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BASIS NEU-ASHKELON

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Der Winter kam und dank Kimeys Hinweis hatten wir unsere Vorräte an Fleisch, Fellen, Holz und Fisch in der Basis gelagert und somit vorgesorgt. Täglich patrouillierten wir in Schichten die Gegend ab und blieben manchmal tagelang der Basis fern, da neue Wasserquellen oder neue Steppen gefunden wurden, wo im Herbst Bisons weideten. Dadurch hatten wir neue Jagdgebiete für die Zukunft erschlossen. Doch wo Bisons weideten, befanden sich auch Tiere, die nicht so willkommen waren: Wölfe. Sie verfolgten die Herde durch den tiefen Schnee in der Hoffnung, dass sich ein Kalb verirren würde oder ein krankes, geschwächtes Tier der Wanderung nur langsam folgen konnte. Die Natur hat es so geregelt. Jeder wird versorgt und keiner hat zu hungern.

Wir hatten bei diesen Patrouillen immer Chinooks dabei, da dies ihre Heimat war und sie uns über das Notwendigste beraten und belehren konnten. Wir lernten sehr viel: neue Techniken des Fallenstellens, Tierrufe, um Signale und Botschaften zu vermitteln, Spuren und Fährtenlesen, das Erkennen heilender Kräuter aus dem, was der Wald uns bot, Waffen und Unterkünften bauen und vieles mehr.

Für uns Templer war dies eine wertvolle Bereicherung an Überlebenskenntnissen, die uns in der alten Welt noch fehlten. Wir hatten ähnliche, doch nicht solch ausgereiften Techniken. Hier lebte man mit dem, was Mutter Erde einem gab, und man lernte, diese Welt mehr zu schätzen.

In der Basis wurden während dessen Aufgaben wie das Waschen des Goldes, Studium der Unterlagen und der Dokumente, Schmiede- und Schreinerarbeiten sowie auch Steinbearbeitung durchgeführt. Der Medizinmann des Stammes zeigte weiterhin unserem Medicus Renaldo die Anwendung und Verwertung der Heilkräuter. Und was machte unser Chaplain Rutherford? Obwohl er die Sprache der Chinook nicht kannte, erzählte er den neugierigen Kindern die Geschichte eines Mannes aus Nazareth namens Jesus. Die Kinder hörten stundenlang zu, obwohl sie kein Wort verstanden. Es waren mehr Chaplains weißer Bart und seine weiche Stimme, die diese Menschen magisch anzogen. Auch Frauen des Stammes setzten sich hin, um ihm zuzuhören. Hier und dort kicherte mal einer, jedoch hörte man diesem Rutherford liebe- und respektvoll zu. Auch schnitzte er den Kindern schöne Holztiere in fast perfekter Art, und als er einem Jungen ein geschnitztes Pferd gab, fragte dieser auf Chinook, was das für ein Tier sei. Pferde gab es nicht in diesem Land, und das gab mir zu denken. Hätte man Pferde, wäre die ganze Forscherei weniger anstrengend. Also mussten eines Tages Pferde her.

Wir verstanden uns prächtig mit den Chinook, doch wir mussten auf der Hut sein, nicht der Bequemlichkeit zu verfallen. Übungen mussten täglich zu den Morgen- und Nachtstunden getätigt werden, um keinen zu großem Vorrat an Fett anzusetzen. Die Chinook sahen uns immer dabei zu und lachten über die so albern aussehenden Verrenkungen und Verdrehungen. Sie waren von Natur aus geschmeidig und gelenkig. Ihre Wendigkeit hätte sogar einen Haschaschin in Staunen versetzt. Als wir dann mit den Holzschwertern übten, waren sie ganz still. Sie sahen es nicht als Kampfesübung an, sondern als einen Tanz.

Unser Tanz − und siehe da, wir wurden am 29. Dezember 1137 zu einem Fest im Dorf der Chinook eingeladen. Von Weitem hörten wir die Trommeln schlagen und ihr typisches Geschrei erschallen, sodass sich sogar die Tiere im Wald nicht blicken ließen. Ein Riesenfeuer loderte in der Mitte des Platzes, zig Chinooks tanzten um dieses Feuer, und jeder hatte einen Holzstock zur Hand.

Nach jeder dritten oder vierten Drehung schlugen sie die Stöcke gegeneinander. Wir mussten schmunzeln, denn es war uns klar, dass sie unsere Schwertübung nachmachten, nur eben in einen Tanz umgewandelt. Kimey bewog uns dazu, uns hinzusetzen und zuzuschauen.

Ihm gefiel sichtlich dieser neue Tanz und er nannte ihn den Morgentanz, da wir genau nach Sonnenaufgang unsere Übungen machten und die Schwertkampfübung ausführten. Ich war gerührt und amüsiert von so viel Kreativität dieser Menschen. Ich hoffte, diese Schwerter nur zum Tanz verwenden zu müssen und niemals wieder zum Blutvergießen. Zumindest nicht hier. Doch wir waren Soldaten, und dies wurde uns grausam an diesem Abend vergegenwärtigt, als François schweißgebadet aus der Basis eintraf und mir etwas ins rechte Ohr flüsterte. Die anderen bemerkten es nicht sofort, doch mich versetzte das unerwartet in Entsetzen.

„Männer, sofort zurück zur Basis. Ascanio, du wirst sofort die Magdalena seeklar machen!“

Erstaunte Blicke trafen mich, doch keiner wagte zu widersprechen und wir verabschiedeten uns von unserem Gastgeber, ihn darauf hinweisend, dass wir die Abendübungen noch nicht durchgeführt hatten. Kimey kaufte es ab, da wir wie sie unsere Riten hatten, die man nicht vernachlässigen durfte. Wir umarmten uns kurz, und für sie ging die Feier weiter.

„Was, um Himmels willen, ist geschehen?“, bedrängten mich Cortez und Ascanio.

„Man hat Eriks Segel gesichtet. Es sind zwei Segler, und hier auf diesem Boden will ich kein Blut vergießen. Wir müssen sie auf See erledigen!“

„Erledigen?“, fragte Cortez entsetzt.

„Ja. Wir müssen ihn ein für alle Mal töten. Auch für das, was er den Mönchen in Schottland angetan hat.“

„Wenn er nicht bis dahin schon Fuß aufs Land gesetzt hat!“, bemerkte Ascanio pessimistisch.

„Gott stehe uns bei, dass er das nicht getan hat. Wir würden unser Gesicht vor den Chinook verlieren, wenn sie eine Schlachterei miterleben müssten! Der Morgentanz wird zum Totentanz verwandelt!“

Wir hatten die Basis schnell erreicht, und noch nie waren die Wachen so dankbar, uns endlich zu sehen.

„Sprich, Gernot!“

„Sie sind keine zwei Meilen von hier an Land! Geschätzte sechzig bis siebzig Mann!“

„Verdammt!“, fluchte ich wütend. „Habt Ihr einen Spähtrupp dorthin geschickt?“

„Natürlich, mein Admiral. Wir müssen sie im Wald überraschen. Oder hier abwarten, bis sie ankommen, und sie dann aus dem Hinterhalt angreifen.“

„Dazu darf es nicht kommen. Wir müssen sie im Wald vernichten. Die Leichen dann auf den Kahn und in der See versenken. Es dürfen keine Spuren hinterlassen werden, habe ich mich klar genug ausgedrückt?“

„Natürlich, mein Admiral!“

„Also los, zu den Waffen. Dies ist eine freie Jagd. Keine Gefangenen außer ihrem Führer, und wenn es geht, so leise wie möglich!“

Wir begaben uns in den Wald und nahmen Bogen und Armbrust mit. Wie die Wölfe verteilten wir uns innerhalb des Forstes und rannten dem Feind entgegen. Wir hörten sie auch schon, obwohl sie sich wie Füchse anschlichen. Dann hörte ich die ersten Armbrustbolzen zischen und zwei oder drei Körper dumpf zu Boden fallen. Dann die ersten Schwerter, die aufeinanderprallten, und wieder dieser dumpfe Todesfall eines zum Teufel geschickten Kriegers, der hoffentlich einer von ihnen war.

Und plötzlich sah ich ihn, diesen rothaarigen Riesen. Als er mich erblickte, ließ er einen Schrei los, der durch Mark und Knochen ging, und rannte auf mich zu. Beide hatten wir die Schwerter gezogen und wir prallten mit voller Wucht aufeinander. Stahl auf Stahl, bis die Funken sprangen. Fliegende Bolzen und Pfeile, vermischt mit dem Eisen, das Funken sprühte, der Tod war hier allgegenwärtig. Die Nordmänner dachten, sie hätten leichtes Spiel, da sie an der Überzahl waren. Doch unsere Waffen machten dieses Verhältnis wett und die ersten flüchteten in den Wald und rannten um ihr Leben.

„Lasst sie nicht entkommen. In Gottes Namen, lasst sie nicht entkommen!“, schrie ich, während ich mit Erik kämpfte und seinen stinkenden Heringsatem spüren musste jedes Mal, wenn er das Maul aufmachte und schrie. Gernot, François und andere rannten in den Wald und jagten den fliehenden Nordmännern hinterer. Genauso Rauk, Sven, Thiere, Enar und Lars. Sie jagten sie wie Schakale durch den dichten, dunklen Busch und man konnte die Rennenden atmen hören. Sie rannten einen sinnlosen Lauf, denn der Befehl war klar: keine Gefangenen außer ihrem Anführer. Rauk war der Erste, der einen niederstreckte, und er rannte weiter, sobald er sein Schwert aus den Rippen des Getöteten gezogen hatte.

Der ganze Wald war wie von Geistern besessen. Hyänenhaft näherte sich François einem armen Teufel und rammte ihm im Lauf seinen Dolch in den Hals. Dieser fiel gurgelnd zu Boden, doch die Jagd war nicht zu Ende. Sträucher und Busch hielten Jäger und Gejagte nicht auf, und Blut tränkte diesen friedvollen Boden und verdarb ihn bis zu den tiefsten Wurzeln, die sich einst nur vom Wasser nährten. Satan hatte sich hier nun eingenistet und den Frieden dieses Landes entweiht. Mutter Erde weinte in dieser Nacht, denn ein Gewitter zog auf und es regnete so stark, dass man vor Nässe nichts mehr sehen konnte.

Doch das Morden ging weiter. Dann aber fiel plötzlich einer von uns und wurde niedergestreckt. Sven war im vollen Lauf in ein Schwert hineingerannt, das er nicht kommen sah. Weit waren seine Augen aufgerissen, als der den brennenden Schmerz spürte. Dabei spielte es keine Rolle, dass Enar seinen Mörder daraufhin niederstreckte. Sven würde nun nach Walhalla reisen und mit Thor aus dem goldenen Horn trinken.

„Sven, Sven …!“, rief Enar. Doch Sven war tot, und so ließ er den Körper des jungen Sven zu Boden gleiten und rannte weiter, bis der Letzte dieser Tunichtgute getötet war. Der Regen nahm zu und Blitze schlugen ein, als ob Gott uns seinen Zorn vermitteln wollte. Doch was hätte ich tun sollen? Diese Barbaren hätten ebenso die Chinook auf dem Gewissen, hätten wir nicht eingegriffen. Und wer meinte, wir würden nicht von ihnen, den Chinooks, beobachtet, der sollte sich einen naiven Narren nennen. Die Todesschreie und das Rennen der Fliehenden hatten jeden geweckt und jeder hatte es gesehen. Doch nicht jeder floh, denn es wurde auch gekämpft. Inzwischen erreichte der Kampf die Basis, und das Verhältnis schlug um. Bis in die Morgenstunden ging der Kampf, doch es war keine Übung mehr. Kein Morgentanz. Es war, wie befürchtet, ein Todestanz.

Übrig blieben Erik und zwei seiner Anhänger. Die anderen wurden getötet. Kein Flehen und kein Wimmern halfen, denn auch sie hatten kein Erbarmen gezeigt, als sie unschuldige, unbewaffnete Mönche massakrierten damals im Norden Britanniens.

Die Leichen der Feinde wurden wie befohlen auf die Magdalena geladen. Unsere Toten wurden in der Basis aufgebahrt, bis wir Zeit genug hatten, sie zu begraben, nachdem wir diese Schweine bearbeitet hatten.

„Wie viele Tote auf unserer Seite, Gernot?“

„Zwölf, mein Admiral!“

„Allmächtiger …!“ Da war ich wieder. Eine Leere umgab mich wie jedes Mal, wenn ich Männer, meine Männer, in den Tod geführt hatte. Ich versank in tiefer Trauer und meine Gedanken schwirrten richtungs- und bedeutungslos in den Raum.

„Stelle eine Liste auf, Gernot. Lass dir von François helfen und dann bring sie mir!“

„François, mein Admiral, kann mir nicht mehr helfen. Er ist unter den Gefallenen!“

„Ich verstehe!“, nickte ich entsetzt. Wir hatten fast die Hälfte der Männer verloren. Was sollte ich noch hier. Mit 23 Mann waren wir zu wenige, um uns zu halten. Doch ich musste mich fassen. Jetzt würde zunächst Gericht gehalten.

„Bringt mir die Anführer und Rauk sowie die anderen!“

„Zu Befehl, mein Admiral!“

Als auf dem Hof der Basis alle versammelt waren, schaute ich mich um. Ich war dem Allmächtigen dankbar, dass Cortez, Ascanio, Ralf de Saddeleye und auch Richard Cornwall blutverschmiert in der Menge standen. Ich bemerkte, dass Sven und auch Thiere fehlten. Ein großer Verlust für uns und die freundlichen Nordmänner aus Island, die hier als Templer gefallen waren.

„Ich halte Gericht über diese drei Gefangene, deren Namen ich nicht einmal in den Mund nehmen werde!“

Rauk übersetzte es in die Landessprache der Feinde.

„Dabei werden sie nicht für die heutige Tat verurteilt, nein, denn dies war eine Schlacht gegen verfeindete Krieger. Wäre der Grund für unsere Feindschaft nicht so gravierend, so würde ich Gnade vor Recht ergehen und sie wieder ziehen lassen. Jedoch ist diese Feindschaft schon vor Jahren entstanden, als in Schottland ein Kloster überfallen und dessen Mönche auf grausamste Weise gehäutet und geblendet wurden, man ihnen ihre Lungen aus dem Rücken herausholte und wie Engelsflügel zur Schau stellte und sie einem sehr langsamen Tod überließ. Menschen, die sich nicht wehren konnten und nur einem dienten: Jesus Christus. Einen Mönch jedoch habt ihr übersehen. Er berichtete uns von euren Taten und beschrieb mir sehr wohl die Gestalt des Führers dieser mordenden Bande. Ich habe damals geschworen, euch so lange zu jagen, bis ich euch finden und ich mich für die toten Mönche rächen konnte, obwohl ich mir sicher sein durfte, dass sie euch in ihrer unendlichen Liebe vergeben hatten. Nun, ihr habt uns den Weg erspart und seid stattdessen zu uns gekommen. So hört mein Urteil. Ihr werdet an Bord der Magdalena an den Masten gehängt so lange, bis euer letzter Atemzug aus euren Körpern entfleucht ist und eure verrotteten Seelen dem Teufel übergeben sind zusammen mit den anderen eurer mordenden Brut, die wir im Wald getötet haben. Sie werden euch in die Hölle folgen. Dieses Urteil ist endgültig und wird sofort ausgeführt. Rauk, übersetze es bitte!“

Rauk verbeugte sich und übersetzte meinen Wortlaut. Als er fertig war, schrie dieser Erik lachend und sprach ebenso in der isländischen Sprache. Dabei bemerkte ich, wie Rauks Gesicht sich färbte und wie Tränen seine Backen hinunterliefen. Jedes Wort, das dieser Dämon hinausspuckte, war auch für Enar und Lars wie ein Dolchstoß ins Herz. Ralf de Saddeleye übersetzte die Worte, und ich ballte meine Faust. Erik hatte in diesem Sommer Rauks Dorf niedergebrannt und jeden getötet, der dort wohnte, Frauen, Kinder, Alte. Besonders Olaf Raukson war es nicht besser ergangen wie den Mönchen in Schottland. Er war ebenso rituell mit ausgerissenen Lungen hingerichtet worden. Meine Wut und mein Entsetzen nahmen kein Ende. Nach diesen Worten ergriff ich wieder das Wort und änderte das Urteil.

„So sei es. Ich überlasse die Hinrichtung den isländischen Brüdern Rauk, Enar und Lars, die alle ihre Liebsten in der Heimat durch die Hände dieser gottlosen Bastarde verloren haben. Der Tod durch den Strang ist zu milde bemessen und somit sollen sie selbst das Leid der Getöteten spüren!“

Rauk, Enar und Lars sahen mich dankbar und mit geröteten Augen an.

„Ascanio, bringt die Bastarde an Bord, segelt zehn Meilen hinaus und verfüttert diesen Abfall nach der Hinrichtung an die Haie!“

„Kommt Ihr etwa nicht mit, mein Admiral?“

„Natürlich komme ich mit. Sagt mir, wenn ihr so weit seid. Richard, zu mir!“

„Mein Admiral!“

„Du und Rutherford bereitet alles für eine Feuerbestattung unserer gefallenen Brüder vor. Gebt ihnen die letzte Ölung und lasst einen Stein mit ihren Namen meißeln, auf dass sie unvergessen bleiben. Dieser wird nach der Bestattung in der Mitte der Basis aufgestellt. Habt Ihr verstanden?“

„Zu Befehl, mein Admiral!“

„Wir wären so weit, mein Admiral!“, rief Ascanio leise und traurig, als er mir die Nachricht brachte, dass die Magdalena so weit sei. Ihm als wahrem Christen und aus einer tiefgläubigen italienischen Familie stammend würde das, was nun folgte, für immer im Gedächtnis bleiben.

„Lichtet den Anker und setzt die Rahsegel!“, rief Ascanio.

Gernot stand neben Ralf und neben Cortez zu meiner Rechten. Die Magdalena nahm sanft Fahrt auf und wir glitten in den inzwischen angebrochenen Tag des 30. Dezember 1137 hinaus aufs Meer, um eine Tat zu begehen, die Gott uns niemals verzeihen würde. Ich wusste nicht, für welche Hinrichtungsart sich die isländischen Sergeanten entschieden hatten, doch ich war überzeugt, es würde kein schöner Tod für die Verurteilten werden. Doch welcher Tod war schon schön. Als wir dann die zehn Meilen erreichten, erschien Ralf bei mir mit der Übersetzung der Isländer. Sie lautete:

„Erik wird durch dieselbe Art hingerichtet, wie sein Vater hingerichtet wurde. Durch das Entreißen der Lungen über den Rücken. Die anderen zwei werden kielgeholt und langsam wieder hochgezogen, jedoch erst, wenn Eriks Blut ins Meerwasser fließt, um Haie anzulocken.

Welcher Einfallsreichtum. Diese Burschen waren keinen Hauch besser als die Barbaren aus dem Vynland. Ich zuckte nur leicht mit den Schultern und sagte: „Von mir aus!“

„Lasst fallen Anker!“, und schon fiel die Trosse über Bord und der Kahn blieb wie angenagelt stehen.

Erik wurde zur Mitte des Decks geholt und sein Hemd wurde zerrissen. Sein Haar wurde geschoren und ins Meer geworfen. Die Hände wurden nach vorne um einen Block gebunden und man zwang ihn in die Knie. Sein Kopf wurde mit einem Lederriemen nach unten gezogen. Enar und Lars überreichen Rauk zwei große Messer und ich hörte ein leises Wimmern aus Eriks Mund. Die anderen beiden fielen auf die Knie vor Angst und einer pisste sich voll. Ascanios Unterlippen zitterten vor Traurigkeit.

„Oh Dio perdonali. Perdona anche a noi!“, gab er von sich.

Rauk hielt beide Messer in die Höhe und schrie etwas auf Isländisch, was so viel hieß wie: „Dies ist für unser Volk. Dies ist für unsere Mütter, unsere Brüder, unsere Schwestern, unsere Frauen, unsere Kinder und unsere Väter!“

Dann rammte er beide Messer in den Rücken des Verurteilten, brach von hinten Eriks Brustkorb auf, warf die blutigen Messer aufs Deck und brachte beide Lungenflügel sozusagen durch die Hintertür zum Vorschein. Ralf de Saddeleye übergab sich sofort, andere ließen sich dabei etwas Zeit. Ich blieb zu meinem Erstaunen eiskalt, denn ich sah Bruce vor mir, den Kartäusermönch, der auf eben diese Art und Weise gestorben war und nie jemandem etwas zuleide getan hatte. Nein, ich fühlte Gerechtigkeit. So blieb ich stehen, und eisige Kälte durchdrang meine Augen und Ohren, als ich beobachten musste, wie dieser Massenmörder da schrie und ausblutete.

Dann wurde sein noch lebendiger Körper über Bord geworfen. Es dauerte nicht lange, bis sich Haie durch Eriks Blut angezogen fühlten. Als sie sich um das Boot herum daran labten, wurde der Erste der beiden über Bord geworfen und Kiel geholt. Ich konnte mir ungefähr ausmalen, was sich nun unter der Magdalena abspielte. Etwas später wurde ein halber menschlicher Rumpf an Deck gehievt. Entsetzt schrie der Zweite, der nun über Bord geworfen wurde, doch seine Schreie dauerten nicht lang.

Am Ende wurde ein leeres Seil hochgezogen. Auch er war in den Bäuchen der Haie verschwunden. Der übrig gebliebene Rumpf wurde über Bord geworfen, genauso, wie die anderen sechsundfünfzig feindlichen Gefallenen, die im Wald den Tod gefunden hatten.

„Wischt das Blut vom Deck! Wirds bald?“, schrie Ascanio und sein Befehl duldete keine Widerworte.

Als das Deck sauber gewischt war, sanken wir auf die Knie, beteten zu Gott und baten um Vergebung, wohlwissend, dass er uns niemals vergeben würde dafür, dass wir nichts Besseres waren als die, die wir verurteilt und ins Meer geworfen hatten. Die Scheinheiligkeit, uns hier von all den Sünden reinwaschen zu wollen nach dieser wohlgemerkt außergewöhnlichen und nicht alltäglichen Hinrichtung, würde unserer Arroganz und Ignoranz noch teuer zu stehen kommen. Ascanio war so außer sich, dass er nicht in der Lage war, irgendein Kommando zu rufen. Erst als er sich gesammelt und die Tränen weggewischt hatte, war er fast wieder der Alte. Cortez sagte nichts. In einer Welt, wo die Sünde wohnte und wir die Sünde ins Paradies gebracht und dessen Boden mit Blut entweiht hatten, hatte er nichts anderes erwartet. Vernunft ist ein Begriff von Menschen erdacht. Vergebung ist etwas, das nur ein Gott fähig war auszuführen, und wir waren keine Götter.

Die Magdalena ankerte wieder in der Bucht, und wir bemerkten nicht, dass die Sonne langsam unterging. Richard und Rutherford hatten den Gedenkstein fertig meißeln lassen und die toten Körper unserer gefallenen Brüder wurden auf Holzgestellen aufgebahrt. Gerne hätten wir sie begraben, doch Wölfe hätten sie wieder ausgegraben und sich an unseren Brüdern gelabt. Auch wollte ich sichergehen, dass sich keine Keime oder Seuchen über das Lager verbreiten würden.

„Wir nehmen nun Abschied von unseren treuen und tapferen Brüdern, die hier und heute für das Wohl dieses Landes und eben unserer Basis gefallen sind. So sagen wir ein letztes Mal adieu den Brüdern Sven Johansson, Thiere Thorson, François Vermont, Raul de Vasquez, Robert Lacroix, Carlo di Ponza, Martin zu Marsberg, Henrique Cerron, Guillaume van Duiven, Rudolf Stein, Fabio Rotua und Conrado Efantil. Ihre Namen wurden auf diesem Stein verewigt. Damit unsere Spur niemals in der Zukunft von anderen unwürdigen Nacheiferern gefunden wird, sind diese Namen verschlüsselt und in unserem Geheimalphabet geschrieben. Nie dürfen die Menschen, die wir einst verließen, erfahren, wo wir uns befanden und wo unsere Brüder gefallen sind. Bruder Rutherford, sprecht das Gebet, bevor wir die Toten dem Feuer übergeben.“

Chaplain Rutherford wie auch Richard Cornwall falteten ihre Hände, während wir auf die Knie fielen. Erst jetzt fühlte ich Trauer in mir aufsteigen. Meine Männer wurden zu meinen Söhnen, und hier und heute hatte ich zwölf Kinder verloren.

„Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme …!“

Leidenschaftlich hielt Rutherford die Messe ab, und wir beteten mit. Ich war dem Wahnsinn nah. Wir waren nur noch dreiundzwanzig Mann, und an eine Rückkehr war nicht zu denken. Wie sehr hatte ich diesen Moment gefürchtet, und nun war er eingetreten. Das Gebet ging zu Ende und man reichte mir die Fackel, um die Schreine anzuzünden.

Die Nacht wurde zum Tag, und wie sehr erschrak ich, als ich die aufrechten Silhouetten der Chinook im Hintergrund entdeckte. Ein sehr besorgter Kimey schaute mir traurig und enttäuscht in die Augen, und ich wusste, dass nichts mehr so sein würde, wie es vorher war.

Albrechts Chroniken IV

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