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DIE FESTUNG

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Unsere Basis nahm Formen an und die Palisaden gaben zusätzlichen Schutz, sollte dieses Gebiet von unfreundlichen Bewohnern besiedelt sein. In all den Monaten hatten wir jedoch keine andere Menschenseele hier gesehen, und so fühlten wir uns relativ sicher. Die Ladung war trocken untergebracht und die Männer hatten mal wieder ein kleines Wunder vollbracht, denn die Festung wurde in jeder Hinsicht mit ausgeklügelter Fallenmechanik ausgestattet. Frisches Wasser wurde über kleine Holzaquädukte gespendet, und sogar ein Lazarett war eingerichtet. Doch nun war der 12. Dezember des Jahres 1138 und ich musste eine Entscheidung treffen, wer an Land bleiben und wer weitersegeln sollte, um Pinzon zu finden. So ließ ich Ascanio, Ralf de Saddeleye, Richard Cornwall, Eduardo Cortez, Chaplain Rutherford sowie die Isländer zu mir kommen, um eine Besprechung abzuhalten. Die Debatte ging bis tief in die Nacht hinein, und endlich wurde ein Beschluss gefasst.

An Land würden bleiben Richard Cornwall, der Chaplain, die Isländer, die Hälfte der kämpfenden Truppe und ich.

Umso mehr war Cortez überrascht, als ich ihn auf die Liste der Segler setzte zusammen mit Ralf und Ascanio. Natürlich übertrug ich das Kommando an Ascanio, der mein Vizekapitän war, doch das schien für Cortez kein Problem darzustellen, solange er mit auf der Suche war, um seinen alten Freund und Kompagnon zu finden. Auch dachte ich, dass sich Federico Pinzon eher blickenlassen würde, wenn sich einer seiner Katharerbrüder an Bord befände. Als alles zur jedermanns Zufriedenheit beschlossen war, entschied man sich, am 19. Dezember mit so wenig Zuladung wie möglich loszusegeln. Ascanio bekam die Karte zur Hand, die ich fast zwei Jahre zuvor erstellt hatte.

Am frühen Morgen trafen wir uns alle am Strand, um Abschied von den Männern zu nehmen, die sich in wenigen Augenblicken auf diese hoffentlich erfolgreiche Mission begeben würden. Es war mir klar, wie hoch das Risiko war, dass sie nicht wieder zurückkehren würden. Doch meine Hoffnung bestärkte mich in meinem Gefühl, zuversichtlich zu sein. Ein letztes gemeinsames Gebet, ein paar kurze und gut gemeinte Ratschläge, die ich ihnen mit auf dem Weg gab, und eine letzte Umarmung besiegelte den Beginn der Suchaktion, die, so hoffte ich, nicht länger als sechs Monate dauern würde. Dann sprangen sie in die Beiboote und ruderten der Magdalena entgegen.

Wir, die zurückblieben, verharrten am Strand, bis das Segel der Kogge nicht mehr zu sehen war und am Horizont verschwand.

„Gott mit Euch, meine Brüder!“, flüsterte ich nur. Jetzt überkamen mich das Gefühl und die Frage, ob das alles richtig war. Doch nun war es zu spät, etwas zu ändern. So gingen wir traurig zurück zur Festung und beteten noch einmal für den Schutz unserer Brüder auf See.

Die Tage an Land wurden mit der Jagd verbracht, und mit dem zurückgelassenen Beiboot versuchten einige Männer sich in der Kunst der Fischerei. Ein Netz wurde aus Hanf und Sisal geflochten, die wir aus der alten Welt mitgebracht hatten. Und siehe da, sie hatten Glück. So wurde zum Wild auch Fisch als Ernährungsergänzung getrocknet, gesalzen und gelagert. Es mangelte uns an nichts, und für den, der es nicht anders wusste, war dieser Wald nicht anders als der, den wir zu Hause zurückgelassen hatten. Die Mischung aus Bäumen, Beerengebüsch und diverser Pilzart kam uns allen bekannt vor und unser Medicus frohlockte innerlich jedes Mal, wenn er Kräuter fand, die in seine Behandlungssammlung passten. Außer uns war weit und breit keine Menschenseele zu sehen, und so war die Gefahr gering, dass wir uns gegen feindliche Stämme verteidigen mussten.

Dies hier wurde unsere neue Heimat. Was noch fehlte, war ein Name für die Festung, doch das hatte Zeit. Ich war nun allein mit dem Studium der mitgebrachten Dokumente und Schriftrollen, die mir Cortez überlassen hatte. Nur gut, dass ich Richard an Land behalten hatte, denn ohne ihn hätte ich vieles nicht übersetzen können. Während sich die anderen an Übungen und Gebeten beteiligten, studierten wir zwei die Chroniken vergangener Zeiten. Es handelte sich um Kaufverträge, Urteile, Erbschaften und mathematische Baupläne, die jeden in Erstaunen versetzten. Hermetische Regeln und Philosophien sowie nautische Berechnungen und Zeichnungen über Maschinen, die für unsere Zukunft mehr denn je an Bedeutung gewannen. Formeln und Gesetze, die für den Bau von Gebäuden und Kathedralen unverzichtbar wurden und ein geniales Entschlüsselungssystem, das von den Phöniziern entwickelt und später von den Orden in verbesserter Version verwendet wurde. Ein unerschöpflicher Reichtum an Wissen, und mir stellte sich die Frage, wie die Katharer an solch einen Schatz gekommen waren. Wie kamen sie an die Reliquien, die nun in Paris im Tempel lagerten und die jeder haben wollte, selbst wenn er seine eigene Mutter dafür umbringen müsste. Wie kam diese Sekte an solch ein Eigentum?

Sie, die Katharer, waren damals nicht dabei, als wir den Schatz in Jerusalem unter den Ställen des Salomonischen Tempels fanden. Das konnte nur eines bedeuten: Dass sie sich selbst irgendwann einmal, wahrscheinlich nach der Einnahme Jerusalems, unter den Kreuzfahrern befanden, am Kreuzzug beteiligten und an eine Stelle gerieten, wo sie all diese Schätze fanden. Anders konnte ich es mir nicht erklären. Doch wo war diese Stelle? Die Höhle der Maria Magdalena in Frankreich, das mochte für manche Sachen stimmen. Die Reliquien wie die Nägel der Kreuzigung, die Speerspitze des Longinus und auch den Kelch, das alles konnte Maria Magdalena nach Frankreich aus dem Heiligen Land mitgebracht haben, und die Gebeine mochten dann nach ihrem Tod von dieser Sekte gefunden worden sein. Jedoch all diese Dokumente …? Wie sollte Maria Magdalena an all diese Schriften gekommen sein? Ich glaubte auch nicht, dass sie bei ihrer Flucht zusammen mit Johannes oder Jesus Interesse daran hatte, sich mit solchen Massen an Schriften und Rollen davonzumachen. Nein, diese Schriften mussten sie aus einer anderen Quelle bezogen haben. Mehr und mehr bestätigte sich meine Vermutung, dass wir nicht die Einzigen waren, die etwas sehr Wertvolles in Jerusalem gefunden hatten.

Andererseits − wer sagte, dass dies alles in Jerusalem gefunden wurde? Vielleicht hatten sie es woanders gefunden? Nazareth, Ackon, Jaffa, Caesarea, Judäa oder gar Antiochia, wer konnte das schon wissen? Wieso kannten sie diese Höhle, in der sich Maria befand? Gilles behauptete einst, sie, die Katharer stammten aus Marias und Jesus Blutlinie, doch wenn das stimmen sollte, dann konnten es die Merowinger nicht gewesen sein. Dann müsste man auch dem Vatikan in Rom das Recht entziehen, der Vertreter Gottes und Jesus Christus zu sein, und dieses Privileg müsste man dann den Katharern übertragen. Doch hier stolperte ich über meine eigenen Gedanken. Jesus war Jude, und die Katharer waren es nicht. Sollten sie solch eine Verwandtschaft in Anspruch nehmen, so mussten sie ebenso Juden sein. Doch das waren sie nicht, und als richtige Christen konnte man sie auch nicht bezeichnen. Waren sie überhaupt Christen?

Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wusste ich, dass sie eher das Gegenteil waren. Gnostizismus war das Ritual, das sie zu ihrem Gebet verwendeten, und diese Riten ließen sich mit denen des Vatikans nicht vereinbaren. Doch warum waren sie dann an Jesus Christus interessiert? War Jesus selbst ein Gnostiker und distanzierte sich vielleicht von den jüdischen Riten, mit denen er aufgewachsen und groß geworden war? Vergessen wir nicht die Tatsache, dass er sich ständig mit dem Rat und mit Kaifas angelegt hatte und dass diese Männer ihn schließlich ans Kreuz genagelt hatten, wenn es so gewesen war. War also Jesus ein Gnostiker und war dies vielleicht der Grund dafür, dass Gilles behauptete, dass sie, die Katharer, aus seiner Blutlinie stammten? Maria soll angeblich zwei Kinder in Frankreich zur Welt gebracht haben. Die einen sagten, zwei Mädchen, die anderen zwei Jungen. Andere wiederum behaupteten, die zwei Jungen seien schon im Heiligen Land zur Welt gekommen. Vielleicht stimmte aber auch beides. Was für ein unheimliches Durcheinander würde dadurch entstehen und der ganze Kreuzzug würde sich als falsch und sinnlos darstellen. Am Ende war dies auch so, denn Männer wie Hugues, Gottfried, André, Gondamer und die anderen hatten es erlebten und wussten am Ende auch, welch eine Lüge das Ganze war.

Meine Hände krallten sich in mein verschwitztes Haar, als ich mir darüber den Kopf zerbrach, und Furcht und Zweifel überkamen mich nach solchen Fragen. Würde sich Cortez mit Pinzon wieder verbünden, die anderen über Bord werfen lassen und dann mit der Magdalena fliehen? Ich beruhigte mich wieder, als mir einfiel, dass er, Cortez, die Reliquien so sehr wollte und er nur durch mich an sie herankam. Nein, so dumm würde er nicht sein. Auch hatte ich all das Gold und seine Schriften hier bei mir, nicht zu vergessen die Karte, die für die Heimreise wichtig wäre. Also lächelte ich wieder, nahm den Kelch mit dem Wasser, trank daraus und lehnte mich im Sessel zurück.

Die Tage vergingen wie vom Winde verweht. Die Männer arbeiteten Tag und Nacht, damit ihre Gedanken nicht von Sehnsüchten, Versuchungen und Ungewissheit vergiftet wurden. Wir beteten, wie es den Regeln entsprach, mehrmals am Tag. Dadurch kamen wir Gott näher. Er sprach mit uns, indem er uns zeigte, was wir jeden Tag erschufen und wie wir durch unseren Zusammenhalt den wahren Sinn von Liebe und Brüderlichkeit mehr und mehr verstanden. Ja, hier in dieser rauen, weit entfernten Welt spürten wir ihn und sprachen mit ihm. Wir dankten ihm täglich mit unseren Gebeten dafür, dass er uns den richtigen Weg zeigte.

Weihnachten stand vor der Tür und ich erlaubte meinen Männern, die nächsten zwei Tage zu feiern und sich gegenseitig symbolisch zu beschenken. Dabei war es egal, ob es eine Muschel war, ein alter, poröser Lederriemen oder ein aus Holz geschnitztes Werk. Sie sollten die Geburt Christi auch hier, jenseits der alten Welt, nicht vergessen, denn mehr und mehr versuchte ich, ihn wieder zu finden und in meinem Herzen zu spüren. Wir hatten uns in den letzten Jahren so weit von ihm entfernt. Trotz all der Rollen und Schriften, die einem die Augen öffnen sollten, wollte ich es mir nicht einfach machen, von ihm, Jesus, zu lassen. Ich konnte mich sehr gut an den Tag erinnern, als wir aus Jerusalem mit all dem Gefundenen nach Rom zurück segelten und wie mein Vater sich mit Hugue de Payns verbal anlegte und es fast zum Kampf an Bord der Kogge gekommen wäre (siehe Albrechts Chroniken/Weg eines Templers).

Er sagte damals: Nicht die Feder ist es, die Geschichte schreibt, sondern der, der diese führt, und man kann nicht in die Köpfe aller Chronisten schauen, um alles bedingungslos zu glauben. Nun, sei es drum. Am Abend des 25. Dezember des Jahres 1138 und nach der Andacht von Chaplain Rutherford versammelten wir uns um das lodernde Feuer, über dem ein erlegter Hirsch und zwei dieser Truthähne rösteten. Wir speisten, tranken und es gab Wein für diesen Anlass. Ein wolkenloser Himmel beschenkte uns mit seinem Sternenzelt und das Meer berauschte mit dem Klang seiner Brandung. Ob die anderen auf der Magdalena ebenso feierten?

Albrechts Chroniken IV

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