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EIN NEUES ZIEL VORAUS

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16. APRIL 1137

Mit großem Eifer und großer Begeisterung gingen die Männer ans Werk. Olaf genehmigte weitere fünf Nordmänner für die Reise, und so war ich glücklich darüber, wieder eine gut gestärkte und erfahrene Mannschaft einsatzbereit zu haben. Es war der Morgen des 16. April 1137, als wir Abschied nahmen von diesen wundervollen Menschen und dieser ungewöhnlichen Landschaft, die langsam ihr eigentliches Kleid zeigte, als Schnee und Eis mehr und mehr verschwanden. Im Sommer muss es hier wunderschön sein, dachte ich so nebenbei, während Olaf mir zum Abschied die Hand reichte und die Magdalena verließ, um auf eines der kleinen Boote umzusteigen.

„Anker lichten, setzt die Rah, Ruder hart Steuerbord …!“, rief Ascanio die Kommandos mit unverkennbar starkem italienischem Akzent laut heraus.

Die Magdalena krächzte laut, als das Ruder sich nach Steuerbord bewegte, als ob die alte Dame protestierend vom Winterschlaf aufwachte. Schwerfällig schob sie sich gegen die hier herrschenden Strömungen, und ich muss hier und heute ungern zugeben, während der langen Pause war ich eingerostet, was die Handhabung mancher Manöver betraf. Die Menschen an beiden Seiten des Ufers winkten uns heftig zu und manche Träne floss aus den Augen der daheim gelassenen Frauen, die nicht wussten, ob die Nordmänner an Bord jemals wieder zurückkehren würden. Doch dafür würde ich schon sorgen. Ich musste und wollte diese Reise erfolgreich hinter mich bringen, egal, wie lange es dauern würde.

17. APRIL 1137

Auf dem Deck der Magdalena verlief alles ruhig. Die Männer waren gut gelaunt und manches Lied wurde gar gesungen. Das Nordlicht, wie es Rauk nannte, verzauberte die Nacht in ihrer wolkenlosen Pracht, als ob der Allmächtige selbst uns die Tore für die Weiterfahrt öffnete. Die Kälte war nichtsdestotrotz allgegenwärtig, und wir wärmten uns mit dem heißen Kräutergebräu, das wir schon seit Ewigkeiten aus dem Heiligen Land bei uns hatten: Shahi. Getrocknet und zerrieben war dieses Kraut leicht aufzubrühen, und sein Geschmack ließ unsere Geister frohlocken. Hier und dort flog eine Sternschnuppe. Dies brachte mich wieder zurück zu der Zeit in Viermünden, als ich noch als Kind Vaters Rinder hütete. Zig von diesen Himmelspfeilen fielen damals vom Himmel, und Vater ermahnte mich, vorsichtig zu sein mit dem, was ich mir wünschte. Doch ich war damals zu klein, um mir irgendeinen Wunsch ausdenken zu können. Hätte ich damals gewusst, was mir in der Zukunft bevorstand, so hätte ich mir ein glückliches Leben mit meiner Nadine und meinem Sohn am Hofe meines Vaters gewünscht. Doch so ist das Leben. Nichts spielt sich in der Zukunft und nichts in der Vergangenheit ab.

Man kann sich wünschen, was man will. Dein Schicksal entscheidet sich innerhalb von Sekunden in deiner gegenwärtigen Situation, und es war gut so.

Die Nordmänner holten Dorsche und Lachse aus dem großen Fluss, der sich langsam, aber stetig in salziges Meer verwandelte. Allein der gefangene Dorsch war ein Zeichen dafür, dass das Wasser immer salziger wurde. Plötzlich zog sich ein Nebelvorhang über uns zu und ich machte mir Sorgen, dass wir uns in dieser Meeresenge verirren könnten. Rauk jedoch versicherte mir, dass wir uns schon bald auf dem offenen Meer befänden und sich der Nebel schnell lichten werde.

Es dauerte nicht lange, bis Rauk recht behielt, denn der Nebel verschwand und der Mond beleuchtete uns den Weg durch eine schaumige und wellige See.

„Bringt mir das Astrolabium ... SCHNELL“, rief ich Gernot entgegen. Wer konnte wissen, wie lange der Himmel wolkenlos blieb. Voraus war schon der Horizont sichtbar, denn es wurde langsam hell. Als ich das Instrument in meinen Händen hielt und ich mich mühte, so genau wie möglich zu messen, kam auch schon Ascanio mit Mappe, Feder, Tinte und Logbuch. Hastig notierte er darin die Angaben, die ich ihm zurief. Ein kurzer Blick auf die Mappe, und schon hatten wir den ungefähren Standpunkt unserer Magdalena ermittelt.

Wir waren tatsächlich auf dem richtigen Kurs und steuerten gen Westen. In Vynland würden wir dann Frischwasser und nötigenfalls unseren Fischvorrat ergänzen. Die Gefahr blieb jedoch bestehen, dass wir Eriks Mörderbande (siehe Albrechts Chroniken III) auf See oder auf Vynland begegnen würden. Dies wollte ich unter allen Umständen vermeiden. Wir jagten sie nicht. Zu diesem Zeitpunkt zumindest nicht.

Ja, ich erinnerte mich an meinen Schwur damals in Schottland, dass ich die toten Mönche rächen würde. Doch alles zu seiner Zeit. Jetzt hieß es, diese Mission erfolgreich zu beenden und viel Beute und Erfahrung zurück nach La Rochelle zu bringen trotz aller Warnungen von Eduardo Cortez. Vorsicht war geboten, denn ihm konnte ich nicht trauen. So segelten wir gedankenverloren in die nächste Ungewissheit, doch diesmal besser vorbereitet als zuvor.

Der Morgen des 20. April brach an und es wurde hell. Die Wolken ließen nicht lang auf sich warten, und in der Mittagsstunde war der Himmel vollständig grau und bedeckt. Die Wellen wurden rauer und der Wind nahm kräftig zu, sodass die Magdalena endlich zeigen konnte, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Die Besatzung hatte alle Hände voll zu tun, und rasch bewegten wir uns vorwärts. Gott, wie sehr hatte ich dieses Leben auf See vermisst!

Kaum konnte ich innerlich meine Freude zurückhalten, und ein Lächeln der Freiheit durchzog mein inzwischen faltiges und alt gewordenes Gesicht. Die Männer sahen das und freuten sich mit. Doch schon kam Olaf und weckte mich aus meinen Träumen, als er mit seinem Finger nach vorne zeigte und wir zum ersten Mal Eisberge sichteten. Er bedeutete uns, die Fahrt zu verlangsamen, denn schnell und ohne Vorwarnung könnten wir kleinere Eisberge übersehen ... Und sollten wir einen davon rammen, wäre die Fahrt zu Ende. Ich reagierte prompt und ließ die Segel reffen. Die Magdalena verlangsamte die Fahrt, am Bug wurden Posten aufgestellt, um mich rechtzeitig warnen zu können.

Ein Blick auf die Karte und Ascanio di Sassaris Ratschlag waren der Grund, daraufhin einen südlicheren Kurs einzunehmen, ohne dabei Vynland aus den Augen zu verlieren. Zwei Tage fuhren wir in südlicher Richtung, um die Eisberge zu umsegeln. Doch dann richtete ich den Bug unseres Kahns wieder nach Norden. Die Kälte nahm wieder zu, und Eis so dick wie Stahl beschlug alles, was sich beschlagen ließ. Eiszapfen so groß wie Elfenbein bildeten sich an der Takelage und an den Masten, und auch der heiße Kräutertrunk half nicht, uns warm zu halten. So ging es weitere fünf Tage lang, bis endlich einer der Männer lauthals „Land in Sicht!“ schrie. Olaf nickte freudig und sagte nur: „Vynland, Vynland!“

Es war der 29. April 1137, als endlich der Anker der Magdalena vor der Küste dieses Landes fiel. Es wurde wärmer, und nur noch vereinzelt sahen wir hier und da dahintreibende Eisberge. Als das Beiboot sich in den Sand des Strandes einpflügte und wir endlich wieder Boden unter den Stiefeln spürten, betraten wir stellenweise sogar grünes Land. Zum bewaffneten Spähtrupp gehörten siebzehn Mann und ich, sowie Ralf und Richard. Rauk, Thiere und Enar waren die einzigen Nordmänner, die diese Gruppe begleiteten. Die anderen beiden, Sven und Lars, blieben mit Ascanio und den restlichen Templern auf der Magdalena. Nicht zu vergessen Cortez.

Wir marschierten durch Tundren und Sumpfgebiete und hielten unsere Augen offen, denn die Gefahren waren allgegenwärtig. Nicht nur dieser Erik mit seiner Bande von Wilden war uns ein Dorn im Auge, inzwischen zeigten sich weit entfernt auch Bären, die uns schneeweiß erschienen. Olaf warnte uns eindringlich vor diesen Eisbären. Ihr Hunger sei unersättlich und ihr Fettbedarf unermesslich. Doch solange sie uns nicht witterten, sollten wir uns einfach im normalen Schritttempo weiterbewegen. Wir fanden eine Wasserquelle und füllten die Fässer schnellstmöglich auf. Enar und Thiere überraschten uns mit erlegten Schneeböcken, die sie ohne mein Wissen gejagt hatten. Fleisch war eine sehr willkommene Abwechslung zum Fisch, obwohl wir an Bord noch reichlich Fleischvorräte besaßen. Wir hatten alles, was wir brauchten, und so machten wir uns wieder auf den Weg zurück zur Küste. Keine Spur der feindlichen Nordmänner. Sehr zu meiner Beruhigung war nichts von ihnen zu sehen.

Der Rückweg dauerte fast den ganzen Tag, doch schließlich erreichten wir die Beiboote. Die Wachhabenden begrüßten uns und ließen sich nicht lange bitten, die Beiboote wieder ins Wasser zu schieben. Einer von ihnen ließ blanke Furcht erkennen.

Als ich ihn fragte, warum er sich so fürchte, sagte er:

„Mein Admiral, es dauerte nicht lange und ich bekam dieses Gefühl nicht los, dass wir beobachtet wurden. Kaum hattet ihr euch auf den Weg von den Beibooten gemacht, erkannte ich nicht weit von euch entfernt schattenhafte Bewegungen. Die anderen lachten mich aus, doch ich schwöre bei Gott, ich habe etwas gesehen, und ich könnte schwören, es waren Nordmänner.“

Ich sah ihn besorgt an. Dann schrie einer der Templer: „Schaut, dort …!“

Wir sahen es alle. Ein Fackelzug hatte sich auf dem Strand versammelt. Der Wachhabende hatte die Wahrheit gesagt und mir wurde klar, welches Glück wir gehabt hatten. Es waren Hunderte von Nordmännern. Schnell näherten wir uns der Magdalena, und auch an Bord hatte man den Fackelaufstand bemerkt.

„Alles aufladen und nichts wie weg hier! Wirds bald?“, befahl ich.

Kaum hatten wir die Ladung auf dem Deck verzurrt und die Beiboote gesichert, schrie wieder einer etwas, das ich nicht verstand. Es war Enar.

Olaf zeigte mir am Horizont die Silhouette eines schlanken Einmasters mit einem Drachenkopf am Bug.

„Erik!“, schrie er kreidebleich.

„Los, los volle Segel und weg hier!“, schrie Ascanio, kaum dass sich der Anker am Rumpf verriegeln ließ. „Dai andiamo, presto, presto …!“

Wir sahen ungläubig über die Reling, als zwei weitere dieser Boote aus dem Nichts erschienen und sich Seite an Seite von den Wellen in unserer Richtung treiben ließen.

„Sofort die Bogenschützen aufstellen und die Brandpfeile bereithalten!“

Gernot und François verstanden meine Anweisungen nur zu gut, und gut gedrillt, wie sie waren, brauchte es nur einen kurzen Augenblick, bis die Mannschaft sich auf Deck bereithielt. Der Wind stand günstig. Leider für beide Seiten, sowohl für unsere Bogenschützen als auch für die feindliche Brut.

Sie kamen immer näher, und ein Glasen später hätten sie uns fast bespucken können. Uns war klar, dass dies kein Begrüßungskomitee war, denn sie ließen die ersten Pfeile abschießen. Sehr zu meiner Erleichterung waren es keine Brandpfeile und sie waren nicht nah genug, um uns ernsthaft zu schädigen. Nun waren wir dran und wir ließen Feuer vom Himmel regnen. Auch griechisches Feuer, das wir auf solchen Missionen immer mit uns führten, da man jederzeit mit Aggressoren zu rechnen hatte.

Zwei ihrer Schiffe brannten wie Zunder, doch das dritte erkannte die Gefahr und machte sich rasch davon. Wir entfernten uns ebenso von diesem grausigen Schauplatz und beobachteten, wie die Überlebenden auf das übrig gebliebene Schiff dieser Barbaren geladen wurden. Viele waren es nicht.

Rauk zeigte in Richtung eines Überlebenden und sagte: „Erik!“

Das also war er. Rotes Haar und groß wie eine Eiche. Bei Gott, dem mochte man wirklich nicht auf dem Schlachtfeld begegnen. Auch dieser Erik beobachtete uns aus der Ferne. Sehr zu unserer Besorgnis erkannte Erik die Nordmänner Islands an Bord der Magdalena, was bedeutete, dass er im kommenden Sommer dem isländischen Dorf einen unfreundlichen Besuch abstatten würde.

Nichtsdestotrotz feierten wir unseren Sieg und segelten weiter. Dies war unsere erste Schlacht des Jahres. Wer weiß, wie viele wir noch würden bestehen müssen.

4. MAI 1137

Kalt peitschte die See ihre unfreundliche Gischt und keiner von uns blieb trocken. Die Kleidung war nass und klamm, und unser Medicus Renaldo di Varenna hatte alle Hände voll zu tun, um die Erkälteten mit heißen Kräutergetränken zu versorgen. Wir alle wurden krank, auch ich bekam regelmäßige Schüttel- und Zitteranfälle. Der Winter hier in dieser Gegend war noch lange gegenwärtig und ich hatte Sorgen, die Mannschaft durch Krankheit zu verlieren. Wir mussten trockenes Land finden, soll heißen, schnee- und eisfrei, sonst würden bald die ersten Toten zu beklagen sein. Doch vor uns in Sichtweite lag nichts, das auf eine rettende Küste hoffen ließ. Im Gegenteil: Ein Sturm näherte sich und der Wind ließ unsere Glieder erfrieren. Schwierig wurde jede Tätigkeit, denn die Schmerzen an den Gelenken waren qualvoll.

Apathisch versuchten wir, die Situation unter Kontrolle zu halten. Mit jedem Auf und Ab dieser elendigen Wellen konnte ich in manchen Gesichtern die Resignation erkennen. Das durfte aber nicht sein, sonst wären wir alle verloren. Ascanio, Ralf de Saddeleye und ich waren die Einzigen, die noch unermüdlich die Magdalena gegen die immer größer werdenden Wellen zu steuern versuchten.

Die Haare klebten mir vor den Augen und ich konnte nichts sehen, doch das Steuer durfte und wollte ich nicht aus den Händen lassen. Zwei Tage ging es so, vielleicht waren es auch drei. Doch dann endlich, es war wohl der 6. oder 7. Mai, schrie Sven, der Nordmann, in seiner Sprache „Land in Sicht!“, was ungefähr so klang: „Land i snjiomali!“

Mir reichte schon das Wort Land, um für einen Augenblick das Steuer mit der linken Hand zu halten, denn mit der rechten wischte ich mir das Haar vom Gesicht. Ja, tatsächlich hatten wir Land vor uns. Es sah trocken aus, obwohl ein dünner Nebel mir die Sicht verschleierte. Oder war es das Salz, das sich zwischen meinen Augenlidern verkrustet hatte? Ich sah grünes Land. Keine Eisberge, kein Schnee und kein Eis.

Rauk kam hinzu und zeigte mir eine Bucht, die er nur zu gut kannte. Er sei früher oft mit seinem Onkel hierher gesegelt, um mit den Eingeborenen Handel zu treiben, übersetzte Ralf zugleich. Ich wollte mehr wissen. Waren die Einheimischen freundlich und konnte man dort lagern, ohne einen Überfall befürchten zu müssen? Ich bekam die Antwort, die ich hören wollte, und war dankbar dafür, diese fünf Nordmänner, die sich mit der Sprache und der Kultur der Einheimischen auskannten, mit auf der Reise zu haben. Rauk Olafson erwies sich als große Hilfe, denn er sprach am besten die Sprache dieser Eingeborenen, die sich Inuvik nannten.

Die Küste war nach drei Glasen in greifbarer Nähe und die Wellen wurden flacher, sodass wir die Magdalena kurze Zeit später an dieser Bucht ankerten. Keine Menschenseele, von diesen Inuvik war nichts zu sehen. Auch Rauk und die anderen vier Nordmänner verstanden die Situation nicht, denn hier hätte ständig Bewegung sein und reger Handel getrieben werden müssen.

Ich ließ drei Beiboote zu Wasser und nahm eine gute Anzahl von bewaffneten Männern mit. Wie üblich blieben Ascanio und Ralf de Saddeleye an Bord. Sollte etwas geschehen, waren sie die Einzigen, die den Rest der Mannschaft heil nach La Rochelle zurückbringen konnten.

Langsam und beständig ruderten meine Templer dem flachen Strand entgegen, der aus einem dicken Kieselteppich bestand. Die Steine leuchteten in allen Farben, und das Wasser gab ihnen einen wunderschönen Glanz. Wir sprangen aus den Booten und hielten die Schilde bereit für den Fall, dass wir mit einem Pfeilregen begrüßt würden. Doch nichts geschah. Die Feuerstellen loderten noch, also mussten sich die Menschen irgendwo versteckt halten. Aber warum, wenn sie in der Vergangenheit Segler der Nordmänner gesichtet hatten und sie als Händler kannten?

„Anukai!“, schrie Rauk plötzlich. „Anukai, kuet tiak wue?“, was so viel hieß wie „Anukai, wo steckt ihr?“

Sven, Enar und Thiere taten das Gleiche. Es ging eine Weile so, dann erschienen die ersten Einwohner aus dem benachbarten Wald. Langsam und vorsichtig näherten sie sich uns, und Anukai begrüßte Rauk und die Seinen, als er sie erkannte. Auf die Frage, warum sie sich versteckten, sagte das Oberhaupt dieses Stammes, sie hätten noch nie einen so großen Segler gesichtet und ihr Medizinmann hätte die Vision eines großen Seglers vor wenigen Tagen prophezeit.

Man solle sich in Acht nehmen vor Fremden. Rauk versicherte Anukai, dass unsere Absichten friedlich seien, und endlich durften wir uns gegenseitig begrüßen und nach Stammessitte umarmen. Damit mir die Kranken nicht wegstarben wie die Fliegen, wollte ich jedoch sofort einen trockenen und warmen Lagerplatz errichten. Das erlaubte Anukai, und aus Fellen und aus Zelten, die wir in La Rochelle aufgeladen hatten, errichteten wir unser Lager. Die Kranken wurden sofort versorgt und Renaldo di Varenna, der einst dem Orden der Hospitaler auf Rhodos angehört hatte und sich später entschlossen hatte, dem Orden der Templer beizutreten, verschwendete keine Zeit.

Zwei der Männer hatten Lungenentzündung und vier Mann starkes Fieber. Renaldo beteuerte mir mehrmals, dass eine Weiterreise im Moment das Todesurteil für die Männer bedeuten würde. Ich beruhigte ihn und versicherte, dass wir erst wieder in See stechen würden, wenn alle Mann gestärkt und erholt seien. Und das betraf mich ebenso. Anukai indessen war unbeeindruckt von unseren Unpässlichkeiten und zeigte mir die Gegend. Rauk übersetzte das Inuvikische.

Als ich mich überzeugt hatte, dass die Stelle sicher und die Inuvik friedlich gesinnt waren, ließ ich Ascanio und Ralf an Land kommen. Auch Eduardo Cortez durfte sich dieses Privilegs erfreuen, denn schließlich mussten wir bis auf Weiteres zusammenarbeiten. Man reichte mir als Geschenk einen bestickten Mantel aus dickem Büffelfell, und ich schenkte Anukai eines unserer Zelte, das mit dem roten Templerkreuz bestickt war. Ihm gefiel das Kreuz, doch er fragte nicht weiter nach dessen Bedeutung, wofür ich dankbar war, denn es strengte mich an, mich allein durch Gestik verständigen zu müssen.

Endlich schloss sich Ralf unserer Gruppe an, und so konnte Rauk Olafson das Inuvikische erst für Ralf und schließlich für mich übersetzen. So ging es eine halbe Ewigkeit, und wir beschenkten uns mit Fellen und Werkzeugen sowie mit Mais, Wurzeln und Knollen.

Ein Lagerfeuer wurde entzündet und Anukai sowie seine Treuesten und Ältesten saßen darum herum. Auch wir konnten uns schließlich der Gastfreundschaft nicht entziehen und setzten uns ebenfalls um dieses wärmende Feuer. Überhaupt bemerkte ich, dass sich hier der Frühling breitgemacht und der Winter sich endgültig verzogen hatte. So kam mir der Gedanke, hier für die Zukunft eine Basis zu errichten, denn die Bucht war sicher, das Klima angenehm und die Menschen waren freundlich.

Gestört wurden meine Gedanken nur durch das Lachen und Kreischen der Kinder, die um unseren Chaplain Rutherford herumsprangen. Er beschenkte sie mit Kruzifixen und mitgebrachten Rosenkränzen, die sich die Kinder um den Hals legten und das schön fanden. Anukai und der Medizinmann betrachteten die Angelegenheit mit fragendem Gesichtsausdruck, doch sie sagten nichts weiter, denn schließlich hatten die Kinder ja ihren Spaß. Die Stunden vergingen und meine Augen wurden schwer. Krieger des Stammes führten einen Tanz um das Feuer auf und jaulten und stimmten einen Gesang an, der am Anfang die Nerven plagte.

Nach längerem Hinschauen aber begriff man, dass es ein ritueller Tanz war, der die Geister der Ahnen rief, um den Stamm mit Regen, Sonne, Fruchtbarkeit und Frieden zu segnen. Schon erstaunlich, wie bescheiden die Wünsche dieser Menschen sind, stellte ich ernüchtert fest. Die geringsten Lebensvoraussetzungen reichten ihnen, um Freude zu spüren und glücklich zu sein. Kein Gold, kein Silber, keine Macht und auch keine Religion benötigten sie, denn die Natur und ihre Ahnen waren ihr Reichtum. Nach dieser Erkenntnis, die ich schon einmal gespürt hatte, damals auf der Insel des Federico Pinzon, befahl ich Chaplain, sich neben mich zu setzen.

„Admiral?“

„Mein lieber Bruder Rutherford. Setze er sich neben mich und genieße er diesen aussagekräftigen Tanz. Lasst die Kinder Kinder sein und gönnt Euch etwas Ruhe, mein Bester!“

„Aber so kann ich sie doch bekehren …!“

„Passt nur auf, dass nicht sie uns bekehren, Bruder. Sie haben ihren Gott. Erspart ihnen …!“ Ich biss mir plötzlich auf die Zunge, denn ketzerisch klangen diese Worte aus meinem Munde und ich sah, wie mich Rutherford entsetzt anstarrte. Gottlos und ungläubig muss ich ihm erschienen sein, und auch ich erschrak zunächst. Wie kam ich dazu, als hoher Beamter dieses christlichen Ordens so etwas von mir zu geben. Und doch hatten die Studien der Dokumente und Schriften, das Erlebte der letzten Jahre, die Verluste von Männern und Freunden, die schmerzliche Erkenntnis von Verrat und Betrug mir jegliche Beziehung zu unserer Glaubensrichtung geraubt. Man konnte doch nicht so blind sein, um hier nicht zu erkennen, was und wer Gott in Wirklichkeit war.

Diese Inuvik erlebten es jeden Tag und jede Nacht. Sie hatten schon immer verstanden, wer Gott ist und wer seine Engel waren. Die Natur, dieser unsagbar schöne Sternenhimmel, dieses Meer vor uns, dieser Friede war für sie Gott. Der wahre Gott. Und die Ahnen waren die Engel, zu denen sie durch ihre Riten und Gebeten sprachen und auf die sie aus irgendeinem Grunde auch immer eine Antwort erhielten, solange sie in Harmonie lebten mit allem, was sie umgab.

Wieder und wieder erschienen mir Federico Pinzons Worte im Geiste, und immer wieder wurde mir klar, wie unrecht ich doch hatte und wie blind und rückständig wir doch alle waren, wir Christen, die wir hier saßen, wir Templer in den Diensten unseres Messias, und, richtig betrachtet, auch in den Diensten unseres Feindes, des Vatikans. Der nach außen hin unser Freund war. Der Kreis der „Wenigen“ im Orden wurde immer kleiner nach dem, was mir Cortez über Hugues de Payns erzählt hatte.

Ach ja, Cortez. Wo war er nur? Dann fand ich ihn. Eng und unbequem neben den anderen sitzend und mich betrachtend, als ob er meine Gedanken lesen könne. Ein Lächeln zeugte von einer gewissen Gehässigkeit und ließ mich weiter grübeln. Ihn erschreckte nicht, was ich zu Chaplain sagte, denn er sah, dass ich erwachte. Ich erwachte aus all den Lügen und Niederträchtigkeiten eines Menschen, der nicht verstanden hatte, worum es eigentlich ging und der sich hatte verführen lassen von Plunder, Gier und Macht, woran er am Ende selbst zugrunde gehen würde. Diese Seereisen waren nötig.

Nicht die Suche nach Gold oder nach Silber war es, die mich anspornte weiter zu segeln, nein, es war die Suche nach dem wahren Gott. Ich fand ihn hier. Ich fand ihn damals auf Pinzons Insel. In Ashkelon und auf den Gipfeln der Golanhöhen. Er ist überall, nur nicht in Jerusalem. Dort fand ich ihn nicht. Dort spürte ich ihn nicht.

Wie oft wurde diese Stadt zerstört und wieder aufgebaut, nur um wieder und wieder zerstört zu werden? Gott will Jerusalem nicht, egal, wie viel Blut noch vergossen wird für Christus, Allah, Yahve oder wen auch immer. So schnell kann man alles begreifen, wenn man nur die Augen offenhält. Doch nun war ich hier. Bei den Inuvik.

Ich ließ diesen Tanz und die Wärme dieses Feuers auf mich wirken. Die Dankbarkeit dafür, dass wir der Eiseskälte entflohen waren, gab ihr Übriges dazu, mich wieder Freude spüren zu lassen. Meine Männer erschienen mir wie Engel in diesem Augenblick, denn auch sie waren dankbar, den Wahnsinn überlebt zu haben, den zu begehen sie sich bereit erklärt hatten. Wie sehr wünschte ich mir, sie könnten die Dinge so sehen, wie ich sie sah. Wie Cortez sie sah. Vielleicht taten sie es auch und behielten es geschickt für sich. Cortez hatte recht. Die Reliquien, die sich nun in Paris befanden, mussten zurück zu den Katharern. (Siehe Albrechts Chroniken III)

„Auf dein Bauchgefühl musst du immer hören, mon petit!“, hörte ich Gondamer aus der Ferne rufen. Und mein Bauchgefühl sagte mir, dass Cortez recht hatte. Der Orden wurde verführt. Verführt von der ihm durch den Papst zugestandenen Macht. Von dem Gold und den Renditen der Schlachten im Heiligen Land. Von Königen und Fürsten, die gut für die Dienste des Ordens bezahlten. Das war kein Orden der armen Soldaten Christi mehr. Das war eine durch und durch strukturierte und fachmännisch konstruierte Organisation.

All die Sprüche, der Vatikan sei im Grunde genommen der Feind, waren eine Finte, um von den wahren Machenschaften abzulenken. Hugues de Payns und der Papst waren Verbündete. Doch welche Rolle spielte dann Bernard de Clairvaux in diesem Spiel?

Immer klarer erschienen mir die Fakten hier unter Gottes Dach, das so herrlich leuchtete in dieser Nacht. Er sprach zu mir. Er öffnete mir die Augen. Meine Gedanken waren seine Worte. Er warnte mich hier und heute und sagte: „Sei vorsichtig, wem Du vertraust, denn Zucker und Salz sehen gleich aus.“

Eine Schale wurde mir gereicht und ich trank daraus. Meine Erschöpfung und meine Erkältung brachten mich schließlich zu Fall und ich konnte mich an nichts mehr erinnern, als ich am nächsten Morgen in meinem Zelt aufwachte. Ascanio di Sassari und Ralf de Saddeleye schnarchten laut und meine Knochen schmerzten. Länger wollte ich schlafen, doch Renaldo, der Medicus, betrat ohne Vorwarnung das Zelt und seine Augen verrieten nichts Gutes. Ich stand von der Pritsche auf und sah ihm in die Augen.

„Sprich Bruder! Sprich in Gottes Namen!“

Renaldo kämpfte mit den Worten, doch mit trauriger Stimme bestätigte er, was ich befürchtet hatte: Wir hatten den ersten Mann auf dieser Reise verloren. Die Lungenentzündung war zu viel für ihn. Er war in der vorigen Nacht gestorben. Chaplain Rutherford sei bei ihm gewesen, um ihm die letzte Ölung zu verabreichen. Ich zog sofort meine Tunika an und band mir das Schwert um die Hüfte. Dabei wurden die anderen wach und richteten sich ebenfalls auf. Ich erklärte ihnen, was vorgefallen war.

Zur Mittagstunde dieses 7. Mai 1137 bestatteten wir unseren treuen und tapferen Bruder Roger Cambrais unter allen verfügbaren Ehren und begruben ihn in dieser Erde weit von seiner Heimat. Rutherford hielt die Andacht und wir verabschiedeten uns von ihm. Ein schnell gebautes Kreuz und sein Schwert waren das Einzige, das an ihn erinnerte. Dann plötzlich sang aus der Ferne der Medizinmann. Rauch eines Feuers stieg auf. Es war seine Art, unserem Bruder für seine endgültige Reise alles Gute zu wünschen, denn er würde zu seinen Ahnen aufsteigen und für immer Frieden finden.

Albrechts Chroniken IV

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