Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 5
KAPITEL I DER FUND
ОглавлениеBlop blop, hüpft der Ball hin und her.
Das Ballspielen mit Xandi macht richtig Spaß! Mein Vater, Seine Exzellenz der Botschafter, hat nie mit mir gespielt, kommt es Ferdinand in den Sinn. Ich habe ihn kaum je gesehen. Selbst außerhalb seiner Dienstzeiten, ja gerade dann, bin ich für ihn Luft gewesen. Mit bedeutungsschwangerer Miene hat sich der Alte immer von mir ab- und seiner geheimnisumwitterten Arbeit zugewandt.
Blop, blop, eiert das Fetzenlaberl hin und her.
Das ist beruhigend, fast wie eine friedlich verlaufende interministerielle Sitzung. Xandi lacht so fröhlich, läuft jauchzend jedem Ball hinterher und nennt mich Onkel.
Ein wohliges Gefühl überkommt Ferdinand. Was kann mir hier schon passieren? Jetzt bin ich bald zwei Wochen hier in Afrika und bisher ist nichts Schlimmes geschehen. Nicht einmal eine Gelse, oder Moskito, wie sie das nennen, hat mich gestochen, denkt Ferdinand und schaut selig vor sich hin. Hier im Schatten, im Grünen, lässt sich diese drückende Hitze ertragen. Außerdem neigt sich der Tag der kühlenden Nacht entgegen und später erwarten mich Drinks.
Und doch: Ein bisschen Angst macht mir der erste Posten im Ausland, und noch dazu in Afrika, schon, denkt er. So weit weg von Österreich bin ich hier, so anders ist es als zu Hause! Und diesmal bin ich selbst in offizieller Funktion, und nicht nur Anhängsel des Vaters. Aber das alles wird sicher gut gehen. Wie nett, dass mich unser Handelsdelegierter Alfred so bald nach meiner Ankunft gleich zu einem Grillabend in seine Residenz eingeladen hat. Und der Chef, der Botschafter, ist auch sehr freundlich. Er hat mich sogar angelächelt und sofort »Du« gesagt, wie unter Diplomaten üblich. Seinen besten Mann hat er mich genannt. Ich weiß schon, bei einem so kleinen Büro mit zwei Mann, dem Chef und mir, ist es nicht schwer, »bester Mann« zu sein. Aber geschmeichelt hat es mir schon. Weil: Wann war ich schon je der Beste? Sicher war ich es nicht für Papa. Dem war ich nie gut genug. Und irgendwie hat er recht, der Vater.
Blop, blop, macht es erneut und der Ball verschwindet hinter Ferdinand im Gebüsch. Er dreht sich um und blickt in dichtes Gestrüpp, das sich hinter dem trockenen Rasen geheimnisvoll breitmacht.
»Warte, ich hole ihn!«, ruft er Alfreds kleinem Sohn Xandi zu, der ihm ein wenig schuldbewusst nachblickt. Vorsichtig steigt er zwischen die Pflanzen, drückt stachelige Äste beiseite und verschwindet im satten Grün. Das ist ja wie in den Donau-Auen, bevor sie in Stauseen untergehen! Nach wenigen Metern stößt Ferdinand an die bröckelnde Ziegelmauer, die das Grundstück umrundet. Die ist also zum Schutz vor wilden Tieren und räuberischen Einheimischen, wie der Handelsmann gesagt hat.
Atem schöpfend lehnt er sich an die fleckig weiß getünchte Mauer. Ich sollte mehr Sport betreiben, es gibt hier sicher Möglichkeiten, vielleicht Golf oder Tennis? Oder zumindest Morgengymnastik. Sport und Turnen füllen Gräber und Urnen, pflegte Papa zu sagen, aber in allem hat er wohl nicht recht. Was plätschert da, vielleicht ein Bächlein? Dorthin muss der Ball geflogen sein. Wie kam er bloß über die Mauer? Eine ganz schöne Leistung für so einen kleinen Buben!
Es raschelt, Ferdinand zuckt zusammen. Einer der einheimisehen Mauer-Wächter ist wie aus dem Nichts fast lautlos zur Stelle. Wortlos weist ihn der drahtige junge Schwarze durch ein modriges Holztürchen in der Mauer und bleibt achtsam stehen. »Ich komme gleich«, ruft Ferdinand Xandi zu, »bleib, wo du bist!«
Vorsichtig nähert sich Ferdinand dem Gewässer. Wasser ist immer etwas Schönes und so beruhigend! Begierig saugt er kurz die Luft ein, um gleich darauf den Atem anzuhalten: Wie faulig es hier riecht! Sein kurzsichtiger Blick erfasst schemenhaft das gegenüberliegende Ufer. In dem undurchdringlichen Gestrüpp dort drüben blitzen Plastiksäcke im späten Sonnenlicht und eine Gruppe Milane dreht auf Beute hoffend lautlos ihre Runden.
Hoffentlich gibt es hier keine Schlangen, womöglich grüne Mambas!, denkt Ferdinand. Wer weiß, wie die medizinische Versorgung in diesem Land funktioniert? Wo ist denn bloß dieser Ball hin? Ich sollte wieder einmal zum Augenarzt gehen, ich brauche wohl eine neue Brille.
Suchend schaut Ferdinand um sich. Sein Blick fällt auf zwei lange Latten aus Holz. Warum liegen die da? Sie sind vielleicht zum Vertreiben der wilden Tiere gedacht, hoffentlich nicht der Einheimischen. Man weiß ja nie.
Da, etwas Großes, es liegt im Wasser direkt am Ufer. Was ist das? Ein Stück Holz, vielleicht ein wildes Tier? Ferdinand stakst noch drei Schritte weiter ans Ufer – das, das ist ja ein Mensch!
Er stürzt zu dem Verunglückten und zerrt den stämmigen Körper ins Trockene. »Ist das Blut, ist er verletzt? Hilfe! Hilfe!«, stammelt Ferdinand fassungslos.
Xandis Stimmchen von jenseits der Mauer und des Gestrüpps piepst ängstlich: »Onkel, was ist?«
»Nichts, warte, ich komme gleich.« Ferdinand fasst sich, Xandi darf auf keinen Fall etwas mitbekommen, entscheidet er instinktiv. Das Leben von Diplomatenkindern ist schon schwierig genug, auch ohne Leichen, das weiß ich aus eigener Erfahrung.
Ferdinand beugt sich jetzt über den Körper. Aufgerissene Augen starren ihn leblos an, an dem halb geöffneten Mund hängt noch ein letzter Schrei. »Er ist tot, nein, ja, er ist tot!«, murmelt er entsetzt. »Ein Toter, womöglich ein Ermordeter!«
Während seiner Probezeit als Stagiaire an einer österreichischen Botschaft in einem exotischen Land hat er schon einiges erlebt: Landsleute, die auf Urlauben in heißen Ländern nach reichlichem Alkoholkonsum der Schlag getroffen hatte oder die bei abenteuerlichen Wanderungen »ins Gras gebissen« hatten. Bei den Leichentransporten zurück in die Heimat, die er organisieren musste, waren die lokalen Behörden meist ungewöhnlich effizient und unbürokratisch gewesen. Schließlich wollten sie solche Leichen möglichst schnell loswerden. Lästiger waren schon manchmal die eigenen Behörden. Einmal hatte er sogar für ein Skelett einen Anzug auftreiben müssen, denn solches war vorgeschrieben und Vorschrift ist Vorschrift.
Aber so unmittelbar wie hier in Wosama-Damia hat er einen Toten noch nie erlebt.
Lässig löst sich der Wächter vom Türrahmen. Nach einem kurzen Blick auf die Leiche hockt er sich schweigend im hohen Gras nieder.