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ОглавлениеSami Saab war eine lebende Legende der Finanzwelt. Er wurde in ärmlichen Verhältnissen im Libanon geboren, seine Familie war nach Amerika ausgewandert, als er zwei Jahre alt war. Dort angekommen, reihten sie sich in das Heer der Glücksuchenden ein. Und so wuchs er in der Bronx auf, erlebte Armut und Gewalt aus nächster Nähe. Mit 17 Jahren hatte er auf Pump und unter dem Namen eines Strohmannes eine New Yorker Taxilizenz erstanden, mit 23 besaß Sami bereits 34 New Yorker Taxis. Ein Jahr später verkaufte er sein Taxi-Unternehmen und steckte das Geld in eine marode Fabrik für Sanitärapparaturen in New Jersey. Innerhalb von wenigen Monaten zerlegte er das Unternehmen, er verkaufte die Fabrikationshalle, die Patente, die Immobilien, die Fabrikationslinie und die Vertriebsabteilung an unterschiedliche Bieter – und verfünffachte dabei seinen Einsatz.
An den Business Schools wurde später darüber gestritten, wer Firmenübernahmen und Private Equity erfunden hatte, Sami Saab oder Henry Kravis. Aber egal, wem man die Ehre zuteil werden lässt, Sami hatte mit 24 seine ersten Firmenübernahmen durchgeführt, lange bevor das Spiel richtig in Mode kam.
Für ihn war es eine Goldgrube und der Beginn seiner legendären Erfolgsgeschichte. In New Jersey gingen allerdings 180 der 200 Arbeitsplätze verloren, die Gewerkschaft veranstaltete eine Kampagne, Sami wurde zu ihrer Zielscheibe, und er wurde offen beschimpft. Er hatte keine Angst, aber die Angriffe verletzten ihn tief.
Sami wusste, was Armut bedeutet, und das Schicksal der Arbeiter war ihm nicht gleichgültig. Aber Business ist nun mal Business, und der Markt verzeiht keine Fehler, auch wenn sie in guter Absicht gemacht wurden. Er war davon überzeugt, dass er völlig zu Unrecht den Angriffen ausgesetzt war. Die Fabrik war kurz vor der Insolvenz gewesen, als er sie übernahm. Bei einer Pleite wären alle Arbeitsplätze verloren gewesen. Jetzt blieben immerhin 20 Arbeitsplätze am Standort übrig und dann noch zwei bis drei Dutzend in anderen Teilen des Landes. Die Situation war, zumindest für einen Teil der Arbeitnehmer, besser als im Falle einer Insolvenz. Es war eben nicht möglich gewesen, alle Arbeitsplätze zu retten. Das lag nicht an ihm, sondern am Markt. Nur ein Dummkopf konnte versuchen, gegen die Kräfte des Marktes zu spielen. Zumindest sah Sami das so. Aber seine Versuche, sein Verhalten zu begründen, machten alles nur noch schlimmer. Man legte es ihm als Schwäche aus, und die Aktionen und Proteste nahmen sogar noch zu.
Für Sami war das eine Lektion, die ihn verändern sollte. Man hat nie wieder erlebt, dass er sich zu einer seiner Transaktionen öffentlich äußerte. Zukünftig ignorierte er schlicht und einfach, was die Leute über ihn dachten oder über ihn schrieben. Es gab nicht viel, was er dagegen tun konnte, und er empfand es als eine Verschwendung seiner Energie, in Dinge zu investieren, die er nicht beeinflussen konnte. Und er machte sich zukünftig auch keine Gedanken mehr über Arbeitsplätze oder die sozialen Auswirkungen seiner Geschäfte. Er schob es schlicht und einfach auf den Markt und wies jede Verantwortung von sich. Ein Harvard-Professor, der eine Biografie über ihn schrieb, meinte 20 Jahre später, dass Sami damals in New Jersey die Härte und Kälte erwarb, die notwendig waren, um in seinem Business Erfolg zu haben.
In den folgenden Jahren stieg Sami zu einem der meistbewunderten und meistgehassten Männer der Wallstreet auf. Sein Unternehmen Saab Equity kaufte Unternehmen, sanierte oder zerlegte sie. Manchmal hielt er auch einfach nur die Anteile eine Weile, um sie, wenn die Zeit gekommen war, mit großem Gewinn wieder zu verkaufen. Mit 42 Jahren war er Milliardär, und die Legendenbildung des gnadenlosen Firmenjägers begann. Als die Übernahmeschlachten in den USA gerade ihren Höhepunkt erreichten, verließ er plötzlich das Spielfeld und verlegte sein Betätigungsfeld nach Europa. In den USA waren viele auf den Zug aufgesprungen, es gab zu viel Konkurrenz und zu wenig gute Gelegenheiten. Europa war dagegen ein weitgehend unbeackertes Feld. Sami war sich sicher, dass das Geld hier auf der Straße lag und nur aufgehoben werden musste.
Journalisten hatten ihn immer wieder gefragt, was das Geheimnis seines Erfolges sei. Sami Saab verweigerte ihnen, wie immer, jede Antwort. Dabei wäre die Frage für ihn einfach zu beantworten gewesen. Er wusste, dass sein Gefühl für Entwicklungen am Markt die Grundlage seiner Erfolge war. Er fühlte und sah Tendenzen, bevor andere sie sahen, er hatte im Laufe der Zeit ein immer besseres Gefühl für die Zukunft der Märkte entwickelt. Es war ganz einfach, er machte diese Fähigkeit zu Geld, indem er in Unternehmen und Branchen investierte, von denen er der Meinung war, dass sich hier in Zukunft einiges tun würde. Er erkannte die Chancen, bevor andere sie sahen. Und wenn sich die Erfolge einstellten, ging er aus diesen Märkten wieder raus. Und dabei verdiente er sein Geld, sehr viel Geld.
Er hatte ein geschätztes Vermögen von drei Milliarden Dollar, zumindest war das die Zahl, die offiziell bekannt war. Tatsächlich waren es über vier Milliarden. Sami hatte in den letzten Monaten noch einmal 500 Millionen draufgelegt, weil er die Entwicklung der Ölpreise vorhergesehen und auf die steigenden Ölpreise spekuliert hatte. Als die Preise schließlich in bisher ungeahnte Höhen stiegen, machte er Kasse. Wieder einmal. Und er war verblüfft von seinem Erfolg. Warum hatten die anderen die rasante Entwicklung in China nicht gesehen? Natürlich mussten die Rohstoffpreise nach oben gehen. Und warum hatte keiner gesehen, dass George W. Bush seinem Vater nacheiferte? Sami hatte, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, drei der weltbesten Psychoanalytiker beauftragt, George Bush junior zu bewerten. Und danach war ihm klar gewesen, dass George W. in den Irak musste, um zu beenden, was sein Vater versaut hatte. Jeder Student im zweiten Semester hätte vorhersagen können, welche Auswirkungen die Entwicklung in China und ein gleichzeitiger Krieg im Irak auf den Ölpreis haben mussten. Als die Börsenwelt unvorbereitet den Höhenflug des Ölpreises bestaunte und die Autofahrer fassungslos auf die Preistafeln der Tankstellen blickten, zuckte Sami nur mit den Schultern.
Sein größtes Problem der letzten Zeit waren die Mitläufer geworden. Viele versuchten, sich an ihn zu hängen, jeder seiner Schritte wurde beobachtet, viele wollten auf den Zug aufspringen. Sein Erfolgsgeheimnis war aber gerade, dass er der Erste und eine Zeit lang der Einzige war. Er versteckte seine Transaktionen hinter immer neuen Tarnfirmen und Strohmännern. Die Pest war ihm stets auf den Fersen, aber bisher war er ihnen immer noch einen Schritt voraus.
Seit Monaten beobachtete er nun schon die Entwicklung der Airlineindustrie in Europa. Hier würde sich in nächster Zeit viel ändern, zumindest sagte ihm das sein Gefühl. Hier würde viel Geld verloren gehen und gleichzeitig viel Geld zu machen sein. Er hatte seine Leute an das Thema gesetzt, sie hatten alle Akteure unter die Lupe genommen und waren sehr schnell bei Filomena Airways hängen geblieben. Diese Airline war immer noch vollständig in Privatbesitz. Diese Tatsache war an sich schon sehr erstaunlich. Wie konnte Filomena Airways zu einem aggressiven Wachstumskurs starten, ohne die Finanzierungsmöglichkeiten der Börse zu nutzen? In den letzten beiden Jahren hatte die Airline große Marktanteile hinzugewonnen. Als nicht börsennotiertes Unternehmen war offiziell nicht allzu viel über die Finanzsituation bekannt. Aber es gab natürlich Mittel und Wege, an die benötigten Informationen heranzukommen. Schnell war klar, dass viel Geld in Filomena Airways investiert worden war. Die steigenden Marktanteile waren zweifelsohne mit hohen Anfangsverlusten erkauft worden. Filomena Airways war in den letzten Jahren eine Geldvernichtungsmaschine gewesen. Eine Rechnung, die nur aufgehen konnte, wenn die Airline in naher Zukunft damit anfangen würde, Gewinne zu erwirtschaften. Die Frage war: Woher stammte das Geld, das dort gerade verpulvert wurde? Wer war bereit, in diese Airline zu investieren? Jemand spielte ein sehr riskantes Spiel mit hohem Einsatz.
Als Sami die Analyse über die Investoren von Filomena Air in den Händen hielt, zog er die Augenbraue hoch.
»Sieh mal einer an. Bisher sah das alles recht eigenartig aus. Aber jetzt verwundert mich das nicht mehr, jetzt fängt das Ganze an, Sinn zu machen.«
Er überlegte einen Moment, dann bat er seine Assistentin Alexandra, zu ihm zu kommen.
»Ich glaube nicht, dass das gut gehen wird, Alexandra. Lass uns Filomena Air noch genauer beobachten, sammeln wir Informationen, bauen wir ein Frühwarnsystem auf. Wenn das Ding an die Wand fährt, und ich bin davon überzeugt, dass es das tun wird, müssen wir die Ersten sein, die es mitbekommen. Und wir werden sehen, ob wir einen Vorteil daraus ziehen können.«
»Wonach suchen wir?«
Sami zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ungewöhnliche Vorfälle, Getuschel bei den Mitarbeitern, Gerüchte in der Branche, such nach allem. Die Situation dort wird irgendwann außer Kontrolle geraten. Und wir müssen dann die Ersten sein, die es erfahren.«
Alexandra machte sich sofort an die Arbeit. Nachdem sie Samis Büro verlassen hatte, ging sie direkt zum Leiter der Business Intelligent Unit, kurz BI genannt. BI war die wichtigste Abteilung im Unternehmen und umfasste fast 100 Mitarbeiter. Dort sammelten sie Informationen, die frei verfügbar waren, aber sie beschafften sich auch Informationen, die weniger frei zugänglich waren. Sie sammelten, werteten aus und bereiteten die Daten schließlich so auf, dass Sami sie verarbeiten konnte. Im digitalen Zeitalter gibt es Informationen in Hülle und Fülle, die Kunst besteht darin, die richtigen Informationen herauszufiltern, und genau darin hatten sie viel Erfahrung sammeln können. Aber auch im Internetzeitalter kann man nicht auf die althergebrachten Wege der Informationsbeschaffung verzichten. Die Gerüchte, die in einem Unternehmen kursieren, der Klatsch in der Teeküche, waren wichtige Informationsquellen für ihr Frühwarnsystem. Und so begann Saab Equity damit, einige Informanten bei Filomena Airways zu rekrutieren. Das geschah leise und durch Mittelsmänner. Niemand würde das Ganze bis zu ihnen zurückverfolgen können, sollte es je herauskommen.