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Zum Sterben schön. «Norma» von Bellini war zu Ende, Werner Meier hatte zur Aufnahme der Callas den Haushalt erledigt. Sogar die Spülmaschine hatte er bereits wieder ausgeräumt. Nun trocknete er die Gabeln ab, bevor er sie in die Besteckschublade legte. Einmal mit dem Geschirrtuch über die Armaturen. Was jetzt? Wäsche zusammenfalten? Schuhe putzen? Eine neue Oper anhören? Es lohnte sich kaum, es war nach zweiundzwanzig Uhr, Zita würde bald zurück sein.

Zita Schnyder, seine geliebte Partnerin. Voll im Berufsleben an der Uni, pendelte zwischen Forschen, Unterrichten und Organisieren hin und her. Überbelastet und unterbezahlt. Mit Sehnsucht nach London. Ohne Sehnsucht nach Heirat. Meier erinnerte sich nicht gern an den Moment vor dem Standesamt, als Barras und Andi, das eigentliche Brautpaar, den Termin verpassten und Zita für einen winzigen Moment am Schwanken war. Er hatte nicht insistiert, obwohl er sie am liebsten gepackt und ins Stadthaus hineingetragen hätte. Ruhig abgewartet hatte er, voller Hoffnung. Bis das Glühen ihrer Augen weniger wurde und sie der netten Beamtin, die zu allem bereit gewesen wäre, abgesagt hatte. Typisch Zita eben. Konsequent bis zum Letzten.

Meier seufzte und schrubbte den Backofen, eine Arbeit, die er nicht mochte. Im Gegensatz zum Kochen. Hatte er sich früher von Fleischkäse und Gurken ernährt, war er in seiner mehrmonatigen Auszeit zum Hobbykoch mutiert. Ob Kartoffelstock oder Apfelmus … die Kinder liebten seine einfachen Gerichte. Fertig. Mit Schwung hängte Meier den Lappen zum Trocknen über den Wasserhahn. Jetzt könnte Zita wirklich kommen. Sie und Barras waren vor über zwei Stunden zum Training losgezogen, beide mit Stirnlampen. Er kannte ihre Route. Übers Bellevue und die Quaibrücke zum Paradeplatz, der Bahnhofstrasse entlang, bei der Urania ein Schlenker hoch zum Lindenhof, hinunter zum Limmatquai, über den Predigerplatz zum Grossmünster und zurück. Dreimal.

Lieber Zita als ich, sagte sich Meier, während er die Reste des Abendessens in Tupperware-Dosen abfüllte. Als ein Stück Tomate zu Boden fiel, fluchte er. Ein Rundumblick. Der hölzerne Küchentisch, dessen eines Bein ein wenig kürzer war, Finns Ölfarbenrest, die Stühle, jeder anders, das Fenster zum Hof, mit dem verdorrten Basilikum davor. Es war ein Stück Heimat. Unsere Heimat. Das Herz wurde ihm schwer.

Er nahm den Familienkalender vom Haken, wo in Zitas Grossbuchstaben «WOHNUNGSBESICHTIGUNG» stand. Ihr Thema, mit oberster Priorität. Sie mussten umziehen. Abgesehen davon, dass ihre jetzige Wohnung für fünf Menschen zu klein war, wurde das Mietshaus renoviert. Alle raus. Die Wohnungssuche war zu Zitas Projekt geworden. Leider war sie superkorrekt und versuchte nicht, sich einen Vorteil zu verschaffen. So kriegen wir nie eine Wohnung, war Meiers Befürchtung. Er hielt nichts von Vetternwirtschaft – ausser bei der Wohnungssuche. Zum Glück hatte er ein eigenes Eisen im Feuer. Die Zweitwohnung von Helen Himmel, ihrer ehemaligen Vermieterin in Waldbach. Die Wohnung lag am schönen Greifensee, sie war vielleicht etwas allzu rustikal, aber sie war frei. «Ihr könnt jederzeit kommen», hatte Helen gesagt.

Das hatte sich Meier gemerkt. Sollten wir gar nichts finden, hätten wir da eine Heimat. Wobei er genau wusste, was Zita dazu sagen würde. Dass sie in die Stadt zurückgezogen waren, war eine Entscheidung, kein Zufall. Auch wenn er diese Tatsache gern verdrängte.

Die Küche glänzte. Zur Belohnung brach sich Meier ein Stück Toblerone ab. In dem Moment hörte er die Eingangstür. Typisch, sie kam heim, wenn er am Naschen war.

Aber nicht Zita, sondern Beanie Barras, seine ehemalige Assistentin, trat in die Küche. Zita und sie waren Freundinnen geworden. Während er und Barras es irgendwie nie geschafft hatten, ihre berufliche Verbindung in eine private Freundschaft zu wandeln. Zwischen ihnen blieb immer etwas Förmliches.

«Guten Abend, Barras.» Werner Meier bot ihr ein Stück Toblerone an. «Mögen Sie?»

Sie lehnte ab. Kurzerhand ass Meier auch Barras’ Stück auf.

«Klappt es an Weihnachten?», fragte er mit vollem Mund.

Als grosse Überraschung für Zita und die Kinder plante Meier im Wehrenbachtobel, in der Nähe von Barras’ Wohnwagen, eine Waldfeier. Sein Freund und Feldenkraislehrer Eli Apfelbaum wollte als Weihnachtsmann Geschenke bringen, Barras sollte einen Esel beim nahen Quartierbauernhof auftreiben.

Ihrer ausdruckslosen Miene sah er an, dass sie es vergessen hatte. Sie hatte überhaupt etwas Furchterregendes, wie sie da vor ihm stand, in ihrem hautengen Jogginganzug und der angeschnallten Stirnlampe. Die Absage der Heirat hat sie hart gemacht, dachte Meier. Es gab nur noch Job und Sport. Als sie das Cap auszog, entschlüpfte Meier ein Laut.

«Ihr Haar», sagte er.

Wieso um Himmels willen hatte sie es abrasiert? Meier mochte Barras’ Haar am liebsten wild und kraus.

In diesem Moment ertönte ein entfernter Kinderschrei. Theo, der bald Vierjährige. Einer seine Alpträume vermutlich.

«Bleibt nur. Ich mach das», rief Zita vom Flur, wo sie ihre Schuhe aufschnürte.

Meier wollte widersprechen, als Barras ihn stoppte. «Ich muss etwas mit Ihnen diskutieren. Unter vier Augen.»

Meier wurde misstrauisch. Was wollte sie von ihm?

«Es ist wichtig, Chef.»

«Nennen Sie mich nicht Chef.»

«Alte Gewohnheit.» Als sie grinste, gab er nach.

«Na gut, bringen Sie Licht in meinen öden Vateralltag.»

Was rede ich da? Seine eigenen Worte trafen ihn. Ich vermisse meinen Job, dachte er.

Ihre Blicke kreuzten sich. Einen Moment lang sah sie in seine Seele. Und er in ihre. Zwei Kämpfer auf dem Abstellgleis, dachte er. Meine Karriere ist zu Ende, da mach ich mir nichts vor. Barras’ Karriere tritt auf der Stelle. Seit den Ereignissen um den Theaterregisseur hatte sie keinen Erfolg mehr aufzuweisen. Wobei das streng genommen gar kein Erfolg gewesen war. Der Regisseur war immer noch auf freiem Fuss, das Verfahren zog sich in die Länge. Es war frustrierend.

Sie räusperte sich. «Ich habe einen neuen Fall, der sehr dringend geworden ist.» In knappen Worten skizzierte sie die Eckdaten um eine vermisste Frau.

«Philomena Lombardi?», fragte Meier. Der Name sagte ihm etwas. Hatte Zita nicht eine gleichnamige Stiftung erwähnt?

«Die Immobilienerbin?»

«Genau. Sie meldet sich nicht. Wir haben eine Untersuchung eröffnet.»

Sie mussten Indizien haben, ohne ging das nicht bei einer Vermisstenmeldung von Erwachsenen. «Und was vermuten Sie? Suizid? Ein Verbrechen?»

«Ich bin mir unsicher», sagte Barras und erwähnte, dass bislang niemand die Frau ernstlich vermisst hatte. «Bis auf die Gärtnerin. Die dafür geradezu exzessiv. Sie hat die Zentrale mit Meldungen terrorisiert.»

«Die Gärtnerin? Und nicht die Familie?»

Barras nickte. «Überlegen Sie mal. Bringen Sie Licht in meinen öden Ermittleralltag.»

Sie zitierte ihn? Ziemlich frech, dafür, dass sie erst Ende zwanzig war. Noch einmal der Blickwechsel. Kann heikel werden, sagte seiner. Mir egal, sagte ihrer.

Meier löste sich als Erster und griff zum Notizblock für die Einkaufslisten. «Fangen Sie an. Ich brauche eine Übersicht.»

Während Barras erzählte, schrieb er den Namen der Gärtnerin auf, den der Vermissten, schliesslich die der Familienmitglieder.

«Claire und Johannes Lombardi? Das heisst, Johannes Lombardi hat den Namen seiner Ex angenommen?»

Barras nickte.

«Interessant. Zu wem gehören die Kinder?» Nachdem sie es erklärt hatte, schrieb Meier die Namen Sunny und Jan zwischen Johannes und Philomena.

«Der private Kreis. Was ist mit der Stiftung?»

Barras erwähnte nebst dem alten Afredo Lombardi, der vor einigen Monaten gestorben war, drei Personen. «Alice Haag, Charles Bonvin und Johannes Lombardi.»

Sie holte ihr Handy und zeigte Meier die Homepage. Sie war veraltet, kein Organigramm, nur wenige Namen. Das Porträt des alten Lombardi offenbarte einen Patron. Die Legende erzählte, dass er ein eingewanderter Italiener war, der sich hochgearbeitet hatte, eine echte Tellerwäschergeschichte. Auf der nächsten Seite, viel kleiner, präsentierte sich die Geschäftsleitung.

«Eine Art Trio infernale», sagte Meier und studierte die drei Menschen. Alice Haag, klein, faltig, mit auffälliger Warze, stand in der Mitte, flankiert zur Rechten von Charles Bonvin, glatzköpfig, teurer Anzug, Siegelring, und zur Linken von Johannes Lombardi, schmale Schultern, schwammige Ausstrahlung, gesenkter Blick.

Philomena Lombardis Foto fehlte.

«Der Schmuckverkäufer hat mir ein Bild geschickt.»

Barras scrollte sich durch die Nachrichten und zeigte Meier auf dem Display eine Frau von geradezu ausserirdischer Schönheit.

«Anna Karenina», sagte Barras.

«Seit wann sind Sie literarisch drauf?», fragte Meier.

Sie zuckte die Achseln.

Einige Minuten später waren die Namen auf Meiers Notizblatt mit Strichen verbunden, welche alle auf die Mitte zuliefen, wo der alte Lombardi stand.

«Es ist, als ob er noch da wäre.» Meier legte den Stift beiseite. «Das wird ein zentraler Punkt der Ermittlung, Barras, der Einfluss des alten Lombardi, post mortem. Und der der Vermissten. Sie müsste ja die direkte Erbin sein. Sie wollte in den Familiensitz zurückkehren, haben Sie gesagt? Haben Sie vielleicht auch ein Foto dieser Villa Riesbach?»

Im Netz fanden sie eine Aufnahme in Schwarz-Weiss.

«Eine Villa aus den zwanziger Jahren, schätze ich. Berliner Architektur, alte Bausubstanz, denkmalgeschützt. – Ein Prunkstück, Barras.» Meier spürte, wie er sich ins Feuer redete. «Diese Stiftung ist ein Wirtschaftsfaktor, sie muss Millionen verwalten. Und wer steckt dahinter? Ein Wachsfigurenkabinett und die verschwundene Anna Karenina.»

Barras sah ihn mit offenem Mund an. «Sie können es noch, Boss. Der Polizist ist in den zwei Monaten nicht im Windeleimer erstickt.»

«Natürlich. So was verlernt man nicht.»

«Was raten Sie mir?», fragte sie.

«Ich würde alles hochfahren. Reden Sie mit der Gärtnerin, lassen Sie Spuren sichern. Und gleichzeitig würde ich versuchen, möglichst viel über die Stiftung herauszufinden.»

Barras schwieg, dann sah sie Meier an. «Darum bin ich hier. Können Sie das übernehmen? Können Sie ein wenig herumstochern?»

Meier war baff.

«Sie sind die perfekte Tarnung. So erfahren wir aus erster Hand, wie die Stiftung funktioniert.»

«Eine verdeckte Ermittlung als fetter, überalterter Familienvater auf Wohnungssuche?» Meier zögerte. «Sie wissen, was Ihr echter Chef dazu sagen würde.»

«Ich hole das Einverständnis. Das krieg ich gebacken, keine Angst. – Morgen ist eine öffentliche Wohnungsbesichtigung. Gehen Sie dahin.»

«In Ordnung.» Da fiel Meier etwas ein. «Würden Sie Zita bitte nichts sagen, Barras? Ich weiss nicht, ob sie es gut findet, wenn ich als vorübergehender Vollzeithausmann einen Nebenjob mache.»

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