Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 10

VIKTORIA

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Mit seinem neu riechenden Schweinsleder-Aktenkoffer unterm Arm steht Ferdinand in Anzug und Krawatte schwitzend vor dem Gittertor der Botschaft. Der Dienst am Vaterland kann für diese Woche beginnen. Mit Stolz hebt er den Blick zur Fahne über dem Eingangstor. Wie imposant der Bundesvogel seinen Krummschnabel trägt und lässig seine Zunge ausfährt, wie harmonisch sich das Rot der Fahne gegen die Grünschattierungen der üppigen Bäume und Sträucher abhebt! Nur: Der weiße Mittelstreifen changiert ins Grau-Bräunliche, die herrschaftliche einstmals rote Zunge ist zu einem trüben Rosa verblasst und Fransen flattern vom unteren Rand der staatstragenden Textilie.

So geht das nicht, beschließt Ferdinand und betritt den von einer bröckelnden Mauer umzäumten Garten. Da werde ich etwas tun müssen, schließlich steht die Fahne für das teure Vaterland. Und wie erst der Garten ausschaut! Dichtes Gestrüpp macht sich breit, so weit das Auge blickt. Und es blickt schon wegen dieses Mini-Urwalds nicht sehr weit. Eine ordentliche Rodung ist längst fällig, beschließt Ferdinand. Der Botschafter kann sich nicht um alles kümmern, ich werde ihm zur Hand gehen, ohne viel Aufhebens zu machen, das ist ja meine Pflicht.

Er steigt über das Maskottchen der Botschaft, eine tellergroße, rot-weiß-rot angestrichene Schildkröte, die vor den Stufen zur Eingangstür Kopf und Glieder der Sonne entgegenstreckt, und betritt das Gebäude, eine Villa, die einstmals einem beflissenen Diener der Kolonialmacht gedient haben mochte und nun ebenso verblichen ist wie diese Macht.

Freundlich grüßend wendet er sich an die ältliche Kanzlerin Elfriede, die säuerlich von ihrem morgendlichen Müsli aufblickt. »Die Fahne da draußen«, beginnt er, »ist verschlissen, bitte, bestellen Sie eine neue in Wien.«

»Selbstverständlich«, erhebt sich die Kollegin mit Leidensmiene. Sie mustert ihn melancholisch: »Wir würden alle paar Monate eine neue brauchen. Der Wind, der viele Staub, wenn es trocken ist, die Luftfeuchtigkeit ansonsten, die Fahnen halten einfach nicht lange. In Wien versteht man das nicht, dort glaubt man vielleicht, dass wir sie zernagen.« Sie steigert sich in einen Ärger: »Die jetzige haben wir schon oft gewaschen und geflickt. Und wenn das nichts mehr bringt, schneiden wir unten immer ein Stück ab. So wird sie immer kürzer. Aber wer merkt das schon?« Ferdinand zögert: Grinst sie nun unter ihrer Leidensmiene? »Gut, ich bestelle wieder eine«, lenkt Elfriede ein.

Ferdinand verlässt diese humorfreie Zone und zieht sich in sein Büro im ersten Stock zurück. Den verwilderten Garten werde ich Elfriede gegenüber später erwähnen, alles zu seiner Zeit, den Mühlen der Bürokratie soll man mit List und Bedacht in die Schaufeln greifen.

Aus dem Zimmer nebenan ertönt leise schummrige Musik. Anklopfend öffnet er sachte die Tür. Ein Geruch von altem Schweiß und süßlichem Parfüm entströmt dem Kämmerchen. Viktoria, Ferdinands Sekretärin, neusprachlich Personal Assistant oder PA, sitzt mit einer Papiertasse Pommes frites vor sich in einer Art schwarzem Samtpyjama breit hinter dem Schreibtisch.

Ihre Eltern, ein verhinderter Opernsänger mit mäßig erfolgreicher Anwaltskanzlei und eine umtriebige Klavierlehrerin, hatten sie mit dem passend erdschweren Namen Brunhilde versehen und sie schon als Vierjährige mit einer Geige samt dazugehörendem Lehrer ausgestattet. Danach war fast alles schiefgegangen, inklusive der Ehe ihrer Eltern. Brunhilde hatte neben einer Vorliebe für Hallodris eine Afrika-Affinität entwickelt und ihren Namen auf das lichtere Viktoria abändern lassen. Der Kontakt zu den Eltern war längst abgebrochen, eine vage Liebe zur Musik und eine unstillbare Sehnsucht nach Lob und Mehlspeisen waren ihr geblieben.

Das Schicksal, beziehungsweise das Außenamt, hatte sie wunschgemäß bereits einer Reihe afrikanischer Länder überantwortet, in der Hoffnung, sie nie wieder in der Zentrale zu sehen. Wie keine andere ist sie mit Sitten und Gebräuchen des Empfangsstaates vertraut. Ferdinand hat das bereits mit Wohlgefallen festgestellt, als es galt, die mit Amtsantritt üblichen Formalitäten bei den lokalen Behörden zu erledigen.

Routinearbeiten sind Viktorias Sache nicht, ebenso wenig die penible Pflege von Körper und Kleidung. Mit Vorliebe trägt sie ausgeleierte Samtanzüge, wohl auch, um ihre aus dem Leim gehenden Formen zu verdecken. Ihr ergrauendes Haar ist zu einer Art Vogelnest hochgesteckt, von dem einzelne Strähnen wie Federn abstehen. Der erste Eindruck von Trägheit und Verwirrung täuscht aber. Die anderen in der Botschaft halten sie sich zwar schon wegen ihres Geruchs vom Leibe, aber sie ist herzensgut und kann erstaunliche Energien entwickeln, wenn sich ausnahmsweise eine Betätigung anbietet, die ihre Abenteuerlust anstachelt. Unzuständigkeit oder Gefahr können sie beispielsweise nicht davon abbringen, einen vermissten österreichischen Touristen eigenfüßig in einem entlegenen Naturpark aufzuspüren, den lokalen Behörden im Rekordtempo die Leiche eines verunglückten Organspenders abzuluchsen oder einer vor ihrem rabiaten einheimischen Mann Schutz suchenden Österreicherin Obdach zu gewähren. Jedenfalls erzählt das die auf vorschriftsmäßiges Verhalten bedachte Kanzlerin Elfriede mit deutlicher Missbilligung.

»Guten Morgen«, wünscht Ferdinand, »ich hoffe, Sie hatten ein schönes Wochenende. Gibt es etwas Neues?« Viktoria nuschelt etwas vor sich hin, offenbar ist sie heute nicht besonders gut gelaunt. Ferdinand versteht schließlich: Es gibt nichts Neues, und er zieht sich in sein Büro zurück.

Die Tür lässt er offen. Ich will immer für alle erreichbar sein, sichert er sich zu. Mit den sogenannten Untergebenen, neusprachlich MitarbeiterInnen, will ich respektvoll umgehen. Papa hat sie immer auf Distanz gehalten und ist oft schroff geworden, wenn sie etwa eigene Ideen äußerten. »Überlassen Sie das Denken den Pferden, die haben größere Köpfe«, so hat der Alte die ihm Ergebenen verscheucht. So war eben die alte Diplomaten-Garde, lauter Männer, in genagelten, blank polierten dunklen Lederschuhen und mit ebenso blank polierten Gesichtern.

Heute herrschen dank der vielen Konsulenten andere Sitten. Das ist gut so, denkt Ferdinand. Ziehen wir nicht zum allgemeinen Wohl alle an einem Strang, als Teamworker, vielmehr WorkerInnen? Der immerwährende Konkurrenzkampf um Posten im In- und Ausland wird so ein gemütliches Ende finden. Wird sich mit dem Binnen-I, nun Pflicht und Markenzeichen Gendering-adäquater Gesinnung, nicht die miese Behandlung und Bezahlung untergebener weiblicher Angestellter aufhören? Ferdinand kämpft gegen seine Zweifel. Vor seinem geistigen Auge taucht außerdem die Phalanx kampfbereiter Kolleginnen auf, deren hoher Wuchs nur von der Höhe ihrer Ambitionen übertroffen wird. Bei dem Gedanken an diese Amazonen melden sich wieder seine Ängste vor Frauen.

Gefahr im Anzug

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