Читать книгу Gefahr im Anzug - Gabriele Matzner - Страница 8

AUSFLUG

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»Gehen wir fischen, Onkel?«, fragt Xandi aufgeregt, als sich die Familie des Handelsdelegierten und Ferdinand zum Aufbruch bereit machen.

»Wie kommt der Kleine auf Fischen?«, fragt er und verschlingt beflissen ein von Grete gebackenes und von ihr eindringlich angepriesenes Croissant.

»Das kommt wohl von unseren Urlauben in Kärnten«, grinst Alfred. »Wir sind dort jeden Sommer und da fischt er Babyfische aus dem See und will sie dann totmachen.«

Totmachen? Ferdinand verschluckt sich fast am fetttriefenden Croissant. Da ist das schlechte Gewissen wieder, nichts getan zu haben. Wer wohl den Rotschopf totgemacht hat?, schießt es Ferdinand durch den Kopf.

Selbstbewusst setzt sich der Handelsmann ans Steuer und sie machen sich auf den Weg zu den Lagunen. Schon nach wenigen Hundert Metern steht alles still.

»Heute ist doch Sonntag?«, wundert sich Ferdinand. »Wieso sind da so viele unterwegs?«

Nach einer guten halben Stunde Stillstand ergreift Grete, vom Gequengel der Kinder genervt, die Initiative. Sie lässt das Fenster herunter, brütende Hitze dringt ins Fahrzeug. »Wohin fahren Sie?«, erkundigt sie sich leicht herrisch bei ihren Stau-Nachbarn, die in dem mit Verwandten und Picknickmöbeln überladenen alten Buick vergnügt jausnen.

»Heute ist doch die Strand-Show bei der Lagune«, grinst sie der grau melierte Einheimische gutgelaunt an.

»Und was ist das?«, fragt Grete ungeduldig zurück.

»Da wird wieder ein Dutzend Räuber und Mörder erschossen«, erläutert der Vergnügte. Die Österreicher erfasst ein Schaudern. Sie haben keine weiteren Fragen. Doch der freundliche Nachbar setzt von sich aus hinzu: »Sir Donald, der alte einarmige Schotte, ist heute dran, das ist immer besonders spannend. Der kann gut schießen, es kann aber dauern, er trinkt ziemlich viel und trifft nicht immer gleich.« Mit dieser Erklärung wendet sich der Nachbar augenzwinkernd wieder seiner Jause aus gekochten Hühnerfüßen zu.

Der schaut doch aus wie ein Opa und das ist er wohl auch, wie kann der so reden? Ferdinand kratzt sich am Hals. Es sind doch auch Kinder im Auto! Wo bin ich nur hingeraten?, denkt er. Vor seinem geistigen Auge tauchen unwillkürlich jene Szenen aus kindlichen Zeiten auf, in denen der botschafterliche Vater am Familientisch drohte, alle unbotmäßigen, faulen und dummen Menschen, von denen er angeblich umgeben war, auf der Stelle standrechtlich erschießen zu lassen. Damals war Ferdinand sicher gewesen, dass die grimmige Exzellenz auch ihn meinte.

»Das hättest du wissen sollen«, zischt Grete Alfred zu.

»Am besten wir fahren in den Klub«, schlägt er kleinlaut vor. Der Klub liegt im vornehmen Westen der Hauptstadt Dosamado. Gepflegter englischer Rasen ergießt sich, so weit das Auge reicht. Das macht das Gelände zu einer Oase inmitten der staubigen Landschaft ringsum. Livrierte Diener, deren Gesichter fast so schwarz sind wie ihre Uniformen, stehen weiß-behandschuht sprungbereit herum, um die fast ausschließlich weißen Gäste mit Liegen und samtweichen Handtüchern zu verwöhnen und mit kühlen bunten Getränken zu laben.

Heute, sonntags, ist der Klub voll. Um den gigantischen Pool mit giftgrünem Wasser ist kein Platz zu ergattern. Schließlich lassen sie sich im Schatten eines Mangobaumes nieder. Nach mehreren Exkursionen ins kühlende Nass ist es dann Zeit für einen Imbiss im klimatisierten Klubhaus.

In der legeren Atmosphäre rund um das üppige Buffet kommen sie schnell ins Gespräch. Die meisten Besucher sind westliche Kollegen vom diplomatischen Corps mit Familien. Der Handelsdelegierte stellt Ferdinand der Runde kurz vor. Es folgen die üblichen Fragen an den Neuen: »Wie lange sind Sie schon hier?« oder »Wie gefällt es Ihnen hier?« oder »Wo waren Sie vorher?«. Ferdinands zögerliche Antworten scheinen die Fragenden nicht wirklich zu interessieren. Danach geht es an den Austausch von Kuriositäten, Klagen und Horrorgeschichten über die Zustände im Empfangsstaat. »Wir sind schon seit drei Wochen ohne fließendes Wasser«, verkündet eine sonnengegerbte Britin. »Und wir sind seit sechs Monaten ohne Müllabfuhr«, übertrumpft sie eine verhärmt wirkende Belgierin. »Vorgestern wurde der Mercedes des deutschen Konsuls vor dem Konsulat am helllichten Tag gestohlen«, entrüstet sich ein nordischer Hüne mit dem Gehabe eines spanischen Granden. Ein Crescendo des Unmuts widmen die Klagenden dem einheimischen Dienstpersonal, von dem sie durchwegs behaupten, es sei faul, unfähig, verschlagen, diebisch und leider unentbehrlich. Bei vom einheimischen Personal mit stoischer Miene gekonnt gereichten Lachsschnittchen, Schokoladen-Mousse, Cola und Whisky sprudelt das Geschnatter wie ein Gebirgsbächlein munter dahin. Von Wellness durchflutet blickt Ferdinand sich um.

Er lauscht und fühlt sich wohl, wie nach einer gelungenen Beichte. Das diplomatische Corps wird sicher meine Familie, Großfamilie! Was uns nicht alles verbindet! Es kommen ihm die Werte der westlichen Wertegemeinschaft in den Sinn, die der ganzen Menschheit schon so viel Gutes gebracht haben. Dieses Geschimpfe dagegen klingt doch ziemlich rassistisch und ein guter Christ ist kein Rassist. So schlimm wird das schon nicht sein mit den Einheimischen!

Ferdinand verschließt die Ohren und sieht sich um. Zwinkert mir da nicht diese weißblonde Holländerin zu, deren Oberweite krebsrot aus dem Bikini quillt? Mama, die Torwächterin seiner Libido, taucht vor seinem geistigen Auge auf und rät zu Vorsicht.

Doch wer ist das? An der Bar taucht eine junge Frau auf: Lebhaft erforschen ihre lachenden Augen die Szene, sie kehrt den Kopf munter mal dorthin mal dahin, kurz geschnittenes, dichtes braunes Haar umwippt ihn bei jeder Bewegung, die kleine Figur passt nicht so recht zu dem Tennis-Outfit, das ihren Rundungen jedoch Geltung verschafft. Sein Blick schweift zu den kompakten runden Füßchen, die am Ende der kurzen Beine aus grünen Plastiksandalen lugen. Für solche kompakten Extremitäten hat Ferdinand immer eine gewisse Schwäche gehabt und so züngelt in ihm nun eine zarte Flamme hoch. Süß wie ein Punschkrapferl erscheint ihm die junge Dame. Immer wieder schweift sein Blick in ihre Richtung und zu ihren Füßen. Ich darf sie nicht anstarren, mahnt ihn seine im Elternhaus früh auf Diskretion trainierte innere Stimme, es wäre peinlich, wenn sie es bemerkt. Aber wer ist dieser Kerl mit den struppigen Haaren, dem Sonnenbrand und den ausgebeulten Pluderhosen, mit dem sie da schäkert? Wie kann sie sich mit so jemandem abgeben? Hmm, was geht mich das eigentlich an? Ferdinand pumpt sich etwas aus der High-Tech-Kaffeemaschine, das entfernt an den heimatlichen »Kleinen Braunen« erinnert.

Grete nähert sich mampfend mit einem Dessertteller, auf dem die Kalorien für eine ganze Woche versammelt sind. Offenbar hat sie seine zielgerichteten Blicke bemerkt. »Das ist Lisa, sie kommt aus Wien und ist erst seit Kurzem hier«, flüstert sie Ferdinand zu und nippt an einem lila-farbenen Cocktail. »Was sie hier genau macht, weiß ich nicht, zu Hause studiert sie irgendetwas«, bekundet Grete mit Betonung auf irgendwas, »könnte Medizin sein. Wahrscheinlich ist sie aber wieder so eine Entwicklungshelferin«, fügt sie leicht verächtlich hinzu. Ferdinand starrt auf ihre wulstigen Finger mit rosa lackierten Nägeln, mit denen sie die Süßigkeiten in ihren grell geschminkten Mund schaufelt.

Ferdinand überhört ihren Unterton und fängt einen Blick Lisas unter ihrem wippenden Haarschopf auf: Hat sie gespürt, dass von ihr die Rede ist? Ich muss mehr über sie herausfinden, als Österreicherin fällt sie ja sozusagen in meine Zuständigkeit. Diese Haare, diese Augen, diese schwungvollen und doch grazilen Bewegungen! Aber haben mich Mama und Papa nicht vor Frauen gewarnt, die studieren und womöglich selbst Karriere machen wollen? Solche brauche »Mann« nicht, schon gar nicht als Diplomat, haben sie mir eingeschärft, sondern eine, die ihrem Mann stolz und freudig überall hin folgt und ihm klag- und lohnlos den Haushalt führt. Das müsse Erfüllung genug sein, denn schließlich gleicht die Führung eines Diplomatenhaushalts der eines mittleren Hotel- und Restaurationsbetriebes.

»Wo ist heute eigentlich Jean-Pierre?« Mit dieser Frage durchbricht ein rundlicher Franzose das kurze wohltuende Schweigen und lenkt Ferdinands Aufmerksamkeit in die Runde des Corps zurück. »Er ist doch sonst so oft hier«, fügt der Franzose dazu.

»Ich weiß nicht. Das ist seltsam. Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr gesehen«, erwidert nachdenklich ein hagerer Deutscher.

»Vielleicht ist er wieder einmal auf Safari oder wie er das nennt«, mutmaßt ein jovialer Italiener leicht spöttisch.

»Er verschwindet immer wieder für ein paar Tage«, lässt sich der blasse Gemahl der luftgeselchten Britin vernehmen. »Das kann er sich erlauben, er lebt allein und im Büro kann er auch ein-und ausgehen, wie es ihm passt«, ergänzt er und fängt sich einen strafenden Blick der Gegerbten ein.

»Vielleicht erforscht er wieder einmal lokale Gebräuche, besonders weibliche?«, wird der Italiener anzüglich.

Die Blicke der Versammelten schweifen über das Gelände hinter den großen Klubfenstern. »Er ist nirgends zu sehen, übersehen kann man den ja nicht, mit seinen roten Haaren«, resümiert der gründliche Deutsche.

Ferdinand verschluckt sich fast an einem Löffel Karamellcreme: rote Haare! Hat Alfred nicht gesagt, dass er den Toten im Kanal kennt? Mit großen runden Augen schaut er Alfred, der mit einem Lachsbrötchen in der Hand in der Nähe steht, an. Der Handelsdelegierte wendet den Blick rasch ab.

Gefahr im Anzug

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