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1. Der freie Markt funktioniert nicht 1.1. Die Illusion des Adam Smith
ОглавлениеMedizin hat die Aufgabe, dort zu helfen, wo es medizinisch notwendig ist. Ebenso hat die Wirtschaft die Aufgabe, dort für die ausreichende Versorgung mit Wirtschaftsgütern wirksam zu werden, wo diese gerade gebraucht werden.
Wirtschaft ist ein Versorgungssystem und der Erfolg der Wirtschaft besteht darin, Überschüsse sinnvoll zu verwenden sowie Mängel zu verhindern bzw. abzubauen. Mangel und Knappheit sind also mit Überflüssen möglichst auszugleichen und dieser Ausgleich ist fair zu gestalten.
Dafür ist zuerst ein Überfluss erforderlich, denn ohne diesen kann überhaupt kein Ausgleich stattfinden.
Allerdings ist nicht jeder Überfluss ausreichend oder dafür geeignet, Knappheit auszugleichen. Überfluss bedarf somit der vorhergehenden Gestaltung (Anpassung), um Knappheit gerecht werden zu können. Dieses Zusammenspiel zwischen Knappheit und Überfluss ist nicht nur auf der Seite der menschlichen Arbeitskraft, sondern ebenso auf der Seite jener Ressourcen und Kapazitäten gegeben, die zur Lieferung und Herstellung benötigter Wirtschaftsgüter erforderlich sind. Wirtschaft hat somit sowohl auf der Nachfrageseite (des Käufers) als auch auf der Seite des Angebotes bzw. des Beschaffungsmarktes mit Knappheit und Überfluss zu kämpfen.
Das Gesetz von Angebot und Nachfrage besagt nun, wenn sich das Angebot des Beschaffungsmarktes hinsichtlich Qualität, Menge und Preis mit der Nachfrage der Käufer trifft – wenn also der Käufer genau jene Ware zu jener Qualität, Menge und Preis kauft, wie sie ihm am Markt angeboten wird – dann ist das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gegeben.
Dieses Gleichgewicht resultiert nach Adam Smith aus dem Wettbewerb der eigennützig-rationalen Einzelinteressen der Wettbewerber.
»Die maximale Wirtschaftlichkeit (der vollkommene Markt) zeichnet sich dadurch aus, dass die Zufriedenheit aller Marktteilnehmer erreicht wurde und keine Änderungen in der Herstellung als auch im Vertrieb des Wirtschaftsgutes daher notwendig sind. Die maximale Wirtschaftlichkeit erfordert, dass alle Unternehmen perfekte Konkurrenten sind und keine wettbewerbsverzerrenden Faktoren wie z. B. Umweltverschmutzung oder Informationsvorteile vorliegen. Die maximale Wirtschaftlichkeit ist gegeben, wenn (a) die Zufriedenheit des Konsumenten deshalb vorliegt, weil sein Grenznutzen4 seinem Kaufpreis entspricht und (b), wenn die konkurrierenden Unternehmen die Wirtschaftsgüter in jener Menge anbieten, bei der der Verkaufspreis ihren Grenzkosten5 entspricht. Allerdings kann der Wettbewerb, auch wenn maximale Wirtschaftlichkeit vorliegt, zu Ergebnissen führen, die sozial nicht erwünscht sind6.«
Dieses Zitat aus dem weit verbreiteten Wirtschaftslehrbuch von Paul Samuelson beschreibt das Ideal der maximalen Wirtschaftlichkeit als ein Gleichgewicht der auf dem Markt wirksamen Kräfte. Die Selbstorganisation des Marktes besteht darin, dieses Gleichgewicht zu ermöglichen.
So selbstverständlich diese noch heute als gültig angesehene These auch scheinen mag, sie geht von komplett unrealistischen Annahmen aus.
Was hat die Knappheit, die es zu überwinden gilt, mit jenen auf den Märkten wirksamen Kräften zu tun? Wie soll jener, der unter der empfindlichsten Knappheit leidet, seine (doch oftmals schwachen) Kräfte am Markt überhaupt zur Geltung bringen? Es liegt im Wesen wirtschaftlicher Schwäche, dass daraus Knappheit und Mangel resultieren. Flüchtlinge werden z. B. erst am Markt wirksam, wenn sie in entsprechend hoher Anzahl bei uns in Westeuropa landen. Ihr Bedarf, ihre Knappheit hat schon lange zuvor ohne für uns erkennbare Auswirkungen bestanden, ohne dass der Markt etwas gegen ihren Mangel getan hätte. Erst wenn sie unseren ethischen Vorstellungen entsprechend versorgt werden, wird deren Knappheit an Lebensmittel, Bekleidung, medizinischer Versorgung, Wohnraum etc. wirksam. In ihren Heimatländern existieren, wenn überhaupt, kaum Märkte, weil weder das Angebot noch die notwendigen Geldmittel zur Befriedigung der Nachfrage vorhanden sind.
Es geht aber nicht nur um die mangelnde Marktkraft infolge wirtschaftlicher Schwäche, sondern z. B. ebenso um sinnvolle Interessen, die gar nicht oder nur unzureichend wahrgenommen werden.
Ein Wissenschaftler, der z. B. darauf hinweist, dass wir unsere Nachkommen gefährden, wenn wir weiterhin die Umwelt mit Kunststoffen belasten, wird am Markt so lange nicht gehört, bis erhebliche Schäden eingetreten sind. Als Wissenschaftler hat er weder einen Zugang zum Markt, noch eine Möglichkeit, auf den Markt einzuwirken. Seine Stimme wird nicht infolge seiner Kompetenz oder des Gewichtes seiner Botschaft gehört, sondern zumeist nur wegen der zu berichtenden, bereits eingetretenen Schäden.
Wirtschaftlich Unterprivilegierte, an Konsum uninteressierte Menschen, Menschen ohne aktuellen eigenen Bedarf, unzureichend wirtschaftlich Informierte, Vertreter der Kunst, Philosophie und Wissenschaft sind am Markt bestenfalls als Autoren von handelbaren Büchern, nicht aber als aktive Teilnehmer anzutreffen.
Anderseits bestehen Überflüsse, die dem Markt nicht zur Verfügung stehen, weil jene, die darüber verfügen könnten, deren Wert entweder gar nicht erkennen oder an keinem materiellen Vorteil interessiert sind. Immer wieder beobachte ich zum Beispiel in Griechenland die herabfallenden und verderbenden Feigen und Kaktusfrüchte, die in Mitteuropa vermutlich ihre Käufer finden würden, wenn sie am internationalen Markt im Ausmaß ihres vorliegenden Überflusses angeboten werden würden. Mancher Überfluss erreicht den Markt nicht, weil die Kosten, um ihn handelbar zu machen, zu hoch sind. Umgekehrt wird mancher drohende Preisverfall dadurch verhindert, dass Teile des Überflusses, z. B. bei einer guten Kaffeeernte, vernichtet werden.
Mit zunehmender Knappheit, aber auch mit wachsendem Überschuss fällt der freie Markt als Ort des sinnvollen Ausgleichs gänzlich aus: Je größer die Armut, desto größer die Knappheit, umso geringer die Fähigkeit am Markt teilzunehmen bzw. einen Marktpreis zu bezahlen. Umgekehrt führt ein höherer Überfluss nicht zu einer noch besseren Versorgung, sondern zu einem Preisverfall. Dadurch erscheint es aus der Sicht des Produzenten sinnvoller, den Preisverfall durch teilweise Vernichtung des Überschusses zu verhindern, um mit weniger Ware, aber höheren Preisen den gleichen oder höheren Gewinn zu erzielen.
Welches Gleichgewicht kann sich unter derartigen Umständen überhaupt bilden?
Knappheit und Überfluss können am Markt nie vollständig wahrgenommen werden, die sogenannten verzerrenden Faktoren sind allgegenwärtig, die Konkurrenten sind zwangsläufig niemals perfekt (im Sinne eines gleichen Potenzials) und die zunehmende Intensität von Knappheit und/oder Überfluss führt nicht zu einem Gleichgewicht, sondern zu einem Totalversagen des Systems.
Das Gleichgewicht, das Adam Smith vorschwebte, ist eine kaufmännische Fiktion. Weder gibt es den von ihm unterstellten vollkommenen Markt, auf dem alle Marktteilnehmer über die gleiche Marktmacht verfügen, noch gibt es die vollständige Information, die allen Marktteilnehmern zur Verfügung steht. Keineswegs verfügen alle Beteiligten über die Möglichkeit, den Markt zu beeinflussen.
Der Umgang mit Knappheit und Überfluss kann von einem derartigen Markt nicht reguliert werden: Er repräsentiert weder die Interessen der Gesellschaft insgesamt, noch ist er in der Lage, die tatsächlich vorhandenen Knappheiten und Überflüsse zu erfassen. Der Markt als Ort des Zusammentreffens aller Angebote und Nachfragen sowie aller gesellschaftlichen Interessen scheint ohne gesellschaftliche Eingriffe nicht möglich (so viel Freiheit wie möglich – so viel Eingriffe wie notwendig).
Der von Adam Smith beschriebene Markt ist dagegen in der Wirklichkeit ein Treffpunkt ausgewählter Wirtschaftstreibender, die über höchst ungleiche Chancen verfügen. Deren Konkurrenz gleicht einem Wettkampf unter Athleten, die keineswegs von Gleichgewicht und Zufriedenheit, sondern nur von Sieg und Niederlage geprägt ist.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Berufsgruppe der Kaufleute wie Heilsbringer ihre so nett klingende Fassade eines freien Marktes allen anderen Menschen als alleingültige Sichtweise übergezogen hat. Hinter dieser Fassade geht es jedoch in Wirklichkeit nicht darum, Marktkräfte frei wirksam werden zu lassen, sondern darum, die Marktkräfte so zu beeinflussen, dass auf den Märkten jenes Preis-Leistungsgefüge eintritt, welches für das eigene Unternehmen vorteilhaft ist. Nicht das freie Spiel der Marktkräfte, sondern die Manipulation der Marktkräfte zum Zweck des eigenen Vorteiles ist das Ziel. Informationen, die Preis- und Produktpolitik werden strategisch so gestaltet, dass angestrebte, vorteilhafte Marktsituationen möglichst wahrscheinlich eintreten.
Es wird alles versucht, um keine perfekte Konkurrenz und um möglichst viele verzerrende Faktoren entstehen zu lassen, um aus einem möglichst großen Ungleichgewicht eigene Vorteile ziehen zu können. Täglich können wir miterleben, wie Unternehmen im wirtschaftlichen Wettkampf miteinander umgehen. Kaufmännische Konkurrenten besiegen entweder einander (was zum Untergang des Unterlegenen führt) oder, wenn sie tatsächlich über ähnlich große Potenziale verfügen, dann trachten sie danach, ihre Vorteile so zu maximieren in dem sie sich nicht gegenseitig bekämpfen, sondern sich gegenseitig zu Lasten der Gesellschaft unterstützen.
Ähnlich wie bei den heutigen Neoliberalen7 meinte man auch in der Aufklärung, dass das freie Spiel der Marktkräfte zur allgemeinen Zufriedenheit führen würde.
Die von der Aufklärung8 geschätzte freie Wirtschaft stellt einen vom Wunschdenken geprägten Trugschluss dar. Nicht die Gesellschaft wird durch eine freie Wirtschaft frei, sondern lediglich einige Akteure, vor allem in der Wirtschaft, können frei, scheinbar ungehindert von den Interessen der Mehrheitsgesellschaft, agieren.
Dieses Verhalten ähnelt mehr einem Glücksspiel oder einem unsportlich geführten Wettbewerb als einem vernünftigen Wirtschaften.