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Beanie Barras fuhr mit Zitas Velo zum Seebad Enge. Es lag nicht weit vom Bürkliplatz und war nur über einen Steg erreichbar. Was für ein Morgen! Seit Vintage-Cary um sechs in der Früh einen zweiten Ohrring gemeldet hatte, war Beanie auf Achse. Sie hatte die Spurensicherung mobilisiert und war mit ihrem Teampartner Serge Duchamps zum Schmuckladen gerast.

Die Besitzerin Rubi Bachar war, wie sich herausstellte, auf einer Messe in Mailand. Vintage-Cary, kurz vor dem Nervenzusammenbruch, hatte erneut allein Rede und Antwort stehen müssen. Pech für ihn.

Ein Fahndungsteam war dabei, im Umfeld des Ladens Befragungen vorzunehmen. Der Staatsanwalt hatte die Datenabfrage bewilligt, Philomena Lombardi galt als vermisst mit Dringlichkeitsstufe «moderat». Beanie wartete auf das Untersuchungsresultat beider Ohrringe. Vorher würde sie nicht zur Gärtnerin in die Villa Riesbach fahren.

Tang, Fisch, eiskaltes Wasser – Beanie sog die Seeluft ein. Mit Zitas Velo war die Fahrt wesentlich anstrengender gewesen als mit ihrem Bike. Sie checkte die Inbox. Nichts. Ein Anruf beim FOR erbrachte den Namen des zuständigen Kriminaltechnikers.

Sahel Huwyler. Leider nicht verfügbar, hiess es gleich darauf, und nein, es gab noch keine Resultate. Penner. So schwierig konnte das nicht sein. Über die verblichenen Planken betrat Beanie das hölzerne, einstöckige Gebäude. Im Sommer war es ein Bad, im Winter eine Sauna am See, die auch den Winterschwimmern offenstand. Ohne auf die nackten Menschen in der Ausruhzone zu achten, ging Beanie ins kleine Restaurant. Wärme schlug ihr entgegen und der Geruch nach Linsen und Zimt. Gegen ihren Ausweis bekam Beanie einen Kästchenschlüssel. In der Garderobe schälte sie sich aus ihren Klamotten und schlüpfte in den Badeanzug. Neopren war für Weicheier. Wieder ein Blick auf ihr Handy.

Meier. Mit einem Kurzbericht. Er stand vor seiner ersten Wohnungsbesichtigung und hatte recherchiert. Vermutete Mauscheleien in der Lombardi-Stiftung. «Anders geht es gar nicht. Die sind Gott, Barras.»

Beanie grinste. «Willkommen in der Welt der Wohnungssuchenden», schrieb sie zurück.

Meier erbat sich Autorisierung, nach der Besichtigung weitere Lombardi-Häuser anzusehen. «Okay», schrieb Beanie, mit schlechtem Gewissen. Die verdeckten Ermittlungen waren nicht offiziell. Zum Abschluss erinnerte Meier sie an die Waldweihnacht. Fuck. Der Esel. Sie machte sich eine Notiz. Das durfte sie nicht verpeilen.

Sie verstaute ihre Sachen im Kästchen, schlang das Badetuch um sich und eilte zum See.

«Viel Spass», sagte eine Männerstimme. «Acht Grad. Ein Grad wärmer als gestern. Fühlt sich bestimmt an wie Sauna.»

Nice. Die Stimme. Trotzdem drehte sich Beanie nicht um. Keine Lust, den Typen nackt zu sehen. Es war immer desillusionierend. Sie ging die Stufen hinunter und direkt ins Wasser. Japs. Zehen, Beine, Bauch, Arme und Hände wurden zu eisigen Klumpen. Beanie legte los. Die Kälte erreichte das Hirn. Hart, eisig, allumfassend. Der totale Schock.

«Hei? Geht’s dir gut?» Wieder diese Stimme.

Beanie sah zum Ufer. Der Typ trug einen Neoprenanzug und Badekappe. Darunter bemerkte Beanie schwarzes, halblanges Haar. Ein Inder? Attraktiv.

«Easypeasysummerbreezy», rief sie und fühlte ein Lachen hervorsprudeln.

Dann schwamm sie weiter. Am Floss vorbei und nach draussen bis zur verblichenen Boje. Linker Hand sah sie die Quaibrücke. Die Kirchtürme von Fraumünster, St. Peter und Grossmünster. Dazu die Uni, die ETH. Geil. Meine Heimat? Beanie war Schweizerin. Auf dem Papier. Ausserdem Deutsche. Einen amerikanischen Pass hatte sie auch.

«Überall und nirgends», hatte Andi gejammert. «Du musst dich entscheiden, Beans.»

Damit meinte er nicht den Pass. Andi hätte gerne ein eigenes Haus. Beanie fand den Campingwagen mit Waldhütte ausreichend. Das tägliche Feuermachen half ihr beim Runterkommen, die Bikefahrt zur Arbeit beim Rauffahren. Die verpasste Hochzeit? Für Beanie war es ein Glück. Würde sie nie laut sagen. Dachte sie nur, wenn sie durch acht Grad kaltes Wasser schwamm.

«Hei, erfrierst du nicht?»

Der Typ hatte recht. Es war Zeit. Beanie schwamm zurück.

Beim Hinaussteigen reichte er ihr das Tuch.

«Danke.»

«Kein Thema. – Ich habe dich gesucht.»

Eine billige Anmache?

«Sahel Huwyler vom FOR.»

WAS? «Wieso weisst du, dass ich hier bin?»

Sahel grinste. «Serge Duchamps. Dein Teamkollege ist ein Freund von mir. Als ich hörte, dass du auch Winterschwimmerin bist, hat mich nichts mehr gehalten. Ich habe die Resultate der Ohrringe. Das interessiert dich sicher. Du hast notiert, es sei dringend.»

Sie nickte. Stumm.

«Pass auf. Beim ersten war das Resultat enttäuschend. Er war geradezu klinisch abgewischt.»

«Und der zweite?»

«Der von heute früh? War auch abgewischt. Nur nicht so gründlich. In der Fassung haben wir Blut gefunden. Vermutlich hat die Person den Schmuck in Desinfektionsmittel gebadet, aber das Mittel ist nicht bis in die Ritzen gelangt.»

«Könnt ihr die DNA bestimmen?»

Er nickte. «Leider haben wir keinen Vergleich zuhanden. Hast du Zugriff?»

Beanie zuckte die Schultern. «Ich fahre gleich zur Villa der Lombardi.»

«Etwas musst du wissen. Die Blutspuren könnten auch von einer allergischen Reaktion stammen.»

«War der Ohrring nicht aus Gold?»

Sahel verneinte. «Auch die Diamanten waren nicht echt. Eine Kopie. Nur vom Fachmann erkennbar.»

«Der Typ aus dem Vintage-Laden sagt, es ist ein Original. War er blind?»

«Oder gestresst, das passiert schnell. Die Kopie ist wirklich sehr gut, ich kenne mich da ein wenig aus.»

«Wie äussert sich eine allergische Reaktion?»

«Von einer kleinen Rötung bis zu Vereiterung und blutigen Krusten ist alles möglich.»

Beanie fühlte sich eigenartig enttäuscht. «Dann könnte eine Erklärung sein, dass die Lombardi die Ohrringe loswerden wollte. Allergie gegen Billigmetall?»

«Zum Beispiel. Dagegen spricht wiederum, dass bei beiden Schmuckstücken die Haken verbogen sind. Als ob sie abgerissen worden wären. Mehr kann ich im Moment nicht sagen. – Dir ist kalt.»

Erst jetzt bemerkte Beanie ihre klappernden Zähne. Huwyler legte ihr ein Tuch um die Schultern. Seine Hand lag einen Moment auf ihrem nackten Arm. Dafür könnte ich dich drankriegen. In seinen Augen las sie, dass er wusste, was sie dachte.

«Danke für die Info.» Ich sollte gehen. «Woher bist du?»

«Jeder anderen würde ich ins Gesicht springen bei der Frage. Von hier natürlich.»

«Huwyler passt zu deinem Berndeutsch, aber nicht zu deinem Aussehen.»

Er grinste. «Ist ein Pseudonym. Meinen wirklichen Namen kann niemand aussprechen. Den bring ich dir ein anderes Mal bei.»

Sie warf ihm das Tuch zu und zog los. Wollte sich nicht umdrehen. Tat es trotzdem. In einer einzigen eleganten Bewegung glitt Sahel ins eiskalte Wasser. Das Letzte, was sie von ihm sah, waren seine Füsse. Lang und schmal. Karamell in Graublau.

Zürcher Filz

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