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2.3.3. Die Unethik von Handelsabkommen

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Unternehmen können nicht alleine global tätig werden. Sie brauchen die Staaten, um für sie sichere rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Unternehmen brauchen Rechtssicherheit und Stabilität, die Unverletzlichkeit ihres Eigentums, möglichst liberale Produktions- und Arbeitsbedingen, günstige steuerliche Bedingungen, den Zugang zu den Märkten und die Möglichkeit, Kapital und Gewinne zu transferieren. Unter der Bedingung, dass diese vorher die rechtlichen, für die Unternehmen so wichtigen Voraussetzungen schaffen, versprechen die Unternehmen den Staaten zusätzliche Arbeitsplätze, neue Investitionen, höhere Staatseinnahmen und eine bessere Handelsbilanz für ihre Volkswirtschaften.

Anlässlich jedes neuen Wirtschaftsvertrages und Freihandelsabkommens werden diese Vorteile angekündigt, die nachher jedoch in der Regel niemand eindeutig zuordnen oder überprüfen kann. Vor allem weiß man nie, ob das Unternehmen das alles nicht auch ohne staatliches Entgegenkommen getan hätte. Die gewünschte rechtliche Anpassung findet statt, um dafür die Chance auf einen ungewissen, volkswirtschaftlichen Vorteil zu wahren.

Motivation zur rechtlichen Globalisierung sind u. a. auch die durch die jeweiligen, nationalen Vorschriften verursachten Kosten. Diese resultieren aus dem Schutz der Ressourcen, dem Schutz der Menschen und deren Arbeitskraft, der Entsorgung von Emissionen jeder Art etc. Jeder gesetzliche Schutz unseres Lebensraumes ist für die Wirtschaft nur hinsichtlich seiner Kosten relevant. Zusätzliche Kosten sind für die Wirtschaft hinderlich. Die Verlagerung von Produktionsstätten, die Gründung von Tochterunternehmen, die Intensivierung von Handelsbeziehungen findet daher nicht zum Vorteil der involvierten Staaten oder deren Konsumenten statt, sondern ausschließlich zum Vorteil der agierenden Unternehmen. Würde ein Unternehmen nicht die Chance auf zusätzlichen Gewinn sehen, würde es den Handel nicht treiben, die Produktionsstätte nicht errichten, die Investition in diesem Staat nicht durchführen. Mag daher auch ein Staat über neue Produktionsstätten und neue Arbeitsplätze erfreut sein, so ist dies für die Wirtschaft lediglich ein Verhandlungsargument für günstige Bedingungen, aber nicht ihr Ziel.

Davon abgesehen ist der Vorteil einer Betriebsansiedelung in einem Staat gleichbedeutend mit dem Verlust einer Betriebsansiedelung in einem anderen Staat. Die Staaten stehen im Standortwettbewerb untereinander. Dieser wird von der Wirtschaft ausgenützt, um die Bedingungen der Betriebsansiedelung so günstig wie möglich zu gestalten. Anstelle sich gegen diese Lizitation zum Nachteil der Staaten zu wehren, und von den demokratisch zu Stande gekommenen Gesetzen nicht abzuweichen, wird die Fairness und Demokratie dem vermeintlichen (wirtschaftlichen) Vorteil geopfert.

Das Staatsverständnis westlicher Staaten ist, ihren Verfassungen folgend, demokratisch ausgerichtet. Das Wohl und der Wille der Bürger sind damit ausschlaggebend. Das widerspricht jedoch oft den Interessen der Wirtschaft. Daher haben sich der Demokratie widersprechende Fremdkörper wie z. B. sogenannte Vermögenschutzklauseln (via Freihandelsabkommen) in die nationalen Rechtsordnungen eingeschlichen. Nach diesen Vermögenschutzklauseln (oder Investoren-Schutzklauseln) muss der Staat einen ausländischen Investor entschädigen, wenn politische Entscheidungen des Landes den möglichen Gewinn des Investors schmälern. Ein Beispiel dafür ist der Art. XX des GATT43 Abkommens. Danach darf ein Vertragsstaat lediglich Maßnahmen im Bereich der Sittlichkeit, des Schutzes von Leben und Gesundheit, der Häftlingsarbeit, des Denkmalschutzes, zur Beseitigung von Versorgungsmängel und dergleichen treffen – in allen anderen Bereichen läge bereits eine Verletzung des Investitionsschutzes vor.44 Gleichartige Klauseln sind auch in den jüngsten, zum Teil noch gar nicht ratifizierten Handelsabkommen der EU, TITIP, CETA und nun auch in JEFTA vorgesehen. Auf Basis einer derartigen Klausel verklagt nun z. B. der schwedische Energiekonzern Vattenfall den deutschen Staat auf 4,7 Milliarden €, weil der Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie angeblich unfair war.45

Unverständlicherweise haben sich weder die Bürger noch die inländische Wirtschaft gegen derartige Investitionsschutzklauseln gewehrt. Der inländischen Wirtschaft steht ein derartiges Recht nicht zu, was nicht nur gleichheitswidrig ist, sondern für sie auch einen Wettbewerbsnachteil bedeutet.

Solche Klauseln sind nur verständlich, wenn ein Schutzbedürfnis vor staatlicher Willkür und Ungleichbehandlung vorliegt. Handelt es sich aber um einen demokratisch organisierten Staat, so ist einzig der zu respektierende Wille des Volkes ausschlaggebend. Eigenartigerweise gibt es sogar zwischen einzelnen EU-Staaten derartige Vereinbarungen.46

Ähnlich problematisch sind außergerichtliche Schiedsverfahren (ISDS; Investor state dispute settlement), die in derartigen Verträgen meist vorgesehen sind. Es werden gerichtsartige Gremien gebildet, ohne dass z. B. die Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit der Richter durch eine demokratische, staatliche Rechtsordnung garantiert sind. Eine kleine Gruppe von westlichen Top-Anwälten ist vorzugsweise als Schiedsrichter in derartigen Schiedsverfahren vertreten. Die Top-15-Anwälte der Welt sind in 63 Prozent der Verfahren involviert.47 Auch dieses Instrument kann sinnvoll sein, wenn berechtigte Zweifel an der Rechtsprechung der Gerichte eines Staates gegeben sind. Diese Zweifel sind aber in der Regel in Demokratien unangebracht. Außerdem können internationale Gerichtshöfe eingesetzt werden, die den gleichen Erfordernissen nach Unabhängigkeit und Überparteilichkeit entsprechen, die in demokratischen Ländern selbstverständlich sind.

Es gehört zum demokratischen Selbstverständnis, sich der demokratischen Willensbildung eines Staates auch dann unterzuordnen, wenn diese nicht den eigenen Vorstellungen entspricht. Mit derartigen Vertragsklauseln muss sich das ausländische Unternehmen (im Gegensatz zu den inländischen Bürgern und Unternehmen) allerdings nicht unterordnen und kann unter bestimmten Voraussetzungen sogar einen eventuell entgangenen Gewinn einklagen!

Finanziert aus den Steuern und Abgaben ihrer Bürger laufen diese Staaten Gefahr, wenn sie in einem solchen Schiedsverfahren unterliegen, Unternehmen ihre Gewinne bezahlen zu müssen – das wäre dann der Preis für verfassungsgemäß, demokratisch zustande gekommene Gesetze. Der Staat müsste sich derart das Recht, demokratisch zu handeln, bei einem Unternehmen erkaufen. Damit wird nicht nur der Gleichheitsgrundsatz verletzt, sondern die Demokratie stellt damit ihre eigenen Grundfesten von Gleichheit und Gerechtigkeit in Frage. Nicht mehr das Volk ist der Souverän, sondern die Wirtschaft.

Ebenso zu hinterfragen ist es, was ein Freihandelsabkommen zur Folge hat, wenn ein Staat über schlechtere Produktionsbedingungen verfügt als ein anderer Staat? Das Freihandelsabkommen ermöglicht derart einen Wettbewerb unter unfairen Bedingungen. Der Verlust des Wirtschaftszweiges in dem einen Staat ist zwingend, wenn der Wirtschaftszweig oder das Unternehmen des anderen Staates in diesem Bereich überlegen ist. Ein gutes Beispiel dafür ist die Landwirtschaft, wo das Konzept einer industriellen Landwirtschaft (so zweifelhaft diese ohnedies ist) z. B. an geografische Voraussetzungen gebunden ist, die in einem anderen Staat nicht gegeben sind.

Die Verfechter des Freihandels gehen nun davon aus, dass der freie Handel zusätzliche Vorteile sowohl für die Wirtschaft als auch für die Konsumenten mit sich bringt. Für den Nationalökonomen Ricardo48 war der Freihandel für alle vorteilhaft, wenn jedes Land nur jene Produkte erzeugt, die es kostengünstiger herstellen kann. Ricardo übersah dabei, dass Kostenvorteile nicht gleichmäßig und auch nicht stabil über die Länder verteilt sind.

Kostenvorteile hängen von geografischen, kulturellen und entwicklungsbedingten Faktoren ab. Rohstoffe, niedrige Umwelt- und Sozialstandards, feudale Staatsstrukturen etc. stellen Kostenvorteile dar. Der Freihandel führt daher zur Verschiebung der Produktion zu jenen Orten, an dem höhere Gewinne und billigere Arbeitsplätze in Folge der dort vorliegenden günstigen Kosten anfallen. Steigen die Kosten, sind die günstigen Ressourcen verbraucht, gibt es für das Land keine alternativen Gewinnmöglichkeiten oder keine alternativen Arbeitsplätze, und es tritt Verarmung ein.

Freihandel bedeutet aber auch, dass hoch spezialisiertes Know How in Form von Patenten und Techniken, qualifizierten Mitarbeitern, Soft- und Hardware und dergleichen, gepaart mit vergleichsweise immensen Kapital von Großunternehmen gegen Kleinunternehmen in schlecht bis gar nicht entwickelten Volkswirtschaften antreten. Die absolute Ungleichheit der Marktteilnehmer und die daraus resultierende Chancenungleichheit im Wettbewerb, hat Ricardo vollständig aus seinen Überlegungen ausgeblendet. Das Resultat besteht in einer Dominanz jener Unternehmen die aus den hochentwickelten reichen Ländern in die jungen unentwickelten Volkswirtschaften eindringen und deren Unternehmen jede Chance auf eine eigene Entwicklung nehmen.

Die reichen Unternehmen und damit auch die reichen Volkswirtschaften erwirtschaften zusätzliche Gewinne zu Lasten der ohnehin bereits armen Staaten. Es handelt sich dabei um reinen Kolonialismus, der nun nicht von Staaten, sondern von Unternehmen betrieben wird. Unter den (zwangsläufig) ungleichen Bedingungen zwischen Staaten wird die ungleichmäßige Verteilung von Standortvorteilen zur Gewinnmaximierung der Wirtschaft missbraucht. Freihandel stärkt daher den ungleichen Wettbewerb und schwächt Volkswirtschaften mit Standortnachteilen.

Überraschenderweise ist eine ähnliche, den Freihandel in Frage stellende Diskussion in den letzten Jahren in der EU entstanden: Einige Staaten brachten vor, dass ihre Handelsbilanzdefizite und deren Folgen unter anderem durch die laufend wachsenden Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands verursacht seien.49 Deutschland möge seinen Standortvorteil also weniger nutzen (und höhere Löhne bezahlen), so dass sich die Wirtschaft anderer Staaten besser erholen könne. Innerhalb der EU bekommt diese Verschiebung des Vorteils von einem Land in ein anderes Land die zusätzliche Dimension eines einheitlichen Wirtschaftsraumes mit einer einheitlichen Währung. Der einheitliche Wirtschaftsraum mit einer einheitlichen Bonität des Euro ist innerhalb der EU nur dann gegeben, wenn der Vorteil des einen den Nachteil des Anderen kompensiert. Dies setzt aber voraus, dass man jene Staatsverschuldung, die aus Handels- bzw. Leistungsbilanzdefiziten innerhalb der EU resultiert, zusammenlegt.

Es ist der Demokratie, aber auch der eigenen Wirtschaft abträglich, Produkte infolge von Freihandelsabkommen ins Land zu lassen, die zwar den gesetzlichen Vorschriften des Exporteurs, aber nicht des Importeurs entsprechen. Das mag hinsichtlich der Qualität des Endproduktes und seiner Inhaltsstoffe noch einfach lösbar sein. Wenn aber das Produkt unter Bedingungen hergestellt wurde (dazu gehören z. B. auch die arbeitsrechtlichen Bedingungen), die im Importland nicht zulässig wären, dann werden die strengeren, gesetzlichen Bedingungen im Importland durch den Import dieser Waren umgangen. Worin besteht dann noch der Sinn einer innerstaatlichen Regelung, wenn sie jederzeit durch Verlagerung der gesetzlich verbotenen Aktion in ein anderes Land umgangen werden kann und das Resultat der Umgehung wieder in das Inland gelangt, wo es mit Produkten, die unter Wahrung der innerstaatlichen Regeln gefertigt wurde, in Konkurrenz tritt?

Wieder wird ungleicher Wettbewerb geschaffen und die demokratische Willensbildung wird durch die Wirtschaft ausgehebelt und bestraft: So führt z. B. die sachlich gerechtfertigte Umweltauflage für die Stahlindustrie dazu, dass die Produktion in Länder, in denen diese Auflagen nicht existieren, verlagert wird. In Folge der Verlagerung der Produktion wird das Produkt in der Folge importiert und der inländische Arbeiter hat vermutlich seinen Job verloren. Die produzierenden Unternehmen werden (wenn nicht andere Restriktionen bestehen) die Produktion immer in jene Länder verlagern, in denen die Produktionskosten geringer, die Auflagen schwächer, sind.

Unter derartigen Bedingungen sind die Staaten versucht (um die Arbeitsplätze und das Einkommen ihrer Bürger zu schützen) notwendige, gesetzliche Auflagen zu unterlassen und nur jene rechtlichen Maßnahmen zu setzen, welche die wirtschaftlichen Vorteile für Unternehmen erhöhen. Eine derartige Politik stellt die Selbstaufgabe des autonomen Staates dar.

Wie kann die demokratische Willensbildung in einem Staat funktionieren, wenn weder der Bürger noch die Politiker verhindern können, dass ihre eigene in Gesetze gegossene Willensbildung zwar sachlich richtig, aber für den Bürger wirtschaftlich schädlich bzw. nachteilig ist? Der latente Widerspruch zwischen sachgerechten Lösungen und dem wirtschaftlichen Vorteil stellt das Herzstück des derzeitigen demokratischen Organversagens dar.

Den Wählern ist ihr Wohlstand näher als die Demokratie, die ihnen ohnedies selbstverständlich erscheint. Anderseits besteht der Eindruck, keine Alternative zu besitzen: Lieber als Produktionsfaktor ausgebeutet, als sozial abgehängt und arbeitslos. Das Bewusstsein, sich dagegen mit den Mitteln der Demokratie wehren zu können, das Bestreben, den Wert kultureller Errungenschaften wie der Menschenrechte und der Demokratie zu erhalten und das Streben nach ethischer Entwicklung, schwinden. Der auf das wirtschaftliche Berufsleben ausgerichtete Bildungsbegriff fördert diesen kulturellen Niedergang zusätzlich.

Wenn die nationale Politik bisher lernen musste, die Macht mit der Wirtschaft zu teilen, so bedeuten die mit der Globalisierung verbundenen Probleme eine schlussendlich gänzliche Entmachtung.

Die gesetzliche und politische Macht eines Staates kann einen multinationalen Konzern immer nur teilweise erfassen. Eine supranationale Legislative und Executive ist nur ansatzweise existent. Wirtschaftliche und damit auch politische Macht ist somit nicht mehr fest mit einem Standort verbunden, sondern fließt den wirtschaftlichen Interessen und Entwicklungen folgend.

Der Konkurrenzkampf zwischen Wirtschaft und der politischen Autonomie der Staaten um die Einflussnahme auf das gesellschaftliche Geschehen, wird nicht einmal ansatzweise geführt. Freihandel ist grundsätzlich zu begrüßen. Protektionismus im Sinne von Zollgrenzen zum Schutz der eigenen Wirtschaft ist nichts anderes als eine Form des Wirtschaftskrieges und daher abzulehnen.

Aber Freihandel kann für ein Land nur dann ein Vorteil sein, wenn deren Bürger ihre volle, demokratische Selbstbestimmung erhalten können. Der möglichst freie Handel muss den Vorrang der demokratischen Willensbildung eines Staates anerkennen und sich dieser, genauso wie jeder Bürger dieses Staates, unterwerfen.

Ungleicher Wettbewerb ist ausschließlich ein Vorteil für jene Unternehmen, welche die Ungleichheit für sich nutzen können. Freihandel ist eine Entscheidung von Staaten, daher müssen primär die Staaten davon profitieren. Fair ist es, den Vorteil daraus unter den Staaten unter möglichsten fairen Bedingungen, also unter fairem Wettbewerb, aufzuteilen. Ungleicher Wettbewerb ist abzulehnen, da er zur unfairen Verteilung der Vorteile zwischen den Staaten führt.

Knapp Wertvoll Sparsam

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