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KAPITEL 6 Tagebuch einer Schwangerschaft
ОглавлениеDies ist die kurze Schilderung einer Schwangerschaft – und der Geburt eines opiatabhängigen Säuglings von einer süchtigen Mutter. Trotz ihrer Entschlossenheit, sich ihren Dämonen zu stellen, wird die Mutter nicht in der Lage sein, ihr Kind zu behalten. Ihre Mittel werden nicht ausreichen, und weder ihre Bitten an die göttliche Stimme in ihrem Herzen noch die Unterstützung, die wir in Portland bieten können, werden ausreichen, um ihr bei der Verwirklichung ihres heiligen Ziels, ihre Aufgabe als Mutter zu erfüllen, zu helfen.
Juni 2004
Ich eile in den fünften Stock, wo Celia völlig außer Kontrolle geraten sein soll und droht, aus dem Fenster zu springen. Das ist keine leere Drohung, andere haben es vor ihr schon getan. Der Widerhall des die Wände durchdringenden Geschreis erreicht mich im Treppenhaus zwei Stockwerke tiefer, während ich auf den Lärm zurenne.
Ich finde Celia, die barfuß auf Glasscherben randaliert und aus mehreren kleinen Schnitten blutet. Der Boden glitzert von den Scherben zerbrochener Bildschirme, Gläser und zerborstenen Geschirrs, beleuchtet von der Mittagssonne, die ihre Strahlen in einem scharfen Winkel in den Raum wirft. Die ausgeweidete Fernsehkonsole liegt im Flur. Lebensmittelreste tropfen von den Wänden und von kaputten Holzstühlen. Überall liegt Kleidung herum. Auf der Küchentheke gurgelt und zischt eine kleine Espressomaschine und verbreitet das scharfe, säuerlichen Aroma von verbranntem Kaffee. Ein paar blutverkrustete Spritzen liegen auf dem Tisch, dem einzigen noch intakten Möbelstück.
Celia stampft umher und brüllt mit einer Stimme, die schon nicht mehr menschlich klingt: kratzig, hoch und knirschend. Tränen strömen ihr aus den rot geschwollenen Augen über die Wangen und zittern tröpfchenweise am Kinn. Sie trägt ein schmutziges Nachthemd aus Flanell. Es ist eine überirdische Szene, die sich da bietet.
„Ich hasse ihn, verdammt noch mal. Beschissener, gottverdammter, fucking Bastard.“ Als Celia mich sieht, kippt sie auf der zerlumpten Matratze in der Ecke um. Ich kicke einen Stapel Handtücher beiseite und kauere mich gegen das Balkonfenster. Im Moment gibt es nichts zu sagen. Während ich auf ein Zeichen von ihr warte, dass sie zum Kontakt bereit ist, lese ich das Gebet, das sie an die Wand über ihr Bett geschrieben hat: „Oh, Großer Geist, dessen Stimme ich im Wind höre und dessen Atem der ganzen Welt um mich herum Leben einhaucht, höre unser Weinen, denn wir sind klein und schwach.“ Es endet mit einer Bitte: „Hilf mir, Frieden mit meinem größten Feind zu schließen – mit mir selbst.“
Juni 2004: nächster Tag
Celia ist ruhig und sogar heiter, während sie auf ihr Methadon-Rezept wartet. Sie scheint über mein Erstaunen amüsiert zu sein.
„Ihr Zimmer ist wieder aufgeräumt, sagen Sie?“
„Nun, es ist makellos.“
„Wie kann es makellos sein?“
„Ich hab‘s mit meinem Alten wieder hergerichtet.“
„Der Typ, den Sie hassen?“
„Ich hab gesagt, dass ich ihn hasse, aber das stimmt nicht.“
Mit ihrem sanften Gesichtsausdruck, den klaren Augen, den glatten braunen Haaren und ihrem ruhigen Auftreten ist Celia eine attraktive dreißigjährige Frau. Es ist unmöglich, in ihr die wütende Xanthippe zu erkennen, die ich vor weniger als vierundzwanzig Stunden erlebt habe. „Was, glauben Sie, hat Sie so aus der Haut fahren lassen?“, frage ich sie. „Sie waren aufgebracht, aber da muss noch irgendeine Droge mit im Spiel gewesen sein, die Sie so verrückt gemacht hat. Irgendwas hat Sie völlig umgehauen.“
„Nun ja, stimmt. Koks. Es ist sehr explosiv. Je weniger Dope [Heroin] ich nehme, desto mehr Zeugs aus der Vergangenheit kommt an die Oberfläche. Ich weiß nicht, wie ich mit meinen Gefühlen umgehen soll. Mit Crack kommen Erinnerungen an sensible – unglaublich sensible – ungelöste Dinge in meinem Leben hoch. Dinge, die mich verletzt haben, sie überwältigen mich, bis zu dem Punkt, dass ich völlig am Boden zerstört und verzweifelt bin oder wie ein Vulkanausbruch – es ist erschreckend für mich.“
„Sie stocken Ihr Methadon also immer noch mit Heroin auf. Warum?“
„Weil ich diesen Komazustand will, in dem ich nichts mehr fühle.“ Celia spricht langsam, fast förmlich, mit ihrer tiefen, heiseren Stimme – in einer nachdenklichen, überzeugenden und klaren Weise. Eine Zahnlücke lässt sie ein wenig lispeln.
„Was ist es, das Sie nicht fühlen wollen?“
„Jede Person, der ich jemals vertrauen wollte, hat mich verletzt. Ich bin wirklich in Rick verliebt, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er mich nicht auch betrügen wird. Das geht direkt auf meinen sexuellen Missbrauch zurück.“
Celia erinnert sich, dass sie im Alter von fünf Jahren zum ersten Mal sexuell missbraucht wurde, und zwar von ihrem Stiefvater. „Das ging acht Jahre lang so. Seit Kurzem erlebe ich den Missbrauch in meinen Träumen wieder.“ In ihren Albträumen ist Celia mit dem Speichel ihres Stiefvaters getränkt. „Das war ein Ritual“, erklärt sie fast nüchtern. „Als ich ein kleines Mädchen war, stand er über meinem Bett und spuckte mich am ganzen Körper an.“
Ich erschaudere. Nach drei Jahrzehnten als Arzt glaube ich manchmal, dass ich jede Art von Verderbtheit gehört habe, die Erwachsene jungen und ungeschützten Menschen antun können. Aber in Downtown Eastside werden immer wieder neue Kindheitsschrecken enthüllt. Celia quittiert meinen Schock mit einem Flackern ihrer Augenlider und einem Nicken und fährt dann fort. „Mein Alter, Rick, war bei der Armee in Sarajevo, und er leidet nun unter posttraumatischem Stress. Da bin also ich, die wegen ihrer Albträume von sexuellem Missbrauch aufwacht, und ich habe ihn, der aufwacht und wegen der Waffen und dem Tod schreit …“
„Sie nehmen also Drogen, um von den Schmerzen wegzukommen“, sage ich nach einer Weile, „aber der Drogenkonsum verursacht mehr Schmerzen. Wir können Ihre Opiatabhängigkeit mit dem Methadon in den Griff bekommen, aber wenn Sie wollen, dass dieser Kreislauf aufhört, müssen Sie sich verpflichten, das Kokain aufzugeben.“
„Das tue ich. Ich will das mehr als alles andere.“ Im Wartebereich vor meinem Praxiszimmer werden die Patienten unruhig. Jemand schreit. Celia winkt abweisend mit der Hand.
Ich lächle sie an. „Sie klangen gestern gar nicht so anders.“
„Ich war viel schlimmer als das. Ich war völlig verrückt.“
Das Geschrei geht weiter, diesmal lauter. „Verpiss dich, du gottverdammtes Arschloch“, schreit Celia, ihr Tonfall plötzlich bösartig. „Ich spreche mit dem Arzt!“
August 2004
Ich mag es, wenn Musik aus der kleinen Musikanlage hinter meinem Schreibtisch tönt. Meine Patienten, von denen nur sehr wenige mit klassischer Musik vertraut sind, sagen oft, dass sie es als willkommene, beruhigende Überraschung empfinden. Heute ist es Kol Nidrei, Bruchs Vertonung des Gebetes der jüdischen Seele um Sühne, Vergebung und Einheit mit Gott. Celia schließt ihre Augen. „Das ist so schön“, seufzt sie.
Als die Musik zu Ende ist, erwacht sie aus ihrer Träumerei und erzählt mir, dass sie und ihr Freund Pläne für die Zukunft schmieden.
„Was ist mit Ihrer anhaltenden Sucht? Bedeutet das ein Problem für Sie oder für ihn?“
„Nun ja, schon, denn ich bin ja nicht mit meinem ganzen Ich präsent. Sie bekommen nicht das Beste von einem Menschen, wenn er süchtig ist, stimmt’s?“
„Richtig“, stimme ich zu. „Ich habe es selbst erlebt.“
Oktober 2004
Celia ist schwanger. Hier in Downtown Eastside ist das im besten Fall immer ein gemischter Segen. Man könnte meinen, dass der erste Gedanke eines Arztes bei einer frisch schwangeren, drogensüchtigen Patientin ist, zur Abtreibung zu raten. Aber die Aufgabe des Arztes – ob bei dieser oder einer anderen Bevölkerungsgruppe – besteht darin, die eigenen Präferenzen der Frau zu ermitteln und gegebenenfalls die Optionen zu erläutern, ohne Druck auszuüben, sich für diesen oder jenen Weg zu entscheiden.
Viele süchtige Frauen entscheiden sich für ihre Kinder, anstatt den Weg eines vorzeitigen Schwangerschaftsabbruchs zu gehen. Celia ist entschlossen, die Schwangerschaft durchzustehen und das Kind zu behalten. „Sie haben mir meine ersten beiden Kinder weggenommen; dieses Kind werden sie mir niemals nehmen“, schwört sie.
Eine Durchsicht von Celias Krankengeschichte der letzten vier Jahre offenbart nichts Ermutigendes. Mehrere Selbstmorddrohungen. Unfreiwillige Einweisung in die Psychiatrie, weil sie während eines Brandes im Washingtoner Hotel nicht von der Feuertreppe runterkommen wollte. Zahlreiche körperliche Verletzungen – Knochenbrüche, Prellungen, blaue Augen, Abszesse, die mittels einer chirurgischen Drainage behandelt wurden, Zahninfektionen, Lungenentzündungen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machten, Ausbruch einer Gürtelrose, wiederkehrender Pilzbefall im Mund, eine seltene Blutinfektion – Manifestationen eines Immunsystems, das von HIV geschwächt und durch häufige Drogeninjektionen bis an die Grenze seiner Belastbarkeit gefordert wird. Celia hielt sich lange Zeit nicht an die vorgeschriebenen antiviralen Behandlungen. Ihre Leber ist durch Hepatitis C geschädigt. Der einzige hoffnungsvolle Aspekt ist, dass sie seit ihrer Zeit mit Rick, ihrem derzeitigen „Alten“, ihre HIV-Medikamente regelmäßig einnimmt und ihre Immunwerte wieder in den sicheren Bereich geklettert sind. Wenn sie die Behandlung fortsetzt, wird sich ihr Baby nicht infizieren.
Heute ist sie hier mit Rick. Die beiden kuscheln sich aneinander und werfen sich zärtliche Blicke zu. Es ist der erste vorgeburtliche Termin, und Celia berichtet über ihre bisherigen Schwangerschaften.
„Ich habe meinen ersten Sohn neun Monate lang großgezogen. Sein Vater verließ uns schließlich … er war ein guter Vater … Ich habe gespritzt. Es war äußerst unverantwortlich von mir.“
„Sie verstehen also, warum Ihnen auch dieses Baby weggenommen werden könnte, wenn Sie weiter Drogen nehmen.“
Celia erwidert mit Nachdruck: „Oh, ja, auf jeden Fall. Ich würde nie ein Kind in die Lage versetzen, an meiner Sucht zu leiden. Ich meine, das ist leichter gesagt als getan, aber …“
Ich sehe Rick und Celia an und spüre, wie glühend sie sich dieses Kind wünschen. Vielleicht sehen sie ihr Baby als ihren Retter, als die Kraft, die ihnen die Stärke gibt, ihr Leben zusammenzuhalten. Meine Sorge ist, dass sie vom magischen Denken besetzt sind, wie Kinder, die glauben, dass der Wunsch reicht, um Wirklichkeit zu werden. Celia ist tief in ihren Süchten verstrickt. Weder sie noch Rick sind kurz davor, die Traumata und psychischen Belastungen, die ihre Beziehung zerstören, zu lösen. Ich glaube nicht, dass dieses neue Leben, das sich in Celias Schoß regt, für diese Eltern das bewirken wird, was sie für sich selbst nicht erreichen konnten. Freiheit gewinnt man nicht so leicht.
Trotz meiner Zweifel und Bedenken wünsche ich ihnen von ganzem Herzen, dass sie Erfolg haben. Die Schwangerschaft hat einigen Süchtigen geholfen, aus ihrer Abhängigkeit auszubrechen, und Celia wäre nicht die erste, die es schaffen würde. Carol, die junge Frau, die von Crystal Meth und Opiaten abhängig war, von der ich in Kapitel 3 erzählt habe, hat ein gesundes Kind zur Welt gebracht, ihre Sucht aufgegeben und ist ins Landesinnere von British Columbia gezogen, um bei ihren Großeltern zu leben. Und es hat im Laufe der Jahre noch einige andere Erfolgsgeschichten unter meinen Patientinnen gegeben.
„Ich werde Ihnen helfen, wo immer ich kann“, sage ich. „Es ist eine Chance für ein neues Leben, nicht nur für das Baby, sondern auch für jeden von Ihnen – und für Sie beide zusammen. Aber Sie wissen, dass Sie noch einige Hindernisse überwinden müssen.“
Der erste Punkt, den ich zur Sprache bringe, ist Celias Sucht. Ihre Opiatabhängigkeit kann durch das Methadon behoben werden. Im Gegensatz zu dem, was Celia erwartet, werden wir sie nicht nur auf diesem Medikament belassen, sondern wahrscheinlich die Dosis mit fortschreitender Schwangerschaft erhöhen. Ein Fötus, der in der Gebärmutter unter Opiatentzug leidet, kann neurologische Schäden erleiden, sodass es für das Baby besser ist, mit einer Opiatabhängigkeit auf die Welt zu kommen und es nach der Geburt sanft davon zu entwöhnen. Kokain ist eine andere Sache. Wenn man bedenkt, wie wahnsinnig gestört Celia unter dem Einfluss dieser Droge ist, ist es unvorstellbar, dass sie in der Lage sein könnte, sich der geburtsvorbereitenden Betreuung zu unterziehen oder später das Sorgerecht für ihr Kind zu behalten, falls sie das Kokain nicht aufgibt. Ich fordere sie dringend auf, in eine Rehaklinik zu gehen, weit weg von Downtown Eastside.
„Ich kann nicht von Rick getrennt sein“, antwortet Celia.
„Es geht nicht um mich“, sagt Rick. „Es geht darum, dass du die Genesung und Stabilität bekommst, die du brauchst.“
„Sie haben mir vor nicht allzu langer Zeit gesagt, dass Sie Probleme mit dem Vertrauen haben“, erinnere ich Celia. „Wie sicher sind Sie sich, dass Sie Rick jetzt vertrauen?“
„Nun, ich sehe, dass er sehr engagiert ist. Aber“ – sie holt tief Luft und schaut ihren Partner direkt an – „ich habe Angst, denn jedes Mal, wenn ich in der Vergangenheit Vertrauen hatte, bin ich immer … bin ich immer enttäuscht worden. Also habe ich Angst, aber ich bin immer noch bereit zu vertrauen.“
„Wenn das der Fall ist“, deute ich an „dann wird die physische Nähe zu Rick …“
Celia vervollständigt meinen Gedanken. „Dann wird es nichts ändern, wenn ich ihm körperlich nahe bleibe.“
Vor dem Praxiszimmer steigern sich die Rufe der wartenden Patienten. Ich verspreche, die Reha-Möglichkeiten für Celia zu prüfen und gebe ihr den Standard-Bluttest und die Überweisung zum Ultraschall mit. Als ich aufstehe, um die Tür zu öffnen, rührt sich Celia nicht von ihrem Stuhl. Sie zögert und blickt Rick kurz an, bevor sie spricht. „Du musst es mir leichter machen“, sagt sie zu ihm. „Ich weiß, es ist sehr schwer für dich mit anzusehen, wie ich Drogen nehme, obwohl ich schwanger bin …“ Sie hält inne und starrt auf den Boden. Ich dränge sie, weiterzumachen.
„Ich brauche Ermutigung, keine Wut. Rick kann mit seinen Worten sehr schneidend sein … sehr scharf.“ Sie konfrontiert ihn noch einmal und spricht ihn bewusst und entschlossen an. „Du verstärkst all die negativen Dinge, die die Leute über mich gesagt haben, indem du mir Vorwürfe machst … ‚Ja, sie hatten recht, sie sagten dies, sie sagten das. Ja, du bist dies, du bist das‘, und wirfst noch ein paar Sachen hinterher, die nichts mit mir zu tun haben. Ich bin nicht promiskuitiv; ich bin keine Hure …“
Rick wird unruhig und starrt auf seine Füße. „Wir haben noch einiges an unserer Beziehung zu arbeiten“, sagt er, „aber wir haben jetzt eine andere Motivation.“
„Es ist frustrierend für Sie, Celia zuzusehen, wie sie Drogen nimmt.“
„Sehr frustrierend. Aber es ist mein Frust. Es ist meine Verantwortung.“
Rick hat als Alkoholiker einige Entwicklungen mithilfe eines Zwölf-Schritte-Programms gemacht. Er ist leicht zu verstehen, und wie Celia ist er einfühlsam und wortgewandt. „Es gibt einen schmalen Grat“, bemerkt er, „zwischen den gesunden Grenzen und der Co-Abhängigkeit, bei der einfach über einen hinweggegangen wird. Im Eifer des Gefechts ist es für mich so schwer, das zu erkennen.“
Ich erlaube mir für einen Moment einen gewissen Optimismus. Wenn irgendjemand es schaffen kann, dann sind es diese beiden.
Oktober 2004: später in diesem Monat
Celia hält den Reha-Plan nicht durch. Als sie beim nächsten Mal wegen ihres Methadon-Rezepts in meine Praxis kommt, gesteht sie, dass sie immer noch Koks raucht.
„Es ist ziemlich sicher, dass man Ihnen das Baby wegnehmen wird“, erinnere ich sie. „Wenn Sie Kokain nehmen, wird man Sie nicht als kompetente Mutter betrachten.“ „Das ist eine Sache, mit der ich aufhören werde. Ich versuche verdammt noch mal mein Bestes. Das war’s. Ich höre auf.“
„Es ist Ihre beste Chance, das Baby zu behalten – Ihre einzige Chance.“
„Ich weiß.“
November 2004
Celia hält eine feuchte Kompresse an die große Schwellung über ihrem rechten Auge und geht von der Tür zum Fenster. „Ich bin mit einem Mädchen in eine Schlägerei geraten. Das wird schon wieder. Aber, hey, ich habe den Ultraschall gemacht. Ich habe eine kleine Hand gesehen! Sie war so winzig.“
Ich erkläre ihr, dass es sich bei dem Schatten auf dem Ultraschallbildschirm nicht um eine Hand gehandelt haben kann: Nach sieben Wochen Schwangerschaft sind die Gliedmaßen noch nicht ausgebildet. Aber ich bin gerührt von Celias Aufregung und ihrer offensichtlichen Verbundenheit mit dem embryonalen Leben, das sie in sich trägt. Sie erzählt mir, dass sie seit über einer Woche kein Kokain mehr genommen hat.
November 2004: später in diesem Monat
Ich weiß nicht, ob ich jemals eine solche Traurigkeit gesehen habe, wie ich sie an diesem Tag in Celias Gesichtszüge eingebrannt sehe. Ihr langes, strähniges Haar fällt ihr vor das Gesicht, während sie den Kopf hängen lässt, und hinter diesem Schleier spricht sie ihre Worte mit schmerzhafter Langsamkeit. Ihre Stimme ist ein wehklagendes, wimmerndes Stöhnen.
„Er hat mir gesagt, ich soll mich verpissen … Er hat es mehr als deutlich gemacht, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben will.“
Ich fühle mich bestürzt, ja sogar irritiert, als ob Celia es mir persönlich schuldig wäre, eine glückliche, aller Wahrscheinlichkeit trotzenden Erlösungsfantasie auszuleben. „Waren das Ricks Worte oder Ihre Interpretation?“
„Nein, er hat all seine Sachen zusammengepackt und hatte nicht mal das Herz, mir zu sagen, was los war, wo er war oder sonst was. Ich bin ihm heute Morgen auf der Straße begegnet und er beschimpfte mich mit einem Haufen Blödsinn, dass ich ihn betrogen hätte, was völliger Quatsch ist. Ich habe ihn nie betrogen. Aber er ist abgehauen. Also, so sieht’s jetzt bei mir aus.“
„Sie sind verletzt.“
„Ich bin am Boden zerstört. Ich habe mich in meinem ganzen verdammten Leben noch nie so unerwünscht gefühlt.“
Doch, hast du, denke ich mir im Stillen. Du hast dich immer ungewollt gefühlt. Und so verzweifelt du auch versuchst, deinem Baby das zu bieten, was du selbst nie erlebt hast – ein liebevolles Willkommen auf dieser Welt – am Ende wirst du ihm die gleiche Botschaft der Ablehnung übermitteln.
Es ist, als ob Celia meine Gedanken liest. „Ich ziehe die Schwangerschaft trotzdem durch“, sagt sie mit gespitzten Lippen. „Ich könnte eine Abtreibung machen, aber nein. Das ist mein Kind, es ist ein Teil von mir. Es ist mir egal, ob ich allein dastehe oder nicht. Diese Dinge geschehen aus einem bestimmten Grund. Gott würde mir nicht mehr aufbürden, als ich tragen kann. Also muss ich nur fest genug daran glauben, dass sich alles zur rechten Zeit richten wird. Und so, wie es geschieht, so soll es auch sein.“
Celia hat eine starke spirituelle Neigung. Wird sie das durchstehen?
„Ich muss mich erholen. Ich muss heute Nacht von hier verschwinden, und sei es auch nur in eine Notunterkunft, sonst bringe ich am Ende noch jemanden um. Ich will einfach nur verschwinden …“
Wieder einmal telefonieren wir mit verschiedenen Rehakliniken. Am Nachmittag springt Celia, zwei Blocks vom Portland entfernt, aus dem Taxi, das sie zu der Unterkunft fahren sollte, die das Personal für sie organisiert hat. Am nächsten Morgen ist sie wieder im Portland, zugedröhnt mit Kokain.
Dezember 2004
Celia hat seit einer Woche kein Kokain mehr genommen und ist entschlossen, clean zu bleiben. „Ich kann mich einfach nicht in irgendeiner Suchtklinik einsperren lassen“, sagt sie, „aber wenn ich mich vom Crack fernhalten kann, geht es mir gut.“ Sie ist fröhlich, hat einen klaren Kopf und ist optimistisch. Die Schwangerschaft entwickelt sich rasant. Während sie zunimmt, werden ihre etwas kantigen Züge weicher, und sie scheint sich rundum wohlzufühlen. Bei der Geburtsvorbereitung und der HIV-Behandlung wird sie vom Oak Tree betreut, einer Klinik, die dem Frauenkrankenhaus von British Columbia angegliedert ist.
Wenn ich Celia so sehe, erinnere ich mich an ihre Stärken. Zusätzlich zu ihrer Intelligenz und ihrem liebebedürftigen Wesen hat sie eine einfühlsame, spirituell lebendige und künstlerische Seite. Sie schreibt Gedichte, malt und hat auch eine schöne Mezzosopran-Stimme. Die Mitarbeiter waren gerührt, als sie Celia in der Portland-Musikgruppe und sogar unter der Whirlpool-Dusche, die wir für unsere Patienten auf der gleichen Etage wie die Klinik haben, zu den Songs von Bob Dylan und den Eagles ihr Herz ausschütten hörten. Wenn man doch nur ihre lebensbejahenden Tendenzen aufrechterhalten könnte, damit sie die Oberhand über ihre resignierten, von Angst geplagten emotionalen Mechanismen bekommen könnten.
„Sie hätten nicht vielleicht einen Dollar für ein paar Zigaretten, oder, Doktor?“
„Ich sag Ihnen was“, erwidere ich. „Wir gehen runter an die Ecke und ich hole Ihnen ein Päckchen. Nikotin ist schwerer zu widerstehen als Kokain.“
Celia scheint gerührt. „Ich kann nicht glauben, dass Sie das für mich tun würden.“ „Betrachten Sie es als Geschenk fürs Baby“, antworte ich, „obwohl es keines ist, von dem ich jemals gedacht hätte, dass ich es einer schwangeren Patientin schenken würde.“
Als ich die Zigaretten bezahle und sie Celia überreiche, schaut mich der Verkäufer prüfend an. „Das ist so toll“, sagt Celia. „Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“ Als wir den Laden verlassen, höre ich, wie der Verkäufer ihre Worte leise, in einem spöttischen Ton wiederholt: „Das ist so toll. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.“ Ich drehe mich in der Tür um und schaue ihm ins Gesicht. Er lächelt. Er weiß genau, warum hier in East Hastings ein einigermaßen gut gekleideter Mann mittleren Alters eine Schachtel Zigaretten für eine zerzauste junge Frau kauft.
Januar 2005
Rick begleitet Celia zu diesem Termin in meine Praxis. Sie scheinen entspannt zu sein und sich miteinander wohlzufühlen.
„Ich kann mit dieser Seifenoper nicht mithalten“, scherze ich.
„Ich auch nicht“, sagt Rick, während Celia nur vor sich hin summt und ein Lächeln ihre Mundwinkel umspielt.
Sie war in der Oak Tree Klinik. Ihr Baby wächst, und die Bluttests haben ergeben, dass ihr Immunsystem in guter Verfassung ist. Obwohl sie erst im Juni Termin hat, wird sie bald, vier Monate früher, zur vorgeburtlichen Betreuung in Fir Square, der Spezialabteilung des British Columbia Women’s Hospital für suchtkranke werdende Mütter, aufgenommen. Heute ist sie wegen eines Methadon-Rezepts da und bittet erneut um einige Telefonnummern von Rehakliniken. Ich gebe ihr beides.
Die beiden gehen. Durch die offene Tür sehe ich sie durch den Hintereingang auf die sonnenbeschienene Veranda treten, sich in die Augen sehen, Händchen halten und ruhig und friedlich davongehen. Es ist das letzte Mal, dass ich sie während der Schwangerschaft zusammen sehe.
Januar 2005: später im Monat
An einem Nachmittag Ende Januar wird Celia freiwillig für eine Entgiftungsmaßnahme aufgenommen, ein erster Schritt auf dem Weg zu einem Reha-Programm. Am Abend entlässt sie sich selbst. In dem Albtraum, den Celia durchlebt, fühlt sie sich in einem Sumpf von Schmerzen gefangen, hilflos, bestraft und völlig allein. Sie wiederholt ihr Mantra: „Ich habe mich in meinem ganzen verdammten Leben noch nie so verlassen gefühlt.“ Ihr Blick, verschleiert und unkonzentriert, ist auf die Wand irgendwo links von mir gerichtet. „Wie soll ich damit umgehen ohne einen Berg von Dope?“
Was auch immer ich auf diese Frage geantwortet haben mag und was auch immer Celia sich selbst zu beantworten versuchte, es passte nicht. Die restliche Zeit ihrer Schwangerschaft lässt sich zusammenfassen als kurze Episoden von Krankenhausaufenthalten und Flucht, anhaltendem Drogenkonsum, der wilden Jagd nach Kokain und Verhaftungen. Eine Verhaftung erfolgte wegen Körperverletzung, weil Celia auf den Schreibtisch der Krankenschwester in der Aufnahmeabteilung gespuckt hatte. Natürlich erinnerte ich mich, dass sie in ihrer Kindheit Erfahrung mit Spucken gemacht hatte. Aber schließlich brachte sie ein bemerkenswert gesundes Mädchen zur Welt, das leicht von ihrer Opiatabhängigkeit entwöhnt werden konnte. In jeder anderen Hinsicht ging es dem Baby gut. Im Gegensatz zu den Opiaten Methadon und Heroin ruft Kokain keine gefährlichen physiologischen Entzugsreaktionen hervor.
Rick, der Vater des Kindes, war fantastisch. Celia verließ das Krankenhaus am Tag nach der Entbindung – ihr Bedürfnis nach Drogen war stärker als ihre Entschlossenheit, ihr Neugeborenes zu bemuttern –, aber als außerordentliche Ausnahmen von den Richtlinien durfte Rick stationär auf der Entbindungsstation bleiben. Mit großer Unterstützung des Krankenhauspersonals fütterte und versorgte er das Baby mit der Flasche und baute in den zwei Wochen, in denen er sich rund um die Uhr mit seiner Tochter beschäftigte, eine Beziehung auf, bevor er sie dann zu sich nach Hause nahm. Die Krankenschwestern, die diese Vater-Kind-Verbindung betreuten, waren erstaunt über seine Sanftmut, Liebe und Hingabe an seine Tochter.
Celia, die feindselig und drogensüchtig war, wurde per Gerichtsbeschluss vom Besuch ausgeschlossen. Sie war untröstlich und wütend. Sie glaubte, sie sei vorsätzlich von der Zuneigung zu ihrem Neugeborenen weggedrängt worden. „Es ist mein verdammtes Baby“, schrie sie in meiner Praxis, „meine eigene kleine Tochter. Sie haben mir das Kostbarste in meinem Leben geraubt!“
Dezember 2005
Rick kommt auf einen kurzen Besuch vorbei. Ich frage nach seinem und Celias Kind. „Sie ist jetzt bei Pflegeeltern“, sagt Rick. „Sie war eine Zeit lang bei mir, aber dann verschlechterte sich die Wohnsituation wegen der Drogenkonsumenten in diesem Haus. Sie wurden rückfällig. Und ich hatte einen Alkoholrückfall, deswegen nahmen sie mir das Baby weg. Sie hatten eine Kinderschutzverfügung.“ Seine Schultern zittern, als er versucht, sein Weinen zu unterdrücken. Dann schaut er auf. „Ich habe sie letzten Monat besucht. Ich bin gerade dabei, mir eine neue Wohnung zu suchen, und ich habe vor, an Elterngruppen teilzunehmen sowie eine Alkohol- und Drogenberatung und alles andere in Anspruch zu nehmen. So weit geht es mir ganz gut.“
Januar 2006
Celia ist wegen ihres monatlichen Methadon-Rezepts gekommen. Der inzwischen sechs Monate alte Säugling ist in einem Pflegeheim. Celia träumt immer noch davon, das Sorgerecht für ihre Tochter wiederzuerlangen und ein Familienleben aufzubauen. Aber sie ist nicht in der Lage, auf Kokain zu verzichten.
„So sehr Sie Ihr Baby auch lieben“, sage ich ihr noch einmal, „und so sehr Sie es auch lieben wollen, wenn Sie auf Crack sind, sind Sie als Mutter nicht geeignet. Sie selbst haben einmal gesagt, dass es nicht möglich ist, das Beste aus einem Menschen herauszuholen, wenn es um Sucht geht. Das Kind braucht das Beste von Ihnen, Sie müssen dafür emotional stabil und präsent sein. Sein Sicherheitsgefühl hängt davon ab. Die Gehirnentwicklung Ihrer Tochter braucht es, um zu gedeihen. Sie sind kein Elternteil, wenn Sie von Ihrer Sucht kontrolliert werden. Verstehen Sie das nicht?“
Meine Stimme ist angespannt und kalt, ich spüre die Anspannung in meiner Kehle. Ich bin wütend auf diese Frau. Ich versuche, ihr eine Wahrheit aufzudrängen, die ich als arbeitssüchtiger Arzt und auch auf andere Weise in meinem eigenen Leben zu ignorieren pflege.
Celia starrt nur mit mürrischem, hartem Blick zurück. Ich erzähle ihr nichts, was sie sich selbst nicht schon gesagt hat.
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Als menschliches Schauspiel hat diese Geschichte kein glückliches Ende – zumindest nicht, wenn wir wollen, dass unsere Geschichten einen klaren Anfang und ein klares Ende hat. Doch im größeren Kontext möchte ich darin einen Triumph sehen: Sie zeigt, wie das Leben das Leben sucht, wie sich die Liebe nach Liebe sehnt und wie der göttliche Funke, der in uns allen brennt, weiterhin glüht, auch wenn er nicht in voller, offener Flamme lodern kann.
Was wird mit diesem Säugling, diesem Wesen der unendlichen Möglichkeiten, geschehen? Angesichts seines schrecklichen Starts kann es durchaus sein, dass er ein Leben in grenzenlosem Leid führen wird – aber es ist nicht zwingend, dass dieser Lebensbeginn prägend ist. Es hängt davon ab, wie gut unsere Welt sich um dieses kleine Mädchen kümmert. Vielleicht wird unsere Welt genügend liebevolle Zuflucht bieten – genug „shelter from the storm“, wie Bob Dylan gesungen hat –, damit das Baby, im Gegensatz zu seiner Mutter, in sich selbst etwas anderes als seinen eigenen schlimmsten Feind kennenlernen kann.