gaben Auskunft über geschätzte Geschwindigkeit, Tiefen und Strömungen.

Ralf de Saddeleye und Ascanio leisteten vorzügliche Arbeit und auch Richard vollbrachte ein Meisterwerk, als er mir das Logbuch jeden Abend überbrachte und ich es im lauen Kerzenlicht mit den Augen überflog.

Was hätte ich mir mehr wünschen können. Alles lief perfekt.

Am 1. April jedoch sah ich diese dunkle Wolkenwand vor uns, die mich in der Vergangenheit schon mehrmals das Fürchten gelehrt und uns fast Boot und Mann gekostet hatte. Ein Sturm braute sich am Horizont zusammen und Blitze und Donner bestätigten, dass wir uns auf etwas Großes gefasst machen mussten.

„Alles festzurren. Segel reffen. Kurs näher an die Küste einschlagen!“, befahl ich.

Die Wellen wurden höher und der Wind nahm zu. Auch wechselte er ständig die Richtung und brachte uns um den Verstand, da wir in Bedrängnis gerieten, egal wie wir steuerten.

„Ascanio, wie weit sind wir von der Küste entfernt?“

„Das kann ich so mit Sicherheit nicht sagen, Admiral. Ich schätze, 15 Meilen.“

„Küste ansteuern und Bucht aufsuchen. Dieser Sturm wird kein kleiner sein!“ Bei Gott, wie sehr ich es hasste, wenn ich bei diesen Prophezeiungen recht behielt. Die Magdalena wurde zum Spielball der See, die ihre Launen nun an uns ausließ, als hätte Poseidon zu viel des Weines in der Tiefe seines Reiches genossen.

Ich nahm nun die Pinne zur Hand und befahl den Männern vorne am Bug, Ausschau nach einer sicheren Bucht zu halten. Doch alles, was sie sahen, waren schäumende Wellen, die immer höher stiegen. Fünf Glasen später kam der rettende Ruf vom Ausguck: „Bucht voraus. Bucht voraus!“

Die Magdalena wurde nach vorne gespült dann wieder nach hinten. Es war ein Verzweiflungskampf, den wir am Ende gewannen. Die Bucht war sicher und nur von wenigen Riffen umgeben. Es regnete Katzen und Hunde, wir konnten nichts mehr erkennen, als ich den Kahn geistesgegenwärtig regelrecht hineinspülen und noch einmal volle Segel setzen ließ, damit dieses Elend ein Ende fand.

In der Bucht endlich legte sich die See und die Segel wurden eingeholt. Die Ankertrosse surrte den Rumpf entlang in die Tiefe und jeder suchte sich zunächst ein sicheres Plätzchen auf Deck. Unter Zeltplanen versteckten sich die meisten der Männer, um sich vor dem Regen zu schützen. Ich hingegen eilte zu meiner Kabine und überzeugte mich davon, dass Karten und Logbuch sicher und trocken waren. Das Ächzen des Gebälks ließ mich wissen, dass es in der Bucht inzwischen sicher war, sich jedoch draußen auf dem Meer die Hölle aufbaute. Ich fror in den nassen Sachen und suchte eiligst trockene. Als ich diese fand, zog ich sie an und legte mich auf die Pritsche, wo ich sofort zitternd einschlief.

Es war die Nacht des 2. April 1138 als ich, durch Ascanios Hand aufwachte und schlaftrunken die von Seesalz verkrusteten Augenlider öffnete.

„Admiral … Admiral … steht auf …!“, hörte ich leise.

„Ascanio … bei Gott, wie lange habe ich geschlafen?“

„30 Glasen, Bruder. Der Sturm hat sich gelegt und der Himmel ist sternenklar. Wir sollten diese Bedingungen nutzen, da auch der Wind günstig zu sein scheint.“

Ich stand von der Pritsche auf und stellte dabei fest, wie nass die Decke und ebenso mein Hemd waren. Ich war nassgeschwitzt, und ein qualvoller Schmerz in meinem Schädel erschwerte meine Gedanken zusätzlich. Ich fühlte mich, als ob ich zehn Krüge Wein allein getrunken hätte. Da begriff ich, dass eine Krankheit sich bei mir eingenistet hatte.

„Ich komme an Deck, Ascanio. Ich danke dir, Bruder, dass du mich geweckt hast …!“

Ascanio ergriff meinen linken Arm sofort, als ich meinen Halt verlor und fast zu Boden gefallen wäre.

„Gehts Euch nicht gut Admiral?“, fragte er besorgt.

„Doch, doch. Es ist nur die Müdigkeit, mein Freund!“

Ich zog mir die Weste an und begab mich an Deck, wo die See meine Lungen mit frischer Luft füllte und ich langsam zu Sinnen kam. Doch mit jedem Schritt, den ich tat, drohten meine Beine ihren Dienst zu verweigern und ich suchte Halt an den herumhängenden Schoten und Seilen. Der Medicus schaute mich an und wusste sofort, dass es mir nicht gut ging. Er befahl einem der Männer, mir einen Kräutertrunk zuzubereiten und zu bringen. Der Vollmond schien hell in dieser Nacht und die Sterne glühten leuchtend weiß. Ein wunderschöner Anblick tat sich vor mir auf, es war dunkel und die knisternde Flamme der Kerze in der Laterne lockte Motten und kleine Libellen an.

„Lasst Anker lichten und setzt voll die Segel, Ascanio. Ihr habt recht, der Wind ist günstig. De Saddeleye, bring mir das Astrolabium und die Karte. Wir segeln weiter nach Süden!“

Kaum hatte ich dies ausgesprochen, brachte mir ein Sergeant einen Becher Shahi und ich sog vorsichtig an der brühend heißen Flüssigkeit, die meine Poren noch mehr öffnete und den Schweiß aus meinem geschundenen Körper trieb. Die Männer eilten an Deck wie Ratten, die auf der Flucht waren, doch sie waren keine Ratten. Sie waren das Einzige, das ich hatte, um diese meine elendige Einsamkeit, die meine Seele so verbrannte, zu erdulden. Die Krankheit schien mir Streiche zu spielen, denn trotz dieser wundervollen und reinen Nacht überkam mich dieses Heimweh. Ich wollte so sehr wieder nach Hause segeln. Was geschah nur mit mir?

Ralf de Saddeleye befreite mich aus meinen Gedanken, als er kurze Zeit später mit dem Astrolabium und der Karte neben mir stand.

„Wie befohlen, mein Admiral!“

„Ich danke dir, Bruder. Hilf mir, die Karte auszurollen!“

Ohne ein weiteres Wort tat Ralf, worum ich ihn bat und auch Eduardo, Richard und Ascanio gesellten sich zu mir. Ich setzte das Astrolabium an und suchte den Stern, der wichtig war für meine Bemessungen. Endlich fand ich den Nordstern und kurze Zeit später kritzelte ich ein Kreuz auf die Karte. Wir waren nicht besonders weit gekommen in all den Tagen, und das mussten wir nun ändern, stellte ich beunruhigt fest. Was ich ebenso feststellte, war die Tatsache, dass mir Männer fehlten, die ich wegen einer unsinnigen Schlacht verloren hatte. Eine Basis wollte ich doch bauen, nur wo? Vielleicht würde sich weiter südlich etwas Geeignetes finden lassen, dort, wo die Winter nicht zu hart waren. Doch etwas Großes würde ich mit der Anzahl an Kräften nicht mehr bauen können. Auch waren wertvolle Handwerker bei Eriks Beseitigung verloren gegangen. Handwerker, die mit Gold nicht aufzuwiegen waren.

Ich musste mir etwas einfallen lassen, denn ich wusste tief in meinem Innersten, dass die alte Welt mit all ihren Lügen und Sünden kein sicherer Platz mehr war für die Absichten, die ich vorhatte. Doch wie sollte sich das mit meiner Sehnsucht und mit meinem Heimweh vereinbaren lassen, dieses Gefühl, das in mir seinen Schabernack trieb? Wieso widersprachen sich meine Intuitionen ständig und in unverständlicher Weise?

Vielleicht waren es keine Intuitionen, sondern Halluzinationen, die mir vor lauter Nachdenken den Verstand raubten. Wie war das noch mal? Warum war ich hierher gesegelt?

Ja, um Wissen zu erfahren und ebenso um Rohstoffe zu entdecken, die die Welt noch nicht kannte. Doch plötzlich wollte ich all dies nicht mit einer alten, kranken Welt teilen, die nur auf Macht und Gier aus war. Würde ich jetzt so charakterlos werden wie ein Severinus, der sein Wissen und seine Erfahrungen nicht einmal mit seinen Ordensbrüdern teilen wollte? Oder schlimmer noch, wurde ich jetzt etwa selbst gierig und machthungrig und hatte nichts anderes vor als eine Räuberhöhle zu gründen, weit weg von einer kranken Gesellschaft, bestehend aus Heiligen und Scheinheiligen?

Doch wie sollte man eine kranke Welt heilen, wenn man diese Erfahrungen nicht teilte und den Bedauernswerten nicht die Augen öffnete? Ihnen zeigte, dass es ein Paradies auf Erden gab und es nur eines Umdenkens der Menschheit bedurfte, um dieses Paradies zu erhalten und sich daran zu erfreuen? Wäre das nicht eine Aufgabe, die eines Apostels würdig war? Doch ich wusste es besser. Die Menschen waren nicht und würden niemals bereit sein zu solch einem Umdenken, für das diese Unverbesserlichen mehr und mehr Opfer aufbringen müssten. Ich verschwendete meine Gedanken nicht weiter und befahl, weiter zu segeln ohne unnötige Unterbrechung. Pinzon musste gefunden werden und Pinzon würde mir beim Aufbau einer neuen Heimat helfen.

„Schick mir den Medicus, Ralf. Ich friere von innen, doch will ich nicht diese Nacht in der Kammer verbringen.“

„Das werde ich, Admiral!“

Der Medicus bemerkte meine aufgeschwollenen Adern, die am Nacken und an dem Unterarm pulsierten. Ein Zeichen, dass der Körper gegen etwas kämpfte und mir schreckliche Kopfschmerzen bereitete.

„Ich werde einen kleinen Stich vornehmen lassen, Bruder, damit etwas Blut aus den Adern fließen kann. Der Druck, der in den Venen herrscht, verursacht Euch die Kopfschmerzen, doch der Körper reagiert richtig. Er wehrt sich gegen etwas, das Ihr Euch zugezogen habt. Ihr dürft Euch auf keinen Fall weiter unterkühlen …“

„Unterkühlen?“, unterbrach ich ihn. „Ich schwitze wie ein Ross nach einem harten Ritt!“

„Es ist kalter Schweiß, mein Admiral. Wahrscheinlich bekommt Euch dieser Wechsel von kalt auf warm nicht besonders. Bedenkt, wir verbrachten Monate auf Eis, könnte man sagen, und nun befinden wir uns in wärmeren Gewässern. Vielleicht ist Euer Körper durch diesen Umschwung geschwächt und es bedarf einer langsamen Gewöhnungsphase!“

„Schwachsinn … Wollt Ihr etwa behaupten, dass ich zum alten Eisen gehöre und zu nichts mehr verwendbar bin? Ich bin ein Krieger wie all die Männer da draußen …!“

„Ja, aber die Männer, die Euch begleiten, teilen die Sorge und die Verantwortung nicht, die Ihr tragt. Der Körper kommt nicht zur Ruhe. Ihr dürftet eigentlich für drei Tage das Bett nicht verlassen, aber da ich weiß, dass ich ebenso aus einem offenen Fenster schreien kann und das Ergebnis dasselbe bliebe, schneide ich lieber ein kleines Loch in Eure Vene und verringere den Durchfluss des Blutes. So reduziert sich der Druck und Ihr werdet Linderung finden!“, versicherte mir dieser Mann aus Verona fast zornig.

Ich ließ ihn gewähren, und siehe da, es ging mir kurze Zeit später tatsächlich besser.

„Ihr müsst viel heiße Flüssigkeit trinken, um Euch zu entgiften!“

„Das werde ich. Ich muss gestehen, Ihr seid ein Meister Eures Faches, mein Bester. Wo habt Ihr Euer Handwerk gelernt?“

„In sarazenischer Gefangenschaft. Damals beim ersten Kreuzzug. Ich hatte das Glück, dort einen Medicus als Mentor zu finden, der für mich solche Wunder vollbringen konnte wie unser Heiland. Nur war dieser ein Feind und stammte aus Syrien. Ich wurde ihm als Sklave unterstellt, und als er bemerkte, wie geschickt ich mich bei Amputationen und bei anderen Behandlungsmethoden anstellte, unterwies er mich in seinen Geheimnissen. Es machte dabei keinen Unterschied, ob ich ein Hospitaliter war unter der Obhut des Johanniterordens oder ein Feind einer anderen Gattung. Christ oder nicht, er glaubte nur an das Gute im Menschen. Und jetzt versuche ich, seinen Namen in Ehren zu halten und es ihm gleich zu tun!“

„Ich verstehe, was Ihr da sagt. Ich habe ähnliche Erfahrungen sammeln können bei unseren sogenannten Feinden. Aber ich rate Euch, Bruder, behaltet Eure Meinung besser für Euch, sonst könnte einer, der nicht unsere Erfahrungen besitzt, Euch als Ketzer sehen!“

„Ja, das weiß ich, mein Admiral!“

„So. Ich danke Euch. Ich werde Eurem Rat Folge leisten und mich schonen. Doch nun heißt es, weiter der See die Stirn zu bieten!“

Albrechts Chroniken IV

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