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Der Prinz und das arme Mädchen
Es war ein besonders träger Morgen in der kleinen Stadt Monroeville, Alabama. Ein ganzer Tag war verstrichen, ohne dass Truman von Nelle gehört oder sie gesehen hatte. Er saß pflichtbewusst auf der Veranda und beobachtete ihr Haus mit seinen an Lebkuchen erinnernden Verzierungen an der Fassade und der rostigen Wetterfahne. Wegen der Hitze hing das Louisianamoos von den Eichen rundherum schlapp herab. Nur ein verbeultes Hoover-Cart, das von zwei alten Ponys gezogen wurde, weckte für einen Moment seine Aufmerksamkeit.
Die einzigen Leute, die sich draußen aufhielten, waren dunkelhäutige Arbeitskräfte, die Rasen mähten oder mit Besen aus Hartriegelzweigen den Gehsteig fegten. Gelegentlich hallten Hammerschläge des Hufschmieds durch die Gassen, dann war es wieder still.
Truman wurde es langweilig, auf Nelle zu warten, und so spazierte er die unbefestigten, staubig-rötlichen Wege entlang, die zwischen den Baumwollfeldern und Viehweiden der Umgebung verliefen. Dann schlenderte er am Fluss entlang und blickte zu den Bussarden hoch, die hoch über ihm kreisten. Nachdem er eine Weile an der Schokoladenwein-Pflanze geschnuppert und versucht hatte, die Nachtigallen dazu zu bringen, sein Pfeifen nachzumachen, kehrte er wieder nach Hause zurück.
Als es Nachmittag wurde, saß er erneut im Schatten der Veranda und fächelte sich in der betäubenden Hitze Luft zu. Eingehüllt in den Duft von Schlüsselblumen und Azaleen, der den Garten erfüllte, schlummerte er ein. Die schrille Sirene des Sägewerks weckte ihn. Er streckte sich wie eine träge Katze und bemerkte erst dann auf dem Beistelltischchen die zwei Bücher, die er Nelle geliehen hatte.
Er sprang auf und blickte sich nach ihr um, aber niemand war zu sehen. Als er nach den Büchern griff, entdeckte er darunter ein klitzekleines Taschenwörterbuch. Auf dem roten Einband stand: Das neue Webster-Wörterbuch und vollständiges Nachschlagewerk für die Westentasche – 45.800 Wörter. Er schlug es auf.
Auf die Titelseite hatte jemand mit der Hand geschrieben:
Für Nelle. Die Macht von Worten vermag Kriege auszulösen oder Frieden zu schaffen. Benutze sie weise. – A. C.
Nelle war durchgestrichen und in kindlicher Schrift hatte jemand mit Bleistift Bulldogge darüber geschrieben. Am nächsten Tag saß Truman wieder auf der Veranda, die rund um das ganze Haus lief, und bekam von Sook süßen Tee und Gebäck serviert. Er trug einen hübschen Anzug mit Fliege und sein feines blondes Haar war sorgsam über die Stirn gekämmt. Sook trug ihr übliches blaues Kleid mit Karomuster und eine weiße Schürze.
Sook war seit seiner Ankunft in Monroeville die einzige Gesellschaft für ihn gewesen. Offengestanden lebten alle Bewohner von Monroeville wie Farmer – standen auf bei Sonnenaufgang und gingen um acht schon wieder ins Bett. Alle, bis auf Truman und Sook. Während die anderen Großcousinen und sein Großcousin unter der Woche zur Arbeit gingen, blieben die beiden seltsamen Käuze zu Hause, manchmal zusammen mit ihrer Teilzeit-Köchin, einer schwarzen Frau namens Little Bit.
Truman wurde von allen wie ein empfindsamer blaublütiger Prinz behandelt. Keiner konnte sich auch nur vorstellen, dass er ein Maultier einspannte oder unter der heißen Sonne auf dem Baumwollfeld Unkraut hackte. Deshalb ließen sie ihn, genau wie Sook, einfach in Ruhe.
Ihre Aufgabe war es, die Hühner zu füttern oder die Scuppernong-Trauben zu pflücken. Sie wuchsen an dem Zaun, den Großcousine Jenny hinter dem Haus aus Tierknochen gebaut hatte. Manchmal gingen sie auch in den Wald, wo sie nach Kräutern für Sooks besondere Arzneitränke suchten.
Sonntags vertrieben sie sich die Zeit mit dem Basteln von Drachen, die sie mit Bildern aus alten Zeitschriften verzierten. Ansonsten faulenzten sie auf der Veranda, wo Sook Truman Geschichten erzählte oder die Witze aus der Zeitung vorlas oder ihn einfach nur verwöhnte.
Sook las ihm gerade den Comicstrip Kleine Waise Annie vor, als sie aufblickte und lächelte. «Oh, hallo, Miss Nelle. Kommst du zum Tee?»
Nelle war von oben bis unten verdreckt und trug eine zerlumpte Latzhose. Ihr Blick war auf Trumans ordentlich gebügelten Anzug geheftet. «Ach, ich glaube, dafür bin ich nicht richtig angezogen, Miss Sook», sagte sie leise.
«Ach, Unsinn, Miss Nelle. Uns musst du nicht beeindrucken. Miss Jenny putzt Tru gern heraus, aber eigentlich ist er gar kein so schnieker Bursche. Er isst genauso gern wie wir alle heiße Biscuits mit dunkler Soße und Weißdornmarmelade.» Sie hörte Nelles Magen knurren. «Ich weiß, dass du Kuchen magst, Liebes. Möchtest du etwas davon?» Sook hielt ihr den Teller hin, sodass sie die Naschereien sehen konnte.
Nelle lief das Wasser im Mund zusammen. «Also … vielleicht. Nur einen Bissen, Ma’am.» Sie machte einen Schritt auf die Veranda und bemerkte ihre schmutzigen Füße. «Ich kann ja einfach hier auf den Stufen sitzenbleiben. Danke, Ma’am.»
Da saß sie und aß ihr Kuchenstück, während Sook fortfuhr, den Comic laut vorzulesen. Truman sah Nelle zu, wie sie das ganze Stück mit drei Riesenbissen verschlang. Als sie fertig war, stand sie auf, als wolle sie gleich gehen. Aber dann setzte sie sich doch wieder hin.
«Wie geht’s deiner Mama?», fragte Sook, um ein Gespräch in Gang zu bringen.
Nelle runzelte die Stirn und schaute zu Boden. «Sie ist für eine Weile weg, unten an der Golfküste, weil sie da behandelt wird, Miss Sook. Daddy sagt, sie wird so gut wie neu sein, wenn sie sie wieder rauslassen.»
«Wo denn raus?», fragte Truman.
Da warf Sook ihm einen Blick zu, der ihm zu verstehen gab, nicht weiterzubohren. «Das ist gut, Liebes. Sogar ich brauche hin und wieder eine Pause, sonst würde ich auch verrückt –»
Schlagartig wurde Sook knallrot. «Oh, seht mal – der Kuchen ist ja alle. Ich hole uns noch welchen.» Bevor sie ging, flüsterte sie Truman ins Ohr: «Sei nett zu ihr.»
Truman saß allein mit Nelle da und war sich nicht sicher, was er sagen sollte. In seiner Jackentasche spürte er das Wörterbuch, das sie ihm hingelegt hatte. Vielleicht konnten sie ein Wortspiel spielen, nachdem er sich den ganzen Vormittag über interessante Wörter eingeprägt hatte. Aber dann fiel ihm etwas Besseres ein.
«Hättest du gern noch ein anderes Buch zum Lesen?»
Ihre Augen begannen zu leuchten.