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7 Umzug von Lipezk nach Perwomaiskij

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Heute Morgen fahren wir bereits um sechs Uhr dreißig ab – mit einem Barkas B 1000. Es ist noch dunkel. Kuno fährt, ein großer sympathischer ruhiger kraftvoller Zittauer, mit roter Pudelmütze auf seinem drahtigen Kraushaar dessen untersetzter nicht zu breiter Körper mich an Jack Londons „Seewolf“ Wolf Larsen erinnert.

Die zweihundertdreißig Kilometer nach Lipezk führen über Mitschurinsk. Die Straße ist einfacher zu befahren, weil eisfreier als die andere Strecke. Den ganzen Weg über das gleiche Bild, taue ich mir mit der Hand Klarsicht an die vereiste Scheibe: links wie rechts der Straße ein spärlicher kahler Baumstreifen vor horizontweiten weißen Feldern und vorn, durch die Windschutzscheibe, das seit zwei Stunden unverändert geradlinige Betonband – an den Rändern verschneit. Vereinzelt tauchen Fußgänger auf irgendwoher aus der weißen Ebene, vermummt in Pelzkragen ihrer Pelzjacken und Schapkas, oder Frauen mit grauen Tüchern um Kopf und Hals, nur ein Stückchen Gesicht dem Eiswind ausgesetzt. Dort eine Gruppe Frauen und Männer. Sie möchten in die nächste Stadt: Mitschurinsk. Ein PKW hält, drei Frauen steigen ein, die Männer müssen warten. So fahren sie per Anhalter. Jeder, der kann, nimmt Fußgänger in seinem Wagen mit. Wir haben einen Platz frei, fahren vorüber. Sicherheit geht vor. Wer bezahlt die Kosten, wenn der Mitfahrer Schaden erleidet? Eine Anweisung der Baustellendirektion besagt, sowjetische Bürger nicht per Anhalter mitnehmen.

Gegen zehn Uhr treffen wir in Perwo ein. Ich melde mich in der Passstelle bei der rundlichen Blonden mit den gütigen Augen an, der ich ihr Temperament, mit dem sie mich begrüßt, nicht zutraue; hole Bettwäsche vom „Gewerk Dienstleistung“ („Wir sind ein eigenes Gewerk.“). Deshalb erhalte ich in einer anderen Bekleidungskammer eine Arbeitsschapka, Leder-Filzstiefel und einen grauen wattierten Arbeitsanzug: „Zu welchem Gewerk gehörst du?“ „Gewerk eigentlich nicht so sehr: Zur schreibenden Zunft.“ „Aha! Zur „Kultur“, Bereich „gesellige Organe“ (Umschreibung für gesellschaftliche Organe.)


Ich beziehe meinen Bungalow, wechsle die Kleidung. Dann fahre ich mit einem Bus der „Kultur“ zu Brennpunkten des hiesigen Bauabschnitts: Verdichterfeld, Wohnungsbau, Entladebahnhof. Zum Verdichterfeld sind es vom Wohnlager aus etwa achtundzwanzig Kilometer. Von der Hauptstraße ab durch Staroseslawino, einem kleinen langgestreckten Ort mit Schulneubau und einer gewaltigen russisch-orthodoxen Kirche aus roten Ziegelsteinen mit imposanten Kuppeln. Sie wirkt auf mich im Kontrast zu den Holzhäuschen fremd und kalt. Ein älterer Mann kommt eilig, als wir aus dem Bus steigen, öffnet die grüne Eisenpforte und die hölzerne Außentür und das Vorhängeschloss vor der Innentür. Wir werfen kurz einen Blick ins Kircheninnere.

Ute Freudenberg mit „ihrer“ Pop-Gruppe „Elefant“ fährt im Bus. Ihretwegen wurde die Fahrt organisiert. Die Künstler sollen die Arbeitsfront kennenlernen. Wir steigen vorsichtig die schneeglatten Stufen vor der Kirche hinunter. Sie zupft mich am Ärmel, hält sich fest und stelzt unsicher hinab. „Eine Sängerin kann sich nicht erlauben, ein Bein zu brechen“, sagt sie.

Wir stuckern im Bus über Weg und Feld und mitten im Weiß, fernab von Dorf und Bäumen stehen wir auf dem „Verdichterfeld“ bei Starojurjewo (so genannt, weil hier auf dem ehemaligen Kolchosacker mehrere der alle etwa einhundertzwanzig Kilometer geforderten Gasverdichter entstehen.) Wir treffen auf die Rammbrigade, rotgesichtige Männer in blauen Wattejacken und vereisten Bärten, auf die schwere Dieselramme, auf Stapel von Elfmeterbetonpfählen, schwere japanische Kamatsu-Planierraupen, orangefarbene Wohnwagen. Hier entsteht ein weiteres Wohnlager aus weißen Fertighäuschen. Ein Graben wird gebaggert für die Abwasserleitung: ein Meter Schwarzerde, dann unergründlicher Lehm. Der Graben steht unter Wasser.

Der „Junge Welt“-Reporter J.H. (genannt „Hörnchen“) begleitet uns mit einem Bündel Fotoapparaten vor der Brust. Die Sängerin steht in der Gruppe interessiert neben der Dieselramme, betrachtet die japanische Räumtechnik, den Graben, die Wohnwagen, streichelt den jungen Schäferhund. „Hier spürt man noch Spontanität und Pioniergeist“, sagt sie zu mir.

Dann steigen wir in den Bus und stuckern zurück zum Entladebahnhof für Stückgut, zum Wohnungsbau. Einige Fünfgeschosser, von unseren Arbeitern errichtet, stehen bereits, erinnern an Neubauten in Berlin.

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