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ENTWEIHTE ERDE

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Es war inzwischen der 2. Februar 1138 und der Winter hier war gnadenlos und hart. Schneestürme behinderten die Sicht und der Fluss war stellenweise zugefroren. Nur mit Mühe konnten wir die Magdalena rechtzeitig aus der Bucht bewegen, um eine eisfreie Stelle für sie zu finden. An Hochdocken war mit nur 23 Mann nicht zu mehr denken. Was wir jetzt mehr denn je brauchten, waren Pferde. Unter anderem Kaltblüter, um die gefällten Bäume an die Basis zu hieven. Auch die Wölfe wurden langsam zur Plage, da sie der Hunger immer näher zur Basis trieb. Kimeys Rat hatte uns im letzten Herbst gerettet, denn hätten wir nicht Vorräte gelagert, wären wir alle nicht mehr am Leben gewesen. Von Kimey und seinen Chinook hatten wir seit Monaten nichts mehr gesehen oder gehört und so dachte ich zurecht, dass sie uns mieden nach der letzten Erfahrung.

Woher hätten sie wissen sollen, dass unser Handeln auch ihr Leben gerettet hatte, denn Erik hätte auch sie niedergemetzelt. Alles, was sie besaßen, waren ihr Jagdwerkzeug und ihre List. Ich denke, sie wären einfach der Konfrontation aus dem Weg gegangen, so friedlich, wie sie waren. Doch wer konnte das schon wissen.

„Gernot, sobald dieser Schneesturm da draußen aufhört, stellst du einen Spähtrupp zusammen. Geh zu Kimey und übersende ihm meine Grüße. Hier, gib ihm diesen Ring, der mir zu eng geworden ist, als Zeichen meiner Wertschätzung. Versuche, ihn davon zu überzeugen, dass ich ihm alles erklären werde, wenn er bereit ist, mir zuzuhören.“

„Natürlich, mein Admiral!“

„Nimm dir alles, was du brauchst, Bruder. Aber erst, wenn dieser elendige Schneesturm endlich aufhört.

Doch er hörte nicht auf. Sieben Tage ging das noch so und die Laune der Männer erreichte einen Tiefpunkt. Auch Cortez hatte die Situation langsam satt und schlug vor, weiter südlich zu segeln, dorthin, wo es wärmer wäre. Doch ich winkte ab. Hier auf dieser Basis waren wir sicher. Wer konnte denn schon wissen, wie lange wir die Kälte auf dem Kahn ausgehalten hätten. Der Süden war weit, und hier hatten wir schließlich Brennholz. Er sah das ein, aber es ärgerte ihn. Die Frustration war erdrückend.

Am 10. Februar endlich schien die Sonne und der Himmel war so blau, als hätte hier nie Winter geherrscht. Keine Wolke, nur blauer Himmel, eiskalte Luft und die Sonne, die weit entfernt schien. Wir rannten nach draußen und atmeten diese Luft ein, die so frisch war, dass unsere Backen sich rot färbten. Die Bärte der Männer belegten sich mit Frost und wir mussten bei diesem Anblick lachen. Es war nun soweit.

Gernot verließ die Basis mit zwei weiteren Brüdern, Alexander Raubart und Gaston de Lambert. Zwei Sergeanten, die sich ihren Rittertitel noch verdienen mussten, wenn sie nicht vorher von Bären oder Wölfen gefressen und wieder ausgeschieden wurden. Mochte Gott sie allzeit beschützen. Eine kurze Umarmung und die besten Wünsche gab ich ihnen mit auf den Weg, und wir winkten ihnen noch einmal zu. Keine Frage, ich war besorgt. Würden sie nicht zurückkehren, wäre der Traum ausgeträumt und ich würde wieder die Fahrt nach La Rochelle befehlen, was sich bestimmt insgeheim alle wünschten, natürlich zusammen mit den Brüdern, die gerade gegangen waren.

„Was steht ihr hier noch herum. Los an die Arbeit!“, schrie ich und erlaubte mir, mit den Männern eine lustige Schneeballschlacht anzuzetteln, die mit Freuden erwidert wurde. Wir bewarfen uns und lachten aus vollem Halse, und auch Cortez beteiligte sich freudestrahlend daran. Kinder, am Ende waren wir alle nur Kinder. Verlorene und in manchen Fällen im Stich gelassene Kinder. Wir nutzten das gute Wetter, um mehr Holz zu hacken, die Basis auf Vordermann zu bringen und vor allen Dingen die Magdalena von Eis und Schnee zu säubern, was leichter gesagt war als getan. An manchen Stellen mussten die Fugen neu kalfatert werden, uns froren die Hände dabei ein und die Schmerzen waren unerträglich.

Wie kurz doch der Sommer in dieser Gegend war.

Die Männer versuchten trotzdem ihr Bestes. Alles, was wir brauchten, war eine Beschäftigung, und die hatten wir nun. Wir stellten aus den im Herbst gegerbten Bisonfellen Kleidung und Mützen her und auch für die Stiefel entwickelten wir warmhaltende Überzieher. So wurden neue Produkte für den Markt in der alten Welt erfunden. Die Schatztruhe war randvoll, und wir hätten drei Fahrten benötigt, um all das Gold wegzuschleppen. Doch es war nicht nur das Gold, auch wertvolle Hölzer würden uns ein Vermögen einbringen. Der Plan blieb weiterhin bestehen. Der Orden würde davon weniger als ein Drittel bekommen. Immer noch genug, um manches Königshaus blass aussehen zu lassen. Doch was sollten wir mit all dem Gold anfangen? Hier ein neues Jerusalem gründen? Dafür hätten wir Tausende Männer gebraucht. Das wollte ich jedoch nicht.

Wir hatten hier schon genug Schaden angerichtet und das Vertrauen dieser Menschen wahrscheinlich für immer verloren. Also was tun mit all dem Gold? Täglich wurde ich jetzt von Cortez bedrängt. Er wollte wissen, wann wir endlich die Rückreise antreten würden, um Jacques und Gilles aus den Kerkern zu befreien und die Reliquien den Katharern wieder zu übergeben. Dort wusste man sie dann gewiss in Sicherheit und der Vatikan konnte mit seinen adrigen, langen Fingern nicht danach greifen. Oft diskutierte ich mit Eduardo darüber, was ihn so sicher machte, dass die Reliquien in deren Händen besser aufgehoben wären. Eduardo flehte mich inständig an, endlich zu begreifen, dass es um etwas ganz anderes ging als nur um die Reliquien. Die Königshäuser wollten sie haben, um damit ihr Anrecht auf die Blutlinie Jesu zu beweisen, und der Vatikan, um die Menschen noch mehr zu unterjochen. Doch etwas anderes beunruhigte ihn noch mehr, und damit wollte er nicht herausrücken.

„Ich dachte, wir vertrauen uns!“

„Du weißt genau, dass du das nicht mehr tust, Albrecht, seit ich dir alles in Island erzählt habe. Hugues und Farid und Otto … weißt du noch? Ich kann dir erst dann vertrauen, wenn du dich unserem Glauben anschließt und zum Katharer wirst!“

„Euer Katharerbund ist doch auch nur etwas, das sich von den Dogmen des Vatikans befreien will, damit er mehr Macht genießen darf, oder habe ich unrecht?“

„Albrecht – oder soll ich dich jetzt Admiral nennen – es wird der Tag kommen, da du Recht behalten könntest, denn Loyalität und Ehre sind Begriffe, die nicht mehr so wortwörtlich genommen werden. Ja, es gibt Katharer und Katharer, aber ich bin ein Bonhomme. Ein Parfait. Ich kann dich nicht in unsere Geheimnisse einweihen, wenn du keiner von uns bist und du wahrscheinlich unsere Riten nicht verstehen wirst! Und außerdem unterwerfen wir uns keinen Dogmen, weder aus Rom noch sonst wo!“

„Vergiss nicht, mein lieber Eduardo, dass auch du einen Eid beim Orden geleistet hast und dass auch du ein Templer bist. Oder zählt das jetzt für dich nichts?“

„Dios mios … ich verstehe jetzt überhaupt nichts mehr, hermano … Vor nicht allzu langer Zeit hast du mir etwas von Infiltrierung und Rache erzählt und dass du hier ein doppeltes Spiel spielen willst. Und jetzt sehe ich in deine Augen, und ich sehe den blinden Albrecht wieder, der alles vergessen hat. Ich weiß nicht mehr, woran ich bei dir bin, Bruder. Sag es mir. Jetzt verlangst du von mir, ein Templer zu sein? Ich wäre es zu gern, wenn die Männer, die diesen Orden führen, sich an die Regeln hielten, die sie selbst aufgestellt haben, so blödsinnig sie auch sind. Doch das tun sie nicht. Ja, die Soldaterei, die tut das, weil sie eben Soldaten sind. Die Obrigen deines so ehrenhaften Ordens jedoch, Bruder, treiben ein doppeltes Spiel. Also was ist nun? Bekommen wir die Reliquien oder muss ich wieder mit Folterungen und Demütigungen rechnen? Sag es mir, Albrecht!“

„Beruhige dich, Cortez. Alles, was ich damit sagen wollte, ist, dass ich nichts von euch weiß und dass du im Vorteil bist, da du unsere Geheimnisse und Regeln kennst!“

Eduardo rieb sich ungläubig die Augen und schüttelte lachend den Kopf.

„Ach, darum geht es? Vorteil? Wer mehr von den anderen weiß? Ich werde dir eines versprechen, und das beim Augenlicht meiner Familienangehörigen. Sobald wir Jacques, Gilles und die Reliquien haben, werde ich dir alles, aber auch alles erzählen. Sei aber auf etwas gefasst, das du nicht für möglich gehalten hättest. Bab Pha Med hast du schon kennengelernt. Andere Wesen, die über ihm stehen, aber nicht. Mehr erzähle ich dir nicht! Und außerdem: Wenn dein Großmeister wüsste – und dabei meine ich nicht den verstorbenen Hugues, sondern den Jetzigen, Robert de Craon, − dass du Katharer in deinem Haufen als Angehörige hast, dann wärst du genauso dran wie ich, denn ich bin nicht die Sorte Christ, der sich einen Papst wünscht und somit einen infiltrierten Spion in euren Reihen. Comprende?“

„Eduardo, mir muss etwas einfallen, wie ich dieses Problem lösen kann. Ich möchte, dass ich vergessen werde. Ich möchte, dass jeder glaubt, ich sei tot. Ich möchte ein komplett neues Leben anfangen und ebenfalls zurück. Eines Tages auch zu meiner Familie und meinen Sohn in den Arm nehmen können. Ich kann hier nicht weg. Jetzt noch nicht. Versteh es bitte. Ich verstehe sehr wohl, was du mir da sagst. Und ja, sollte je herauskommen, was du für einer bist, dann Gnade Gott uns allen. Der Einzige, der weiß, was du bist, ist Gondamer, und der wird schweigen!“

„Was? Wie soll ich das verstehen? Wie lange sollen wir hierbleiben? Bis du vergessen wirst? Was ist das? Eine Desertion? Wir sollen also hier mit dir verrotten? Wann hast du dir diesen Plan ausgedacht?“

„Nein. Mein Plan ist, dass ihr, du, Ascanio, Ralf de Saddeleye, Richard und Rutherford, den Weg eines Tages nach Hause findet. Bringt das Gold dorthin. Bringt ein Schreiben an Gondamer de Lille, worin ich alles aufzeichnen werde. Berichtet von meinem unglückseligen Tod, doch nicht von diesem Ort. Gondamer weiß über das mit den fernen Ländern Bescheid, doch nicht von diesem Ort. Sagt ihm, wir seien tot. Ich behalte die anderen Männer hier, und sobald ihr euch von dort wieder lösen könnt, nehmt euch die neugebauten Karavellen und holt uns hier ab. Ich muss aus dem Orden heraus und ein neues Leben anfangen. Nach Viermünden zurück, wo mich keiner dieser Irren kennt. Ihr könnt euch von mir aus das ganze Gerümpel an Reliquien sonst wohin stecken. Ich habe genug von dem ganzen Mist. Ich trage so viel Last und so viel Blut auf meinen Schultern, dass ich dieses Leben so nicht mehr leben will. Dein Geheimnis, mein Geheimnis, was für ein Schwachsinn. Je weniger ich weiß, desto besser. Alle, die zu viel wussten, wurden am Ende getötet oder versuchten, andere zu töten, damit sie die Einzigen mit einem Geheimnis blieben.

Ich habe genug gesehen, erlebt und gesündigt. Sobald es Frühling wird, nimm diese Hure von Magdalena und begib dich nach La Rochelle. Doch wenn du noch ein Funken Anstand im Leibe trägst, Eduardo, so schwör mir bei allem, was euch heilig ist: Holt uns ab. Holt uns hier wieder ab. Und dann tragen wir das ganze Gold von mir aus nach Schottland oder dorthin, wohin sich kein normaler Mensch traut, und mich wird es nicht mehr geben. Gib mir dein Wort, Bruder!“

Eduardo war entsetzt. Das Blut gefror ihm in den Adern, als er dieses mein Vermächtnis hören musste. Doch er verstand nur zu gut, welche Gefühle mich belasteten und welche Freiheitsschreie ich seit Jahren in mir trug und dass ich mich lösen wollte von diesen elendigen Ketten. Ich war ein Sklave des Ordens. Ein hochrangiger wohlgemerkt, und nur weil ich einen Schutzengel hatte, lebte ich noch. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wurde mir klar, wer dieser Schutzenge war. Bab Pha Med. Dieser helle Schein. Dieser wahrscheinlich gefallene Engel, der Lucifer selbst war oder vielleicht auch nicht. Anders konnte ich mir mein Glück nicht erklären, denn Gott würde einen Mörder wie mich ausspucken wie einen ausgesogenen Kirschkern.

Die Augen öffneten sich und auch der Verstand ließ meiner Vorstellungskraft freien Lauf. Dies wäre die einzige Möglichkeit, endlich diese schweren, schweren Ketten loszuwerden, die mich so erdrückten!

„Ich, Eduardo Cortez, schwöre bei der heiligen Mutter Maria, dass ich dich wieder von dieser Stelle abholen werde, und wenn nicht dich, dann deine Gebeine. So wahr mir die heilige Mutter helfe!“

Wir drückten uns die Hand und ich sah, welche Traurigkeit Eduardo befiel. Er hoffte tatsächlich so sehr, in mir einen Menschen zu finden, der diese so heilige Wahrheit, das Geheimnis oder wie man auch immer es nennen will, teilt und beschützt. Er sah in mir einen Würdigen trotz des schlimmen Leides, das ich ihm angetan hatte. Doch ich war das alles nicht. Tief, ganz tief in mir spürte ich die Seele eines gebrochenen Mannes, der sich nach Liebe und Wärme sehnte.

Die Seefahrt gab mir vieles, und ein Wunschtraum erfüllte sich mehr, als ich je erhoffen durfte. Doch ich wollte wieder nach Hause. Ich wollte mich ans Grab meiner Nadine setzen und mit ihr reden. Sie um Vergebung bitten und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe und wie sehr ich sie vermisste. Unseren Sohn wollte ich wachsen sehen und aus ihm einen starken Mann machen. Ihm zeigen, wie man fischt und jagt, so, wie es mein Vater tat. Und sollten er, Mutter, Rudolf und Frauke noch leben, wollte ich ihnen sagen, wie endlos leid es mir tat, ihnen so viel Kummer bereitet zu haben.

Der Mantel, der Rang und die Stellung bedeuteten mir nichts mehr. Ich schämte mich für vieles, was ich tat, und nun musste ich einen Schlussstrich ziehen.

„Du wirst doch hoffentlich bis zum Frühling warten können, Eduardo!“

„Natürlich. Vorher wäre es glatter Selbstmord! Ich werde mit keinem darüber ein Wort wechseln. Erst, wenn du es mir erlaubst!“

„Ich wäre dir dankbar dafür, Bruder!“

Und so vergingen Tage und Wochen und dann ein Monat, und ich fragte mich langsam, ob Gernot überhaupt noch zurückkommen würde oder ob er mit den anderen zwei irgendwo erfroren am Boden lag. Ich wusste, was ich versprochen hatte, doch ich traute meinen Augen nicht, als ich an diesem 12. März drei Gestalten erkannte, die sich der Basis näherten und uns zuwinkten. Es war Gernot mit den zwei Brüdern. Freudestrahlend ließ ich die Tore öffnen, und wie Helden feierten wir die Zurückgekehrten. Lang waren ihre Bärte und abgemagert und ausgehungert stürzten sie sich auf ihre Pritschen, bevor sie ein Wort zu uns sagten. Ich dankte dem Himmel für dieses wundervolle Geschenk und Tränen der Freude liefen mir die Backen hinunter.

„Lasst sie schlafen. Egal wie lange. Wir danken dem Herrn für ihre Wiederkehr.“ Wer konnte wissen, was sie zu berichten hatten.

Die Arbeiten gingen normal weiter an diesem 13. März des Jahres 1138 und das Wetter wurde mit jedem Tag etwas besser. Nicht, dass der Schnee schmolz, jedoch schien die Sonne und wir hörten die ersten Vögel zwitschern. Das Leben hatte sich wieder eingeläutet.

Ich half gerade den Zimmerleuten beim Festnageln einiger Holzlatten für die Bedachung einer neuen Scheune. Tiere hatten wir nicht, jedoch machte einer der Männer den Vorschlag, Truthähne und Enten, ja gar Gänse lebendig zu fangen und in der Basis zu züchten. Der Wald lieferte auch viele Sorten Beeren, und so wollten wir einen Kräuter- und Beerengarten errichten, sobald der Frühling einsetzte.

„Ich wäre so weit, mein Admiral!“, ertönte es plötzlich hinter mir. Geisterhaft und mager stand Gernot in ein Büffelfell gewickelt da und sah mich erwartungsvoll an.

„Gernot, mein Bruder. Bist du auch stark genug?“

„Ich denke, nachdem wir das hinter uns gebracht haben, worüber ich gleich erzählen werde, kann ich mit Sicherheit diese Frage bejahen!“

„Nun gut … Ihr macht dann ohne mich weiter“, rief ich den Zimmerleuten zu.

Ascanio, Eduardo, Ralf, Richard und auch Rauk ließ ich zusammenrufen, damit sie bei dem Bericht dabei waren. Richard wurde als Schriftführer eingeteilt, und das, was ich euch hier erzähle, stammt aus dem Protokoll dieses Tages. Wir saßen um einen Tisch in meinem Quartier, das einer Hütte in den italienischen Bergen glich, und ich bat Gernot, mit seinem Bericht anzufangen.

„Es war wohl der 10. Februar, als wir die Basis verließen, die Sergeanten Alexander Raubart, Gaston de Lambert und ich. Nach geschätzten drei Glasen erreichten wir das Dorf der Chinook, doch es war verlassen. Kalte Asche in den Feuerstellen wies darauf hin, dass sie seit geraumer Zeit ihr Revier aufgegeben hatten. In der Mitte des Platzes fanden wir mehrere Symbole, die an ein Ritual erinnerten, wie es Hexen in unserem Lande des Öfteren verwenden: Krähen mit aufgeschlitzten Hälsen über einem Holzbehälter. Das Blut darin war trocken, doch ich schätze, sie hatten von diesem Blut getrunken. Dreizehn kleine Schalen lagen am Boden herum, Schalen, wie wir sie benutzten, wenn wir bei ihnen zu Gast waren. Ebenso hingen dreizehn Krähen dort an einer Stange. Mitten in diesem Platz des Ritus steckte ein Speer im Boden!“

„Souahkotai!“, rief Rauk plötzlich, als er dies hörte.

„Was sagt er?“, fragte ich erschrocken.

„Entweihte Erde. Es bedeutet entweihte Erde. Jedoch bedeutete es auch, dass wir hier nicht willkommen waren. Die Chinook hatten ihren Ort verlassen, um eine neue Heimat zu suchen, und nur wenn wir selbst von Mutter Erde bestraft würden für das, was wir taten, würde der Fluch von diesem Ort wieder genommen!“

Ralf kam mit der Übersetzung von Rauks Worten kaum nach, doch ich wollte wissen, woher er das wusste.

„Die Inuvik benutzen dasselbe Ritual. Anukai hatte schon einmal einen Ort verlassen, als Erik und seine Männer eines seiner Dörfer dem Erdboden gleichmachten. Die Rituale waren die gleichen, denn auch sie halten Mutter Erde und das Universum für ihren Gott.“

„Verstehe!“, rief ich verwirrt. „Mach weiter, Gernot!“

„Die Spuren im harten Schnee waren noch zu sehen, und wir folgten ihnen. Schneestürme nahmen uns die Sicht und jeder Schritt wurde erschwert, da wir tief in dieser weißen Masse einsanken. Wölfe verfolgten uns und mehrmals mussten wir rasten. Nach einem achttägigen Marsch fanden wir sie. Wir versteckten uns hinter den Büschen, um zu sehen, was sie trieben. Es befand sich anscheinend noch ein Stamm dort, denn es waren viel zu viele. Tänze wurden aufgeführt und Gesänge füllten den Himmel. Doch es waren keine Freudentänze. Mehrmals hörte ich den Namen Admiral, sodass ich wusste, dass man von uns sprach, und mehrmals wurden die Speere in die Höhe geschwungen.

Es glich einer Kampfansage. Wie es schien, verbündeten sie sich mit einem anderen Stamm, dessen Namen wir nicht kennen. Zu diesem Zeitpunkt fand ich es besser, nicht dahin zulaufen, um Kimey den Ring zu auszuhändigen und ihm mitzuteilen, dass wir weiterhin den Frieden wollten. Wir sahen genau das Gegenteil in den Augen der Chinook. Nach drei Tagen verließen sie gemeinsam diesen Ort und gingen in westlicher Richtung immer diesen Fluss entlang. Dann erreichten sie ein Dorf, wo sie fanatisch begrüßt wurden. Sie leben jetzt dort. Was sie vorhaben, kann ich mir nicht ausmalen, jedoch werden sie nichts vor dem Spätfrühling unternehmen. Das kann ich mir nicht vorstellen. Wir blieben dort zwei Tage, versteckt wie Eremiten, und lebten von den elendigen Salzheringen, Pilzen und Beeren. Wenn wir es schafften, bekamen wir auch einen Hasen oder ein Eichhörnchen zu fassen. Feuer machen konnten wir nicht, also aßen wir die Biester roh.

Nach zwei Tagen liefen wir weiter, um die Gegend zu erkunden. Wir fanden ein Paradies. Ein Tal mit Wild und Büffeln. Dort hatte der Frühling schon Einzug gehalten, denn mancher Baum fing zu blühen an. Die Seen dort sind voller Fisch, und am Fluss springen die Lachse dem Strom entgegen. Doch hier …!“

Gernot überreichte mir ein Tuch, das an den Spitzen zusammengeknotet war. Ich öffnete es und fand mehrere Steine zusammengeklumpt. Gold war darunter und auch Silber, doch ich traute meinen Augen, nicht als ich Saphire und einen Stein entdeckte, den ich nicht kannte.

„Apati!“, rief Rauk wieder. Mir ging die ständige Übersetzung auf die Nerven und ich schrie Ralf de Saddeleye wütend an.

„Kannst du diesem Fischlutscher endlich sagen, er soll unsere Sprache lernen. Dieses Getuschel und Genuschel geht mir langsam auf die Nerven! Was ist Apati?“

„Apati ist ein Stein, den die Eingeborenen als Schmuck verwenden!“, flüsterte Ralf de Saddeleye nun unsicher. Ich drehte mich Gernot zu.

„Nun gut, Gernot. Sprich weiter.“

„Dieses Land ist so fruchtbar, dass man nur einen Zweig in den Boden zu rammen bräuchte und er würde keimen. Ich weiß es, denn ich stamme aus einer Bauernfamilie. Kleinadel wohlgemerkt. Dann habe ich anderes entdeckt. Es gibt verlassene Höhlen, ja, ich sage verlassen, denn den Spuren nach zu urteilen wurde darin gegraben. Zinn habe ich gefunden. Unser Alexander hier ist Schmied und kennt sich mit Metallen aus. Dann hier ... Kupfer …!“ Gernot wühlte aufgeregt in einem Sack, holte mehr Mineralien heraus, als mir lieb war, und stellte sie auf den Tisch.

„Dieses Land ist eine Schatztruhe. Eine unerschöpfliche Schatztruhe. Die Bäume ragen hoch auf in den Himmel und die von Stürmen entwurzelten sind von nie da gewesener Qualität. Das Holz davon meine ich. Es gibt hier alles. Die Natur hier ist eine Kathedrale Gottes. Ein Schlaraffenland. Der Garten Eden. Jedoch gibt es einen Haken. Die Stämme unter sich sind sich nicht immer einig, und nicht jeder Stamm wünscht sich den Frieden wie die Inuvik oder die Chinooks. Wir haben zwei Dörfer gefunden mit zig Skeletten. Männer, Frauen und Kinder, die grausamst getötet wurden.

Dies bewies eindeutig, wie die Opfer getötet wurden: aufgespaltene Schädel und getrennte Glieder, soweit das Auge reicht. Was ich damit sagen will: Erik war ein Engel verglichen mit der Brut, die solche Bluttat begangen hat. Wo die sich befinden und wer sie sind, konnten wir nicht herausfinden. Was wir aber auf dem Rückweg feststellten, ist erschreckender als das, was wir einst in Jerusalem anstellten. Die Chinook und die anderen zwei Stämme wurden ausgelöscht. Dieselbe Tötungsart wurde dort festgestellt, nur dass die Leichen noch frisch waren. Nicht einmal die Wölfe waren an uns interessiert, als wir im letzten Dorf, wo sie sich versammelt hatten, prüften, ob es dort Überlebende gab. Kimey hatte man die Haut abgezogen und nur sein Gesicht war verschont worden. Wir rannten, so schnell wir konnten, zur Basis zurück und nun sind wir hier. Ich kann euch nur eines sagen, Admiral: Es müssen Hunderte von diesen Teufeln sein. Hunderte, sag ich …!“

Gernot war aufgewühlt und außer Atem, als er diese letzten Worte aussprach. Entsetzt starrten wir uns gegenseitig an und ich erkannte die Notwendigkeit, meinen Plan zu ändern. Wann wären wir dran und wer waren diese Männer, die solch ein Massaker in diesem Paradies anrichteten? „Ascanio. Wann könnten wir hier auslaufen?“, fragte ich verärgert und enttäuscht.

„Die Magdalena wäre so weit! Wir haben sie ständig instandgesetzt!“

„Vergessen wir den Kräutergarten und die Hühnerzucht! Wir segeln nach Süden, sobald wir wieder auf dem offenen Meer sind …!“

„Aber Admiral ....!“, bemerkte Eduardo Cortez entsetzt.

„Ja, ich weiß, was ihr mir sagen wollt. Wir lassen die Basis stehen und kommen eines Tages mit mehr Männern wieder. Was wir laden können, nehmen wir mit, der Rest bleibt in der Gruft. Wir suchen Federico Pinzon, und erst wenn wir ihn finden, Cortez, dürft ihr auf eine Heimreise hoffen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

Eduardo Cortez verbeugte sich beschämt, doch er war mit der Wahl einverstanden.

„Hier können wir mit 21 Mann nichts anrichten, doch wir kommen mit 210 zurück. Und wenn nicht ich, dann mein Nachfolger. Wir brauchen diesen Ort und meine Freiheit kann warten, Cortez!“

„Sei meiner Wertschätzung versichert, mein Admiral. Wie gerne hätte ich dich bei deinem Plan unterstützt. Doch ich verstehe, dass die Umstände ein Umdenken erfordern. Ich bin ganz der deine und stehe zu deinen Diensten!“

„Fangt an. In spätestens zwei Tagen laufen wir aus!“

Albrechts Chroniken IV

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