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6 Gespräch mit der FDJ und dem Leiter Kultur

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Hartmut S., Leiter Kultur an der Trassenbaustelle, redegewandt, freundlich mit Schnurrbärtchen und Kinnbart. Er sagt, er „käme von der Musik“, von der Disko. Sein formvollendetes höfliches Auftreten, bereitet mir beinahe Mühe, mit ihm zu reden: Nur schwer komme ich zwischen sein flüssiges und Gern-reden.

Er erzählt mir unter anderem, er fliege in wenigen Tagen nach Berlin, zu dem und dem Schriftsteller und dem und dem Liedermacher, um mit ihnen ein Trassenlied zu schaffen.

Klaus, untersetzt, wohlgenährt und Manfred, rötlichblond mit Brille bilden den FDJ-Stab. Sie sitzen in einem anderen Fertighaus. Ich suche sie auf, um mich vorzustellen und fühle mich bald ein wenig benebelt. Wir trinken am Morgen schon zwei Bier, dann Kaffee, zwischendurch frühstücken wir. Manfred sagt einen wichtigen Satz: Auf der Baustelle offenbare sich eine Grundschwierigkeit: die Leiter kämen aus der DDR und könnten „hier draußen“ nicht mit den Menschen arbeiten. Seien es von „zu Hause“ entwöhnt. Dort gehe es immer nur von oben herab. Hier aber falle das ökonomisch schwerer und sogleich offensichtlich ins Gewicht, wenn die Produktivkraft Mensch ignoriert, weitgehend übergangen wird. Aus diesem Grund sind bereits etliche Leiter abgelöst worden.


Auf dem Weg zu meinem Bungalow halte ich am Heizcontainer. Der Heizer, vierzig Jahre alt, sieht mit dem graumelierten Bart älter aus. Ich glaubte sein Alter nicht, fragte etwas später nach seinem Geburtsjahr, nach seiner Familie: Er ist verheiratet, hat drei Kinder; zwei Jungen sind in der Lehre, der dritte kommt in diesem Jahr zur Schule.

Er sei seit September hier. Anfangs habe es kein Wasser gegeben, und acht Wochen lang mussten sie sich von Konserven ernähren. Drei Jahre werde er an der Trasse bleiben, eventuell auch vier. Er finde es sehr langweilig hier. Bereitwillig erläutert er mir die Heizanlage, den Filter. Sie laufe vollautomatisch – mit Dieselöl, verbrauche vierzig bis fünfundsechzig Liter pro Stunde, heize das Wasser bis auf dreiundneunzig Grad Celsius und schalte sich dann aus. Der Tank steht auf erhöhtem Fundament einige Schritt neben dem Container, fasse zehntausend Liter.


Ich sitze in der Nische des Fertighauses vor dem Zimmer und notiere vom heutigen Tag. Bin im Zimmer des stellvertretenden Baustellenleiters einquartiert. Er wird vorerst die Baustelle leiten, weil der bisherige Leiter mit Nierenschmerzen „nach Hause“ fliegt. Man traut der sowjetischen Medizin hier nicht viel zu.

Der Boden vibriert, nebenan im Zimmer klirren leise Gläser. Ein Zug fährt in der Nähe vorüber. Das Wohnlager hier liegt nur wenige hundert Meter von der Bahnlinie entfernt. Mitten im Schwarzerdegebiet. Vor dem Bungalow feiner, unter Schritten knirschender Schnee. Minus fünfzehn Grad Celsius. Im Waschraum kein Wasser. Im Wohnungsneubau gegenüber unserem Wohnlager verlegen Arbeiter neue Rohre. Ich gehe frühzeitig zu Bett – ohne zu Duschen. Gegen dreiundzwanzig Uhr fahre ich hoch durch polterndes Lachen und laute Gespräche. Feierabendablauf im Bungalow. Ein Bauleiter hat Zimmerleute zu einer Runde Bier aus der Kantine in sein Zimmer eingeladen auch Gäste aus anderen Bungalows. Schlagermusik, lautes Reden und trinken. Sie lachen, erzählen sich Witze, Frauengeschichten, lärmen, als wären sie allein im Haus, als gäbe es nicht diese papierdünnen Wände. Ich stehe auf, sehe nach dem Wasser. Es fließt wieder. Ich dusche, wasche mein Hemd, lese. Gegen ein Uhr flaut der Lärm ab. Ich schlafe ein.

In der Herberge zum Steppenwolf

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